Satzbau
Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 301 - 312 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, Schreiber schlechten Stils |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber schlechten Stils |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber schlechten Stils, Alt, Schiller - Friedrich, Umgangssprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Goethe - Johann Wolfgang, Gesprochene Sprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber schlechten Stils |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber schlechten Stils, Mundt - Theodor, Schriftsprache, Wissenschaftssprache |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gebildete, Kindersprache, Schreiber schlechten Stils, Prosa, Lyrik, Märchensprache, Clausewitz - Carl von, Dramatik, Gentz - Friedrich von, Grimm - Jacob, Goethe - Johann Wolfgang, Kant - Immanuel, Lessing - Gotthold Ephraim, Gesprochene Sprache, Schiller - Friedrich, Schriftsprache, Grimm - Wilhelm, Zeitungssprache, Bismarck - Otto von, Luther - Martin |
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber schlechten Stils |
Text |
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Es gibt kein Land mit mehr Lehrbüchern des Stils und des Satzbaues als Deutschland, und in keinem wird so wie in Deutschland geklagt über schlechten Satzbau. Ob dieses Urteil wahr ist oder nicht, bleibt hier ununtersucht; lernen aber sollte man aus solchem Urteil endlich, daß es nicht möglich ist, einen musterhaften Satzbau zu erlernen, sonst müßten wir Deutsche den besten der Welt haben. Zum Glück ist es ebenso unnötig wie unmöglich, den oder einen Satzbau zu erlernen: da er so zum innersten Wesen des Menschen gehört wie Gang, Gebärde, Stimme, Handschrift; und da im Begriff des Sprachgefühls der Besitz eines Satzbaus enthalten ist, so hat jeder regelmäßig Schreibende einen Satzbau, und zwar den seinigen. Ist dieser nicht durch falsche Spracherziehung oder durch üble Nebenabsichten, z. B. durch auffallsüchtige Eitelkeit, verzerrt und verderbt; glaubt der Schreiber nicht, die höchste Kunst des Satzbaus bestehe im weiten Abbiegen von der natürlichen Rede, so wird ein deutscher Schreiber einen Satz bauen können, der vielleicht nicht immer ein Kunstwerk, aber doch meist der klare, wohlgeordnete und wirksame Ausdruck seiner Gedanken ist. Ein Führer durch Falsch und Richtig zu gutem Deutsch hat also weit weniger die Aufgabe, den besten Satzbau zu lehren, als vor dem schlechten zu warnen und liebreichen Rat zu dessen Vermeidung zu geben. Obenan steht dieser: Ein Satz ist ein Satz, keine Abhandlung; und ein Satz ist ein Satz, nicht ein Satzhaufen oder ein Satzturmbau. Baut kurze Sätze! Dieser Spruch sollte in leuchtenden Goldbuchstaben auf dunklem Grunde den Schreibtisch jedes Durchschnittschreibers zieren. Damit ist nicht gemeint, daß ein geübter Schreiber nicht Sätze von beliebiger, im richtigen Verhältnis zum Gedankengehalt stehender Länge bauen dürfe. Auch nicht, daß der weniger Geübte, der Nichtberufschreiber sich immer nur in ganz kurzen Sätzen ergehen solle. Es ist ein allgemeiner, von Begabung, Beruf und $Seite 302$ Übung absehender Rat, über den kein Schreiber erhaben ist; einer, den ich mir mein Leben lang, sooft ich die Feder führte, zur Richtschnur genommen; den ich mir selbst beim Schreiben oder Diktieren dieses Buches täglich und stündlich ungeschrieben vor Augen halte. Ein Satz spricht einen Gedanken aus, und es gibt keinen Gedanken so gewaltig, daß sein vielverschlungener Gang und reicher Gehalt nur durch einen, ungeheuern, Satz ausgedrückt werden könnte oder gar müßte. Selbst der weltumspannende Gedanke rollt sich im Gehirn als ein Nacheinander ab, und dieser Gedankenkette entspricht ein Sprachgefüge, das aus Sätzen, nicht aus einem Satze besteht. Und sollte es selbst einen Schreiber von so ungeheurer Verdichtung des Denkens geben, daß er eine ganze Gedankenwelt auf einmal zu erfassen und bis ans Ende zu denken vermöchte, ― sobald er sie ausspricht, untersteht er dem Hauptgesetz alles Schreibens: man schreibt für Leser, nicht für sich selbst, folglich sind die durchschnittlichen Fähigkeiten der Leser im Überschauen, Aufnehmen, Verstehen für den Schreiber maßgebend. Der Schreiber muß seinen Satzbau so entwerfen und zimmern, daß nicht er allein, der ja den Inhalt schon kennt, sich darin zurechtfinde; sondern er hat zuerst und alsdann und zuletzt an den Leser zu denken. Für diesen aber sind kurze Sätze, also die von einer bequem überblickbaren Länge, die angenehmsten, und er ist jedem Schreiber dankbar, der ihm keine größere Anstrengung zumutet, als der Stoff erheischt. Der sehr lange Satz eines Meisters kann so wohlgegliedert sein, daß der Leser über dem leichten Verstehen die Länge gar nicht merkt. Solche Sätze gibt es bei Lessing und Schiller, seltner bei Goethe, bei dem das Mittelmaß die Regel ist. Man erforsche und genieße die feine Kunst des Satzbaus an diesen langen Sätzen ― ob Vers oder Prosa, macht keinen Unterschied ― und lerne daraus, soweit aus Vorbildern Kunst gelernt werden kann. Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag zu legen; komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott, zu Hilf; und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euern Kindeskindeskindern äußern, so lad' ich über tausend Jahre sie wiederum vor diesen Stuhl . . (Lessing). $Seite 303$ Denn wir können die Kinder nach unserm Sinne nicht formen; so wie Gott sie uns gab, so muß man sie haben und lieben, sie erziehen aufs beste und jeglichen lassen gewähren; denn der eine hat die, die anderen andere Gaben; jeder braucht sie, und jeder ist doch nur auf eigene Weise gut und glücklich (Goethe). Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht; wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, wenn unerträglich wird die Last, greift er hinaus getrosten Mutes in den Himmel und holt herunter seine ew'gen Rechte, die droben hangen unveräußerlich und unzerbrechlich wie die Sterne selbst, usw. (Schiller). Alle diese Meisterstücke sind vollkommen übersichtlich und durchsichtig; hingegen kann ein ziemlich kurzer, aber schlecht gebauter Satz verworren erscheinen und verwirrend wirken, z. B. dieser von einem sehr berühmten, aber sehr schlechten Schreiber: ,Der scharfe Widerspruch, zu dem er vielen gegenüber, deren Annahmen er zurückweist, sich für genötigt hält, zeigt ..' Wie man aber im kürzesten Satz eine Fülle von Wissen und Gedanken verdichtet und doch für jeden Leser klar aussprechen kann, das lerne man aus berühmten Stellen von Männern, die außergewöhnlich viel zu sagen hatten und dies ohne Ausspinnen in lange Sätze fertig brachten. Kant: Wir sind auf Erden nicht dazu da, glücklich zu werden, sondern unsre Pflicht zu tun. — Goethe: Was aber ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages. — Bismarck: Die Politik ist die Kunst des Möglichen. — Clausewitz: Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln. Zum Aussprechen jedes dieser Gedanken, hinter deren jedem eine Gedankenwelt wogt, würde der Langsatzbauer je einen Satz von einer Druckseite brauchen und — schwächer auf uns wirken als der Meister vom kurzen Satz. Einer unsrer klarsten Prosaschreiber, Schopenhauer, hat das Geheimnis des guten Satzes in einen von kaum zwei Zeilen gefaßt: ,Der leitende Grundsatz sollte sein, daß der Mensch nur einen Gedanken zurzeit deutlich denken kann.' Hieraus folgt, daß man beim Niederschreiben eines Gedankens stets darauf bedacht sein muß, das Durchdenken und Zuendedenken nicht zu durchkreuzen oder abzulenken durch Nebengedanken. Der Hauptgedanke muß sich, wie die Glocke aus der Hülse, blank und eben aus seiner Form, dem Satze, schälen. Nichts, $Seite 304$ was den Gedankenkern nicht stärkt, gehört in den Guß der Wortmasse mit hinein. Jeder Schreiber weiß noch allerlei Nebensachen, die in weitern oder engern Zusammenhang mit dem im Satze auszusprechenden Gedanken gebracht werden könnten, wenn es sich ums Auskramen von Wissen und nicht einzig ums Aussprechen dieses einen Gedankens handelte. Man halte seinem Satz und Satzbau alles fern, was gar nicht oder nicht an dieser Stelle notwendig ist. Man unterscheide streng zwischen dem, was den Gedanken selbst ausmacht, und dem, was ihn allenfalls ausputzt, und unterdrücke den Aufputz zugunsten des Notwendigen. Erscheint das Nebenwerk wichtig genug, um diesen Gedanken noch tiefer einprägen, noch heller einleuchten zu lassen, so stopfe man es trotzdem nicht zwischen das Notwendige, wo es nicht wirkt, nur stört, sondern lasse es in besondern Sätzen folgen. Aber nicht in Nebensätzen zum Hauptsatz! Der Hauptsatz ist das Grundgerüst alles Schreibens; der Nebensatz ist, was er besagt: nebensächlich. Der beste Satzbau in Schriftform ist der dem Satzbau gebildeter Menschenrede am nächsten kommende. Jener braucht sich nicht ganz mit diesem zu decken; entfernt er sich aber so weit von der Rede, daß man sich ihn überhaupt nicht gesprochen denken kann, so ist er schönbeschriebenes Papier, klingende Schelle, aber er hat der lebendigen Liebe nicht. Die Menschenrede bevorzugt nicht nur den Hauptsatz, sondern sie legt eigentlich nur auf ihn großen Wert. Man beobachte, wie gebildete Menschen sich unterhalten: jeder Nebensatz ist in der belebten Rede eine Ausnahme. Man lese Luthers Bibel, Grimms Märchen, Dramen mit Wiedergabe der wirklichen Gesprächsprache — überall wiegt der Hauptsatz vor. Was zwar nebensächlich im Vergleich mit der Hauptsache, aber wichtig genug ist, gesagt zu werden, das wirkt stärker in einem nachfolgenden Hauptsatz als in einem eingeschobenen Nebensatz. Die meisten Leser lesen Nebensätze flüchtiger als Hauptsätze; der weise Schreiber, der doch selbst ein Leser ist, beherzige seine eigne Lesererfahrung und baue danach seine Sätze. Der nicht zufällig aufgeregte Mensch denkt nacheinander, nicht durcheinander: dieser Denkform muß die Schrift-, also die Satzform entsprechen. Mehr Nebenordnung als Unterordnung: dann kommt jeder Gedanke und Gedankensplitter zu seiner Zeit und seinem Recht. Man prüfe seine eignen Sätze $Seite 305$ hinterher, ob sich nicht Nebensätze ohne Mühe, ohne Schaden für die Wirkung, nein, meist zu deren Steigerung in Hauptsätze umwandeln lassen. Es gibt auf jeder Druckseite eines durchschnittlichen Buches einen Satz mit daß, in jeder Zeitungsspalte zwei, die sich zu großer Belebung des Stils in Hauptsätze umschreiben lassen. Meist gehören dazu nur ein paar Striche. Der neuere Satzbau, hierin ungleich dem ältesten und ältern, kommt ohne Nebensätze, sogar ohne ziemlich viele, nicht aus. Der reiche Wechsel von Haupt- und Nebensätzen gibt unserm Stil größere Lebendigkeit und Fülle, auch mehr künstlerische Anmut als dem ältern, mit Ansnahme solcher alter Meister, die mit ihren einfacheren Mitteln mindestens die gleichen Kunstwirkungen erzielten wie wir mit unserm vielverkröpften Satzgezimmer. Aber nur dann wirkt unser Satz künstlerisch, wenn er das rechte Verhältnis zwischen Haupt- und Nebensachen durch die Satzform wiedergibt. Wir brauchen selbständige Sätze und brauchen abhängige; aber wir brauchen nicht oft von abhängigen abhängende, und wir sollten die Abhängigkeit dritten Grades nur in seltensten Ausnahmefällen zulassen. Ein Nebensatz oder Zwischensatz von nicht unangemessener Länge stört den Eindruck des Hauptsatzes nicht, kann ihn sogar verstärken; wird aber der Nebensatz zum Obersatz eines zweiten Nebensatzes, dieser gar zum Obersatz eines dritten, so verliert der Leser den Hauptsatz aus den Augen. Er liest dann nicht mehr, sondern überfliegt nur noch und schöpft seine Kenntnis des Geschriebenen nicht aus Sätzen, die er ja nicht mehr überschaut, sondern aus Satzfetzen oder aus einzelnen Wörtern. Man bedenke ferner: alles Verstehen des Gelesenen hängt vom Festhalten durchs Gedächtnis ab; es geht über die durchschnittliche Gehirnleistung, beim 30sten Wort noch die 29 vorausgegangenen, gar beim 60sten noch die 59 früheren zu behalten, und es geht über jede vernünftigerweise zu beanspruchende Aufmerksamkeit des Lesers, daß er von einem durch drei dazwischengeschobene Nebensätze auseinandergerissenen Hauptsatz den ersten Fetzen so lange treu im Gedächtnis behalte, bis nach endlichem Abschluß der Nebensätze der zweite Hauptsatzfetzen herbeigeflattert kommt und verlangt, an den ersten genau passend angeleimt zu werden. Der Satz ist vielmehr so zu bauen, daß das Verständnis des Lesers ohne viel Gedächtnis- $Seite 306$ arbeit alles Vorausgegangene verarbeitet hat, ehe ihm etwas Neues, sei es Nebensatz oder Hauptsatzschluß, zugemutet wird. So geht es beim Sprechen und Hören zu; annähernd so muß es beim Schreiben und Lesen zugehen, wenn auch vom Leser etwas mehr mitarbeitender Anteil verlangt werden darf als vom Hörer, dem alles zu Hilfe kommt, was Gebärdenspiel und Menschenrede an eindringlichen Verständnishilfen darbieten. Man prüfe folgenden sehr schlechten Satz eines sehr berühmt gewesenen Schreibers — die sehr berühmten Schreiber mit sehr schlechtem Satzbau bleiben gar nicht lange berühmt ―: ,Er hatte sich schon frühreif und ehrgeizig, wie er war, in allen poetischen Gattungen versucht; er hatte schon den Gesichtskreis, den ihm die Reichsstadt eröffnete, nach allen Seiten erschöpft, einer Kaiserkrönung beigewohnt, mit vielerlei Menschen verkehrt, in soziale Schäden mehr, als ihm gut war, hineingeblickt, wiederholt geliebt und auch Liebeskummer erfahren (erst hier kommt die Wende, aber zugleich die Schachtelung), als er, dem Wunsche des Vaters gemäß und eigne Neigung zur Philologie unterdrückend, im Alter von 16 Jahren die Universität Leipzig bezog (man sollte denken, endlich könnte selbst dieser Satz ein Ende finden), angeblich um die Rechte zu studieren, in Wahrheit um (vgl. S. 190) in allen Wissenschaften zu naschen und schließlich nur von einem Künstler, jenem Öser, der einst . .' Hier erlahmt jeder Leser, hier der Abschreiber. Dabei weist dieser genügend schlechte Satz den Hauptfehler des deutschen Satzbaus nicht einmal in ungewöhnlichem Maße auf, den Hang zur Schachtelung; er ist mehr ein Stopf- als ein Schachtelsatz. Er stopft aus Verworrenheit des Denkens und Zuchtlosigkeit des Ordnens die allerverschiedensten, in der Zeit weit auseinanderliegenden Begebenheiten und Wissensbausteinchen in einen einzigen unübersichtlichen, unbehaltbaren, unverständlichen, unverdaubaren, kurz, einen unmenschlichen Wirr- und Wuselsatz, anstatt uns das, was er zu sagen hat, nach und nach in der jedem Bestandteil des Stoffes angemessenen Satzform zu vermitteln. Noch schlimmer steht es mit dem eigentlichen Schachtelsatz, den man gradezu als den Satz der höheren, besonders der wissenschaftlichen Darstellung in Deutschland bezeichnen kann. Anstatt der ordentlichen Auseinanderwicklung des Stoffes $Seite 307$ bietet er uns die unordentliche Ineinanderwicklung der einzelnen Fäden, so daß zuletzt ein Wunderknäul entsteht, das nur Einer entwirren kann, der Schreiber, und — oft auch dieser schon bald nachher nicht mehr. Hier ein paar Beispiele des Satzes, wie er durchaus nicht sein soll: ,San Franzisko, die schöne Metropole Kaliforniens am Goldenen Tor, durch das man vom Stillen Ozean in die von malerischen Küstengebilden umrahmte Bai von San Franzisko einfährt, ist von einem schweren Erdbeben heimgesucht worden.' Ganz so lächerlich wird nicht immer geschachtelt, aber der Satz ist für Grund und Wirkung der Schachtelei mustergültig. Wichtig ist im Augenblick der Meldung allein das furchtbare Unglück der Stadt; dieses muß der Leserwelt ohne jede Rücksicht auf etwaige Schwachnervigkeit mitgeteilt werden, nicht wie eine Trauerkunde, die man einem nahen Verwandten schonend, zögernd nach und nach beibringt. Aber der Schreiber, der wohl gar selbst einmal durchs Goldene Tor in die Bai der schönen Stadl eingefahren ist, sieht das Erinnerungsbild in sich aufsteigen und kann, als Schreiber ohne künstlerische Zucht, als Mensch mit der kleinen Eitelkeit, dem Kitzel nicht widerstehen, sein besondres Wissen von San Franzisko auszukramen. Er wagt nicht, es in einen selbständigen Satz zu ergießen, weil er dunkel fühlt, hier sei nicht Zeit und Ort dazu; loswerden will er aber sein kostbares Wissen, — so schmuggelt er's denn in einem Nebensatze durch, der viel länger ist als der Hauptsatz mit der Hauptsache. Die Wirkung? Er selbst macht sich lächerlich, die furchtbare Tatsache hat er in die Farbe der Albernheit getaucht. ,Derjenige, der denjenigen, der den Pfahl, der an der Brücke, die aus dem Wege, der nach Worms führt, liegt, steht, umgeworfen hat, anzeigt, erhält eine Belohnung.' Die Echtheit des Beispiels wird bezweifelt, aber auf sie kommt es nicht an, denn es zeigt nur mit einiger Übertreibung, was ein Satzschachtler fertig bringt, der sich die Aufgabe stellt, alles ineinander statt nacheinander zu sagen. Ganz echt ist dieser Schachtelsatz aus dem Leben: ,Das Gericht wolle erkennen, der Beklagte sei schuldig, mir für die von mir für ihn an die in dem von ihm zur Bearbeitung übernommenen Steinbruche beschäftigt gewesenen Arbeiter vorgeschossenen Arbeitslöhne Ersatz zu leisten.' — Echt auch dieser nicht sehr lange, aber in seiner Art nicht $Seite 308$ minder knotenreiche Schachtelhalm aus unsern wissenschaftlichen Tümpeln: ,Er hat den Preis nur darum, weil ein andrer Mitbewerber, welcher ihm, wie allgemein von denen angenommen wird, die über solche Arbeiten ein Urteil, das auf Wissen beruht, abgeben dürfen, überlegen ist, verzichtet hat, bekommen.' Unterbrechen wir unsre Beispielsammlung, um noch eine besonders üble Folge der Schachtelei zu betrachten: das Zusammenklappen der Vorwörter und Zeitwörter: im ersten Beispielsatz 6 Zeitwörter, im zweiten 7 Vorwortverhältnisse (vgl. S. 276), im dritten 6 Zeitwörter. Kein Menschengehirn ist der Anstrengung gewachsen, sich in kürzestem Zeitraum so viele, so mannigfach durcheinander geflochtene menschliche Beziehungen und Anliegen vorzustellen, zumal da jede der vorwörtlichen und zeitwortlichen Ausdrucksformen in zwei Hälften, zwei Fetzen zerrissen ist, die der Leser mit seinem Gehirnschweiß erst wieder zusammenkitten soll. Wir werden in dem Abschnitt über die Wortstellung sehen, wie man wenigstens diesem Übel schlechter Satzbildung zu begegnen hat (vgl. S. 216 und 318). In einem andern, von dem hervorragenden Deutschforscher Wilmanns angeführten Beispiel, dessen Echtheit auf sich beruhen mag, erzeugt die Schachtelei ein wundersames Zusammenklappen von Fürwörtern und Geschlechtswörtern: Der, der den, der den den 18. Mai gesetzten Warnungspfahl ins Wasser geworfen hat, anzeigt, erhält 10 Taler Belohnung.' Was aber verdient der Schreiber solches Satzes? Die volle Schädlichkeit aber der Schachtelei erweist sich erst aus Beispielen wie diesem: ,Ich habe in dem revolutionären Gange der Zeit den natürlichen und verzeihlichen Wunsch, aus einem schlechten Zustand zu einem besseren zu gelangen, nie, wohl aber das einseitige und anmaßende Prinzip, die Welt von frischem wieder anzufangen' (Gentz). — Bis hierher weiß noch kein Mensch, ob noch und was für ein Zeitwort zu ich habe gehört; der ganze Satz schwebt noch in der Luft, der Wortschwall bleibt ohne Sinn, weil der Schlüssel fehlt; als letztes Wort kommt das entscheidende: gehaßt. Dieses Nachklappen, diese verwirrende, oft alles Vorherige umstürzende Überraschung ist die notwendige Folge der Schachtelei, die stets verbunden ist mit der zweckwidrigsten Wortstellung. Noch ärgerlicher ist das Verblüffen durch Schachtelei und $Seite 309$ falsche Wortstellung in diesem Satz eines einst berühmten Schriftstellers, Th. Mundts, gar aus seinem Buche ,Deutsche Prosakunst': ,Unsere Sprache hat allerdings' — was mag sie wohl haben, das wollen und sollten wir so schnell wie möglich erfahren — allerdings außerordentliche Vorteile der Flexion (Beugung), eine ganze volltönende Musik runder und ausgeschriebener Formen' — der Leser freut sich —, ,eine ganze Plastik schwellender und von sinnlichem Leben strotzender Wortfiguren' — der Leser nickt zustimmend; dann aber zuckt er geärgert zusammen —: ,eingebüßt' . Also alles Vorausgegangene ist nicht mehr da, und das sagt uns der Schreiber, der sein Wortgepränge schachtelnd loswerden will, erst im letzten Wort! Endlich noch dieses Beispiel: ,Herr von R. hat der (bleibt in der Luft hängen) mit der Verwendung der (bleibt in der Schwebe) zur Unterstützung der Familien der in der Kohlengrube verunglückten Bergleute eingehenden milden Beiträge (wir haben schon vor lauter Einschachtelei vergessen, wovon sie abhängen) sich befassenden Behörde (desgleichen) hundert Taler (wir haben schon den gütigen Geber vergessen) zu diesem Zwecke zustellen lassen.' Oft wird nur mit einem unschuldig aussehenden beiwörtlichen Mittelwort oder einem einfachen Beiwort geschachtelt, wodurch das, schon früher betrachtete, Unheil der sinnwidrigen Vorwegnahme entsteht (vgl. S. 228): ,Die Franzosen planten noch einen letzten erfolglosen Durchbruch' , was gewiß nicht ihr Plan war; aber der Schreiber konnte dem Drange nicht widerstehen, die Wirkung in die Tat selbst hineinzustopfen, anstatt den Erfolg oder Nichterfolg in einem bequemen Nebensatz zu erzählen. Oder: ,Der eingesperrte Schneider stahl seinem Meister drei Ellen Tuch. — Am 26. März gebar sie einen in der Hedwigskirche am 7. April getauften Knaben. — Hauptmann ließ 1896 seine im nächsten Jahr gedruckte Komödie aufführen. — Kurz vor seinem 81. Geburtstag unternahm er noch eine Reise zu seiner zum Schmerz der ganzen Familie erst kürzlich verstorbenen Tochter, um das Jubelpaar selbst mit der Silbermyrte zu schmücken.' Genug! denn der Leser verlangt jetzt zu wissen, wie man sich vor solchen Unglücksfällen behüten kann. Sehr einfach: man stopfe in seinen Satz nichts hinein, was nicht unbedingt grade in diesen hineingehört, sondern wähle den richtigen Zeitpunkt und Platz. Richtig sind beide erst, nachdem das $Seite 310$ Notwendigere erledigt ist. In dem Beispiel mit der Silbermyrte ist die Reise des alten Vaters die Hauptsache; die Tochter ist erst nach jenem Vesuch gestorben; also berichte man ihren Tod nicht vor dem Vesuch, sondern nachher in einem eignen Haupt-, allenfalls Nebensatz. Alles ferngehalten einem Satze, in den es nicht hineintaugt, — es gibt ja noch mehr Sätze in der Welt. Und sorgsam die Stellung jedes Satzteiles geprüft! Hierüber sagt der Abschnitt Wortstellung (S. 315) das Notwendigste. Sonstige Ratschläge sind: Mehr Zeitwörter als Hauptwörter! Das Zeitwort, mehr als das Hauptwort oder irgendein andrer Redeteil, ist das Wort des Lebens, des Wirkens; alle Hauptwörter schweben so lange im Blauen, bis das Zeitwort sagt, wozu sie da sind. Man verstopfe und verschachtle also nicht den Weg und das Wirken des Zeitworts, verrammle namentlich nicht den Raum zwischen dem ersten Gliede und dem zweiten in zusammengesetzten Zeitwörtern (Ich erkenne . . folgen 3—4 Druckzeilen . . an; Ich setze .. 4—5 Druckzeilen . . voraus; Ich weise . . 5—6 Druckzeilen . . zurück); baue keine Drahtverhaue zwischen Hilfszeitwort und Mittelwort oder Nennform (Ich habe . . 3, 4 Nebensätze . . gesehen; Ich werde . . wirres Geschachtel .. gehen). Das Zeitwort ist der inhaltreichste Redeteil, denn es spricht von handelnden Wesen; es ist das eigentliche Hauptwort der Menschenrede. Haben! ruft das Kind, das noch kein Hauptwort deutlich sprechen kann. Also klebe man durch den Satzbau nicht Zeitwort an Zeitwort, deren jedes eine nicht geringe Gehirntätigkeit fordert; sondern verteile durch die Satzgliederung die Zumutung so, daß auf jedes Zeitwort die gehörige Denkzeit fällt. Es ist nicht immer möglich, auch nicht durchaus nötig, einen kurzen Nebensatz nur so einzufügen, daß nicht auf dessen abschließendes Zeitwort unmittelbar das abschließende des unterbrochenen Hauptsatzes folge; diese Häufung zweier Zeitwörter sollte aber das äußerste Maß der Anstrengung bilden, das ein Schreiber seinen Lesern zumutet. Ich vermeide — warum sollte ich meinen Lesern nicht das Beispiel des ihnen in diesem Augenblick nächsten Schreibers vorhalten? — ich vermeide, wo ich nur kann, schon den Zusammenstoß zweier, und ausnahmelos den dreier Zeitwörter. Den vorletzten Satz hätte mancher Schreiber geschlossen: . . zumutet, bilden. Ich schließe meine Neben- und Zwischen- $Seite 311$ sätze möglichst in sich ab; zerreiße sie nicht, zumal dann nicht, wenn schon der Hauptsatz geteilt werden mußte; fühle mich im Denken und Schreiben erst wohl, wenn ich ein Zubehör erledigt hinter mir weiß, mich also mit voller Aufmerksamkeit dem nächsten Arbeitsteil zuwenden kann. Und in dem mit ,Ich vermeide' begonnenen Satze habe ich mich nicht gescheut, was viele Schreiber aus falscher Scham vermeiden, den durch das Einschiebsel gehemmten Gang des Satzes dadurch wieder in Schwung zu bringen, daß ich den von der Spindel abirrenden Faden aufgreifend die erste Masche durch die Wiederholung von ,Ich vermeide' aufnahm und festknüpfte. Dieses Hilfsmittel in Notfällen braucht kein Schreiber zu verschmähen. Dem besten Redner wird es widerfahren — der gute Schreiber kann sich davor schützen —, daß er im Feuer des Vortrags oder des belebten Gesprächs einen Satzbau zu kühn und hoch und weit zu türmen beginnt, den in der begonnenen Bauform zu vollenden nicht möglich ist. Der seines Stoffes sichre Redner wird dadurch nicht in Verlegenheit gebracht: er läßt liegen, was in der zuerst angelegten Form nicht zu Ende geführt werden kann — was fällt, das fällt —, und setzt ein festes Notdach drauf. Ja es mag geschehen, daß in diesem jähen Entschluß, liegen zu lassen und neu zu vollenden, ein feiner Kunstreiz steckt, den selbst große Dichter absichtsvoll zu nutzen verstanden haben: ,Ach! der heiligste von unsern Trieben, Warum quillt aus ihm die grimme Pein?' (Goethe). In der Gelehrtensprache heißt diese Bauform, die absichtliche wie die zufällige, Anakoluth oder ,aus der Konstruktion fallen'; uns genügt fürs Deutsche: Satzbruch, Entgleisung, gemütlich: Verbruddelung. Der Meister darf den Satz zerbrechen mit weiser Hand, zur rechten Zeit; der Geselle soll im Gleis bleiben und nicht so einfache Satzbauten verbruddeln wie: ,Ich verspreche dir, daß, so lange ich lebe, soll kein Mensch dir etwas zuleide tun.' Wer, wie hier, statt eines Hauptsatzes durchaus einen Nebensatz mit daß einleiten will, der soll ihn auch dem daß entsprechend zu Ende führen. Je einfacher die Sätze gebaut werden, desto sichrer sind sie vor der Verbruddelung. Ausdrucksformen wie: ,Dem sein Vater, in Vater seinem Zimmer' gehören der läßlichen Umgangsprache an, dürfen in die heutige Schriftsprache keinen Eingang finden, stehen aber jenseit der strengen Prüfung. Bei Goethe, zumal dem jungen, $Seite 312$ kommen solche Anklänge an die Volksprache nicht selten vor. Zur bewußten Nachahmung dieser volkstümlichen Sprachform dient vortrefflich Schillers: ,Auf der Fortuna ihrem Schiff..' (Wachtmeister in Wallensteins Lager). |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schriftsprache, Lessing - Gotthold Ephraim, Schiller - Friedrich, Goethe - Johann Wolfgang, Prosa, Lyrik, Schreiber schlechten Stils, Kant - Immanuel, Bismarck - Otto von, Clausewitz - Carl von, Gebildete, Gesprochene Sprache, Dramatik, Luther - Martin, Märchensprache, Grimm - Jacob, Grimm - Wilhelm, Zeitungssprache, Gentz - Friedrich von, Kindersprache |
Bewertung |
ebenso unnötig wie unmöglich, auffallsüchtige Eitelkeit, verzerrt und verderbt, nicht immer ein Kunstwerk, aber doch meist der klare, wohlgeordnete und wirksame Ausdruck seiner Gedanken, ungeheuer, bequem, angenehm, vollkommen übersichtlich und durchsichtig, kurzer, aber schlecht gebauter Satz, verworren und verwirrend, sehr schlecht, schwächer, einer unsrer klarsten Prosaschreiber, stärker, größere Lebendigkeit und Fülle, künstlerische Anmut, künstlerisch, nicht unangemessen, sehr schlecht, unübersichtlich, unbehaltbar, unverständlich, unverdaubar, kurz, ein unmenschlicher Wirr- und Wuselsatz, noch schlimmer, unordentliche Ineinanderwicklung, lächerlich, mustergültig, die volle Schädlichkeit, ohne Sinn, notwendig, zweckwidrig, unschuldig aussehend, Unheil der sinnwidrigen Vorwegnahme, zu kühn und hoch und weit, volkstümlich |
Intertextueller Bezug | Schopenhauer, Wilmann |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schriftsprache, Wissenschaftssprache, Schreiber schlechten Stils, Mundt - Theodor |
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Bezugsinstanz | Schreiber schlechten Stils |
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Bezugsinstanz | Schreiber schlechten Stils |
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Bezugsinstanz | Schreiber schlechten Stils |
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Bezugsinstanz | Schreiber schlechten Stils, Schreiber guten Stils |
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Bezugsinstanz | Goethe - Johann Wolfgang, Gesprochene Sprache |
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Bezugsinstanz | Umgangssprache, Schiller - Friedrich, Alt, Schreiber schlechten Stils |
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Intertextueller Bezug |