Unberechtigter Übergang aus einer Zeitform in die andere
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 355 - 355 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, Lewald - Fanny, Gegenwärtig, Goethe - Johann Wolfgang, Literatursprache, Zeitungssprache |
Text |
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Einer garstigen Flüchtigkeit macht sich heute belletristische wie Tagesschriftstellerei schuldig durch einen unbegründeten Wechsel zwischen dem erzählenden Präsens und der eigentlichen Zeit der Erzählung, dem Imperfekt. Nur zwei Zeitungssätze höre man: 1653 muß Rembrandt Geld aufnehmen; 1657 wird seine kostbare Sammlung gerichtlich verkauft; am 1. Februar folgt der Verkauf des Hauses, der 11 218 fl. ergab (Tgl. R.). — Wie groß wird nun erst das Erstaunen, als nun (!) ohne Unterbrechung Zug auf Zug ein (!) solches heißhungriges Schlangentierchen, manchmal ... zwei auf einmal von mir aus der Tiefe herausgeholt wurden, als nach Verlauf von 20 Minuten mehr als 40 kleine und große Aale in dem Behälter sich winden. Man soll solches Herüber- und Hinüberschwanken nicht damit entschuldigen wollen, daß es auch bei Meistern, zumal Dichtern vorkomme; denn selbst als Zugeständnis an Versmaß und Reim ist es nichts Meisterhaftes. Goethe hat gar wohl erkannt, daß der Übergang der Erzählung aus dem Imperfekt ins Präsens erst die Neurung einer unruhigen, nach dem Auffälligen haschenden Zeit gewesen ist; in seiner ganzen Dichtung Hermann und Dorothea gibt es daher ein erzählendes Präsens so wenig als im ganzen Homer. Immerhin gehört der Übergang heute zu den berechtigten Kunstmitteln; nur muß er als solches mit Kunst, zu deren Vorzügen auch die Sparsamkeit gehört, für die Stellen einer Erzählung aufgespart werden, die es durch ihre Wichtigkeit und ihren Inhalt vor anderen verdienen, dadurch gleichsam in unsre Gegenwart gerückt zu werden; und dann muß ein ganzer zusammengehöriger Abschnitt darin auftreten. Nicht viel besser ist ein Wechsel zwischen erster und zweiter Vergangenheit, wo er nicht in einer verschiedenen Auffassung der Zeitverhältnisse, sondern lediglich auf dem Unvermögen beruht, für gleiche Verhältnisse auch andauernd die gebührende gleiche Ausdrucksform beizubehalten, je nachdem die erste Vergangenheit (Imperfekt) oder die zweite (Perfekt). So verdient das Perfekt in dem Satze bei F. Lewald Tadel: Dem Jünglinge unsrer Tage ist es kaum möglich, sich in das Entzücken hinein zu denken, mit welchem, als wir jung gewesen sind (statt: jung waren), uns die Dichtungen eines Klopstock ... erfüllten; das Imperfekt in dem der Tgl. R.: Als Ergebnis stellt sich heraus, daß nur sehr wenige Unternehmer reich geworden sind, daß die Staatskassen der Transvaal-Republik sich bedeutend gefüllt haben und daß der Freistaat für seine Produkte einen neuen Markt bekam (statt: bekommen hat), der nie mehr verschwinden wird; ebenso in der Meldung: Eisenach: Kronprinzessin Stephanie von Österreich ist aus Bayreuth hier eingetroffen, in R.'s Hotel abgestiegen und besuchte die Wartburg. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Zeitungssprache, Literatursprache, Lewald - Fanny, Goethe - Johann Wolfgang, gegenwärtig, Schreiber guten Stils, Literatursprache, Zeitungssprache, Zeitungssprache, Zeitungssprache |
Bewertung |
auf dem Unvermögen beruht, für gleiche Verhältnisse auch andauernd die gebührende gleiche Ausdrucksform beizubehalten, garstigen Flüchtigkeit macht sich schuldig, gehört zu den berechtigen Kunstmitteln, Herüber- und Hinüberschwanken, muß mit Kunst aufgespart werden, Neuerung einer unruhigen, nach dem Auffälligen haschenden Zeit, Nicht viel besser, selbst als Zugeständnis an Versmaß und Reim ist es nichts Meisterhaftes, soll nicht damit entschuldigen wollen, statt, unbegründeten, verdient Tadel |
Intertextueller Bezug |