Matthias(1929) Falsche adjektivische Attribute: Unterschied zwischen den Versionen
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|KapitelText=Alles freilich, was an derartigen Kürzungen und Vertretungen heute gewagt wird, kann nicht gutgeheißen werden. Vor allem muß ein solches Eigenschaftswort in seinem eigentümlichen Gebrauch dadurch beleuchtet werden, daß es neben einem Zeitwort gleichen Stammes oft als Umstandswort vorkommt (''er ißt stark; ein starker Esser''); oder es muß die Vorzüge vereinigen, kürzer und bequemer als die peinlichere, breitere Fügung und gleich treffend und verständlich zu sein. Jene Forderung ist z. B. nicht erfüllt, wenn man einen, der kirchliche oder religiöse Stoffe malt, einen ''religiösen Maler''//2 Wer ''einen kränklichen, gesunden, alten, klugen, liebenswürdigen Eindruck machen'' tadelt, weil ein Eindruck nicht liebenswürdig sein könne, berücksichtigt nicht, daß sich an so viele ältere Wendungen wie ''einen übeln Eindruck machen'' in der § 198 gekennzeichneten Weise diese Verbindungen um so leichter anschließen mußten, überdies kraft einfacher Metonymie, indem die Ursache (''Krankheit'') für die Wirkung (''übel'') eintrat.// nennt, insofern niemand sagt: ''er malt religiös''; dazu bezeichnet ''er'' gewöhnlich einen religiös gesinnten; wie man ähnlich ''urkundliche Fragen'' nicht als ''Urkunden betreffende'' (d. h. ''Urkundenfragen''), sondern nur als ''in Urkunden erhaltene'' verstehen kann; beide Voraussetzungen fehlen auch für die Ausdrücke ''soziale Prügelei'' (statt ''eine von Sozialisten angezettelte Prügelei'') oder das ''hebräische Aufgehn des Präsens im Futurum'', insofern doch das Präsens nicht hebräisch, d. h. auf hebräische Weise im Futurum aufgeht, sondern $Seite 184$ im Hebräischen. Die folgenden zunächst einfach unklaren Fügungen: ''bauliche Überraschungen, schwarzbraune Studien, der hundertjährige theatralische Geburtstag von Kabale und Liebe'' u. m. ä. beruhen auf nichts als auf geistreichelnder Jagd nach gesuchten und rätselhaften Überschriften. Darum, daß der modischen Fügung auch jeglicher Vorzug vor der älteren natürlicheren abgeht, sind auch die folgenden tadelnswert: ''französischer Aufenthalt'' statt ''Aufenthalt in Frankreich, knechtische Strafe'' statt ''Strafe für Knechte, die weiße Einwanderung'' statt ''die Einwanderung Weißer'' oder ''der Weißen, weibliche Auswanderung nach Kanada'' statt ''die Auswanderung von'' (''der'') ''Frauen nach Kanada, weibliches Schulwesen'' statt ''Mädchenschulwesen'' oder ''Einrichtung der Mädchenschule, geographisches Abendessen'' statt ''Abendessen der versammelten Geographen''; selbst ''forstliches Versuchswesen'' statt ''Versuche im Forstwesen'' wird dadurch nicht schöner, daß es in Eberswalde im amtlichen Gebrauche ist. Besonders garstig wirkt auch die Ersetzung eines objektiven Genetivs durch ein Adjektiv; niemand mag also Goethen ''die Klopstockschen Nachahmer'' noch Rümelin die Fügung nachmachen: ''ein landschaftliches Vermissen'' statt ''das Vermissen landschaftlicher Schönheiten'' oder Brandstätter die andere: ''zahlreiche fremde Nachahmungen'' statt ''Nachahmungen des Fremden'', noch der Lit-W. Schr. 29 ''den begabten Eindruck, den der Student machte''. | |KapitelText=Alles freilich, was an derartigen Kürzungen und Vertretungen heute gewagt wird, kann nicht gutgeheißen werden. Vor allem muß ein solches Eigenschaftswort in seinem eigentümlichen Gebrauch dadurch beleuchtet werden, daß es neben einem Zeitwort gleichen Stammes oft als Umstandswort vorkommt (''er ißt stark; ein starker Esser''); oder es muß die Vorzüge vereinigen, kürzer und bequemer als die peinlichere, breitere Fügung und gleich treffend und verständlich zu sein. Jene Forderung ist z. B. nicht erfüllt, wenn man einen, der kirchliche oder religiöse Stoffe malt, einen ''religiösen Maler''//2 Wer ''einen kränklichen, gesunden, alten, klugen, liebenswürdigen Eindruck machen'' tadelt, weil ein Eindruck nicht liebenswürdig sein könne, berücksichtigt nicht, daß sich an so viele ältere Wendungen wie ''einen übeln Eindruck machen'' in der § 198 gekennzeichneten Weise diese Verbindungen um so leichter anschließen mußten, überdies kraft einfacher Metonymie, indem die Ursache (''Krankheit'') für die Wirkung (''übel'') eintrat.// nennt, insofern niemand sagt: ''er malt religiös''; dazu bezeichnet ''er'' gewöhnlich einen religiös gesinnten; wie man ähnlich ''urkundliche Fragen'' nicht als ''Urkunden betreffende'' (d. h. ''Urkundenfragen''), sondern nur als ''in Urkunden erhaltene'' verstehen kann; beide Voraussetzungen fehlen auch für die Ausdrücke ''soziale Prügelei'' (statt ''eine von Sozialisten angezettelte Prügelei'') oder das ''hebräische Aufgehn des Präsens im Futurum'', insofern doch das Präsens nicht hebräisch, d. h. auf hebräische Weise im Futurum aufgeht, sondern $Seite 184$ im Hebräischen. Die folgenden zunächst einfach unklaren Fügungen: ''bauliche Überraschungen, schwarzbraune Studien, der hundertjährige theatralische Geburtstag von Kabale und Liebe'' u. m. ä. beruhen auf nichts als auf geistreichelnder Jagd nach gesuchten und rätselhaften Überschriften. Darum, daß der modischen Fügung auch jeglicher Vorzug vor der älteren natürlicheren abgeht, sind auch die folgenden tadelnswert: ''französischer Aufenthalt'' statt ''Aufenthalt in Frankreich, knechtische Strafe'' statt ''Strafe für Knechte, die weiße Einwanderung'' statt ''die Einwanderung Weißer'' oder ''der Weißen, weibliche Auswanderung nach Kanada'' statt ''die Auswanderung von'' (''der'') ''Frauen nach Kanada, weibliches Schulwesen'' statt ''Mädchenschulwesen'' oder ''Einrichtung der Mädchenschule, geographisches Abendessen'' statt ''Abendessen der versammelten Geographen''; selbst ''forstliches Versuchswesen'' statt ''Versuche im Forstwesen'' wird dadurch nicht schöner, daß es in Eberswalde im amtlichen Gebrauche ist. Besonders garstig wirkt auch die Ersetzung eines objektiven Genetivs durch ein Adjektiv; niemand mag also Goethen ''die Klopstockschen Nachahmer'' noch Rümelin die Fügung nachmachen: ''ein landschaftliches Vermissen'' statt ''das Vermissen landschaftlicher Schönheiten'' oder Brandstätter die andere: ''zahlreiche fremde Nachahmungen'' statt ''Nachahmungen des Fremden'', noch der Lit-W. Schr. 29 ''den begabten Eindruck, den der Student machte''. | ||
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Aktuelle Version vom 3. Mai 2017, 10:47 Uhr
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 183 - 184 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Eberswalde, Rümelin - Karl Gustav, Brandstetter - Renward, Gegenwärtig, Alt, Behördensprache, Goethe - Johann Wolfgang, Literatursprache, Zeitungssprache |
Text |
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Alles freilich, was an derartigen Kürzungen und Vertretungen heute gewagt wird, kann nicht gutgeheißen werden. Vor allem muß ein solches Eigenschaftswort in seinem eigentümlichen Gebrauch dadurch beleuchtet werden, daß es neben einem Zeitwort gleichen Stammes oft als Umstandswort vorkommt (er ißt stark; ein starker Esser); oder es muß die Vorzüge vereinigen, kürzer und bequemer als die peinlichere, breitere Fügung und gleich treffend und verständlich zu sein. Jene Forderung ist z. B. nicht erfüllt, wenn man einen, der kirchliche oder religiöse Stoffe malt, einen religiösen Maler//2 Wer einen kränklichen, gesunden, alten, klugen, liebenswürdigen Eindruck machen tadelt, weil ein Eindruck nicht liebenswürdig sein könne, berücksichtigt nicht, daß sich an so viele ältere Wendungen wie einen übeln Eindruck machen in der § 198 gekennzeichneten Weise diese Verbindungen um so leichter anschließen mußten, überdies kraft einfacher Metonymie, indem die Ursache (Krankheit) für die Wirkung (übel) eintrat.// nennt, insofern niemand sagt: er malt religiös; dazu bezeichnet er gewöhnlich einen religiös gesinnten; wie man ähnlich urkundliche Fragen nicht als Urkunden betreffende (d. h. Urkundenfragen), sondern nur als in Urkunden erhaltene verstehen kann; beide Voraussetzungen fehlen auch für die Ausdrücke soziale Prügelei (statt eine von Sozialisten angezettelte Prügelei) oder das hebräische Aufgehn des Präsens im Futurum, insofern doch das Präsens nicht hebräisch, d. h. auf hebräische Weise im Futurum aufgeht, sondern $Seite 184$ im Hebräischen. Die folgenden zunächst einfach unklaren Fügungen: bauliche Überraschungen, schwarzbraune Studien, der hundertjährige theatralische Geburtstag von Kabale und Liebe u. m. ä. beruhen auf nichts als auf geistreichelnder Jagd nach gesuchten und rätselhaften Überschriften. Darum, daß der modischen Fügung auch jeglicher Vorzug vor der älteren natürlicheren abgeht, sind auch die folgenden tadelnswert: französischer Aufenthalt statt Aufenthalt in Frankreich, knechtische Strafe statt Strafe für Knechte, die weiße Einwanderung statt die Einwanderung Weißer oder der Weißen, weibliche Auswanderung nach Kanada statt die Auswanderung von (der) Frauen nach Kanada, weibliches Schulwesen statt Mädchenschulwesen oder Einrichtung der Mädchenschule, geographisches Abendessen statt Abendessen der versammelten Geographen; selbst forstliches Versuchswesen statt Versuche im Forstwesen wird dadurch nicht schöner, daß es in Eberswalde im amtlichen Gebrauche ist. Besonders garstig wirkt auch die Ersetzung eines objektiven Genetivs durch ein Adjektiv; niemand mag also Goethen die Klopstockschen Nachahmer noch Rümelin die Fügung nachmachen: ein landschaftliches Vermissen statt das Vermissen landschaftlicher Schönheiten oder Brandstätter die andere: zahlreiche fremde Nachahmungen statt Nachahmungen des Fremden, noch der Lit-W. Schr. 29 den begabten Eindruck, den der Student machte. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | alt, Behördensprache, Brandstetter - Renward, Eberswalde, Goethe - Johann Wolfgang, gegenwärtig, Literatursprache, Zeitungssprache, Rümelin - Karl Gustav |
Bewertung |
bequemer, beruhen auf geistreichelnder Jagd nach gesuchten und rätselhaften Überschriften, Besonders garstig, breitere, Falsche, Frequenz/niemand sagt, jeglicher Vorzug abgeht, kann nicht gutgeheißen werden, kürzer, modischen, natürlicheren, nicht, nicht erfüllt, niemand mag nachahmen, peinlichere, tadelnswert, tadelt, treffend, unklar, verständlich, wird dadurch nicht schöner |
Intertextueller Bezug |