§ 265. [zu viele Umstandsangaben als Beifügungen]

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 255 - 257

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Nominalstil oder Verbalstil

Genannte Bezugsinstanzen: 20. Jahrhundert, Hitler - Adolf, Gegenwärtig, 19. Jahrhundert, Zeitungssprache, Volk, Schulsprache, Fachsprache (Rechtswissenschaft)
Text

Der Übelstand, daß die Sätze mit Hauptwörtern, diese selbst mit Verhältnisbeifügungen überlastet werden, tritt noch deutlicher hervor, wenn zu viele Umstandsangaben als Beifügungen nebeneinander gereiht sind. Dabei muß man zwischen zwei Arten von Beifügungen scheiden. Die einen sind dem Hauptworte lose angegliedert und nachgestellt, also daß man ihren Zusammenhang mit diesem oft kaum noch fühlt; die anderen sind in endloser Ausdehnung zwischen Verhältnis- oder Geschlechtswort und Hauptwort eingekeilt und zwingen jene Wörtchen unnatürlich zu betonen, so daß sie schon dadurch wie durch die oft viele Zeilen weite Trennung der aufs engste zusammengehörigen Wörter die Forderungen des Geschmacks und der Klarheit zugleich verletzen.

Zuerst Fügungen der ersten Art. Schon vor mehr als fünfzig Jahren brachten die Zeitungen solche Schlangengewinde fertig: bei dem Abschluß des Anlehens von 11 Millionen Gulden zum Fortbau der Eisenbahn vor fünf Monaten mit den Bankhäusern R. und B. zum Kurse von 971/2% (statt: Vor fünf Monaten, als mit den Bankhäusern R. und B. zum Kurse von 971/2% das Anlehen von 11 Millionen Gulden abgeschlossen wurde, mit dem die Eisenbahn fortgebaut werden soll); und heute wimmelt es in vielen Zeitungssätzen von solchen Satzteilen: außer der Bitte um Ausstellung einer Bescheinigung über die Beschäftigung beim statistischen Amte, und selbst im „Sokrates" schrieb 1913 ein Gymnasialmann: einer deutschen Familie, die wegen unschuldiger Verwicklung in die Flucht eines russischen Unterhändlers, des Grafen Dolgorao, aus den Händen französischer Häscher von Ns Agenten verfolgt wird. Und wie häßlich sind sie doch in ihrer Schwerfälligkeit und ihrem eintönigen, immer weiter sinkenden Tonfalle!

1. [links] Die Pariser unterhält gar sehr die Indisposition, die der Moniteur der Prinzessin Mathilde zur Entschuldigung wegen ihres Ausbleibens beim Empfange des hohen Gastes im Gefolge der Kaiserin Eugenie am Fuße der großen Treppe in St. Cloud nachsagte.

[rechts] Die Pariser unterhält gar sehr die Unpäßlichkeit, die der Moniteur der Prinzessin Mathilde nachsagte, um sie dafür zu entschuldigen, daß sie im Gefolge der Kaiserin Eugenie fehlte, als diese den hohen Gast in St. Cloud am Fuße der großen Treppe empfing. $Seite 256$

2. [links] Der Verkehr hat aufrechterhalten werden können mit Ausnahme der durch Schneewehen herbeigeführten zeitweiligen Einstellung des Verkehrs auf der Strecke Wunstorf-Bremen und der Unterbrechung des Elbetrajekts bei Hohenstorf-Lauenburg durch Eisgang.

[rechts] Der Verkehr hat aufrecht erhalten werden können bis auf zwei Ausnahmen: auf der Strecke Wunstorf- Bremen zwangen Schneewehen dazu, zeitweilig den Verkehr einzustellen, und bei Hohenstorf-Lauenburg machte Eisgang die Elbfähre unbenutzbar.

3. [links] Über einen Unfall des Prinzen Albrecht von Preußen am Freitag im Braunschweigischen nach Beendigung der Manöver beim Ritt von Remmlingen nach Wolfenbüttel usw.

[rechts] Unfall des Prinzen Albrecht von Preußen. Aus dem Braunschweigischen wird berichtet, daß der Prinz Albrecht am Freitage, als er nach den Manövern von Remmlingen nach Wolfenbüttel ritt, von einem Unfall betroffen wurde. Vgl. S. 255)

Den Zeitungsmännern lassen die Juristen und juristischen Berichterstatter nichts drauf, wie die nächsten zwei Beispiele zeigen:

4. [links] Von Eltern schulpflichtiger in Fabriken beschäftigter Kinder in Großschönau waren zwei Eingaben mit der Bitte um Aufrechterhaltung der jetzigen Bestimmungen der Gewerbeordnung hinsichtlich der Kinderbeschäftigung eingegangen. Die Eingaben sind laut Beschlusses der Kommission ad hoc zur Beratung des Gesetzentwurfes betreffend Abänderung der Gewerbeordnung im Original dem ersten Bericht an das Ministerium des Innern über die Gewerbenovelle beigefügt worden.

[rechts] Von den Eltern in Großschönauer Fabriken beschäftigter Schulkinder waren zwei Eingaben eingegangen, worin gebeten wurde, daß die jetzigen Bestimmungen der Gewerbeordnung über die Kinderbeschäftigung aufrechterhalten werden möchten. Nach dem Beschlusse des Ausschusses, der eigens dazu gebildet war, den die Änderung der Gewerbeordnung betreffenden Gesetzentwurf zu beraten, sind diese Eingaben in der Urschrift dem ersten Berichte beigefügt worden, der über die Gewerbenovelle an das Ministerium erstattet worden ist.

Bei der ersten Fassung ist im ersten Satze die Beziehung der Worte in Großschönau nicht klar, und vor allem wirkt es häßlich, daß die Beifügung zu Bitte nicht weniger als vier Wörter auf -ung enthält. Anders bei Zerlegung in Sätze. Noch eine Umformung, die die Auskömmlichkeit dieses Mittels beweist:

5. [links] Zur Zuschrift der E. M. Monseschen Buchdruckerei in Bautzen, die Drucklegung eines Nachtrages zum Verzeichnis oder die Neuauflegung des Verzeichnisses sämtlicher im Handelsregister eingetragenen Firmen aus dem Bezirke der Kammer betreffend, referiert der Präsident.

[rechts] Der Präsident berichtet über eine Anfrage der E. M. Monseschen Buchdruckerei in Bautzen, ob das Verzeichnis sämtlicher im Handelsregister eingetragenen Firmen des Kammerbezirkes neu aufgelegt oder nur ein Nachtrag dazu gedruckt werden soll. $Seite 257$

Auch der Volksmann Hitler bringt in einem Atem Überladungen und Überstauungen der in § 264 f. gerügten Art fertig:

[links] Schönerer begriff die außerordentliche Begeisterung des Kampfwillens der sogenannten bürgerlichen Kreise schon infolge ihrer wirtschaftlichen Stellung, die dem einzelnen diese zu verlieren befürchten läßt und ihn deshalb auch mehr zurückhält, in leider nur sehr kleinem Umfange.

[rechts] Die Begeisterung des Kampf- willens der sogenannten bürgerlichen Kreise war außerordentlich, aber da der einzelne für seine wirtschaftliche Stellung fürchtete und deshalb anderseits sich auch mehr zurückhielt, begriff sie Schönerer leider nur in sehr kleinem Umfange.

Rechts Klarheit der Gliederung und Abhängigkeitsverhältnisse, links 28 Wörter zwischen dem Zeitwort und seiner Umstandsbestimmung und beim Objekt 5 immer tiefstufigere Beifügungen, zwei davon gar in Satzform!

Scan
Matthias(1929) 255-257.pdf