Der Satzgegenstand (Subjekt)
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 208 - 209 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, 16. Jahrhundert, Gelehrte, Sprache der Werbung, Böhmen, Telekommunikation, Richter - Johann (Jean) Paul Friedrich, Gegenwärtig, Alt, Behördensprache, Goethe - Johann Wolfgang, Neu, Sprachverlauf, Gesprochene Sprache, Schriftsprache, Österreich, Literatursprache, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Geschäftssprache, Adel |
Text |
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Eine Unsitte des Amts- und Geschäftsstiles besteht in der durchgängigen Auslassung des Subjekts ich und sogar wir, über welche man sich fast so oft ärgern muß, als man einen kaufmännischen Brief erhält; zuerst gewöhnlich am Anfang über ein: Teile hierdurch ergebenst mit; Frage hierdurch höflichst an; dann in vielen Wendungen durch das so schön gezogene Schriftstück hindurch bis zu dem schönen Schlusse: Habe die Ehre, zeichne hochachtungsvollst u. a. Man begegnet ihr wieder in Ankündigungen: Frischen Schellfisch habe wieder erhalten und verkaufe zu billigsten Preisen. H. Müller. — Zur kostenfreien Einwechslung der Coupons ... halten uns empfohlen. H. und Schm. Kurz in allem, was geschäftsmäßig ist, und von da aus in vielen anderen Stellen wird die Unsitte des Geschäftsstils mitgemacht, wenn auch schließlich nicht immer so streng durchgeführt, wie von einem böhmischen Rechtsanwalt; in einem mindestens einstündigen Vortrage über eine Fußwanderung in den Karpathen, die er mit einigen Freunden gemacht hatte, verschluckte derselbe oft in Mißverständnis erregender Weise wahrlich von Anfang bis Ende auch jegliches wir! Freilich rückte im alten Österreich auch Akademiker und Baron näher zusammen, und auch für den Adel und seine gepreßten Formen ist das Sparen mit Worten besonders mit dem Subjektswort kennzeichnend. Warum das aber falsch sei? Ob es überhaupt fehlerhaft, da es doch auch die Klassiker oft ebenso gemacht haben? Freilich haben sich diese von diesem Mißbrauche nicht ganz frei erhalten, am allerwenigsten Goethe. Doch beachte man den folgenden Unterschied. Nur vereinzelt gestattet er sich diese Ausdrucksweise in einem so gehaltvollen Briefwechsel wie dem mit Schiller, dagegen z. B. fast überall, wo sie möglich war, in einem so leeren, rein geschäftlichen wie dem mit Carlyle: Mit aufrichtigstem Danke füge hinzu; sogar: Sei mir nun erlaubt. Falsch aber ist der Brauch, weil das deutsche Zeitwort wegen seiner abgeschliffenen Endungen außer in der Befehlsform heute im allgemeinen eines besonderen Subjektwortes nicht entraten kann, und bei Weglassung des Fürwortes in der ersten Person der Einzahl zumal diese und die heute ebenfalls überwiegend auf -e ausgehende Befehlsform zusammenfallen würden. Im 16. Jahrhundert haben Briefsteller, in denen die im übrigen für Geschäftsbriefe mit Recht empfohlene Kürze fälschlich auch darin gesucht wurde, diesen Unfug angestiftet; also ist die Unsitte gewiß nichts — natürlich Gewordenes. Später glaubte man $Seite 209$ höflicher zu sein, wenn man bescheiden die Bezeichnung der eigenen Person unterdrückte, weshalb denn schon P. Richter den Grund zu dem grammatischen Selbstmorde des Ich darin fand, daß wir wie Perser und Türken viel zu höflich seien, vor ansehnlicheren Personen ein Ich zu haben. Das ist auch die Ursache, wenn es noch heute im Amtsstile, besonders in Gesuchen an Behörden trotz aller bemäntelten demokratischen Gesinnung unterdrückt wird — zugleich mit dem Selbstbewußtsein! In neuester Zeit hat sich dann auch noch mit der Katzbuckelei, in welcher der kautschukartige Handlungsreisende noch immer und mehr selbst als Kanzlisten ein übriges tun zu müssen glaubt, die Pfennigsparerei an Telegrammen verbunden, um dem Übel, und zwar ziemlich weit hinaus, neuen Rückhalt zu geben, obwohl gerade dadurch schon manches kostspielige Mißverständnis//1 Wer für solche noch nicht mit Geldtasche und viel Ärger gebüßt hat, der kann das aus einer niedlichen Geschichte H. Hoffmanns: Die Friedensfeier (jetzt in seiner Sammlung: Von Frühling zu Frühling, Berl., Gebr. Paetel 1889) kennen lernen; da fahren, anstatt den 7jährigen Ehefrieden schließen zu können, infolge eines so unklaren Telegramms Mann und Frau mehrmals auf der Bahn aneinander vorbei.// verschuldet worden ist. Vielleicht kommt aber doch dem Heere der Geschäftsleute die Einsicht des Besseren daher, wo dies noch bekannt ist, bei den Vordersten, Größten und Feinsten ihres Standes, auf die sie doch nachahmend schauen und in deren Briefen und Bekanntmachungen die ich und wir auch heute noch stehen. Auch das Gegenteil zu diesem Versinken des Subjektpronomens ins reine Nichts wird immer beliebter, sein Ersatz durch ein Hauptwort, ebenfalls eine Erbschaft vom Kanzlei- und Gerichtsstile her, den schon P. Richter, natürlich verspottend, nachahmt: ferner negiert Beklagter, daß Beklagter auf die Klage sich nicht einzulassen brauche (vgl. § 132 a. E.). Nur wird hier besonders die dritte Person betroffen, und zur Bescheidenheit, mit der es der alleruntertänigste Briefschreiber fertig bringt, seitenlange Briefe hindurch von sich als der ergebenste Diener, der Unterzeichnete, Gefertigte usw. in der dritten Person statt in der ersten zu reden, gesellt sich noch das Bestreben, besonders bei Berichterstattern und Beurteilern, ihren Berichten durch die Unterdrückung des Ich statt subjektiver Färbung ein gewisses objektives Gewicht zu verleihen. Als ob nicht eine die Außenwelt widerspiegelnde Persönlichkeit das Wertvollste wäre! Drum, wenn sich auch die vertrockneten Gerichtsstuben- und die berichterstattenden Menschen ihre die Persönlichkeit verleugnende Art nicht wollen nehmen lassen, die Verfasser der persönlichsten aller Darstellungen, der Briefe, sollten sich zu gut dazu dünken, und ebenso alle, die aus einem trocknen Berichterstatter gestaltende Erzähler werden wollen. Sie sind dann auch nicht der Gefahr ausgesetzt, aus einer Person in die andere zu fallen, wie ein Plauderer in der Tägl. R.: Manches lustige Stückchen erlebten wir, von denen Schreiber dieses, der während des Feldzugs Fourieroffizier war, eins zum besten geben will. Nachdem wir uns in Ch. an dem herrlichen weißen Burgunder gütlich getan hatten, ging es am 14./1. auf Dijon weiter. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | 16. Jahrhundert, Adel, Gelehrte, alt, Österreich, Geschäftssprache, Behördensprache, Sprache der Werbung, Böhmen, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Schriftsprache, Goethe - Johann Wolfgang, gegenwärtig, neu, Literatursprache, Richter - Johann (Jean) Paul Friedrich, Sprachverlauf, Telekommunikation, Schreiber guten Stils, gesprochene Sprache |
Bewertung |
Besseren, falsch, fälschlich, fehlerhaft, Frequenz/fast überall, Frequenz/Nur vereinzelt, Frequenz/über welche man sich fast so oft ärgern muß, als man einen kaufmännischen Brief erhält, Frequenz/überwiegend, gewiß nichts - natürlich Gewordenes, Mißbrauche, Übel, Unfug, Unsitte |
Intertextueller Bezug | H. Hoffmanns: Die Friedensfeier in: Von Frühling zu Frühling, Berl., Gebr. Paetel 1889 |