Starke und schwache Deklination

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 3 - 4

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Substantiv: Pluralbildung

Genannte Bezugsinstanzen: Schreiber guten Stils, Leipzig, Grimm - Jacob, Gegenwärtig, Alt, Schriftsprache, Zeitungssprache, Kirchensprache
Text

Bekanntlich gibt es — oder wir wollen doch lieber ehrlich sein und einfach sagen: es gibt im Deutschen eine starke und eine schwache Deklination. Unter der starken versteht man die, die einen größern Formenreichtum und eine größere Formenmannigfaltigkeit hat. Sie hat in der Einzahl im Genitiv die Endung es, im Dativ e, in der Mehrzahl im Nominativ, Genitiv und Akkusativ die Endung e (bei vielen Wörtern männlichen und sächlichen Geschlechts er), im Dativ en (ern). Die Stammvokale a, o, u und der Diphthong au werden dabei in der Mehrzahl gewöhnlich in ä, ö, ü, au verwandelt, was man den Umlaut nennt.//* Die Bezeichnungen starke und schwache Deklination sind ebenso wie das Wort Umlaut von Jakob Grimm erfunden.// Unter der schwachen Deklination versteht man die formenärmere. Hier haben alle Kasus der Einzahl (mit Ausnahme des Nominativs) und alle Kasus der Mehrzahl die Endung en. Die schwache Deklination hat auch keinen Umlaut. Zur starken Deklination gehören Wörter männlichen, weiblichen und sächlichen, zur schwachen nur Wörter männlichen und weiblichen Geschlechts. Die Wörter weiblichen Geschlechts verändern in beiden Deklinationen nur in der Mehrzahl ihre Form.

Zur starken Deklination gehören z. B. der Fuß, die Hand, das Haus; zur schwachen der Mensch, die Frau.//** Einige Wörter, wie Auge, Bett u. a., werden in der Einzahl stark, in der Mehrzahl schwach dekliniert. Diese faßt man als gemischte Deklination zusammen.//

$Seite 4$ Im Vergleich zu dem großen Reichtum unsrer Sprache an Hauptwörtern und der großen Mannigfaltigkeit, die innerhalb der beiden Deklinationen besteht, ist die Zahl der Fälle, wo heute Deklinationsfehler im Schwange sind, oder wo sich Unsicherheit zeigt, verhältnismäßig klein. Aber ganz fehlt es doch nicht daran.

Ein Wort, mit dem die Leute gar nicht mehr recht umzugehen wissen, und das sie doch sehr gern gebrauchen, ist Gewerke (für Handwerker). Ein Gewerke ist ein zu einer Innung gehöriger Meister oder ein Teilnehmer an einem gesellschaftlichen Geschäftsbetrieb (das alte gute deutsche Wort für das heutige Aktionär). Das Wort ist aber schwach zu flektieren, die Mehrzahl heißt die Gewerken (die Baugewerken) und nicht, wie viele jetzt, wohl durch den Anklang an Gewerbe verführt, sagen: die Gewerke (heimische Künstler und Gewerke schaffen fleißig an der Ausschmückung der Stadt).

In Leipziger Zeitungen werden alle Tage Darlehne gesucht (Pfanddarlehne, Hypothekendarlehne), und die Geistlichen treten für ihre alten Kirchlehne ein. Die Einzahl heißt aber das Lehen, und wenn das auch kein substantivierter Infinitiv ist, wie Wesen, Schreiben, Vermögen, Verfahren, Vergnügen, Unternehmen, so wird es doch in der guten Schriftsprache so flektiert wie diese, und die Mehrzahl heißt: die Lehen, die Darlehen, die Kirchlehen, so gut wie die Wesen, die Verfahren, die Unternehmen.