Gehn sollen, nicht: Zu gehen haben. Ausgezankt bekommen

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 117 - 118

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Text

Im aktiven Verhältnisse entspricht dem sein mit Infinitiv und zu mit der gleichen Färbung der Notwendigkeit und Möglichkeit//1 Auch die bisweilen angefochtenen Wendungen sich ausgezeichneter Aufnahme, großen Beifalls zu erfreuen haben rechtfertigen sich dadurch.// haben mit Infinitiv und zu: Er hat (genug) zu arbeiten = er kann oder: muß genug arbeiten, und: er hat zu schweigen = er muß schweigen. Bedenklich ist nur, wie massenhaft diese Form statt der einfachen Hilfsverben mit Infinitiv verwendet wird, so daß mir z. B. eine mitteldeutsche Schulordnung bekannt ist, in der es fast nie heißt: die Schüler sollen dies —, dürfen jenes nicht tun, sondern fast immer: sie haben ohne besondere Erlaubnis das Schulgebäude nicht zu verlassen u. ä. Am allerhäßlichsten wirkt es, wenn in gleicher Weise ein passivischer Infinitiv mit haben verbunden wird: Nach einer Verordnung haben nun ... nach dem Maßstabe der neuen Währung die ... Zahlungsverbindlichkeiten bewirkt zu werden; und nicht viel besser, wenn ein Gegenstand, der nicht wohl tätig gedacht werden kann, dazu Subjekt ist: In den Kasernen hat ein Vorrat von Arzneien sich zu befinden. Eine ähnliche unnütze Vermischung aktivischer und passivischer Ausdrucksweise ist die Art, wie bekommen (oder erhalten) immer häufiger zur Bildung der Leideform verwendet wird: er hat es gesagt bekommen statt es ist ihm gesagt worden. Selbstverständlich ist diese Ausdrucksweise $Seite 118$ um so unnatürlicher, je weiter der Sinn des Satzes von der eigentlichen Bedeutung des Wortes bekommen abführt. Also während man sich an satt bekommen neben satt haben, an mitgebracht bekommen nicht stoßen wird, kann einem die Drohung eines Schulleiters: sonst wird er das Stipendium entzogen bekommen, nie erträglich und nur aus der schlimmen Verschwommenheit unserer höheren Sprache erklärlich erscheinen//1 Irrtümlich erklärt Kunze in der Zeitschrift für d. deutsch. Unterr. 1890 (S. 43) den Mißbrauch nur für oberrhein-schwäbisch: er ist leider allgemein verbreitet. In der Tägl. Rundschau schreibt so selbst F. Dahn und auch ein anderer Mitarbeiter: Der Hofopernsänger Sch. hat . . . die Rolle des Beckmesser zugeteilt erhalten. Rosegger schreibt: Zwei Kindlein, die . . . Milchsuppe in den Mund gegossen bekamen, und Ant. Springer gar: er bekam (statt: bei ihm wurden) schon frühzeitig Altartafeln bestellt. Bei aller Anerkennung der Tatsache, daß die deutsche Sprache das Aktiv bevorzugt, kann man doch nicht bis zur Duldung auch widersinniger Umschreibungen des Passivs gehn.//.

Scan
Matthias(1929) 117-118.pdf


Zweifelsfall

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Beispiel
Bezugsinstanz Mitteldeutsch, Schulsprache, Zeitungssprache, Oberrhein, Schwaben, Dahn - Felix, Rosegger - Peter, Springer - Anton
Bewertung

bisweilen angefochten, Bedenklich, allerhäßlichsten, unnatürlich, nie erträglich und nur aus der schlimmen Verschwommenheit unserer höheren Sprache erklärlich erscheinen, Irrtümlich, leider allgemein verbreitet

Intertextueller Bezug Kunze: Zeitschrift für d. deutsch. Unterr. 1890 (S. 43)