Möglichkeit doppelter Auffassung
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 145 - 146 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Fachsprache (Militärwesen), Augsburg, Viebig - Clara, Haug - Balthasar, Rottenberg - Leontine, Gastronomie, Müller - W. (?), Gegenwärtig, Ursprünglich, Fachsprache (Handwerk), Goethe - Johann Wolfgang, Lessing - Gotthold Ephraim, Sprachverlauf, Schiller - Friedrich, Literatursprache, Zeitungssprache, Gutzkow - Karl, Riehl - Wilhelm Heinrich, Redewendung/Sprichwort |
Text |
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Die Anfechtung der letzten beiden Dichterstellen weist darauf hin, daß hier ein Tummelplatz engherziger Grammatiker vor uns liegt, indem sie für jede Redensart, zumal wenn die Präposition darin mehr oder weniger übertragen gebraucht ist, nur einem Falle die Daseinsberechtigung zuerkennen möchten; und doch sollte man sich vielmehr freuen, statt Formeln noch flüssiges Leben zu fühlen, statt erstarrter Wendungen noch freie Wahl zwischen verschiedenen sinnlichen Auffassungen zu beobachten. Gleichmöglich ist z. B. die Unterbringung in ein[em] Krankenhaus[e] bewirken; und ganz grundlos ist der Tadel, den die Sätze zweier Zeitungen gefunden haben: die wahnsinnige Königin in ihrem Schmerz verloren, der übrigens in dem Goethischen ein Vorbild hatte: so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken; und: Die Kirche Christi ist auf der Liebe gegründet. Das Verwandte fußen auf hat ja auch neben dem überwiegenden 4. noch den 3. Fall, diesen mehr in dem Sinne: seine Grundlage haben in etwas, jenen in dem anderen: sich stützen-, sich berufen auf. Selbst bei bauen ist der in übertragener Bedeutung (rechnen, sich verlassen auf) freilich allein übliche Akkusativ sonst nicht allein herrschend, und der Wechsel in dem Satze W. Müllers beruht auf überaus feiner Empfindung: Verhältnisse, die nicht auf dem Grunde des Herzens, sondern auf äußere Dinge gebaut waren; der Grund des Herzens ist da rein sinnlich als Baugrund gedacht, während es freilich nur heißen könnte: auf das Herz gebaut, wenn Grund gar nicht dastünde. Auch Riehl durfte sehr wohl sagen: dies faßte Goethe sehr schön in den Worten zusammen (statt des allerdings gewöhnlicheren: in die Worte), und Schiller: Tugenden, die du in ihm gepflanzt, und: Darum verschloß der Gott die unsichtbaren himmlischen Geschenke in einem unsichtbaren Leib. Statt sich zu freuen, daß z. B. ein Schriftsteller wie Gutzkow ausdrücklich das sinnlichere sich in die Seele schämen verlangte, übrigens darin mit dem Lessingschen Gebrauch im Einklange, hat man ihm vielmehr auch das Recht $Seite 146$ versagen wollen, statt des gewöhnlicheren: es tut mir in der Seele, im Herzen wehe kräftiger zu sagen: es tut mir in die Seele, ins Herze wehe. Ebenso ist es gleich gut möglich zu sagen: Wir wollen ihn in unsern Kreis als ... in unserm Kreis einführen, je nachdem das Mitbringen dahin oder die herzliche Aufnahme darin gemeint ist; so war er denn in die Familie eingeführt bezeichnet den vergangenen Vorgang der Einführung, er war in der Familie eingeführt dagegen den daraus erwachsenen Zustand seines Vertrautseins darin, ähnlich war ursprünglich der Unterschied zwischen bestehen auf eine Sache (die man erst erstrebt) und bestehen auf einer Sache (wenn man auf dem alten Rechte, in dem alten Zustande verharren will); heute ist freilich auch in der ersteren Bedeutung der Dativ nicht mehr selten: Die Gemüter wurden verhetzt, auf eigenen Kirchen zu bestehn (sie zu fordern) neben: Ich bestehe auf mein Recht (CI. Viebig) und: M. bemühte sich, bezüglich des Zeitpunktes der allgemeinen Wahlen keine feste Verpflichtung einzugehen; aber die Bezirksmänner, fügte er hinzu, bestehen auf augenblickliche Wahl (Übersetz. von Paléologue). Dagegen ist es noch heute gar nicht ungewöhnlich zu sagen: In ein Gasthaus einkehren, neben überwiegendem Dativ bei Benennung des Wirtshauses: in der Krone, im Stern einkehren. wenn ein Bildhauer nach dem Platze gefragt wird, wo eine noch unter seinen Händen befindliche Gestalt aufgestellt werden soll, kann er so gut antworten: sie kommt auf der neuen Marienbrücke, als auch: auf die neue Marienbrücke zu stehen, wenn auch die zweite Weise jetzt üblicher ist. Auch Schiller sagt: Wir kamen vor eine Bude zu stehen; und Manöverberichte pflegten zu lauten: die Truppen kamen in die und die Ortschaften, nach Flöha und in seine Nachbarorte zu liegen. An den Stellen, wo in solchen Wendungen der 3. Fall steht, gehört er zu dem (ihm dann gewöhnlich auch äußerlich näher gerückten) Verbum, das von kommen abhängt: Meine Tür, an der du müde, durstig von der Jagd, zu klopfen kamst (Goethe); Geliebter Schlaf, komm über mir zu schweben (Haug), und: Die Päpste strebten nach dem Besitz von Avignon, nachdem sie dort zu wohnen gekommen (Augsb. Allg. Z.). |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Augsburg, Zeitungssprache, Fachsprache (Handwerk), Viebig - Clara, Goethe - Johann Wolfgang, Gutzkow - Karl, Haug - Balthasar, gegenwärtig, Lessing - Gotthold Ephraim, Fachsprache (Militärwesen), Sprachverlauf, Redewendung/Sprichwort, Riehl - Wilhelm Heinrich, Schiller - Friedrich, Literatursprache, Rottenberg - Leontine, ursprünglich, Müller - W. (?), Gastronomie |
Bewertung |
beruht auf überaus feiner Empfindung, durfte sehr wohl sagen, erstarrter Wendungen, es freilich nur heißen könnte, Formeln, Frequenz/allein übliche, Frequenz/nicht allein herrschend, Frequenz/nicht mehr selten, Frequenz/überwiegendem, Frequenz/üblicher, ganz grundlos ist der Tadel, gar nicht ungewöhnlich, zu sagen, gewöhnlicheren, Gleichmöglich, ist es gleich gut möglich zu sagen, kann er so gut antworten, kräftiger, sinnlichere |
Intertextueller Bezug |