Binde-s

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 16 - 18

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Unsicherheit
Text

Wie die Pluralform, dringt auch ein anderes ursprünglich nur der uneigentlichen Zusammensetzung eigentümliches Zeichen vor, das s//1 Ob man dies s mit Grimm, Gramm. II1, 409. 941 ff. als eine Übertragung des Genetiv-s der in der uneigentlichen Zusammensetzung überwiegenden Maskulina und Neutra Sing. auf alle Geschlechter und Zahlen ansieht oder mit M. Trautmann, Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift d. Allgem. Deutschen Sprachvereins, Nr. 1, S. 12 ff. als ein Geschenk des Niederdeutschen, das Endungen mit s auch für den Gen. Sing. Femin. länger bewahrte und — freilich nur sehr vereinzelt — die Mehrzahlen noch auf (e)s bildet, ist für das Verhalten in der Praxis ganz gleichgültig. Beide dürften einen der beiden Kanäle nachgewiesen haben, in denen dies s der neuhochdeutschen Sprache zugeflossen ist, bis jetzt fast eine Überflutung hereinzubrechen droht. Auf diese Gefahr hin- und eine zweite Quelle nachgewiesen zu haben, ist zweifelsohne Trautmanns Verdienst. Aber er ist nicht berechtigt, uns zuzumuten, daß wir ein s in Regierungspartei oder Mönchskloster noch heute entweder als niederdeutsch und deshalb ins Hochdeutsche nicht passend oder als Zeichen eines männlichen oder sächlichen Genetivs der Einzahl als widersinnig neben einer weiblichen Einzahl wie $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ neben jeder Mehrzahl empfinden sollen. Grenzen, über die hinaus das s nicht gestattet sei, zieht auch Grimm. II1, 935. 938. 940. 941. Wahllos und damit irreleitend betrieb gleich Trautmann die s-Tötung auch Harden in der „Zukunft". Am ausführlichsten, zugleich umsichtig und launig behandelt die Fraqe O. Sarrazin im 19. Wissenschaftlichen Beiheft zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (1. Juli 1900).// am Schlusse des Bestimmungswortes, auch eigentlich zusammen- $Seite 17$ gesetzte Wörter in die andere Art oder doch in eine Zwitterstellung hinüberziehend. Bei allen Formen, die noch nicht durchaus mit s eingelebt sind, lasse man dies denn draußen! Beispielsweise kann man mit Vischer schreiben Landschaftmalerei und Sehnsuchtlaut mit Uhland, Geschichtschreibung mit H. Grimm und Zeitungschreiber mit Harden, Vorratkammer mit Scheffel, Zufluchtstätte, Empfangzimmer und -säle mit Eltze, und mit Junker wahrheitliebend, Hemdärmel und Mittagstunde, wie überhaupt das s vor einem mit s beginnenden Grundworte kaum gesprochen würde. Noch weniger gehört das s an solche Bestimmungswörter, die wir besonders deutlich als nichtgenetivisch und pluralisch empfinden. Letzteres gilt von einer Bildung wie: ein gewisser Interessenswert, (1917), das andere trifft zunächst aus mehreren Wörtern bestehende Bestimmungen, die Adverbialien und andere Satzteile vertreten, wie im Dreiuhrzug, Zehnpfennigstück, Zweimarkstück; man müßte denn durch Zweimarkstück an Rückenmarksleiden erinnert sein wollen! Es gilt aber auch von derartigen Wörtern: Fabriksort, Gewerbsanlagen bei einem Mähren, Schlüsselsloch, Tau-sendskerl, fingersdick, armsdick, faustsgroß, Schamesröte, Nachtswache, Nachtsdienst, Stadtsgraben, Prachtsmensch, Verbandzeugstornister; faunshaft (R. H. Bartsch); eine schöne Sammlung, in der neben zwei Beiträgen G. Kellers lauter nord- und nordwestdeutsche stehen. Die letzten 7 verstoßen außerdem gegen den festen Brauch, außer an Hilfe, Miete, Liebe an ein- oder auf e ausgehende zweisilbige Feminina nie s anzuhängen. Etwas anderes ist es, wenn solche Wörter das s in mehrfacher Zusammensetzung annehmen, wie Fastnachtslaune, vorschriftsmäßig, Weihnachtsfest; hier macht das s die Verbindung geschmeidiger und dient dazu, die Gliederung mehrfach zusammengesetzter Wörter besser hervorzuheben. Damit hängt es z. B. wohl auch zusammen, daß nach gewöhnlichen Sterblichen benannte Straßen, Denkmäler u. ä. kein s zeigen: Scharnhorstdenkmal, Goethestraße, während Fürstennamen, denen ein Titel vorangeht, ein s erhielten, das auch blieb, wenn mit der Zeit der Titel unbequem ward und wegblieb: Kaiser-Franz-Josephs-Quai, Kronprinz-Rudolfs-Bahn, Ludwigs-Bahn, Wenzels-Platz. Einheimische und mit deutscher Endung versehene Feminina erscheinen in gleichen Fällen gewöhnlich im schwachen Genitiv: Dorotheengarten, Luisen-Denkmal, Königin-Luisen-Apotheke (aber Gisela-Bahn).

Das s gehört weiter nicht an die Bestimmungswörter von Hauptwörtern, die eine handelnde Person bezeichnen, oder von Partizipien, die ausschließlich in ihrer verbalen Bedeutung verstanden werden, weil zumal neben den letzteren das Bestimmungswort deutlich als Akkusativ empfunden wird. Noch deutlicher ist die eigentliche Zusammensetzung, also s erst recht unmöglich in Wörtern, deren ersten Teil ein Verbalstamm bildet. Nur ohne s sind daher möglich Ratgeber, vertragschließend, Rechenbuch, Regenbogen, -faß. Die in Norddeutschland daneben stehenden Formen mit s sind $Seite 18$ ebenso ungeheuerlich als etwa das schweizerische Anschicksmann (statt Brautwerber) oder der von einem norddeutschen Prinzen stammende Ausdruck: die heiratswollenden u. a. seinesgleichen wie: erholungssuchend, daseinsheischend, versteinerungsführend. Den Vogel aber hat ein Bayer abgeschossen mit s am adjektivischen Bestimmungsworte mit Gemeinsamsabenden.


Zweifelsfall

Wortbildung: Fugenelemente

Beispiel
Bezugsinstanz 20. Jahrhundert, Bayern, Eltze - A. (?), Keller - Gottfried, gesprochene Sprache, Grimm - Hans, Harden - Maximilan, Junker - Wilhelm, Mähren, niederdeutsch, norddeutsch, Adel, norddeutsch, Bartsch - Rudolf Hans, Scheffel - Joseph Victor von, Schweiz, Uhland - Ludwig, Vischer - Friedrich Theodor
Bewertung

Frequenz/dringt vor, Frequenz/nur sehr vereinzelt, nicht berechtigt, widersinnig, wahllos, irreleitend, umsichtig, launig, geschmeidiger, erst recht unmöglich, ungeheuerlich, den Vogel abschießen

Intertextueller Bezug Grimm: Gramm. II, 409. 941 ff., M. Trautmann: Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift d. Allgem. Deutschen Sprachvereins, Nr. 1, S. 12 ff., Grimm: II, 935. 938. 940. 941., Harden: Zukunft, O. Sarrazin: 19. Wissenschaftlichen Beiheft des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (1. Juli 1900)