Alle vier Wochen oder aller vier Wochen?
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 254 - 255 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Leipzig, Müller - Wolfgang, Mitteldeutsch, Norddeutsch, Gesprochene Sprache, Süddeutsch, Familie |
Text |
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Bei periodisch wiederkehrenden Handlungen antwortet auf die Frage: wie oft? der Genitiv von alle mit einem Zahlwort, z. B.: aller vierzehn Tage, aller vier Wochen, aller zwei Stunden, aller halben Jahre, aller Vierteljahre, aller hundert Jahre, ja sogar ohne Zahlwort: aller Augenblicke. Wenigstens in Mitteldeutschland, namentlich in Sachsen und Thüringen, ist dieser Genitiv allgemein, bei Hoch und Niedrig, im Gebrauch. Nicht bloß die Leipziger Straßenjugend spottete von der Leipziger Pferdebahn: und aller fünf Minuten, da bleibt die Karre stehn — auch die gebildete Mutter sagt zu ihrem Kinde: bleib doch nicht aller zehn Schritte stehen, oder: du bleibst ja aller drei Zeilen hängen, oder: so was kommt nur aller Jubeljahre einmal vor (wobei der Zahlbegriff in Jubel steckt: 25, 50, 100), ja sogar: komm doch nicht aller Nasen lang gelaufen, oder: du störst mich aller Augenblicke, und der Arzt schreibt aufs Rezept: aller zwei Stunden einen Eßlöffel voll zu nehmen. Mit dem Akkusativ, wie er in Nord- und Süddeutschland üblich ist, erscheint uns nicht das Periodische, die Wiederkehr der Handlung in gleichen Zeitabständen, ausgedrückt. Wenn ich sage: das kann ich alle Augenblicke tun, oder von einem geladnen Geschoß: geh zurück! es kann alle Augenblicke losgehen, so heißt das nichts andres als: jeden Augenblick, jederzeit, sogleich, sofort. Sage ich dagegen: es blitzt aller Augenblicke, so heißt das (natürlich mit einer starken Übertreibung): es blitzt in regelmäßigen Abständen von je einem Augenblick. Wenn sich jemand beklagt, er habe vierzehn Tage an einem langweiligen Badeorte sitzen müssen, so kann ich ihn fragen: bist du wirklich alle vierzehn Tage dort gewesen? Das ist eine Zeitdauer, keine Wiederholung. Wenn sich aber $Seite 255$ die Landpfarrer in regelmäßigen Zwischenräumen von je vierzehn Tagen zu einer Konferenz in der Stadt zusammenfinden, so kommen sie nicht alle, sondern aller vierzehn Tage. Eine Berliner Zeitschrift verspricht ihren Lesern auf dem Umschlag alle sieben Tage ein Heft. Sie hält aber ihr Versprechen nicht, denn sie bringt nur aller sieben Tage eins. Wenn ich sage: ich reise alle Jahre nach Italien, so kann ich das einmal im März, das andremal im Mai, das drittemal im Oktober reisen. Will ich dagegen sagen, daß ich die Reise in genauen Abständen von je einem Jahre mache, so würde ich zwar nicht sagen: aller Jahre (das ist nicht gebräuchlich), wohl aber, wo es auf eine genaue Bestimmung einer periodisch wiederkehrenden Handlung ankommt: aller zwölf Monate.//* Wenn Wolfgang Müller von der Wunderblume singt: Sie blüht nur einmal alle hundert Jahr, so heißt das nur, dass sie im Verlaufe von hundert Jahren einmal blühe. Soll aber ausgedrückt werden, daß sie in regelmaßigen Zwischenräumen von hundert Jahren blühe, so ist das einmal ganz überflüssig; dann genügt es, zu sagen: sie blüht aller hundert Jahr.// Da es sich bei diesem eigentümlich gefärbten „distributiven" Genitiv, wie man ihn treffend genannt hat, keineswegs um einen niedrigen Provinzialismus handelt, sondern um eine mundartliche Feinheit, deren das Norddeutsche wie das Süddeutsche entbehrt, so kann es uns niemand verdenken, wenn wir ihn nicht dem unklaren, doppelsinnigen Akkusativ zuliebe fallen lassen. Wir bleiben fest bei unserm: aller vier Wochen! |
Zweifelsfall | |
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Beispiel |
aller vierzehn Tage, aller vier Wochen, aller zwei Stunden, aller halben Jahre, aller Vierteljahre, aller hundert Jahre, aller Augenblicke, aller fünf Minuten, aller zehn Schritte, aller drei Zeilen, aller Jubeljahre, aller Nasen lang, aller zwei Stunden, jeden Augenblick, jederzeit, sogleich, sofort, alle vierzehn Tage, aller Jahre, alle Jahre |
Bezugsinstanz | Familie, Leipzig, mitteldeutsch, gesprochene Sprache, norddeutsch, süddeutsch, Müller - Wolfgang |
Bewertung |
eigentümlich gefärbt, natürlich mit einer starken Übertreibung |
Intertextueller Bezug |