Nach dort
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 251 - 252 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Goethe - Johann Wolfgang, Neu, Schiller - Friedrich, Zeitungssprache, Berlin, Geschäftssprache |
Text |
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Statt hin und her schreiben unsre Kaufleute jetzt in ihren Geschäftsbriefen nach dort und nach hier; kommen Sie nicht in den nächsten Wochen einmal nach hier? Wenn nicht, so komme ich vielleicht einmal nach dort. Auch die Zeitungen berichten: Herr M. ist als Bauinspektor nach hier versetzt worden. Und wenn ein paar Handlungsreisende bei kühlem Wetter in einem Biergarten sitzen, fragen sie sich sogar: Wollen wir uns nicht lieber nach drin setzen? Diese neumodische schöne Ortsbestimmung ist freilich nicht ohne Beispiel: schon längst hat man zur Bezeichnung einer Richtung, statt die auf die Frage wohin? antwortenden Ortsadverbien zu gebrauchen, die Präposition nach mit Ortsadverbien verbunden, die auf die Frage wo? antworten, z. B. nach vorn, nach hinten, nach oben, nach unten, statt: vor, hinter, hinauf, herunter. Auch Schiller sagt im Taucher: Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben. Und ebenso hat man auf die Frage woher? geantwortet: von vorn, von hinten, von oben, von unten, sogar von hier, von dort. Nur nach hier, nach dort und nach drin hatte noch niemand zu sagen gewagt. Aber warum eigentlich nicht? Offenbar aus $Seite 252$ reiner Feigheit. Wir können also dem kaufmännischen Geschäftsstil für seinen sprachschöpferischen Mut nur dankbar sein. Schade, daß Goethe das Lied der Mignon nicht mehr ändern kann: das müßte doch nun auch am Schlusse heißen: nach dort, nach dort möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!//* Ein gemeiner Provinzialismus (aus Berlin?), der aber neuerdings rasch Fortschritte macht, ist der Gebrauch von hoch für oben und zugleich für hinauf, empor, in die Höhe, z. B. hoch kommen, hoch gehen; wenn ich einmal hoch bin, dann geh ich nicht gleich wieder runter; ein edenso gemeiner (aus Wien?) der Gebrauch von oben für hinauf, z. B. oben gehen. In anständigem Deutsch geht man weder hoch noch oben, sondern hinauf.// |
Zweifelsfall | |
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Beispiel |
hin, her, nach dort, nach hier, nach vorn, nach hinten, nach oben, nach unten, von vorn, von hinten, von oben, von unten, von hier, von dort |
Bezugsinstanz | Berlin, Goethe - Johann Wolfgang, Geschäftssprache, neu, Schiller - Friedrich, Zeitungssprache |
Bewertung |
für seinen sprachschöpferischen Mut dankbar sein, noch niemand zu sagen gewagt, reine Feigheit |
Intertextueller Bezug |