Falsche weiterführende Relativsätze
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 290 - 291 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Ebers - Georg, Grimm - Jacob, Goethe - Johann Wolfgang, Schiller - Friedrich, Zeitungssprache, Jensen - Wilhelm |
Text |
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Die relativische Anfügung eines neuen, selbständigen Gedankens an den vorhergehenden muß getadelt werden, wenn beide knapp und hart aneinandergerückt sind; denn da muß dem Sprachbewußtsein der Widerspruch zwischen dem gleichen Werte der Gedanken und ihrer verschiedenen Form zu fühlbar werden, wie denn auch bei solch abgerissener Form ein Bedürfnis, den Gedanken in andrer Form weiterzuspinnen, nicht vorliegen kann. Allein deshalb sind alle folgenden fünf Sätze tadelnswert, ob sie nun, wie die ersten drei, der Reihe nach von den Sprachmeistern Grimm, Goethe und Schiller herrühren, oder aus Zeitungen, wie die letzten zwei: Der Jäger befahl dem Schützen, ihn festzuhalten, der sich aber weigerte. Ein alter Hausknecht öffnete die Tür des alten Gebäudes, in das sie mit Gewalt eindrangen. Seine Augen suchten Biondello, den er herbeirief. Heute Nacht brach Feuer in der Landwehrkaserne aus, das erst am Morgen gelöscht werden konnte. Da sah er plötzlich, daß ein Fenster geöffnet und eine Flasche herausgeworfen wurde, von welcher er getroffen wurde. Wirklich, er sah eine solche Flasche werfen, von welcher er getroffen wurde, und wich nicht aus? Auch wenn Jensen meldet: Man benutzte den Klosterbau zur Anlage einer Tuchfabrik, die in Flammen aufging und den jetzigen Ruinen $Seite 291$ zustand hinterließ, soll man wohl den Begründern im stillen dafür danken, daß sie gerade eine solche errichteten, um der Gegend einen romantischen Reiz zu verleihen? Auch das auf den ganzen Satz gehende was ist nicht geeignet, einen so scharfen Gegensatz anzuführen wie in dem Satze der Tgl. R.: Das Modell in Chelsea ist nicht vollständig; denn wir sehen es nur von der Wasserlinie an vor uns, was aber genügt, da der obere Teil das meiste geschichtliche Interesse bietet. Der Widerstreit zwischen Form und Inhalt fällt noch mehr auf, wenn der Nebensatz mit seinem sachlich späteren Ereignisse mitten in den Hauptsatz eingefügt, der spätere Gedanke also früher zu Ende gehört und gedacht wird und somit noch stärker der Eindruck hervorgerufen werden muß, als ob der Inhalt des Nebensatzes etwas den Hauptsatz Bestimmendes sei. Wie groß der nachhinkende Teil des Hauptsatzes ist, macht dabei keinen Unterschied. Der Satz der Deutschen Ztg.: Der Blitz warf einen Arbeiter, der in ein Krankenhaus befördert werden mußte, nieder, ist also gleich schlimm wie der bei Ebers: Nach wenig Minuten kehrte der Sicherheitswächter mit einem großen Mantel, in den Klea sich hüllte, und einem breitkrempigen Hut, den sie auf ihr Haupt drückte, zurück. Wie hart, möchte man rufen, daß ein schon auf dem Wege in das Krankenhaus befindlicher Arbeiter auch noch vom Blitze getroffen wurde! Jedoch auch ohne solche Zwischenstellung genügt Unklarheit über die Folge der Ereignisse und Zweideutigkeit schon allein, einen Relativsatz als fehlerhaft erscheinen zu lassen. Man lese noch den § 325, Abs. 2 in anderem Zusammenhange besprochenen Satz Schillers. Am allerwenigsten darf die in § 308, 4 bes. besprochene Art zusammengezogener Relativsätze entstehen; und doch gerät in deren Ungeheuerlichkeiten leicht jeder, der sich öfter der relativischen Anknüpfung für Hauptsätze bedient. Das läßt sich an keinem Geringeren als Schiller beobachten, in dessen Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Marschalls v. Vieilleville sich neben einer erklecklichen Anzahl berechtigter Anwendungen des weiterführenden Relativs eine noch viel größere Menge solcher findet, welche nimmer nachgeahmt werden dürfen, bis herab zu dem außer Rand und Band gegangenen Satze: Der König wünschte, daß Vieilleville den Friedensunterhandlungen mit Spanien ... beiwohnte, welches er auch tat und durch seine weisen Ratschläge es in kurzem soweit brachte, daß sie den 7. April 1559 abgeschlossen wurden und mit welcher Nachricht er selbst an den König geschickt wurde. Freilich war Sch. damals mehr noch Schreiber ums Brot als Meister deutscher Prosa. Um so nötiger erscheint es, das Zulässige festzustellen, damit jedes Übermaß von Bequemlichkeit desto entschiedener zurückgewiesen werden könne. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Zeitungssprache, Ebers - Georg, Goethe - Johann Wolfgang, Grimm - Jacob, Jensen - Wilhelm, Schiller - Friedrich, Schiller - Friedrich, Zeitungssprache |
Bewertung |
abgerissener Form, fehlerhaft, gleich schlimm, knapp und hart aneinandergerückt, muß getadelt werden, nicht geeignet, tadelnswert, Widerspruch zwischen dem gleichen Werte der Gedanken und ihrer verschiedenen Form, Widerstreit zwischen Form und Inhalt |
Intertextueller Bezug |