Nennform mit um zu an Stelle von Nebensätzen
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
---|---|
Seitenzahlen | 330 - 331 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
---|
In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
---|---|
Genannte Bezugsinstanzen: | 14. Jahrhundert, Bornhak - Friederike, Dürckheim - Ferdinand Graf Eckbrecht von, Fachsprache (Geschichtswissenschaft), Eichhoff - E. (?), Closener - Fritsche, Gegenwärtig, Ursprünglich, Wieland - Christoph Martin, Alt, Behördensprache, Neu, Sprachverlauf, Schriftsprache, Literatursprache, Zeitungssprache, Fachsprache (Germanistik), Berlin |
Text |
---|
Geradezu angetan hat es aber der schreibenden Welt von heute, sogar schon den Grammatikern//1 So Andresen, der den Infinitiv mit um zu auch in andern als Absichts- und Folgesätzen damit rechtfertigen will, daß dem Subjekte gewissermaßen (!) die Absicht zugeschrieben werde, den Willen des Schicksals zu erfüllen. Wenn wir erst diese Macht in die Satzlehre einführen, dann müssen freilich auch da — türkische Zustände einreißen, zumal das arme ratlose Subjekt nun wird müssen das Hundertste und Tausendste auszuführen beabsichtigen, was als Schicksalsfügung ihm unbewußt sein muß! Man erprobe nur das Mittel an einigen Beispielen: v. Dürckheim schreibt: Er lachte, und wir schieden als gute Freunde, um uns nie wieder zu sehn. Also wirklich, als gute Freunde Scheidenden kann man die Absicht zuschreiben, eine solche aller Freundschaft zuwiderlaufende Schicksalsfügung auszuführen? Oder wie soll dem Subjekte eine solche Absicht innewohnen können, wenn es in einem Satze nicht im tätigen, sondern im leidenden Zustande auftritt? So in dem Satze Bornhaks: Dann lachte wohl der kindliche Frohsinn, um bald wieder desto schwerer niedergedrückt zu werden.//, das leidige um zu. Sie begnügt sich nämlich nicht mehr, es an Stelle von Absichtssätzen und, was sich erst daraus, aber ganz natürlich entwickelt hat, von Folgesätzen anzuwenden, sondern leitet damit auch die Weiterentwicklung und den Abschluß jeder Sache ein, mögen diese immer in der mannigfachsten Weise, an den verschiedensten Orten und zu ganz anderen Zeiten erfolgen. Die Möglichkeit so verschwommener Verwendung erklärt sich nur daraus, daß die auf sinnliche Anschauung gegründete Bedeutung der Wörtchen um zu nicht mehr stark genug empfunden wird. Dieses um führte nämlich ursprünglich den durch ein Hauptwort ausgedrückten Gegenstand, den Preis usw. an, um den herum ein Handel, ein Streit, ein Ringen u. dgl. sich abspielte; diese Angabe wurde dann aber immer öfter durch einen Infinitiv mit zu ergänzt//2 Die Stufen der Entwicklung sind also: 1. Er schickte den Knecht um das Pferd (= nach dem Pferde, des Pferdes wegen). 2. Er schickte den Knecht um das Pferd, (es) zu holen. 3. Er schickte den Knecht, um das Pferd zu holen. Vgl. meine ausführliche Darstellung in der Zeitschr. des Allgem. Deutschen Sprachvereins 1894, (S. 137 ff). Den dortigen Beispielen sei hier ein sehr lehrreiches für eine verwandte, nicht üblich gewordene Wendung beigefügt: das geschah von schaden wegen zu wenden (Straßburg, Chron. II, 1036, 40). Auch kann ich die Fügung jetzt schon aus dem J. 1376 belegen: do die Kurfürsten umb eynen R. kunig zu nennen und zu wellen ubereyn pflegen zu komen (D. R.-A. I, 160, 24).//, und erst indem diese beiden Fügungen zusammenflossen, wurde ein trefflicher Ausdruck für den Zweck, die Absicht des Ringens, Mühens und Tuns überhaupt gewonnen. So sind denn Absichtssätze mit um zu überaus häufig, und zwar nicht allein so, daß das Subjekt des übergeordneten Satzes auch das Subjekt des Infinitivs sein müßte, sondern in freistem Anschlusse an jeden andern Satzteil: es ist eine Verwirrung, recht gemacht, um im Trüben zu fischen (Voss. Z.). Nur muß, was in einem übergeordneten aktivischen Satze Subjekt ist, auch wirklich ein Wesen danach sein, daß ihm überhaupt eine Absicht zugeschrieben werden kann. Sonst kommt allemal etwas Lächerliches heraus wie in der Mitteilung des Wolffschen Bureaus: Mehrere Extrazüge brachten heute Abend nach Tausenden zählende Männer aller Stände hierher, um dem Fürsten Bismarck einen Fackelzug zu bringen. Nur auf dem Wege der natürlichen Weiterentwicklung hat es gelegen, daß aus diesem Ausdrucksmittel für die Absicht zugleich eins für die Folge, aus dem für die bezweckte Folge eins für die unbeabsichtigte, tat- $Seite 331$ sächliche geworden ist. Zunächst nach den Bezeichnungen der hinreichend oder der zu hohen Stufe//1 Bei einer derartigen Nennform stellt sich oft eine Verneinung ein: Nichts wurde zu klein gehalten, um nicht genauer Erörterung unterworfen zu werden. — Das Volk hatte von den Franzosen genug zu leiden gehabt, um nicht sehnlich zu wünschen: Es sind verkürzte Folgesätze (= zu klein als daß es nicht ... unterworfen worden wäre; genug ... als daß es nicht sehnlich wünschen sollte), Daß man freilich — bei gleichem verneinendem Sinne — auch ohne das besondere Verneinungswort auskommen kann, zeigt der Satz von E. Eichhoff: Backfische sind nichts anderes als junge Fische, und die Übertragung dieses Begriffs auf junge Mädchen liegt nahe genug, um irgendwie auffällig zu erscheinen. Vgl. § 401.//. Der Dreibund bat Truppen genug, um allen Wechselfällen mit einer gewissen Ruhe entgegensetzen zu können, stand nicht nur in Zeitungen, sondern ähnliches schon bei den Klassikern, z. B. Wieland: Du kennst mich zu gut, um eine solche Probe nötig zu haben. Daß die Ausdrucksweise selbst für andere Folgesätze unbedenklich sein kann, zeigt ein Satz wie der v. Dürckheims: Ich erkundigte mich, was der Gefangene begangen hätte, um so streng behandelt zu werden (— weshalb er, so daß er darum ... behandelt werde). Ja selbst das hieße aus dem Kreise der Folgesätze, den die Anwendung von um zu einmal so weit durchlaufen hat, einen unberechtigten Ausschnitt herausnehmen, wollte man solche Fügungen dann unbedingt verwerfen, wenn im übergeordneten Satze mit so, derart und ähnlichen Wörtchen ausdrücklich auf einen Folgesatz hingewiesen wird; kann doch auch eine solche Folge zugleich eine beabsichtigte sein, wie in dem Satze eines Historikers in der Tgl. R.: Die Bewachung des Gefangenen wurde derart verschärft, um ihm jeden weiteren Versuch zum Entkommen als zwecklos erscheinen zu lassen. Doch auch sonst sind Sätze der folgenden Art keine Seltenheit: Der allgemeine Wohlstand hat sich so gehoben, um auch eine Aufbesserung der Beamtenstellungen zu fordern. Immerhin hat diese letzte Fügungsweise noch kein zu hohes Alter, und je mehr der hinweisende Begriff: so, derart u. dgl. betont ist, desto mehr gebührt der Vorzug der älteren und auch heute noch gebräuchlicheren Art, wonach dem so ein daß entspricht, und desto mehr haftet der jüngeren Fügungsweife das Unbefriedigende einer Mischform an. |
Zweifelsfall | |
---|---|
Beispiel | |
Bezugsinstanz | 14. Jahrhundert, alt, gegenwärtig, Bornhak - Friederike, Behördensprache, Sprachverlauf, Eichhoff - E. (?), Fachsprache (Germanistik), neu, Literatursprache, Zeitungssprache, Fachsprache (Geschichtswissenschaft), Schriftsprache, Closener - Fritsche, ursprünglich, Dürckheim - Ferdinand Graf Eckbrecht von, Berlin, Wieland - Christoph Martin |
Bewertung |
etwas Lächerliches, Frequenz/gebräuchlicheren, Frequenz/immer öfter, Frequenz/keine Seltenheit, Frequenz/nicht übliche, Frequenz/oft, Frequenz/überaus häufig, gebührt der Vorzug, haftet das Unbefriedigende einer Mischform an, hieße einen unberechtigten Ausschnitt herausnehmen, wollte man solche Fügungen dann unbedingt verwerfen, man freilich auch ohne auskommen kann, natürlichen Weiterentwicklung, türkische Zustände, unbedenklich sein kann, verschwommener Verwendung |
Intertextueller Bezug | Andresen, Matthias: Zeitschr. Des Allgem. Deutschen Sprachvereins 1894 (S. 137 ff), Matthias, Theodor: Zeitschr. des Allgem. Deutschen Sprachvereins 1894, (S. 137 ff) |