Subjekt des Infinitivs

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 335 - 338

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Unsicherheit
Text

Vor allem hinfällig ist die Bestimmung, daß Infinitive, wie die mit zu auch die mit um zu und vor allem ohne zu, nur dann an die Stelle eines daß-Satzes treten dürften, wenn dessen Subjekt das gleiche wäre wie das des übergeordneten Satzes. Allgemein anerkannt sind denn auch die Infinitive, die aus dem Sinne des zwi- $Seite 336$ schen den Zeilen stehenden Subjektes des Schriftstellers gesprochen sind, von dem formelhaft gewordenen sozusagen an, durch so geläufige Wendungen hindurch wie: um es deutsch zu sagen, um es mit dem wahren Namen zu nennen, bis hinauf zu ganz eigenartigen und erst- oder einmaligen Angaben wie: Um ihnen gerecht zu sein, sie habens nötig. Du bist, ohne dir schmeicheln zu wollen, interessant.

Ein Infinitiv muß überhaupt grammatisch möglich heißen, wenn die Beziehung seines (ungenannten) Subjekts auf irgend ein Glied des übergeordneten Satzes klarliegt; dieses Satzglied darf sogar auch im übergeordneten Satze ausgelassen sein, wenn es nur sonst leicht zu ergänzen fällt. Niemand wird z. B. in den folgenden Sätzen auch nur einen Augenblick über die Beziehung im Zweifel sein: 1. auf das logische Subjekt der handelnden Person neben dem Passivum: Meist werden mißgestalte Kinder von ihren Müttern recht zärtlich gepflegt, um sich über ihr Unglück zu trösten (Pröll). Drum war vom Maidle die Rede, um sie dem Freier vorzustellen (Hansjakob); 2. auf das Akkusativobjekt: Die Depesche rief mich nach Metz, um dort die Feldtelegraphie zu übernehmen (v. Dürckheim); 3. auf das Dativobjekt: (Um) eine Universitätsstadt zu werden, fehlte Berlin die Leichtigkeit und der Überfluß des Lebens (Rodenberg); 4. auf einen Genetiv: Die energische Mitwirkung aller wird nötig sein, um das bedrohte Staatsschiff in den Hafen der Ruhe führen zu helfen (v. Dürckheim); 5. sogar auf einen im Possessivum versteckten Genetiv: Es bedarf meiner ganzen Energie, um die übertriebenen Forderungen in die Grenzen des Tarifs hinabzudrücken (Merzbacher); 6. auf einen Umstand: Der Vorstand ließ bei sämtlichen Mitgliedern einen mehrerlei Vorschläge enthaltenden Bogen umgehen, mit der Bitte, sich nach freier Wahl für einen zu entscheiden.

Daß in solchen Fällen kein Mißverständnis aufkommt, auch vorübergehend nicht, was zu komischen Wirkungen hinreicht und wodurch solche Nennformen sofort unzulässig erscheinen, beruht vor allem auf dreierlei: Entweder die Bedeutung des Zeitworts läßt nur die Beziehung der Infinitivergänzung auf das Objekt zu: Man hat ihm mit Recht vorgeworfen, kein guter Wirt im Staate gewesen zu sein. Oder das Objekt, Attribut oder Adverbiale bildet das Neuere, Wichtigere und daher auch Betontere im Satze, und somit liegt es psychologisch näher und ist es grammatisch richtig, die weitere Ergänzung durch die Nennform grade darauf zu beziehen. Sehr belehrend ist in dieser Hinsicht der Satz Schillers; Um wenigstens die Nation mit einem Schattenbilde republikanischer Freiheit zu täuschen, beruft sie die Statthalter der Provinzen und die Ritter des goldenes Vließes zu einer außerordentlichen Versammlung nach Brüssel, um über die gegenwärtigen Gefahren und Bedürfnisse des Volkes zu beratschlagen; für die erste Nennform nimmt man, weil er als vorausgehend noch eines Anschlusses ermangelt, ohne weiteres den unbetonten Nominativ sie als Subjekt; dem zweiten dagegen ist die Beziehung auf das inzwischen neu und bedeutsam ins Bewußtsein getretene Objekt gleich sicher. — Endlich nötigt der Inhalt des Nebensatzes von selbst, vor allem ein Fürwort darin, das Subjekt des Infinitivs in einem andern Satzteile als dem Subjekte des übergeordneten Satzes zu suchen. So in dem Satze Lessings: Ohne ihr dies vorwerfen zu $Seite 337$ können, weiß sie dem sparsamen Gebrauche derselben durch eine andere Feinheit zu Hife zu kommen.

Wo keiner dieser Umstände die Beziehung der Nennform auf einen andern Satzteil als das Subjekt andeutend erleichtert, bleibt seine Fügung meist unklar und tadelnswert. Daran ändert auch die Kürze des Satzes nichts. Ganz ähnlich in der Fügung R. H. Bartschs: eine junge Cousine; manchmal sogar ein sehr schöner ritterlicher Cousin, den man ihr offenbar beigegeben hatte, um dich leichter zu vergessen. Man höre z. B. einen aus der Übersetzung R. Elsmeres: Frau P. hat mir versprochen, Madame Desforet herzuführen, und ich möchte gern Mama die Freude machen, sie kennen zu lernen (statt: daß sie sie kennen lernt). Aus dem Satze Schillers: Sieben andre von dem edelsten Geblüt ... alle noch in der Blüte der Jugend, wurden dem Herzoge von Alba aufgespart, um den Antritt seiner Verwaltung sogleich durch eine Tat verherrlichen zu können, ersieht niemand, ob ihm die Aussparenden dies ermöglichen wollten oder ob die Absicht ihm selber beigelegt wird. Wieder in dem Satze bei Kügelgen: Der Graf von Stollberg-Wernigerode hatte sich entschlossen, zwei seiner Söhne herzubringen, um ebenfalls von diesem Manne unterrichtet zu werden, ist es unebenmäßig, daß der aus dem Hauptsatz liegende Hauptton eine Beziehung auf dessen Subjekt erwarten läßt und die zweite Nennform dann auf das Objekt der ersten Nennform bezogen werden soll. Wer wollte endlich verkennen, daß die tonlose Stellung des ihn an der drolligen Wirkung des folgenden Satzes aus den Hamburger Nachrichten schuld ist, indem man die Nennform mit dem bedeutsamen, Neues bringenden Subjekt in Verbindung setzt? Ohne bisher einen genügenden Ersatz für Bogumil Dawison gefunden zu haben, verläßt ihn im Herbst die erste tragische Liebhaberin Marie Seebach. In dem Satze: Mein Schwiegervater schlug vor, das Gut Oesfelde zu übernehmen (M. N. N. 26) fehlt, da der Sinn des Aussagewortes des Hauptsatzes die Beziehung auf dessen Subjekt verbietet, jede Kennzeichnung dessen, der das Gut übernehmen soll.

Zu den Ausdrücken, bei denen die Ergänzung des Infinitivsubjekts selbstverständlich ist, obgleich es auch im übergeordneten Satze nicht steht, gehören tagtägliche Redensarten wie: Ich wünsche wohlgespeist zu haben; Ich wünsche wohlzuleben; Darf ich bitten, sich eine Minute in das Zimmer nebenan zu bemühen (Kings1ey-Spangenberg). Dazu zählen auch Sätze, bei deren Passiv die Person des Ausführenden selbstverständlich ist. Der folgende Tag wurde dazu benutzt, um die Stadt kennen zu lernen heißt es also richtig bei v. Dürckheim (vgl. S. 334), ebenso in einer Zeitung: Mehrere rohe Burschen, welche gestern den gröbsten Unfug machten, wurden, um dem Skandal ein Ende zu machen, in Verwahrung gebracht.

Diesen Beispielen kommen andere unzählige sehr nahe, in denen die Nennform ohne Beziehung auf das Subjekt des übergeordneten Satzes ganz allgemein oder in der Weise steht, daß für ihn das unbestimmte Subjekt man ergänzt werden muß: 1. Es war verabredet worden, frühzeitig aufzubrechen, um die drückende Hitze zu vermeiden (v. Dürckheim). 2. Dort trägt er ihn (den Ring), als sei die Westentasche dazu da, um einen Ring darin zu tragen (Storm). Doch ist auch dieser Verzicht auf jede Andeutung $Seite 338$ eines Subjekts nur dann ohne Anstoß, wenn auch der übergeordnete Satz ohne persönliches Subjekt steht, wie im ersten Beispiele, oder wenn er seinem Inhalte nach die Ergänzung seines Subjekts auch für die Nennform ohne weiteres ausschließt, wie im zweiten.

Störend wirkt namentlich zweierlei. Zunächst wenn man sich beim Vorausgehen der Nennform in der Erwartung getäuscht sieht, daß es allgemein weitergeht, und nicht minder in der anderen, daß sich die Nennform an einen Satzteil des folgenden Satzes anlehnen könne. An solchem Widerspruche leiden Sätze der Art: Um das Verhältnis der Städte am saronischen Golfe rasch zu überblicken — das soll man, das sollen die Leser können! — füge ich die Größe der Gebiete ..., die Zahl der Schiffe und Hopliten bei. Das Unbehagen wird noch erhöht, wenn beim Mangel jedes Beziehungswortes ein rückbezügliches Fürwort, namentlich der ersten oder zweiten Person, völlig in der Luft schwebt, wie in dem folgenden Beispiele: Ich finde es nicht hübsch, dir in so ernster Angelegenheit mit mir allerhand Scherz zu erlauben (Tgl. R.:, statt daß du dir — erlaubst). Gar ungeheuerlich wird der Satz, wenn eine erste und eine dritte Person einander geradezu widerstreben: Nach zweistündigem und, um sich ... die Hände nicht zu verwunden sehr vorsichtigen (!) Bergklettern, betreten wir die erste grünende Matte. Wohl aber darf sich auf ein leicht zu ergänzendes man bezogen werden: Um sich in ihrer gewandten Handhabung zu üben, gibt es kein besseres Mittel als die Übersetzung aus fremden Sprachen.

Scan
Matthias(1929) 335-338.pdf


Zweifelsfall

Infinitivgruppen und Konkurrenzkonstruktionen

Beispiel
Bezugsinstanz Hamburg, Zeitungssprache, Hansjakob - Heinrich, Spangenberg - Pauline, Kügelgen - Wilhelm von, Lessing - Gotthold Ephraim, Merzbacher - (?), Pröll - Karl, Bartsch - Rudolf Hans, Redewendung/Sprichwort, Rodenberg - Julius, Schiller - Friedrich, Literatursprache, Storm - Theodor, Elsmere - (?), Dürckheim - Ferdinand Graf Eckbrecht von
Bewertung

allgemein anerkannt, an der drolligen Wirkung schuld, An solchem Widerspruche leiden, Beziehung sicher, darf, Darf bezogen werden, das Unbehagen wird noch erhöht, eigenartigen, einander geradezu widerstreben, erst- oder einmaligen, fehlt jede Kennzeichnung, formelhaft, Frequenz/so geläufige, Frequenz/unzählige, Fügung meist unklar und tadelnswert, Gar ungeheuerlich wird, grammatisch richtig, kein Mißverständnis aufkommt, liegt es psychologisch näher, muß überhaupt grammatisch möglich heißen, Niemand wird auch nur einen Augenblick über die Beziehung im Zweifel sein, nimmt man ohne weiteres, nur dann ohne Anstoß, richtig, sehr belehrend, selbstverständlich, sofort unzulässig erscheinen, Störend wirkt, unebenmäßig, völlig in der Luft schwebt, zu komischen Wirkungen hinreicht

Intertextueller Bezug