Bei verneintem Hauptsatze ist nicht nach ehe, bevor, bis, vollends ohne daß an sich unnötig, trotzdem ist seine Einfügung nicht schlechthin zu beanstanden//1 Die Gründe, warum diese Fügung nicht als Gallizismus (wie von Grimm, Wb. II. 44, aber schon beanstandet von Lexer V. II, 700 u. deutlicher von R. Hildebrand) verbannt werden darf, liegen darin: während als daß nicht nach Komparativen hauptsächlich und so massenhaft bloß in der mit unserem Klassizismus zusammenfallenden Zeit größten Einflusses des Französischen auftauchte, jetzt aber so gut wie abgestorben ist, wurde das nicht nach ehe, bevor usw. erst in der neueren Zeit so häufig, daß es von Gutzkow, Prutz, Ruge, Redwitz bis herab zu Rodenberg, Gregorovius, Galen, F. Lewald immer gleich mit Dutzenden von Beispielen belegt werden könnte. Wenn solche Häufigkeit des nicht zum Teil auf Kosten des vollen Gefühls für die Bedeutung von ehe, bis, ohne zu sehen ist, so hat es die Sprache noch immer so gehalten, daß sie der Deutlichkeit mit dem — einfachsten Mittel zu Hilfe zu kommen suchte.//. Der Regelrechte mag sich ja nach dem Satze Goethes richten: Ihr Anhang wird nicht zu bändigen sein, bis wir sie ganz vor den Augen der Welt zu nichte gemacht haben. Dafür wird es ihm aber auch versagt bleiben, in diesen Zeitsätzen zugleich den Wunsch nach der Erfüllung einer gesetzten Bedingung nachzittern zu lassen, insofern, bis nicht, ehe nicht oft soviel ist als wenn nicht erst. So steht bei Bürger: Bevor Sie mir nichts schicken, sollen sie auch meine Ballade nicht haben; man braucht sich den Satz nur einmal statt mit nichts mit dem vom Sprachmeisterer dafür in Klammern gesetzten etwas vorzulesen, und man wird die solcher Regelrichtigkeit entspringende Ernüchterung fühlen. Auch in der Tgl. R. steht z. B.: Ehe man nicht sicher sei, daß jeder Soldat mit Liebe zu seinem Berufe zur Kaserne komme, könne man nicht an die Einführung des zweijährigen Dienstes in Frankreich denken, und sogar mit kein statt besserem nicht $Seite 413$ bei W. Paschen (Grenzboten 1908, Nr. 67, 168): Bis hier keine Lösung gefunden ist, bis nicht die gesamte weiße Bevölkerung Südafrikas in diesen Fragen einem bestimmten gemeinsamen Ziele zuarbeitet, so lange ist an eine gesunde Förderation nicht zu denken. Überhaupt ist die Verneinung in den Sätzen mit bis, bevor usw, noch häufiger, weil erwünschter, wenn sie den Hauptsätzen vorangehn und ihnen sonst die verneinende Färbung erst nachträglich ausgedrückt werden könnte. Würde aber nicht auch ein Ton in der Harmonie fehlen, wenn im Nathan nach den vier verneinten Vordersätzen: Ich steh nicht auf, nicht eher auf —, mag eher des Sultans Antlitz nicht erblicken! — eher den Abglanz ewiger Gerechtigkeit und Güte nicht in seinen Augen, nicht auf seiner Stirn bewundern — der Nachsatz bloß lautete: eh er mir verspricht und nicht wie bei Lessing tatsächlich: Eh er mir nicht verspricht? Solches harmonischen Gegenspiels halber möchte ich auch das nicht in dem Satze der Augsb. Allg. Z. nicht missen: Nie habe ich mich bei hellem Wetter auf einem Gipfel der Allgäuer Alpen umgesehn, ohne daß ich nicht dem, was ich im Augenblicke sah, den Vorzug gegeben hätte; ebensowenig in dem Cl. Retzkas (VKl. 26): Konnte ich hier wohnen, ohne nicht Tag für Tag an Hendric zu denken? ... Ja, ich konnte nicht anders, noch in dem Zdenkos v. Kraft: Keines meiner letzten Lebensjahre ist dahingegangen, ohne daß ich nicht vor dem äußersten Entschlusse gestanden hätte? Freilich darf solches nur ein Sprachmusiker nachahmen wollen. Das war aber Gutzkow wenigstens in dem Augenblicke nicht, als er den Satz schrieb: Er konnte Dankwars Stimme nicht hören, ohne nicht aufzustehn und ihn an der Schwelle zu begrüßen.
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