Zerreißung zusammengehöriger Satzteile
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
---|---|
Seitenzahlen | 396 - 397 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
---|
In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
---|---|
Genannte Bezugsinstanzen: | Zeitungssprache, Schulsprache |
Text |
---|
Geradezu als gewaltsame Zerreißung wird es empfunden, wenn Hauptwörter, die mit dem Zeitwort bereits zu einem mehr oder minder festen Begriffe verwachsen sind, von der Stellung am Ende des Hauptsatzes oder gar unmittelbar vor dem Zeitwort des Nebensatzes verdrängt werden. So wenn in der Köln. Ztg. gestanden hat: Die deutsche Verfassungspartei hat nunmehr Stellung zu dem Ministerium Taaffe (statt: zu dem Ministerium Taaffe Stellung) genommen, oder in der Nat.-Ztg.: Die Nachricht, daß Deutschland Schritte bei der Schweiz zur Unterstützung französischer Vorstellungen wegen anarchistischer Umtriebe (statt: daß Deutschland bei der Schweiz ... Schritte) getan habe. Auch der Satz eines Schulbuchs: Darius hatte über ein ungeheures Heer den Datis und Artaphernes gesetzt, zerstört die bereits eingetretene Formelhaftigkeit der Wendung setzen über und verfällt dadurch beinahe der Lächerlichkeit. Wenigstens ist er nicht besser als die Ausdrucksweise: Er schloß in sein Herz den Knaben, er legte auf seine Kniee das Haupt, oder in der N. Fr. Pr.: Dieser Knabe wird sich Bahn durch die Welt brechen; mag freilich sein, daß ein anderes als ein unverdorbenes deutsches Sprachgefühl die engre Zusammengehörigkeit der Wendungen ins Herz schließen, auf seine Knie legen, Bahn brechen oder gar bahnbrechen nicht fühlt, also auch nicht die Trübung, die sie durch ihre Zerreißung erleiden. Weniger gewaltsam zwar, trotzdem aber oft kaum weniger störend wirkt eine Veränderung des Stellungsverhältnisses zwischen Zeitwort und Objekt, wenn ihre Verbindung noch nicht so formelhaft fest ist. So möchte ich in den Sätzen: Wie im Lutherfestspiele, das auch seine erste Aufführung in Jena erlebte, und das Boot glitt an die Landungsstelle, wo der Vermieter der Ankömmlinge bereits harrte, die Umstellungen in Jena seine erste Aufführung erlebte und bereits der Ankömmlinge harrte nicht gar zu entschieden als nötig hinstellen und verlangen. Wohl aber bezeichne ich die nächsten vier Sätze unbedingt als verkehrt: Das große Auge schleuderte Blitze ihm nach (W. Raabe statt schleuderte ihm Blitze nach). Volksleben und Gesellschaft sind aber dabei fast in Tierheit durch rohste Genußsucht verfallen (ders.); daß er nicht im geringsten acht auf die Welt außerhalb seines Manuskriptes hatte (ders.); oder: Der Cumaondistrikt hat manchen Wandel in den letzten Jahrhunderten (statt hat in den letzten Jahrhunderten manchen Wandel erlebt (Tgl. R.). So wird das schmucke Büchlein sich Freunde weit und breit (statt: so wird sich das ... Büchlein weit und $Seite 397$ breit Freunde) machen. — Gar der Satz: Noch gefährlicher wurde Friedrichs Lage, als die Seemächte, Österreich und Sachsen die Quadrupelallianz zu Warschau 1745 schlossen bei einem Geschichtsforscher (statt: 1745 zu Warschau die Quadrupelallianz schlossen) schmeckt wahrlich nach — einer Antwort aus der Geschichtsstunde und -tabelle. |
Zweifelsfall | |
---|---|
Beispiel | |
Bezugsinstanz | Zeitungssprache, Zeitungssprache, Zeitungssprache, Schulsprache |
Bewertung |
gewaltsame Zerreißung, kaum weniger störend, verfällt dadurch beinahe der Lächerlichkeit, verkehrt |
Intertextueller Bezug |