Das Umstandswort *4

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 163 - 168

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Unsicherheit
Text

Die deutsche Sprache hat zwei deutlich unterscheidbare und deutlich unterscheidende Umstandswörter zur Bezeichnung zweier Bewegungen, die man nicht miteinander vertauschen darf: herum und umher. Herum bedeutet: rundum, im geschlossenen Kreise, rundherum; umher: nach allen Seiten, ausstrahlend, nicht kreisförmig. Gäste sitzen um eine Tafel herum und bewegen sich nach Tische im Speisesaal umher; der Plumpsack geht herum; die Erde dreht sich um ihre Achse herum; die Menschen gehen auf der Erde umher; es geht im Gesellschaftsspiel die Reihe herum. Eine so nützliche Unterscheidung sollte nicht verwischt werden; sie beginnt schon sich zu trüben, man hört öfter: ,Er treibt sich herum' , was falsch ist, als ,Er treibt sich umher' . Man schärfe sein Sprachgefühl und unterscheide richtig.

Manche glauben, wo im bezüglichen Nebensatz dürfe nur für Ortsbezeichnungen, nicht für Zeitangaben gebraucht werden, also nicht: ,Die Stunde, wo ich ihn zuerst gesehen' . Dies $Seite 163$ ist durchaus erlaubtes, gutes Deutsch. ,Es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo er dem Weltgeist näher ist als sonst' (Schiller) — untadlig. Also: ,in der Zeit, wo; der 10. November, wo Schiller geboren wurde ..'

In der nachlässigen Umgangsprache, meist aber nur in der niedern, werden dann und denn verwechselt; ja dann tritt hinter denn mehr und mehr zurück. Man kann täglich hören: Und denn sagte ich ihm .. — Ähnlich steht es mit der Verwechslung von wann und wenn in der niedern Verkehrssprache: Wenn kommst du? Wenn werden wir uns wiedersehen? Bis in die Schriftsprache ist dies zum Glück noch nicht gedrungen.

Seltsamerweise glauben manche grade unter den Gebildeten, die Verbindungen daran, dafür, darauf, damit, darunter, darüber, daraus, woran, woraus, wofür usw. seien weniger fein als die Auflösungen: an das, an dem, an der, für das, auf dem, auf das, an welchem (dem), für was usw. Sie sind ebenso fein und sie sind flüssiger, geben namentlich den mit ihnen angeknüpften Bezugsätzen eine größere Bündigkeit. ,Die Frage, worauf (auf die) wir neulich zu sprechen kamen . .Ich habe mich daran (an das) nicht erinnert. — Das Land, wofür (für das) er kämpfte . .Der Fluß, worin (in dem) er ertrank ..Woran (an was) mag er denken?' ,Wovon sprechen Sie'? ist die einzig richtige Form, nicht etwa Von was . . Zu bemerken ist jedoch: diese Verbindungen sind nur zulässig bei Sachen, toten oder lebenden, nicht bei Einzelmenschen. ,Meine Schwester, woran ich eben gedacht ..' ist schlechtes Deutsch, desgleichen: ,Der Freund, womit ich gereist bin ..' Wohl aber kann man sagen: ,Das Pferd, worauf ich ritt ..' Bei Menschenmengen ist die Verbindung erlaubt; das Sprachgefühl empfindet sie als Denkwörter für abgezogene Begriffe und behandelt sie von Sachen: ,Das Regiment, worin er gedient hatte..Das Volk, worunter er lebte ..Die Abgeordneten, wovon die Mehrzahl fehlte ..Der Reichstag hat 397 Mitglieder, wovon die meisten nur Mittelmäßigkeiten, worunter aber einige bedeutende Köpfe.' Also nicht: ,Mein Bruder ist zuverlässig, du kannst dich darauf (auf ihn) verlassen' ; wohl aber: ,Dieses Volk ist treu, du kannst darauf bauen.'

An Vordersätze mit davon, damit usw. darf nicht mit $Seite 165$ was angeknüpft werden, also nicht: ,Ich weiß nichts davon, was du mir erzählt hast.' In solchen Fällen muß es heißen: von dem (mit dem), was ..

Auch wie dient in Bezugsätzen zur bequemen Verknüpfung und vermag Verbindungen mit Vorwörtern zu ersetzen. ,Die Art, wie er sein Unglück ertrug ..' ist flüssiger und mehr gesprochene Sprache als ,Die Art, in (mit) der er ..'

Man hüte sich in der Schrift- und gewählten Umgangsprache vor der Trennung der meisten obigen Verbindungen; sie gehört fast nur der Volksprache an. Also nicht: ,Da kann ich nichts für (vor); Da hat er Angst vor; Da bin ich nicht zufrieden mit; Wo kann ich das mit machen. Da weiß ich nichts von.' Gegen die alte feste Fügung ,Da sei Gott vor!' ist natürlich nichts einzuwenden; ebensowenig gegen die volkstümliche Redensart: ,Da beißt die Maus keinen Faden von ab.' Und der Dichter durfte sagen: ,Wo kommst du her in dem roten Kleid?' Offenbar fließen solche Bequemlichkeiten aus dem Geiste der germanischen Sprachen: sie kommen im Skandinavischen und besonders im Englischen als gebildete Ausdrucksformen vor und waren im ältern Deutsch bis auf Luther Schriftsprache.

Darin (drin), darein (drein), sind streng auseinander zu halten, desgleichen worin, worein. Der Unterschied ist derselbe wie zwischen dem 3. und 4. Fall bei den doppelfügigen Vorwörtern in, an, auf usw. Darin (drin) steht auf die Frage Wo?, darein (drein) auf die Frage Wohin? Daher mit Recht nur dreinschlagen. ,Er weiß darin Bescheid. Er muß sich darein oder drein (da hinein) finden (fügen). — Worin liegt das Kleid? Worein (wo hinein) hast du es gelegt?Zeig' her die Hand, was ist darin (drin)?Was hast du ihm drein gelegt?Worin besteht das wahre Glück?Ich setze es nicht darein, Geld und Gut zu haben.Ich befinde mich darin.Ich finde mich darein (drein). Einen so unverwischbaren Unterschied darf kein guter Schreiber oder Sprecher mißachten, so wenig wie den zwischen ,Ich sitze auf der Bank, Ich setze mich auf die Bank.'

Warum und Wieso sind einander sehr ähnlich, aber nicht völlig gleich. Man kann gleich gut sagen: Warum oder Wieso bist du traurig? In Bezugsätzen verdient warum den Vorzug: ,Ich weiß nicht, warum du traurig bist.' Der Unterschied ist gering, aber er ist da.

$Seite 166$ Wer etwa nicht wissen sollte, daß wowegen (statt weswegen) schlechte Umgangsprache ist, der erfahre es hiermit.

Weshalb steht richtig auch als bezügliches Für- oder Umstandswort: ,Der Grund, weshalb (oder warum) ich dir das sage . .' und dient ähnlich wie ,woran, worin' usw. (vgl. S. 164) zur bequemeren Verbindung als mit der aufgelösten Wendung ,aus dem' .

Trotzdem ist ein Umstands-, kein Bindewort, wird aber jetzt mehr und mehr als Bindewort, also ohne daß gebraucht. Die richtige Fügung müßte lauten: ,Trotzdem, daß ich ihn himmelhoch bat ..' ; geschrieben wird meist: ,Trotzdem ich ..' Man behandelt es wie obgleich, und dieser eigentlich falsche Gebrauch nimmt so überhand, daß man ihn schwerlich mehr wird beseitigen können. Das Gleiche gilt von zumal, das richtig nur mit da verbunden stehen dürfte: ,Ich kann ihn heute nicht empfangen, zumal da ich ihn gestern zweimal gesprochen habe.' Auch hier muß ein fast vollzogener Wandel des Sprachgebrauchs festgestellt, — beklagt, aber geduldet werden. Der Einzelne kann sich, wie in allen solchen Fällen, dagegen nur wehren, indem er selbst das Richtige schreibt.

Dessenungeachtet ist die offenbar sprachrichtigere Form; doch kommt demungeachtet bei sehr guten Schriftstellern, z. B. bei Goethe, vor und gewinnt in der Redesprache jetzt das Übergewicht. — Währenddem, ohnedem sind stehengebliebene feste Wendungen aus der Zeit, wo während und ohne, gleich manchen andern Vorwörtern (vgl. S. 170), andre Fälle nach sich hatten als heute. Sie waren einst ganz richtig, erscheinen infolge des Sprachwandels heute falsch und verschwinden aus der guten Schriftsprache.

Gerne gern; heute heut; von ferne, von fern — es lohnt nicht, streng zu scheiden. ,Es sei ferne von mir' ist die überkommene Form und darf gelten. In der Umgangsprache wird heute vor Selbstlautern, aber auch sonst meist gekürzt, und in fester Wendung wie heutzutage ist es Regel. Gern ist gut, gerne kein Fehler.

Balde ist die dichterische Form; in der Prosa steht nur bald. Die Steigerung bälder von bald ist ungewöhnlich und wird meist durch eher, früher ersetzt. Auch als Beiwort gilt bälder nicht für beste Schriftsprache.

Es gibt Sprachlehren, worin (in denen) beinahe für die richtigere Form gegenüber beinah erklärt wird. Beinah $Seite 167$ ist genau so gut wie beinahe; gesprochen wird fast nur beinah, — also darf auch so geschrieben werden.

Es heißt irgend, nirgend; die Form nirgends ist eine Nachlässigkeit, die weder in der gepflegten Umgangs- noch Schriftsprache vorkommen sollte, aber — sehr häufig vorkommt.

Neuerdings bedeutet nur: neulich, jüngst, in neuerer Zeit, aber nicht: aufs neue, abermals.

Man unterscheide genau mittwochs und Mittwoch. Der Unterschied ist ähnlich dem zwischen .. lich und . . ig. (S. 120): die Formen auf s sind Umstandswörter, bezeichnen die wechselnde Wiederkehr; die ohne s sind vierte Fälle und bezeichnen den einen Zeitpunkt, die Dauer.

Einst gilt für Vergangenheit wie Zukunft und kann dadurch Mißverständnisse erzeugen — man sei achtsam!

Von einem bedeutenden Germanisten, von dem man nie einen Tadel gegen ein Welschwort gehört, wurde ohnehin heftig getadelt. Will man auch mithin, vorhin, obenhin, schlechthin verwerfen? Ohnehin ist ein gutes, nützliches Wort und soll in Ruhe gelassen werden (vgl. S. 31).

Zweifelsohne wird meist für eine schlechte Neubildung gehalten und auf den Vers eines Schulrats Wantrup ,So reinlich und so zweifelsohne' (1865) zurückgeführt. Das Wort ist viel älter, darum aber nicht besser; es taugt nicht für die gute Schriftsprache, wird auch meist halbspöttisch gebraucht.

Drollig ist eigentlich das Wort ungleich bei Steigerungen: ,Sie ist ungleich schöner als ihre Schwester.Eine ungleich größere Stadt als alle andern.' Es ist wohl die Kürzung von unvergleichlich, wirkt genau betrachtet sinnlos, aber — die Meisten betrachten es eben nicht genau. Es ist ein Schrei-und Modeflickwort wie manches andre und sollte von keinem guten Schreiber gebraucht werden.

Hienieden ist gutes Deutsch; hie und da ist nicht falsch, aber hievon ist schlechte Sprache.

Auf oder offen? Kann man, darf man sagen: ,Das Fenster steht auf?' Es wird gesagt, aber gut ist es nicht; es ist gebildet nach dem richtigen ,Die Tür geht auf' , also sagt man auch: ,Die Tür steht auf, Das Fenster steht auf' . Im guten Deutsch heißt es: ,Das Fenster ist (steht) offen' . Ebenso: ,Laß offen!' , aber ,Mach' auf!' , denn es heißt nicht ,die Tür auflassen' , sondern ,offen lassen' , wohl aber in der $Seite 168$ Umgangsprache ,die Tür aufmachen' ; in der höheren Schriftsprache: ,.. öffnen' .

Bislang, neben bisher, wurde als hannöverscher ,Provinzialismus' getadelt. Es hat sich von den Volksvertretungen her, worin hervorragende hannöversche Redner saßen, so stark verbreitet, daß es heute in ganz Deutschland schriftsprachlich geworden ist. — Seither wird oft fälschlich für ,bis jetzt' gebraucht; es bedeutet nur: seitdem.

Verwechselt werden häufig scheinbar und anscheinend, sollten aber streng unterschieden werden; scheinbar erweckt einen falschen Anschein, anscheinend bezeichnet eine ziemlich annehmbare Vermutung: ,Es liegt scheinbar ein Raub vor' (es ist aber keiner, sondern etwas ganz andres); ,Es liegt anscheinend ..' (und so wird es wohl in Wahrheit sein).


Zweifelsfall

scheinbar oder anscheinend

Beispiel
Bezugsinstanz
Bewertung
Intertextueller Bezug



Zweifelsfall

Gebrauch von wo

Beispiel
Bezugsinstanz Schiller - Friedrich, Schreiber guten Stils
Bewertung
Intertextueller Bezug




Zweifelsfall

Wortbildung: Adverbien auf -s

Beispiel
Bezugsinstanz Umgangssprache, Schriftsprache
Bewertung
Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

auf oder offen - zu oder geschlossen

Beispiel
Bezugsinstanz Schreiber guten Stils, Gehobene Sprache, Umgangssprache, Schriftsprache
Bewertung
Intertextueller Bezug