Das Vorwort *1

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 172 - 176

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Unsicherheit
Text

Für die Vorwörter mit nur einem feststehenden Beugefall sollten kaum Zweifel und Schwankungen bestehen; dennoch machen allerlei häufig vorkommende Nachlässigkeiten einige Bemerkungen auch zu dieser Gruppe der Vorwörter wünschenswert.

Bei außer ist der Drittfall die Regel: ,Ich bin außer mir' , aber auch: ,Er hat mich außer mir gebracht, Ich bin ganz außer mir geraten.' Verstöße hiergegen, also ,. . außer mich gebracht' kommen ziemlich häufig vor, werden aber von den besten Sprachlehrern und, was wichtiger ist, von dem vorherrschenden besten Sprach- und Schriftgebrauch abgelehnt. Der Irrtum rührt her von dem Einfluß der Zeitwörter der Bewegung, die bei Vorwörtern mit doppelter Fallbeugung den 4. Fall fordern, wenn eine Zielrichtung zu bezeichnen ist, und er wird bei den persönlichen Fürwörtern unterstützt durch die Gleichform sich für Dritt- und Viertfall. Die Ausnahmen in der festen Verbindung ,außer Landes verweisen' und ,außer allen Zweifel gesetzt' ändern an der sonst durchgehenden Fügung von außer mit dem Drittfalle nichts. Wenn ein sonst guter Schriftsteller einmal ,außer die Mode gekommen' schreibt, so ist er eben einmal unachtsam gewesen: nichts zwang ihn, so zu schreiben, denn er konnte sich z. B. mit ,aus der Mode' helfen.

Bei binnen hat sich der Zweitfall mehr und mehr die Gleichberechtigung neben dem Drittfall erobert: ,binnen dreier Tage' und ,binnen drei Tagen' sind beide gut, ,binnen drei Tage' ist aus dem früher (S. 171) erwähnten Grunde ungut.

Für bis ist die Unterscheidung der Fälle mit und ohne Vorwort von Wichtigkeit. Das ergänzende Vorwort (in, an, vor, zu, auf, über usw.) kann vor Ländern und Städten fehlen, wenn keine Bewegung, also keine Zielrichtung ausgedrückt werden soll, sondern nur eine Entfernung: ,Bis Berlin sind es noch zwei Kilometer, Von Hamburg bis England dauert es 24 Stunden, Bis Köln ging alles glatt.' Sonst dagegen: ,Ich reise bis nach England.' Ebenso bei $Seite 173$ andern Zielangaben: ,Er ging bis an die Tür, Der Mantel geht ihr bis auf die Knöchel.' Bei Zeitangaben kann das zweite Vorwort fehlen in Wendungen wie: ,bis heute, bis morgen', bis Montag, bis Weihnacht' , ja auch: ,bis diesen Tag, bis vorige Woche, bis nächstes Jahr, bis nächsten Dienstag' . Hingegen kann man in gutem Deutsch nicht sagen oder gar schreiben: ,Bis zehnten Januar sind es noch zwei Wochen' , sondern nur ,Bis zum . .' Der Sprachgebrauch neigt zusehends zur Weglassung des zweiten Vorworts; bis, das halb Umstands-, halb Vorwort ist, wird mehr und mehr zum vollen Vorwort. Man liest jetzt oft: ,Er reiste bis Kurland, Sie drangen bis Litauen vor.' Der sorgfältige Schreiber braucht diese Bewegung nicht mitzumachen. Bequeme Wendungen wie: ,Die Literatur des 4. bis 15. Jahrhunderts' sind nicht zu beanstanden. Der Sprachhudler fragt: ,Wie kann denn ein Jahrhundert das 4. bis 15. sein?' In der Sprache sind noch ganz andre Widersprüche gegen die wohlweise ,Logik' oder Vernünftelei möglich und erlaubt.

Was aber soll und kann bedeuten: ,Bis auf den letzten Vers ist das Gedicht vollkommen?' Ist auch der letzte Vers vollkommen, oder sind alle mit Ausnahme des letzten vollkommen? Oder: ,Ich bin mit allem, bis auf die Beine, mit meiner Gesundheit zufrieden' ? — In festen Wendungen wie ,Sie wurden bis auf den letzten Mann niedergehauen' wird kein Zweifel entstehen; aber schon in einem Satze wie: ,Der Hund hat die Taube bis auf die Knochen verzehrt' herrscht Unklarheit. Also Vorsicht und nicht vergessen: es gibt der Formen genug, die jeden Zweifel ausschließen.

Durch ist nicht wegen, wegen ist nicht durch. Durch bezeichnet das Werkzeug, das Mittel, wegen den Grund. ,Durch Erkältung konnte mein Sohn heute nicht zur Schule kommen' ? Nein, aber wegen. Dagegen: ,Durch eine Krankheit wurde die Vollendung des Buches vereitelt.' Aber es gibt Zwischenfälle: ,Das Haus war durch seine Lage unbewohnbar' ist nicht wesentlich anders als wegen seiner Lage. — Ferner ist zu warnen vor der Verwechslung zwischen durch und von: ,Durch Bismarck wurde die entscheidende Note an Österreich gerichtet' ? Nein, von Bismarck .. Wohl aber: ,Bismarck ließ durch die preußische Gesandtschaft . . die Note richten.'

Für und vor waren in älterer Zeit nicht sicher geschieden; $Seite 174$ heute gibt es selten ein Schwanken zwischen beiden. In den Fügungen mit Begriffen der Achtung, Verehrung, Ehrerbietung sind für und vor nahezu gleichbedeutend; für bezeichnet mehr die liebende, vor mehr die sich scheuende Empfindung. Splitterrichterei ist es, zu fordern, daß bei Neigungsgefühlen einzig zu stehe; Splitterrichterei, daß keine Jahresberichte für, sondern nur über 1917 erstattet werden dürfen. Die sachliche Auffassung läßt beide Fügungen zu. Allerdings verletzen Wendungen wie: ,Mittel für den Husten, Das ist gut für die Ratten, Empfehlen Sie mir etwas für meinen Schnupfen' das peinlich strenge Gefühl für Sprache und Wirklichkeit; indessen hier wie in so vielen Fällen wird durch das heilende Verstehen des Hörers eine Unstimmigkeit des Ausdrucks getilgt. In gutem Schriftdeutsch ist dergleichen zu meiden.

Man hüte sich vor gegenüber von; es ist französisch, nicht deutsch: ,mir gegenüber' , nicht: gegenüber von mir' ; auch bei unpersönlichen Verbindungen: nur ,dem Berge gegenüber' , nicht: ,gegenüber von dem Berge' .

Gen steht meist ohne Geschlechtswort wie gegen, doch überwiegend in gehobener Sprache; immerhin sind ,gen Himmel, gen Osten' usw. auch in weniger feierlichen Verbindungen zulässig.

Bei längs herrscht der 3. Fall vor, doch kann der 2. nicht falsch heißen: ,längs dem Flusse, längs des Waldes' . Dagegen hat bei entlang der 4. Fall: ,den Wald entlang' jetzt das Übergewicht über den 3. oder gar den 2. Fall.

Dieselbe Verschiebung zu Gunsten des Drittfalles hat sich bei laut vollzogen; heute kann man höchstens noch sagen, der Zweitfall: ,laut Berichts' ist nicht falsch, aber ,laut Bericht' ist die üblichere Fügung. Auch mit dem Geschlechtswort tritt der Zweitfall immer mehr zurück: ,laut dem Bericht' . Mit Schimpfereien über ,Sprachdummheit' ist hiergegen nichts auszurichten.

Mittels (mit Zweitfall) lautet die gute Form, nicht mittelst, und gar vermittelst ist eine Weitschweifigkeit. Unentbehrlich ist mittels (statt mit) nicht, es klingt arg nach Kanzleisprache; ich glaube nicht, daß ich es je geschrieben habe.

Das Vorwort mit darf in der besten Schriftsprache als Umstandswort gebraucht werden: ,Er ist mit der größte; dies ist mit die beste Arbeit, die wir haben' verdient keinen Tadel, wie manche Sprachmeister wollen. Der Gebrauch gehört mit(!) $Seite 175$ zu den bequemsten und kommt bei sehr guten Schriftstellern vor, u. a. bei Herder und Schiller.

Nach darf dem Hauptworte folgen, also: meinem Erachten nach; aber ,meines Erachtens' genügt, und ,meines Erachtens nach' ist sprachwidrig. — Nächst kann nur mit dem Drittfall stehen.

Ob in der Bedeutung wegen steht mit dem Zweitfall: ,ob dieses Wortes' , ist aber auf dichterischen Gebrauch beschränkt. In örtlicher Anwendung, in gehobener Sprache und meist landschaftlich, fordert es den Drittfall: ,ob dem Walde, ob der Tauber, ob der Enns' .

Bei statt war in älterer Sprache der 3. Fall häufiger als der 2.; Goethe schrieb: ,Statt heißem Wünschen . .' ; heute gilt ausschließlich der 2. Fall für gutes Deutsch. Statt ist daneben aber auch Umstandswort, gleichwie anstatt, und als solches ohne Einfluß auf den Beugungsfall; dieser wird durch das Zeitwort bestimmt: ,Statt mich zu benachrichtigen, hast du ihn zuerst benachrichtigt. — Statt den Garten zu bestellen, hast du . .' Eine in sich nicht falsche Härte: ,Statt den Faust hat er sich entschlossen, den Tasso vorzutragen' vermeidet man besser durch eine andre Satzfügung.

Es ist merkwürdig, daß trotz weit öfter mit dem 2. als dem 3. Fall verbunden wird, obwohl die innere Bedeutung: ,ich biete Trotz' noch nicht erblaßt ist, und die festen Verbindungen trotzdem, trotz alledem, trotz einem den Drittfall stützen sollten. Aber ein schwer zu erklärender Hang hat dem 2. Fall jetzt beinah zur Alleinherrschaft verholfen, und alles Schelten, woran es nicht gefehlt hat, würde nichts mehr nützen. Ich setze nur den 3. Fall, freue mich über die seltnen Stellen, wo ich es bei Andern finde, rate dem Leser, den 3. Fall zu setzen, und muß es der Entwicklung überlassen, ob die Unterweisung aller Sprachbücher ihm nicht doch wieder zu seinem Recht verhelfe. Übrigens schwankte der Sprachgebrauch schon bei Lessing und Schiller. In Vergleichungen: ,Der Alte läuft noch trotz einem Jüngling' hat sich das Richtige erhalten.

Zu über ist noch einmal vor dem falschen Gebrauch in Österreich zu warnen; es heißt nicht: über Antrag der Regierung wurde beschlossen, sondern ,auf Antrag' .

Unweit — besser mit dem 2. als dem 3. Fall, obwohl beides sich bei den Klassikern findet.

$Seite 176$ Während — natürlich mit dem Zweitfall; in schlechtem Deutsch kommt ,währenddem' vor.

Wegen steht heute nur mit dem Zweitfall, also auch in Fällen wie ,wegen Kohlenmangels' (vgl. S. 170). Der Drittfall ist landschaftlich, besonders süddeutsch, und gehört nicht in die Schriftsprache. — ,Von wegen' ist Sprache des Volksmundes.

,Zufolge des Befehls, dem Befehl zufolge' : dies sind die schriftsprachlichen Fügungen; ,zufolge dem Befehl' ist nachlässig. Daß statt zufolge in dieser Anwendung fast immer auf stehen kann, möge der Leser durch eignes Erproben bestätigen. Tadelnswert ist die Verwischung des Sinnes von zufolge; es bedeutet: infolge von, aber nicht: entsprechend, gemäß; es weist auf eine Ursache, nicht auf eine Auskunftstelle. Also nur: ,Nach (nicht: zufolge) einer Mitteilung der Vossischen Zeitung ist der Minister . .' Übrigens genügt ja schon: Nach der V. Z.

Zu, ein gewichtigeres Vorwort vor Ortsnamen als in, wird jetzt fast gar nicht mehr gebraucht; schon der Abwechslung wegen sollte es öfter stehen. Wie matt klänge ,In Aachen in seiner Kaiserpracht ..' Früher wurde nur geschrieben: Gegeben zu Berlin . .

,Zwischen mir und dir ist ein großer Unterschied' — dies ist die einzig zulässige Ausdrucksform; ,zwischen mir und zwischen dir' ist für einen zeitgenössischen Schriftsteller grobe Schludrigkeit, z. B.: ,Zwischen den Einzelnen und zwischen der Totalität der Nation' (Julian Schmidt). Die Berufung auf eine vereinzelte Nachlässigkeit bei einem Klassiker ist hier wie überall keine Entschuldigung für den Nichtklassiker von heute.

Scan
Engel(1922) 172-176.pdf


Zweifelsfall

Präposition: Rektion

Beispiel
Bezugsinstanz Schreiber guten Stils, Schreiber schlechten Stils, Schriftsprache, Süddeutsch, Goethe - Johann Wolfgang
Bewertung

häufig vorkommende Nachlässigkeiten, Irrtum, unachtsam, ungut, in gutem Deutsch, bequeme Wendungen, Splitterrichterei, die gute Form, verdient keinen Tadel, tadelnswert, matt, grobe Schludrigkeit

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

bis und sein Gebrauch

Beispiel
Bezugsinstanz Umgangssprache, Schreiber schlechten Stils
Bewertung
Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Präposition: Auswahl

Beispiel
Bezugsinstanz Schriftsprache, Schreiber guten Stils, Alt, Literatursprache, Herder - Johann Gottfried, Schiller - Friedrich
Bewertung
Intertextueller Bezug



Zweifelsfall

zwischen und sein Gebrauch

Beispiel
Bezugsinstanz Alt, Literatursprache, Schmidt - Julian
Bewertung
Intertextueller Bezug