Die Not als das Bedürfnis der Kürze und das Streben nach Bequemlichkeit und Formeneinfachheit haben überhaupt der Sprache der Dichter zahllose kühne und schöne, der des Umgangs und der Prosa kaum weniger viele treffende und nimmer mißverständliche Bezeichnungen verliehen. So wird die bloße Beziehung eines Gegenstandes oder Begriffes (z. B. Weg, Finsternis) zu einem anderen, der nur zusammen mit dem ersten zur Verwendung kommen, in die Erscheinung treten kann (Schuld, Mut), durch ein jenem beigegebenes und vom Stamme des andern gebildetes Eigenschaftswort (schuldig, mutig) ausgedrückt: schuldige Wege; mutlose Finsternis; eine kurze, aufhorchende Stille (T. Kröger), Darauf beruht ganz besonders das Geistreiche bei Schriftstellern mit mannigfaltigsten Gedankenverbindungen; so wenn z. B. Goethe angesichts der venetianischen Schleppgewänder bei Feierlichkeiten die nordische Feierlichkeit kurzröckig nennt oder Heine unübertrefflich vielsagend $Seite 183$ von Waisenkindern mit ihren lieben, unehelichen Gesichtchen redet. Daraus beruhen aber auch gang und gäbe Ausdrücke für zahllose Dinge, die dem Menschen zwischen dem für die Seinen freudigen oder fröhlichen Ereignisse seiner Geburt und dem traurigen Tage seines Heimganges begegnen. Da genießt er nach den einen zuviel lateinischen Unterricht und griechische Stunden und lange nicht genug deutsche und steckt die Nase zu lange in griechische Sprachlehren. Die anderen spotten, er solle wohl gar nur Natur, ja Natur erkennen auf botanischen Ausflügen, an Liebig's chemischen Briefen und bei mikroskopischen Untersuchungen. Freilich die gelehrte Laufbahn beschritte er ja besser oft nicht; und deshalb meinen wieder andere: statt Lateinisch und Griechisch soll er Englisch und Französisch lernen, aber möglichst nicht in grammatischer Schulung, sondern parlierend und an der Hand französischer Sprachbriefe und englischer Sprachführer. Gewiß, dann könnte er eher Reisen unternehmen und mit Goethe in Nordfrankreich die schlanke Baukunst der Gotik studieren und seekranke Beobachtungen anstellen. Er kann nach Frankreich, England und Indien reisen und über seine französische, englische oder indische Reise sogar in deutschen Zeitungen und in deutscher Sprache englische und indische Briefe veröffentlichen. Das Menschenkind mag auch in lustigen Stunden Lieder singen, gleichviel ob nach der hohen oder der tiefen Ausgabe, d. h. der Ausgabe für die hohe oder die tiefe Stimme//1 Wer sich in solchem Zusammenhange diese und zahlreiche andere innerlich ganz gleiche Fügungen vergegenwärtigt, wird mit ihrer Verurteilung vorsichtiger sein, als oft geschieht. Will etwa, wer gelehrte Laufbahn tadelt, auch gelehrte Bücher, Unterhaltungen, Studien tadeln? Gleich unberechtigt werden die englischen, indischen Briefe verpönt, -isch bezeichnet die Herkunft, und solche Briefe kommen gewöhnlich von England oder Indien, so gut wie die englische oder indische Post; liest man nicht auch oft genug von französischen, preußischen, Berliner Berichten?//. Doch genug.
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