In Ergänzung

Aus Zweidat
Version vom 14. Mai 2017, 17:50 Uhr von DeletedUser (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 170 - 173

Nur für eingeloggte User:

Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Nominalstil oder Verbalstil

Genannte Bezugsinstanzen: Sprache der Vereine, Behördensprache, Sprachverlauf, Schriftsprache, Zeitungssprache, Bismarck - Otto von, Wissenschaftssprache, Geschäftssprache
Text

Wie Ungeziefer hat sich in den letzten Jahren eine Ausdrucksweise verbreitet, die die verschiedenartigsten Nebensätze und ganz besonders auch den Infinitiv und das Partizip ersetzen soll: die Verbindung von in mit gewissen Hauptwörtern, namentlich auf ung. Den Anfang scheinen in Erwägung und in Ermanglung gemacht zu haben//* In Ermanglung ist mir immer so vorgekommen, als ob sichs einer als schlechten Witz ausgedacht hätte, um den Aktenstil zu verhöhnen, um zu probieren, ob es ihm wohl einer nachmachen würde.//; diese beiden haben aber schon ein ganzes Heer ähnlicher Verbindungen nach sich gezogen, und das Ende ist noch nicht abzusehen, jede Woche überrascht uns mit neuen. Briefe von Beamten und Geschäftsleuten fangen kaum noch anders an als: in Beantwortung oder in Erwiderung Ihres gefälligen Schreibens vom usw., ein Aufsatz wird geschrieben in Anlehnung oder in Anknüpfung an ein neu erschienenes Buch, ein Abschied wird bewilligt in Genehmigung eines Gesuchs, ein Beamter verreist in Antritt eines längern Urlaubs, eine Zeitungsmitteilung wird gemacht in Ergänzung oder in Berichtigung $Seite 171$ einer frühern Mitteilung, der Polizeirat vollzieht eine Handlung in Vertretung oder in Stellvertretung des Polizeidirektors, ein Vereinsmitglied leitet die Verhandlungen in Behindrung des Vorsitzenden, eine Auszeichnung wird jemand verliehen in Anerkennung seiner Verdienste, ein Mord wird begangen in Ausführung früherer Drohungen, eine Bibliothek wird gestiftet in Beschränkung auf gewisse Fächer usw.; man schreibt: in Erledigung Ihres Auftrags — in Würdigung der volkswirtschaftlichen Wichtigkeit des Sparkassenwesens — in Vervollständigung der Zirkularnote des Ministeriums — in Veranlassung des 25jährigen Geschäftsjubiläums — in Begründung der Anklage beantragte der Staatsanwalt — in Überschätzung dieses Umftandes oder in Entstellung des Sachverhalts behauptete er — in Ausführung von § 14 des Ortsstatuts bringen wir zur Kenntnis — man gebe den Behörden in Ausdehnung von § 39 die Befugnis — in Verfolgung dieses Zieles hatte Schliemann die obere Schicht zerstört — in Befolgung seiner Befehle wurden noch weitere Gebietsteile unterworfen — die Schauspielkunst hat es, in Abweichung von dem eben gesagten, mit Gehör und Gesicht zugleich zu tun — in Nachahmung einer bei der Kreuzschule bestehenden Einrichtung wurden zwei Diskantistenstellen begründet — der in Verlängerung des Neumarkts durch die Promenade führende Fußweg. Vor einiger Zeit ging sogar eine Anekdote aus den Memoiren der Madame Carette durch die Zeitungen, wonach Bismarck dieser Dame auf einem Ball am Hofe Napoleons eine Rose überreicht haben sollte mit den Worten: Wollen Sie diese Rose annehmen in Erinnerung an den letzten Walzer, den ich in meinem Leben getanzt habe!

Wer ein wenig nachdenkt, sieht, daß hier die verschiedensten logischen Verhältnisse in ganz mechanischer Weise gleichsam auf eine Formel gebracht sind, wie sie so recht für denkfaule Leute geschaffen ist. In einem Teile dieser Verbindungen soll in den Beweggrund ausdrücken, der doch nur durch aus oder wegen bezeichnet werden kann; in Ermanglung, in Anerkennung, $Seite 172$ in Überschätzung, in Behindrung — das soll heißen: aus Mangel, aus Anerkennung, aus Überschätzung, wegen Behindrung. Wenn Nebensätze dafür eintreten sollten, so könnten sie nur lauten: weil es mangelt, weil ich anerkenne, weil er überschätzt, weil er behindert war. In einem andern Teile soll in den Zweck bezeichnen, der doch nur durch zu ausgedrückt werden kann; in Ergänzung, in Vervollständigung, in Berichtigung, in Erinnerung — das soll heißen: zur Ergänzung, zur Vervollständigung, zur Berichtigung, zur Erinnerung. Mit einem Nebensatze könnte man hier nur sagen: um zu ergänzen, um zu vervollständigen, um zu berichtigen, damit Sie sich erinnern. Wieder in andern Fällen wäre als am Platze statt in: ein Weg wird als Verlängerung des Neumarkts durch die Promenade geführt, ein Brief wird geschrieben als Antwort auf einen andern, der Polizeirat unterschreibt als Stellvertreter des Polizeidirektors. Nur in wenig Fällen bezeichnet das in wirklich einen begleitenden Umstand, wie man ihn sonst durch indem oder durch das Partizip ausdrückt: ich schreibe einen Aufsatz, anknüpfend an ein neues Buch, oder indem ich an das Buch anknüpfe; dafür ließe sich ja zur Not auch sagen: in Anknüpfung, wiewohl es nicht gerade schön ist. Indem der Staatsanwalt die Anklage begründete, beantragte er das höchste Strafmaß — auch dafür kann man sagen: in seiner Begründung (seiner darf nicht fehlen).//* Übrigens fehlt es auch nicht an Beispielen, wo noch dazu das Hauptwort auf ung von einem Zeitwort gebildet ist, das den Dativ regiert, also eigentlich gar keinen Objektsgenitiv zu sich nehmen kann, wie: der Zinsfuß wird herabgesetzt in Entsprechung eines Gesuchs (vgl. S. 239). Eine Behörde schreibt: In Begegnung von (!) an (!) andern Orten sich ereignet habenden (!) Vorgängen wird hierdurch bekannt gemacht; das soll heißen: um Vorgängen zu begegnen (vorzubeugen), wie sie sich an andern Orten ereignet haben.// Aber wie ist es möglich, das alles plötzlich in einen Topf zu werfen: Ursache, Grund, Zweck, begleitenden Umstand, vorübergehende oder dauernde Eigenschaft? Wie können wir uns solchem Reichtum gegenüber freiwillig zu solcher Armut verurteilen? Es handelt sich hier um nichts als eine $Seite 173$ Modedummheit, die unter dem Einflusse des Französischen und des Englischen (en conséquence, en réponse, in remembrance, in reply, in answer, in compliance with, in his defence u. ähnl.) aufgekommen ist, und die nun gedankenlos nachgemacht und dabei immer weiter ausgedehnt wird. Es wird noch dahin kommen, daß jemand 1000 Mark erhält in Belohnung treuer Dienste oder in Entschädigung für einen Verlust oder in Unterstützung seiner Angehörigen oder in Bedingung der Rückzahlung; weshalb sollte nicht auch das alles durch in und ein Hauptwort auf ung ausgedrückt werden können!

Scan
Wustmann(1903) 170-173.pdf


Zweifelsfall

Nominalstil oder Verbalstil

Beispiel
Bezugsinstanz Wissenschaftssprache, Behördensprache, Bismarck - Otto von, Geschäftssprache, Behördensprache, Sprachverlauf, Behördensprache, Schriftsprache, Sprache der Vereine, Zeitungssprache
Bewertung

Armut, darf nicht fehlen, Frequenz/immer weiter ausgedehnt, Frequenz/wie Ungeziefer verbreitet, für denkfaule Leute geschaffen, gedankenlos nachgemacht, können nur lauten, Modedummheit, Reichtum

Intertextueller Bezug