Anläßlich, gelegentlich usw.
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
---|---|
Seitenzahlen | 399 - 402 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
---|
In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
---|---|
Genannte Bezugsinstanzen: | Sprache der Vereine, Alt, Behördensprache, Sprachverlauf, Zeitungssprache |
Behandelter Zweifelfall: |
Präpositional gebrauchte Substantive, Adverbien und Adjektive |
---|---|
Genannte Bezugsinstanzen: | Leipzig, Sprache der Vereine, Gegenwärtig, Alt, Behördensprache, Sprachverlauf, Gesprochene Sprache, Zeitungssprache, Volk, Umgangssprache |
Text |
---|
Unrettbar dem Schwulst verfallen sind unsre Präpositionen. Als Präpositionen gebrauchte man früher eine Menge kleiner Wörtchen, die aus zwei, drei, vier Buchstaben bestanden. In unsern Grammatiken findet man sie auch jetzt noch verzeichnet, dieses lustige kleine Gesindel: in, an, zu, aus, von, auf, mit, bei, vor, nach, durch usw.; in unserm Amts- und Zeitungsdeutsch aber fristen sie nur noch ein kümmerliches Dasein, da sind sie verdrängt und werden immer mehr verdrängt durch schwerfällige, schleppende Ungetüme, wie: betreffs, behufs, zwecks, seitens, angesichts, mittelst, vermittelst, vermöge, bezüglich, hinsichtlich, rücksichtlich, einschließlich, ausschließlich, anläßlich, gelegentlich, inhaltlich, ausweislich, antwortlich, abzüglich, zuzüglich, zusätzlich, vorbehältlich usw. Wie lange wird es dauern, so wird in unsern Grammatiken auch der Abschnitt über die Präpositionen vollständig umgestaltet werden müssen; alle diese Ungetüme werden als unsre eigentlichen Präpositionen verzeichnet, die alten, wirklichen Präpositionen in die Sprachgeschichte verwiesen werden müssen. Früher wurde einer, der mit einem Messer gestochen worden war, mit einer Droschke ins Krankenhaus gebracht; so wird auch heute noch gesagt. In der Zeitung geschieht es aber nur noch vermittelst eines Messers und vermittelst einer Droschke. Ein herrliches Wort, dieses vermittelst! Dem Anschein nach eine Superlativbildung, aber wovon? Ein Adjektivum vermittel gibt es nicht, nur ein Zeitwort vermitteln. Daran ist aber doch bei vermittelst nicht zu denken. Offenbar ist das Wort in schauderhafter Weise verdorben aus mittels,//* Das t ist dasselbe unorganische Anhängsel wie in jetzt, selbst und Obst. In Leipzig sagt das Volk auch anderst, Rußt, Harzt.// dem Genitiv von Mittel, der in ähnlicher Weise zur Präposition gepreßt worden ist wie behufs und betreffs, zu denen sich neuerdings noch zwecks, mangels und namens gesellt haben — lauter $Seite 400$ herrliche Erfindungen.//* Früher hieß es im Namen des Königs, aus Mangel an genügendem Angebot, jetzt nur noch namens des Königs — mangels genügenden Angebots. Schon der häßliche Gleichklang, der ganz unnötigerweise durch die Häufung der Genitiv-s entsteht, hätte von solchen Bildungen abhalten sollen. Aber manche Leute sind ganz vernarrt in solche Genitive; man denke auch an: anfangs (!) Oktober (vgl. S. 256).// Das Zwischenglied wäre dann mittelst, das es ja auch gibt; fürstliche Personen reisen stets mittelst Sonderzugs, und ein „Etablissement," das früher mit oder durch Gas erleuchtet wurde, wird jetzt natürlich mittelst Elektrizität erleuchtet, Handelsartikel, die früher mit der Hand hergestellt wurden, werden jetzt mittelst Maschinen gewonnen; ja es kommt sogar vor, daß ausgediente Mannschaften mittelst Musik auf den Bahnhof gebracht werden! Daß zu unter anderm auch den Zweck bezeichnet, ist dem Beamten und dem Zeitungschreiber gänzlich unbekannt. Früher verstand man es sehr gut, wenn einer sagte: er ist der Polizeibehörde zur Einsperrung überwiesen worden — die Nummern sind zur Registrierung beigefügt; jetzt heißt es nur noch: behufs oder noch lieber zwecks Einsperrung, zwecks (oder zum Zwecke) der Registrierung, zwecks Feststellung der Krankenkassenbeiträge, zwecks Stellungnahme usw. Behufs Bildung einer Berufsgenossenschaft — behufs Wahrung des Prestiges der italienischen Flagge — ein Bündnis Englands mit Rußland zwecks Niederhaltung Deutschlands— die Leiche wurde zwecks Verbrennung nach Gotha überführt (!) — die Bank hat zwecks Erweiterung ihrer Räume das Nachbarhaus angekauft — die Schülerinnen fallen zwecks Schonung ihrer Augen acht Tage vom Unterricht dispensiert werden und dann zwecks erneuter Untersuchung sich wieder in der Schule einfinden — so hufst und zweckeckeckst es durch die Spalten unsrer Zeitungen. Einen Brief fing man früher an: auf dein Schreiben vom 17. teile ich dir mit —; jetzt heißt es nur noch: antwortlich (oder in Beantwortung oder Erwiderung) deines Schreibens (vgl. S. 170). Früher $Seite 401$ verstand es jedermann, wenn man sagte: nach der Betriebsordnung oder nach den Bestimmungen der Bauordnung, nach dem Standesamtsregister, nach Paragraph 5; das Volk spricht auch heute noch so. In den Bekanntmachungen der Behörden aber heißt es nur: auf Grund der Betriebsordnung, inhaltlich der Bestimmungen der Bauordnung, ausweislich des Standesamtsregisters, und was das allerschönste ist: in Gemäßheit von Paragraph 5, in Gemäßheit des Beschlusses der Stadtverordneten. Also statt einer einsilbigen Präposition ein so fürchterliches Wort wie Gemäßheit, flankiert von zwei Präpositionen, in und von! Früher sagte man: nach seinen Kräften, bei der herrschenden Verwirrung, durch den billigen Zinsfuß — jetzt heißt es: nach Maßgabe seiner Kräfte, angesichts der herrschenden Verwirrung, vermöge des billigen Zinsfußes. Eine Festschrift erschien früher zum Geburtstag eines Gelehrten, beim Jubiläum eines Rektors, zur Enthüllung eines Denkmals, jetzt nur noch aus Anlaß oder anläßlich des Geburtstags, gelegentlich des Jubiläums, bei Gelegenheit der Enthüllung. Bei dem Auftreten der Influenza hat sich gezeigt — in den Verhandlungen über den Entwurf wurde bemerkt — auf der Weltausstellung in Sydney traten diese Bestrebungen zuerst hervor — versteht das niemand mehr? Es scheint nicht so, denn jetzt heißt es: gelegentlich des Auftretens der Influenza — gelegentlich der über den Entwurf gepflognen (!) Verhandlungen — bei Gelegenheit der Weltausstellung in Sydney. Für wegen wird aus Anlaß gesagt: der Botschafter X hat sich aus Anlaß einer ernsten Erkrankung seiner Gemahlin nach B. begeben. Für über heißt es betreffs oder bezüglich: das letzte Wort betreffs der Expedition ist noch nicht gesprochen — die Mitteilung der Theaterdirektion bezüglich der Neueinstudierung des Don Juan war verfrüht. Früher verstand es jeder, wenn gesagt wurde: mit der heutigen Versammlung sind dieses Jahr zehn Versammlungen gewesen, ohne die heutige neun; jetzt heißt es: einschließlich der heutigen Versammlung, ausschließlich der heutigen Versamm- $Seite 402$ lung. Unsre Kaufleute reden sogar davon, was eine Ware zu stehen komme zuzüglich der Transportkosten, abzüglich der Fracht oder zusätzlich der Differenz, statt: mit den Transportkosten, ohne die Fracht, samt der Differenz, was man doch auch verstehen würde, und ein Verein macht bekannt, daß er den Jahresbeitrag zuzüglich der dadurch entstehenden Kosten durch Postauftrag erheben werde, statt samt oder nebst den Kosten. Ein Betrüger ist mit 10000 Mark entflohen — ist das nicht deutlich? Der Zeitungschreiber sagt: unter Mitnahme von 10000 Mark! Endlich: mit Zuhilfenahme von, unter Zugrundelegung von, in der Richtung nach, in Höhe von, an der Hand von (jetzt sehr beliebt: an der Hand der Statistik), was sind alle diese Wendungen anders als breitspurige Umschreibungen einfacher Präpositionen, zu denen man greift, weil man die Kraft und Wirkung der Präpositionen nicht mehr fühlt oder nicht mehr fühlen will. Ohne Zuhilfenahme von fremdem Material — was heißt das anders als: ohne fremdes Material? Der Staatsanwalt machte an der Hand einer Reihe von Straftaten (!) die Schuld des Angeklagten wahrscheinlich — was heißt das anders als: mit oder an einer Reihe? Ist es nötig, daß in Bekanntmachungen einer Behörde geschrieben wird, daß ein gewisser Unternehmer eine Kaution in Höhe von 1000 Mark zu erlegen habe, daß eine Straße neu gepflastert werden solle in ihrer Ausdehnung von der Straße A bis zur Straße B? Sind wir so schwachsinnig geworden, daß wir eine Kaution von 1000 Mark nicht mehr verstehen, uns bei dem einfachen von — bis keine Strecke mehr vorstellen können? Muß das alles besonders ausgequetscht werden? Rührend ist es, wenn der „Portier" auf dem Bahnhof ausruft: Abfahrt in der Richtung nach Altenburg, Plauen, Hof, Bamberg, Nürnberg usw. Der Bureaumensch, der das ausgeheckt hat, verdiente zum Geheimen Regierungsrat ernannt zu werden! Er wird es längst sein. Bei einem bloßen nach könnte sich ja ein Reisender beschweren und sagen: Ich wollte nach Gaschwitz, das ist aber nicht mit ausgerufen worden, nun bin ich sitzen geblieben. Aber in der Richtung nach — da kann sich niemand beschweren. |
Zweifelsfall |
Präpositional gebrauchte Substantive, Adverbien und Adjektive |
---|---|
Beispiel | |
Bezugsinstanz | Zeitungssprache, Behördensprache, Sprachverlauf, Alt, Leipzig, Volk, Umgangssprache, Gegenwärtig, Gesprochene Sprache, Sprache der Vereine |
Bewertung |
dem Schwulst verfallen, schwerfällige, schleppende Ungetüme, herrliches Wort, in schauderhafter Weise verdorben, unorganische Anhängsel, häßlicher Gleichklang, unnötigerweise, das allerschönste, fürchterlich, so schwachsinnig |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
---|---|
Beispiel | |
Bezugsinstanz | Zeitungssprache, Behördensprache, Sprachverlauf, Alt, Sprache der Vereine |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |