Wustmann(1903) Lieben Freunde oder liebe Freunde: Unterschied zwischen den Versionen

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|Überschrift=''Lieben'' Freunde oder ''liebe'' Freunde?
|Überschrift=''Lieben Freunde'' oder ''liebe Freunde''?
|Buch=Wustmann(1903)
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|ErsteSeite=35
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|KapitelNummer=210
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|KapitelText=Obwohl es keinem Menschen einfällt, in der Anrede zu sagen: ''teuern'' Freunde, ''geehrten'' Herren, ''geliebten'' Eltern, schwankt man wunderlicherweise seit alter Zeit bei dem Adjektivum ''lieb''. Das ursprüngliche ist allerdings, daß beim Vokativ die schwache Form steht. Im Gotischen ist es immer so. Aber bereits im Althochdeutschen dringt die starke Form ein, und im Neuhochdeutschen gewinnt sie bis zum achtzehnten Jahrhundert die Oberhand. Auch die Kanzleisprache sagte schließlich: ''liebe'' Getreue statt: ''lieben'' Getreuen! Und heute haben wir bei einer Verbindung wie ''lieben'' Freunde nicht mehr das Gefühl von etwas organischem, von etwas, das so in Ordnung wäre, sondern die Empfindung einer gewissen Altertümelei (Schiller: ''Lieben'' Freunde, es gab schönre Zeiten). Wer diese Empfindung nicht erregen will, wird die schwache Form in der Anrede vermeiden.
|Buch=Wustmann(1903)
|Scan=Datei:Wustmann 1903-Gesamt.pdf
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|WorkflowStatus=gegengeprüft
|KapitelText=Obwohl es keinem Menschen einfällt, in der Anrede zu sagen: ''teuern Freunde, geehrten Herren, geliebten Eltern'', schwankt man wunderlicherweise seit alter Zeit bei dem Adjektivum ''lieb''. Das ursprüngliche ist allerdings, daß beim Vokativ die schwache Form steht. Im Gotischen ist es immer so. Aber bereits im Althochdeutschen dringt die starke Form ein, und im Neuhochdeutschen gewinnt sie bis zum achtzehnten Jahrhundert die Oberhand. Auch die Kanzleisprache sagte schließlich: ''liebe Getreue'' statt: ''lieben Getreuen''! Und heute haben wir bei einer Verbindung wie ''lieben Freunde'' nicht mehr das Gefühl von etwas organischem, von etwas, das so in Ordnung wäre, sondern die Empfindung einer gewissen Altertümelei (Schiller: ''Lieben Freunde, es gab schönre Zeiten''). Wer diese Empfindung nicht erregen will, wird die schwache Form in der Anrede vermeiden.
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|Zweifelsfall=Liebe X oder Lieben X
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|Bezugsinstanz=gesprochene Sprache, althochdeutsch, Sprachverlauf, gotisch, gegenwärtig, Behördensprache, neuhochdeutsch, Schiller - Friedrich, Sprachverlauf, ursprünglich
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|Bewertung=Altertümelei
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|Beispiel=teuern, geehrten, geliebten, lieb, liebe, lieben, Lieben
|Bezugsinstanz=althochdeutsch, Sprachverlauf, gotisch, gegenwärtig, Behördensprache, neuhochdeutsch, Schiller - Friedrich, Sprachverlauf, ursprünglich
|Bewertung=Altertümelei, fällt keinem Menschen ein zu sagen, nicht in Ordnung, unorganisch, wunderlich, zu vermeiden
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Aktuelle Version vom 6. Mai 2017, 11:09 Uhr

Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 35 - 35

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Liebe X oder Lieben X

Genannte Bezugsinstanzen: Gotisch, Althochdeutsch, Gegenwärtig, Ursprünglich, Behördensprache, Sprachverlauf, Gesprochene Sprache, Schiller - Friedrich, Neuhochdeutsch
Text

Obwohl es keinem Menschen einfällt, in der Anrede zu sagen: teuern Freunde, geehrten Herren, geliebten Eltern, schwankt man wunderlicherweise seit alter Zeit bei dem Adjektivum lieb. Das ursprüngliche ist allerdings, daß beim Vokativ die schwache Form steht. Im Gotischen ist es immer so. Aber bereits im Althochdeutschen dringt die starke Form ein, und im Neuhochdeutschen gewinnt sie bis zum achtzehnten Jahrhundert die Oberhand. Auch die Kanzleisprache sagte schließlich: liebe Getreue statt: lieben Getreuen! Und heute haben wir bei einer Verbindung wie lieben Freunde nicht mehr das Gefühl von etwas organischem, von etwas, das so in Ordnung wäre, sondern die Empfindung einer gewissen Altertümelei (Schiller: Lieben Freunde, es gab schönre Zeiten). Wer diese Empfindung nicht erregen will, wird die schwache Form in der Anrede vermeiden.

Scan
Wustmann(1903) 035-035.pdf