Die Bildervermengung

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 286 - 288

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Rhetorische Figuren und ihr Gebrauch

Genannte Bezugsinstanzen: Stettenheim - Julius, Literatursprache, Zeitungssprache, Berlin, Schulsprache
Text

Bei dem Worte Bildervermengung denkt wohl jeder an Wendungen wie: das ist wie ein Tropfen auf einen hohlen Stein, oder: er wurde an den Rand des Bettelstabes gebracht, oder: der Zahn der Zeit, der schon so manche Träne getrocknet hat, wird auch über dieser Wunde Gras wachsen lassen — und meint, dergleichen werde wohl beim Unterricht als abschreckendes Beispiel vorgeführt, komme aber in Wirklichkeit nicht vor. Zeitungen und Bücher leisten aber fast täglich ähnliches; gilt es doch für geistreich, möglichst viel in Bildern zu schreiben! Oder wäre es nicht ebenso lächerlich, wenn von einer Nachricht gesagt wird, daß sie wie ein Donnerschlag ins Pulverfaß gewirkt habe, wenn in einem Aufsatz über das Theater von gaumenkitzelnden Trikotanzügen gesprochen wird, oder $Seite 287$ wenn es in einem Börsenberichte heißt: der Verkehr wickelte sich in ruhigem Tone ab, in dem Bericht über eine Kunstausstellung: was bei den Russen zum Zerrbilde des Fanatismus geworden ist, leuchtet bei den Spaniern als Flamme der Begeisterung, oder wenn gar geschrieben wird: wo finden wir einen roten Faden, der uns aus diesem Labyrinth hinausführt? Auch folgende Beispiele sind, wie ausdrücklich bemerkt sein mag, nicht erfunden, sondern aus Zeitungen und Büchern gesammelt: das politische Knochengerüst, über dessen Nacktheit durch eine schöne Verbrämung hinweggetäuscht werden soll — unsre Universitäten sind wie rohe Eier: sobald man sie antastet, stellen sie sich auf die Hinterbeine — Prinz Ferdinand hat schon im ersten Jahre seiner Regierung manches Haar in seiner Krone gefunden — alle diese Mitteilungen schweben in der Luft, aus der sie geschnappt sind (in der Luft schweben, aus der Luft greifen, nach Luft schnappen) — das ist eins jener Kolumbuseier, deren der Genius Shakespeares verschiedne ausgebrütet hat — das sind vom nationalökonomischen Gesichtswinkel aus in kargem Gerippe die geistreich variierten Grundzüge seiner Lehre — die Millionen fliegen zum Fenster hinaus und leeren das Reichsfaß bis zum Boden — natürlich muß das Pflaster auf die verschiednen kalten Wasserstrahlen gegen ihre Eitelkeit ein wenig gekitzelt werden — dieses Schreckgespenst ist schon so abgedroschen, daß nur noch ein politisches Wickelkind darauf herumreiten kann — um ihrem geschwächten Parteimagen neue Nahrung zuzuführen, angeln sie in dem Wasser des Bauernbundes nach faulen Fischen — es wäre sehr zu wünschen, daß die Regierung diesem alten Zopf einmal gründlich den Star stäche.

Dergleichen erregt ja nun die Heiterkeit auch des gedankenlosesten Lesers. Ein Berliner Schriftsteller hat sich sogar (unter dem Namen Wippchen) jahrelang planmäßig dem Anbau dieses Sprachunkrauts gewidmet und große Erfolge damit gehabt. Es gibt aber auch zahlreiche Bildervermengungen, die genau so schlimm sind, $Seite 288$ und die doch von Tausenden von Lesern, auch von denkenden, gar nicht bemerkt werden, weil sie nicht so zutage liegen, sondern etwas verschleiert sind. Unsre Sprache ist überreich an bildlichen Ausdrücken, über deren ursprüngliche Bedeutung man sich oft gar keine Rechenschaft mehr gibt. Schon wenn jemand schreibt: die Sache machte keinen durchschlagenden Eindruck — so lesen sicher unzählige darüber weg, denn Eindruck machen und ein durchschlagender Erfolg sind so abgebrauchte Bilder, daß man sich ihres ursprünglichen Sinnes kaum noch bewußt ist. Und doch liegt hier eine lächerliche Bildervermengung vor, denn einen Eindruck machen und durchschlagen schließen doch einander aus; wenn man das Kalbfell einer Pauke durchschlägt, so ist es mit dem Eindruckmachen vorbei. Ebenso ist es, wenn ein Kritiker von Leistungen eines Schriftstellers redet, die nicht den vollen Umfang seiner Fähigkeiten erschöpfen, denn beim Umfang denkt man an ein Längenmaß, schöpfen kann man aber nur mit einem Hohlmaß. In solchen mehr oder weniger verschleierten Bildervermengungen wird sehr viel geleistet. Man schreibt: die kleinen Staaten werden von der Wucht ganz Deutschlands getragen — er hatte sich in eine solche Schuldenlast gestürzt — diese Maßregel ist von sehr ungünstigem Einfluß begleitet gewesen — als die auf die Hebung der Hundezucht abzielende Bewegung feste Wurzeln geschlagen hatte — bis sie ihm die Unterlage für Börsenspekulationen eröffnet hatten usw.//* Übrigens kann ein Bild auch ohne Vermengung mit andern geschmacklos wirken, nämlich dann, wenn es gar zu sehr ausgetitscht wird; so, wenn es von den Arbeiten, die ein Schriftsteller seinem Verleger einsandte, heißt: jede jährliche Ernte seines Fleißes und Talentes hat er in den Hof des befreundeten Hauses eingefahren.//

Scan
Wustmann(1903) 286-288.pdf


Zweifelsfall

Rhetorische Figuren und ihr Gebrauch

Beispiel
Bezugsinstanz Zeitungssprache, Schulsprache, Literatursprache, Berlin, Stettenheim - Julius
Bewertung

ebenso lächerlich, abgebraucht, lächerlich

Intertextueller Bezug