Heißen, lassen, machen + Infinitiv
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 202 - 203 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Niederdeutsch, Bülow - Bernhard von, Ludwig - Otto, Hesekiel - (?), Sprachverlauf, Schiller - Friedrich, Literatursprache, Zeitungssprache, Gehobene Sprache, Umgangssprache, Schulsprache, Luther - Martin |
Text |
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Bei heißen (= befehlen), lassen (sowohl = nicht hindern als veranlassen), sehen und machen ist der Akkusativ bedroht durch die Infinitive, die davon abhängen, und durch die von diesen wieder regierten Kasus. Alle diese transitiven Verben verlangen aber ihre Ergänzung im vierten Falle; nur ist neben ihnen je nachdem noch ein Akkusativ oder ein Dativ//3 Ja nach § 232 sogar ein Nominativ; dort ist auch die falsche Attraktion eines Prädikatsnomens an das Objekt der regierenden Verben besprochen.// möglich, aber so, daß diese zu dem abhängigen Infinitive gehören. Die herrschende große Verwirrung nötigt, zahlreichere Beispiele einzuführen: 1. solche mit nur einem zum regierenden Verbum gehörigen Akkusative: Er hieß mich freundlich trinken. Man sah sie erröten. Die gute Mahnung läßt (macht) mich mutiger gehn. Es ist klar, wie grundlos es wäre, dieses Verhältnis zu ändern, wenn 2. auch das abhängige Verbum als Transitivum einen Akkusativ bei sich hat: Nein, Wurm, das macht er mich nimmer glauben. Laß die Toten $Seite 203$ ihre Toten begraben (Schiller). Die 3. Möglichkeit ist die, daß ein Dativ zum Infinitiv gehört, gleichviel ob außerdem auch noch ein Akkusativ dazugehört und ob das regierende Verb einen bei sich hat oder nicht: Der Papst ließ mir sagen, ich möchte den Kelch fertig machen. Sie machet mir mit ihrem Klagen die Augen übergehn. Der Unterschied wird vielleicht am klarsten an einem Satzpaare wie diesem: Der Wirt heißt den Knecht (ihn) das Pferd bringen, so, wenn die Person, für die es gebracht werden soll, gegeben ist; wenn diese dagegen nicht selbstverständlich ist, wohl aber die, welche es bringen soll, wird daraus: Der Wirt heißt dem Grafen das Pferd bringen, wie bei O. Ludwig: Lassen Sie dem Boten das schnellste Pferd satteln. Oder man vergleiche: Er ließ seinen Bruder alle möglichen Grobheiten hervorstoßen, woran er ihn hätte hindern sollen; aber: er ließ seinem Bruder alle mögichen Grobheiten sagen, h. h. in seinem Auftrage sagte sie einer dem Bruder. Man sieht, ein falscher Dativ kann sogar den Sinn ganz verschieben, und doch ist er häufig in dem oben mit 2 bezeichneten Falle, im allgemeinen aber ohne Berechtigung. Denn es sind drei ganz irreleitende Kräfte, die dazu verführt haben: der allgemeine Zug nach einem Dativ der Person neben dem Akkusativ der Sache; das schwächere Gefühl für den Unterschied der beiden Fälle in dem in Literatur und Grammatik überwiegenden Niederdeutschland und endlich die Nachäffung des französischen (faire savoir qch. à qn.), die unter solchen Umständen doppelt leicht fallen mußte. Denn man kann beobachten, wie diese französelnde Fügung seit reichlich hundertfünfzig Jahren fast plötzlich und wie eine Hochflut hereinbricht, von den Vorläufern der Klassiker und diesen selbst an, die ja die höhere Umgangssprache und ganze Entwicklung vielfach auf die französische Sprache und Literatur hinwies, bis herab auf das jüngste Deutschland. Französisch ist es also, wenn z. B. Hesekiel schreibt: Er sah der Prinzessin ihren Hut nehmen, was jeder Deutsche eigentlich so verstehen muß, als würde er ihr weggenommen, während es bedeuten soll, daß sie ihn an sich nahm. Gleich entschieden muß dem dritten Falle bei heißen die Berechtigung abgesprochen werden, gleichviel, ob einfach ein Infinitiv dabei steht: Er hieß ihm zwei Pferde bereit halten (v. Bülow), was wieder mißverständlich ist gegenüber dem richtigen: er hieß ihn ..., oder ein Satz: er hieß ihn, er solle 2 Pferde bereithalten. Endlich auch, wenn die geheißene Sache durch einen vierten Fall angedeutet wird, darf es nicht wie bei Schiller lauten: Der Herr hat es ihm geheißen, sondern wie bei Luther: So höre, was ich dich heiße. Bei lassen liegt die Sache im Grunde nicht anders. Am allerwenigsten hätte z. B. ein Lehrer in einer Zeitung schreiben sollen: Er hatte seinem Kinde (statt sein Kind) nichts lernen lassen. Freilich kann nicht immer die fremde Herkunft des Dativs so sicher festgestellt werden, wie beispielsweise bei dem Übersetzer der Schriften von Berlioz: Es beruhte darauf, jedem (statt jeden) das ausführen zu lassen, was seiner Natur entsprach; auch mag auf der andern Seite die Anlehnung an erlauben, überlassen oder auch an die nominale Fügung von lassen (einem seinen Willen lassen) verzeihlich erscheinen. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Hesekiel - (?), Umgangssprache, gehobene Sprache, Literatursprache, Schulsprache, Luther - Martin, niederdeutsch, Ludwig - Otto, Schiller - Friedrich, Sprachverlauf, Bülow - Bernhard von, Zeitungssprache |
Bewertung |
am allerwenigsten hätte schreiben sollen, darf es nicht lauten, drei ganz irreleitende Kräfte, die dazu verführt haben, falsche, falscher, französelnde Fügung, Französisch, Frequenz/häufig, im allgemeinen aber ohne Berechtigung, mag verzeihlich erscheinen, mißverständlich, muß die Berechtigung abgesprochen werden, Nachäffung des französischen, richtigen |
Intertextueller Bezug |