Das Fürwort *2

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 144 - 150

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Unsicherheit
Text

Ein ähnlicher Schmarotzer wie derselbe ist das falsch gesetzte solcher, das sich schon seit ziemlich langer Zeit in die Stelle des persönlichen Fürworts oder andrer Redeteile eingedrängt hat. ,Ich habe einen herrlichen Garten und will dir solchen zeigen. — Ich habe dein Buch empfangen und solches sogleich mit dem größten Vergnügen gelesen. — Zu ihrem Hochzeitstage trafen Hunderte von Depeschen ein, darunter auch eine solche aus Südamerika. — Man entdeckt bei genauer Prüfung mancher Gedichte, daß solche einfach andern nachempfunden sind. — Unter meinen vielen Freunden befand sich auch ein solcher, der mir nicht nur riet, sondern auch half. — Gestern habe ich Tabak aus Kuba geraucht, heute einen solchen aus Schwedt.' Der Leser wird solche (!) Sätze selbst ohne weiteres in gutes Deutsch umwandeln.

Nichts einzuwenden ist gegen solcher in folgendem Satze: ,Die Schrift als solche geht uns hier nichts an, sondern nur in ihrem Zusammenhang mit der Aussprache.' Von den Berufstadlern getadelt wurde auch diese nützliche und sprachgemäße Anwendung, die sich in den meisten neueren Sprachen findet. — Daß gegen ,solch guter Mann' nichts einzuwenden ist, so wenig wie gegen ,welch guter Mann' , muß wohl eigens gesagt werden.

Selbst ist doppelsinnig: es ist außer dem Fürwort selbiger, derselbe ein Umstandswort in der Bedeutung sogar, und es gibt Fälle, wo bei Unachtsamkeit Doppeldeutigkeit entstehen kann: ,Er hat selbst diesen Unfug straflos hingehen lassen.' Die Redesprache unterscheidet leicht durch die verschiedene Tonverteilung, die Schrift bedarf andrer Unterscheidungsmittel. Man helfe sich durch selber, dem der Sinn sogar nicht innewohnt. Daß selber nicht so fein wie selbst sei, ist ein unhaltbarer Aberglaube.

Doppeldeutigkeit des Satzes kann auch durch Mangel an Vorsicht bei dem doppeldeutigen sich entstehen, das sowohl $Seite 145$ sich selbst wie einander, gegenseitig bezeichnet. ,Die Liebe der Eltern und Kinder zu sich ist die Grundlage aller Gesittung' ist noch zur Not verständlich, man wird hier wohl sich als einander auffassen; aber hart und bei flüchtigerem Lesen halbdunkel bleibt solcher Satz. ,Die Römer und die Karthager haben sich viele Jahre lang bekämpft' wird richtig aufgefaßt werden; wie aber: ,Die Bewunderung dieser drei hochbegabten Geschwister für sich geht über alles Maß hinaus' ? Hier ist sehr wohl die Bedeutung möglich: ,eines jeden für sich selbst' . In Schillers Versen: ,Wenn sich die Fürsten befehden, Müssen die Diener sich morden und töten' ist der gewollte Sinn einander durch den Zusammenhang des Dramas gesichert. Einander (oder gegenseitig, wechselseitig) braucht nicht ohne Not zu stehen, darf aber in keinem Zweifelfalle fehlen.

Man beachte: man kann sagen ,Wir haben einander so lieb, Wir wollen einander verzeihen' ; aber jedes feine Ohr hört aus ,Sie waren einander würdig, Man wird bei so kurzer Begegnung einander nicht froh, Die Beiden spotten einander' einen ganz gemeinen Sprachfehler heraus. Also: ,Sie waren einer des andern würdig' oder in andrer Fügung.

Was bedeutet: ,Die Parteien waren sehr geneigt, sich eine Art Mitverantwortung beizumessen' ? Doch nur: jede Partei sich selbst. Soll gemeint sein, eine Partei der andern, so muß es heißen: ,einander . . beizumessen' . Kein Lateinschreiber würde in solchem Falle sibi setzen; warum wohl schreibt mancher im Deutschen sich?

Aus den Schwankungen des Sprachgebrauches bei was und das in Bezugsätzen (Das Haus, das [oder was?] ich gesehen habe; Für alles, was [oder das?] du an mir getan, sage ich dir innigen Dank; Für das Gute, das [oder was?] du an mir getan . .) kann man durch eine feste Regel herauskommen, was (nicht das!) dringend zu empfehlen ist. Nach einem bestimmten einzelnen Sachenwort sächlichen Geschlechts, einem echten Hauptwort wie: das Haus, das Buch, das Lied steht das: ,Das Lied, das (nicht was!) sie gesungen, Das Buch, das ich gelesen ..; Das Haus, das ich gesehen ..' Ebenso nicht: ,Das Mädchen, was .., sondern das .. Nach einem unbestimmten Zahlwort, einem allgemeinen Sachwort, unechtem Hauptwort: (,alles, vieles, Gutes, Schlechtes, Nützliches' ) kann ebenso wohl das wie was Stehen: $Seite 146$ ,Alles, was (oder das, aber weniger bräuchlich) ich von euch gehört habe; das Unerhörte, das (oder was) mir widerfahren ist..; das Ärgste, das (oder was) er mir antun konnte..' Je weniger bestimmt hauptwörtlich, je allgemeiner das Wort ist, wozu der Bezugsatz gehört, desto mehr neigt sich der Gebrauch zu was: vieles was, alles was, nichts was; aber selbst in diesen Fällen ist das nicht unbedingt falsch.

Wird über den Gesamtinhalt eines voraufgehenden Satzes durch einen anknüpfenden Bezugsatz geurteilt (Er hat mich gestern lange besucht, was mich sehr freut; Goethe und Schiller haben viele Jahre hindurch in innigster Freundschaft miteinander gelebt, was für uns zu einem ewigen Gewinn geworden; Er hat sich eine zu große Schärfe und einen leidenschaftlichen Ton angewöhnt, was ihm bei vielen schadet), so steht nur was.

Abweichungen von diesen paar durchgreifenden Regeln kommen gelegentlich bei guten Schriftstellern, besonders älterer Zeit, vor, ändern aber nichts an der Geltung eines steten Gebrauchs, der als solcher durch die weit überwiegende Ausdrucksform der Besten anerkannt wird. Wir empfinden heute Freytags Satz: ,Das Gut, was der Vater hinterlassen hat' zum mindesten als eine arge Nachlässigkeit.

Zu was ist dieselbe Warnung zu erlassen wie zu andern Wortformen mit verschiedener Fallbedeutung (vgl. S. 91): man halte den 1. und den 4. Fall auseinander. ,Was ich bin und was ich habe ..' , nicht: ,Was ich bin und habe' , obwohl dergleichen in der mündlichen Rede durchgeht; das Auge urteilt anders als das Ohr.

Falsch sind: ,Aus was besteht . ., Mit was beschäftigst du dich?, Von was spricht sie?' Es muß heißen: woraus, womit, wovon. Selbst statt des richtigen ,durch was' steht besser wodurch, statt ,an was' besser woran. Dies gilt trotz vereinzelten Abweichungen bei guten Schriftstellern: Zu was die Posse? (Goethe), In was besteht der Zauber? (Hauff).

Gibt es ein erlaubtes Wort worum? Es ist schwer zu begreifen, wie ein so gutes und nützliches Wort nahezu aus dem Gebrauch verschwinden, wohl gar in den Geruch der Unzulässigkeit oder Unbildung kommen konnte. Worum steht ebenso für um das (um was) wie worin für in was, worauf für auf was usw. ,Das Buch, $Seite 147$ worum ich Sie gebeten . .; Der Acker, worum man sich stritt; Worum handelt es sich?' sind ebenso untadliges, ja sogar flüssigeres Deutsch als die aufgelösten Formen: um das, um den, um was. Nicht zu verwechseln natürlich mit dem Fragewort warum? = weshalb? ,Warum streiten sich die Leute? Es ist des Kaisers Bart, worum sie sich streiten. — Warum bitten Sie denn grade mich? — Worum handelt es sich? — Die Summe, worum er ihn ersuchte. .'

Man hat getadelt: ,Was ist die Uhr?' Alle Welt spricht so; aber alle Welt spricht falsch, nur ich spreche richtig — sagt der Sprachzuchtmeister. ,Was ist die Uhr?' ist genau so richtig wie ,Wie viel ist die Uhr?' und ,Wie viel Uhr ist es?', nur mit dem Unterschiede, daß ,Was ist die Uhr?' gebräuchlicher ist.

Was als Abkürzung von etwas: ,Ich weiß was ganz Neues, Er hat mir was vorgemacht, Ich will dir was sagen' ist kein Fehler in der Umgangsprache, eine Nachlässigkeit in der höhern Schriftsprache.

Der Zweitfall von was heißt wessen (oder wovon), in der gehobenen Sprache nach dem Vorbilde alter fester Wendungen wes: ,Wes Geistes Kind, Wes das Herz voll ist ..'

Sind in ,Ich bin es müde, über Sklaven zu herrschen; Ich bin es satt; Ich bin es zufrieden; Er wird es nicht froh; Er will es nicht Wort haben; Er hat es keinen Hehl (Schiller); Da war ich's erst gewiß (Goethe); Ich erinnere mich's (Schiller); Wir haben es acht' — sind alle diese vierten Fälle von es nicht grundfalsch? Sie sind nicht falsch, sondem bestes Deutsch: es ist nämlich in solchen Fügungen gar kein vierter Fall, sondern ein noch erhaltener alter zweiter (im Mittelhochdeutschen es), und wir sollten alle solche markige Ausdrücke liebevoll bewahren. Hieraus folgt natürlich nicht, daß wir schreiben dürfen: ,Ich bin den Vertrag zufrieden, Ich bin das Lesen überdrüssig.' — Auch ,Dem ist nicht so' ist nicht falsch, sondern eine gute alte, schon mittelhochdeutsche Ausdrucksform.

Die sprachgeschichtlich begründete Beugung von jemand (und niemand) ist: jemand, jemands, jemand, jemand; beide sind Zusammensetzungen mit Mann. Im Mittelhochdeutschen wurde diese Entstehung noch deutlich gefühlt, also lautete der dritte Fall (nach man = Mann): iemanne, niemanne, der vierte: ieman, nieman. Dieser Zusammen- $Seite 148$ hang ging späteren Geschlechteren allmählich verloren und ist heute wohl den Sprachforschern bekannt, dem Sprachgefühl des Ungelehrten nicht mehr bewußt. Die aus dieser Entwicklung erklärbare Beugung jemand (niemand), jemands, jemandem, jemanden, die sich auch bei unsern Klassikern findet und heute zu überwiegen beginnt, ist daher nicht falsch zu nennen; sie geht namentlich im dritten Fall (jemandem, niemandem) aus dem gewiß nicht tadelnswerten Streben hervor, das Beugungsverhältnis klarer zu bezeichnen.

Wie lautet die Beugung des unbestimmten Fürwortes man? Es gibt keine, aber es gibt gute Ersatzwörter; die besten sind die Beugeformen von einer, eines, einem, einen. ,Wenn man die Gesundheit eingebüßt, so freut einen nichts mehr. — Was man nicht besitzt, kann einem nicht gestohlen werden. — Man muß sich nicht danach (ebenso gut: darnach) richten, was einem das Bequemste ist.' Auch die vielfach bemängelten uns, unser können mit einiger Vorsicht zur Fortführung von Sätzen mit man verwendet werden; Lessings ,Man kann noch so wortreich sein, gewisse Leute werden uns nicht verstehen' ist einwandfrei, und einen Satz wie ,Fragt man sich, was von uns in dieser Hinsicht verlangt wird, so . .' kann man nicht hart oder dunkel nennen. Hart wird dieser Gebrauch nur da, wo ohne Not zu dem mehrheitlichen uns, unser gegriffen wird, wo ihm also ein wir im leitenden Satz entsprechen müßte. In Lessings Satze steht mit gutem Grunde man, weil die Unbestimmtheit des Personenkreises beabsichtigt war, Lessing nicht gleich von sich sprechen wollte; es ist eine Feinheit, daß er erst im zweiten Gliede mit uns, also mit sich selbst, kommt.

Darohne — schlechter daohne — ist eine erlaubte, ja gute Form statt ohne das, nun gar statt ohne dasselbe; es kommt auch in der festen Wendung ,es ist nicht darohne' vor und bedeutet dann: . . nicht ohne Grund, für nichts und wider nichts, also wie die Redensart ,Das ist nicht ohne' in der gemütlichen Umgangsprache (vgl. S. 11).

In der alten erhabenen Sprache steht so im Bezugsatze statt was oder der die das: ,Segnet die, so euch verfluchen' . Wer dies nachahmen will, bedenke wohl: Eines schickt sich nicht für alle, und prüfe sich samt dem, was er zu sagen vorhat. In besondern Fällen ist es noch heute zulässig, weil wirksam. — Dasselbe gilt von so in der Bedeutung wenn.

$Seite 149$ Mit der Bemerkung ,Kanzleiwort' , wie oft geschehen, ist derjenige nicht abgetan, wenigstens nicht in der Schriftsprache. Es ist schleppend, es ist nicht unbedingt nötig, denn der (betont, also gedehnt) genügt. Dies trifft aber nur für die Redesprache zu, wo man jede scharfe Hervorhebung eines Wortes auf die einfachste Weise bewirken kann: durch die wandlungsfähige menschliche Stimme. Will man dem Leser ein einzelnes Wort besonders ans Herz legen, so versagt die geschriebene Sprache zuweilen selbst da, wo man durch kluge Wortstellung hervorhebt oder dämpft. Es bleibt einem (oder: uns!) in solchen Fällen nichts übrig, als im Druck zu sperren, und es gibt viele Schreiber, grade die besten, die zu diesem Mittel aus Schönheitsgründen nur höchst ungern greifen (vgl. S. 327). Für diejenigen (!), die die Sperrung vermeiden wollen, ist derjenige ein nicht zu verschmähendes Mittel, wenngleich nicht das einzige. Allerdings zieht der Sprachmeisterer, welcher (!) derjenige grundsätzlich verwirft, die die die vor, also hätte ich soeben schreiben sollen: ,Für die, die die Sperrung . .' So schreibe ich nicht, und so zu schreiben empfehle ich nicht (vgl. S. 143). — Kein gutes Ersatzwort, vielmehr ein ganz schlechtes, ist das österreichische jener: ,Jene Abnehmer, welche die Zeitung zweimal zugestellt wünschen . .' (vgl. S. 69). Dieses durchaus verkehrte jener wird in Österreich sogar oft für tonloses der (die das) gebraucht: ,Die Formenlehre des Englischen ist einfacher als jene (die) des Deutschen.' Wie mag sich wohl erklären, daß die österreichischen Schriftsteller diese Unart, die ihnen in jeder deutschen Sprachlehre vorgehalten wird, durchaus nicht ablegen wollen? Sie stützt sich auf keine Erscheinung der ältern Sprache, auf keinen deutschen Dichter von Namen, auch nicht auf Lenau oder Grillparzer. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie eine Franzoserei: falschübersetztes celui, ceux.

Es ist zwar mehr eine Stil- als eine Formfrage, soll aber schon hier berührt werden: Faust durfte sagen ,Habe nun, ach! Philosophie . .' , und Dichter dürfen nach Belieben ich, ja selbst alle persönlichen Fürwörter im 1. Fall weglassen; der gewöhnliche Schreiber hüte sich vor dieser Nachlässigkeit, die auf jeden Menschen von Geschmack abstoßend wirkt (vgl. S. 353).

,Dem sein Vater' — nur in der Volkssprache, nicht in der guten Umgangs-, geschweige Schriftsprache. Goethe durfte $Seite 150$ sich erlauben: ,dem König seine Braut' ; wir dürfen es nicht. Ähnlich steht bei Goethe: ,Des Teufels sein Gepäck' ; bei Lessing: ,der Alten ihre Denkungsart' ; bei Mörike in einem absichtlich volksliedartigen Gedicht (Storchenbotschaft): ,Des Schäfers sein Haus und das steht auf zwei Rad.'

Das beugungslose anders in wem anders ist ebenso richtig wie in wer anders; mit niemand anders so gut wie niemand anders. Allerdings darf es auch heißen: für niemand andern. Anders ist Umstandswort (aus einem Zweitfall) und bedeutet sonst. Beide Ausdrucksformen stehen gleichberechtigt nebeneinander: niemand (jemand) andrer und niemand anders; dagegen nicht: wem anderm, wen andern, sondern besser: wem (wen) anders.

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Engel(1922) 144-150.pdf


Zweifelsfall

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Beispiel
Bezugsinstanz Sprachverlauf, Alt, Gesprochene Sprache, Schriftsprache, Schiller - Friedrich, Schreiber guten Stils, Freytag - Gustav, Goethe - Johann Wolfgang, Hauff - Wilhelm, Ungebildete, Umgangssprache, Gehobene Sprache, Literatursprache, Mittelhochdeutsch, Gegenwärtig, Ungelehrte, Lessing - Gotthold Ephraim, Fachsprache (Klassische Sprachen), Österreich, Lenau - Nikolaus, Grillparzer - Franz, Umgangssprache, Schriftsprache, Mörike - Eduard
Bewertung

ähnlicher Schmarotzer, falsch gesetzt, unhaltbarer Aberglaube, schwer zu begreifen, bestes Deutsch, gemütliche Umgangssprache, schleppend, nicht unbedingt nötig, ganz schlechtes Ersatzwort

Intertextueller Bezug