An dem vielen überflüssigen, was die eigene Abstumpfung des Sprachgefühls und die deshalb bei anderen vorausgesetzte Empfindungslosigkeit gegen das Einfache in unsre Sprech- und Schreibweise bringt, ist besonders die Sucht schuld, in Form wie Sache stark aufzutragen. In der Form äußert sich dies in der Zerdehnung, die statt des einfachen Zeitwortes Substantiv + Zeitwort oder statt des einfachen Adverbs Präposition + Adverb oder Präposition + Adjektiv und Substantiv setzt, sowie in der Vorliebe, mit der heute abgeleitete und zusammengesetzte Wörter, wieder Zeitwörter voran, den einfachen vorgezogen werden; da beides schon oben § 44 f. u. 262 f. besprochen worden ist, sei hier nur noch einmal darin erinnert. Oft paart sich sogar beides, wovon zur Warnung von dem immer allgemeiner einreißenden Mißbrauche nur einige Beispiele folgen mögen: statt oft heißt es des öfteren, zum öfteren, vielmals und gar zu öfteren, zu zahlreichen, zu wiederholten Malen; statt bald heißt es in Bälde, in Kürze, statt ganz gar in Gänze, statt lange wieder auf (die) Dauer. Als könnte vorher nicht mehr verstanden werden, wird süddeutsch im vorhinein oder lange vorhinein gesagt, und in Berlin folgt man diesem Gebrauche bereits mit einem inskünftig und in Hinkunft statt künftig. Dem Herrn Kanzleirate mit dem Dienstkragen steht recht gut, was aus mitteilen, verlesen u. ä. geworden ist, nicht nur zur Mitteilung, zur Verlesung schreiten, sondern sogar dazu verschreiten. Fertigen scheint schon nirgends mehr hinzureichen und wenigstens muß man verfertigen sagen, lieber freilich fertigstellen, bis gar der Gipfel erklommen wird mit der Fertigstellung und der Wendung zur Fertigstellung kommen oder gelangen. Ähnlich hat sich aus einnehmen immer ein Ungetüm nach dem andern entwickelt: zur Einnahme kommen, vereinnahmen, zur Vereinnahmung kommen. Dem einfachen, auslänglichen Worte berichten hat ein Handelskammersekretär die prächtige Bereicherung unsers Sprachschatzes beigesellt: an das Ministerium einberichten und sich berichtlich äußern. So sehr liegt dies im Zuge der Entwicklung, daß selbst einer, der gegen unsere „sprachlichen Sünden" schreibt, einen Brauch, nachdem er schon besteht, seine Entstehung finden läßt. Es gehört wahrlich ein Th. Vischer dazu, um auch einmal ein Zeitwort in früherer Kraft zu gebrauchen, so wenn er sagt: Man hat Goethe als Norddeutschen angesprochen (wofür heute die meisten sagen: in Anspruch genommen). Während Strolche früher verhaftet wurden, werden sie jetzt in Haft genommen oder zur Verhaftung gebracht, was eigentlich die Tätigkeit des Publikums voraussetzt, das sie dem Polizisten zuführte, oder es kommt gar zu ihrer Inhaftnahme, wo nicht Inhaftierung! Auch einige Beispiele für überflüssige Verlängerung von Substantiven mögen sich anreihen; man schreibt jetzt von Lehrpersonen statt Lehrern, von der Welt des Alltags statt Alltagswelt, vom Werdeprozeß der Zeit statt von Entwicklung oder Geschichte, von liebevoller Vorneigung statt Vorliebe.
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