In der Weise, daß zwei Verneinungen sich nicht aufheben, sondern verstärken, sind sie also heute nur noch dem Volke zuzugestehn und dem Schriftsteller insoweit, als er seine Sprache volkstümlich färben will. So sagt jenes: Es war kein Mensch nicht zu Hause, und ebenso ein Soldat Wallensteins bei Schiller: Das disputiert ihm niemand nicht, und Wallenstein selbst zum Gefreiten in dessen Art: Alles ist Partei und nirgends kein//1 Daß neben kein eine zweite (nicht aufhebende) Verneinung noch heute weniger störend empfunden wird als zwei andere zusammentreffende Verneinungen, ist gewiß ein geschichtlicher Nachhall davon, daß kein einst ebensogut für älteres nichein = nicht einer oder keiner als für älteres dechein = (irgend) einer stand. So sind denn auch heute Sätze, in denen kein vorausgeht, gar nicht so schlimm, so z. B. die Lessings: Die Franzosen haben noch heute kein Theater, kein tragisches gewiß nicht. Sind das die Leute, mit denen man etwas Streitiges beweist? Keine Besseren wissen sie nicht?// Dichter. Nur in einem Falle gebührt die doppelte Verneinung auch der Schriftsprache, wenn es nämlich gilt, das gleich verneinende Verhalten an verschiedenen Stellen, die in der Verneinung zusammenwirken, auch besonders zum Ausdruck zu bringen, soll anders nicht die Kraft der Verneinung abgeschwächt $Seite 409$ werden. Hier berührt sich sogar die Poesie mit der Prosa. In jener schildert z. B. Goethe die Meeresstille durch den Vers: Keine Luft von keiner Seite, Eichendorff die menschliche Pilgerschaft hienieden: Wir haben wohl hienieden kein Haus an keinem Ort; und in Richard Beer-Hofmanns Schlaflied der Mirjam (1897) steht: Keiner kann keinem Gefährte hier sein, Keiner kann keinem Erbe hier sein. In Prosa sagt z. B. Karl Moor: Es ist kein Haar an keinem unter euch, das nicht in die Hölle fährt, und wie matt der Gedanke durch Ausmerzung der einen Verneinung wird, kann man hier fühlen, wenn man in der dritten Auflage die Schlimmbesserung liest: Es ist kein Haar an einem unter euch. In der mustergültigen Prosa seines Dreißigjährigen Krieges läßt Schiller die meuternden Soldaten ihre Gründe also darlegen: In Schnee und Eis treibe man sie hinaus, und nirgends kein Dank für diese unendliche Arbeit. Und wie Hölderlin im „Hyperion" schreiben konnte: Da vermißte keiner nichts; E. M. Arndt: Dieser Mann werde nie von keinem tapferen Preußen vergessen; O. Ludwig: Sah auch keinen Trost von keiner Seite, und W. Raabe: Es ist das Merkwürdige im Orient, daß hiefür niemand zu keiner Zeit sicher ist, so auch zwei Zeitungspolitiker, ein recht alter und ein neuerer: Wir haben darüber noch kein Sterbenswörtchen in keiner Zeitung des Nationalvereins gefunden, und: Hier ist kein Druck von keiner Seite zu befürchten.
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