Um zu oder bloßes zu vor der Nennform?
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 332 - 334 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | 20. Jahrhundert, Schreiber guten Stils, Köln, Dürckheim - Ferdinand Graf Eckbrecht von, Rodenberg - Julius, Zittau, Feist - Sigmund, Livius - Titus, Cicero - Marcus Tullius, Gegenwärtig, Alt, Goethe - Johann Wolfgang, Neu, Sprachverlauf, Schiller - Friedrich, Zeitungssprache |
Text |
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Nicht leicht fällt es oft, zwischen der Nennform mit zu und der mit um zu die richtige Wahl zu treffen. Da die Verbindung um zu erst später entstanden ist und die Nennform mit bloßem zu früher zum Ausdruck der Absicht ausgereicht hat, kann diese kürzere Fügung noch heute überall da angewandt werden, wo auch um zu stehen könnte, vor allem in Absichtssätzen: Aufs Weidwerk hinaus ritt ein edler Held, den flüchtigen Gemsbock zu jagen (Schiller). Nur dann sollte man heute den verkürzten Absichts- und Folgesatz mit um zu beginnen, wenn im Satze zugleich ein verkürzter Subjekts-, Objekts- oder Attributsatz vorkommt; denn da gibt die jüngere Fügung mit um zu ein $Seite 333$ Mittel an die Hand, den Umstandssatz, dem allein um zu zukommt, von jenen zu unterscheiden. Musterhaft hat also Schiller auch geschrieben: Ihren Gedanken ist es genug, kein erklärter Rebell zu sein (Subj.), um sich befugt zu glauben (Umstandssatz), seine Amtspflicht nach Gutdünken zu modeln (Obj.). Tadelnswert dagegen ein Mitarbeiter der N. Fr. Pr.: Solche Vorteile zu erwerben, lohnt sich gewiß, der Dampfkultur näher zu treten; denn bis zum Beginn der zweiten Infinitivfügung wird jeder die erste für das Subjekt gehalten haben; dem würde aber vorgebeugt durch die Form: Um solche Vorteile zu erwerben. Umgekehrt darf um zu, die jüngere und nur für Umstandssätze ausgebildete Form, nicht für zu im Subjekts-, Objekts- oder Attributsatze eintreten, vor allem also nicht nach Hauptwörtern, deren Ergänzung ein Genetiv oder als dessen verbaler Ersatz der Infinitiv mit zu ist. Unbedingt getadelt werden muß daher wegen des überflüssigen um z. B. der Satz der Zitt. Nachr.: Doch denkt kein dortiges Blatt daran, um auch seinerseits eine starke Vermehrung der heimischen Armee vorzuschlagen. Ebenso die Fügung v. Dürckheims: Dies alles//1 Über den Zweck dieser Tonbezeichnung vgl. die folgende Anmerkung.// ließ uns keine Zeit, um unwohl zu werden. So würde der Insurrektion kein Vorschub geleistet, um sich zu verbreiten; bei Sigm. Feist (1913): Die Darlegungen dienen nicht, um die Tatsache als solche offenkundig zu machen; oder in der N. Fr. Pr.: In der Absicht, um zu gehen. Anders liegt das Verhältnis, wenn solche Hauptwörter mit dem Zeitworte zusammen einen mehr oder minder einheitlichen Begriff bilden und dadurch ihre Kraft, eine Beifügung bei sich zu haben, auf die ganze Verbindung übertragen; denn daraus erwächst die Möglichkeit, wohlverstanden Möglichkeit, nicht Notwendigkeit, das, was beim Hauptwort allein als Beifügung stehn müßte, zu dieser Verbindung als Umstand zu setzen. So schrieb nicht nur v. Dürckheim richtig: Das Ministerium besaß nicht die nötige Kühnheit, um den König von seinem Eigensinn abzuwenden, sondern auch die Köln. Ztg.: Das Erscheinen des Stadthalters beweist, daß derselbe keine Gelegenheit versäume, um zur Bevölkerung des Landes in persönliche Beziehung zu treten, deren Wünsche entgegenzunehmen usw. und Goethe: Der eigentlich geistreiche, verständige Mann müßte eifrig bemüht sein, um nur wieder auf den Grund des reinen, guten Textes zurückzugelangen//2 Vor dem Tadel solcher Fügungen hätten Grammatiker wie Andersen und Wustmann durch eine ähnliche Entwickelung des Lateinischen bewahrt bleiben können. Man vergleiche: consilium bellum in Italiam transferendi (inire) und consilium inire bellum in Italiam transferre; datur occasio Servi criminandi (Livius) und dare occasionem, ut dicamus und nullam occasionem praetermittere quin (Cicero). Das Deutsche gibt überdies durch die — deshalb schon auf der vorigen Seite angegebene — Betonung einen Fingerzeig für die Auffassung. Wenn der Ton auf dem Substantiv ruht, so deudet dies dessen Vorherrschaft auch über abhängige Satzglieder an, und das bloße zu ist als vom Subst. abhängig das Richtigere. Daher tadelt Andresen mit Recht den Satz Schillers: Das übrige war der Beredtsamkeit des Botschafters überlassen, dem die Statthalterin einen Wink gab, eine so schöne Gelegenheit nicht von der Hand zu schlagen, um sich in der Gunst seines Herrn festzusetzen; denn hier wird man den Ton, dadurch auf folgendes hinweisend, auf „Gelegenheit“ legen. Dagegen ruht z. B. in dem oben aus der Köln. Ztg. angeführten Satze der Ton auf versäume und keine, und so ist darin trotz „Gelegenheit“ doch „um zu“ möglich. Der Ton kann eine besondere Stütze durch ein Demonstrativ erhalten. Während in dem Satze Goethes $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ oben nach bemüht sein doch um zu möglich war, konnte derselbe nicht anders sagen, als er gesagt hat: Daß wir uns aus leerer Furcht die Mühe gegeben hätten, zu Fuß zu gehen.//. Das letzte Bei- $Seite 334$ spiel wird noch durch eine andre Betrachtung gerechtfertigt. An Stelle aller präpositionalen Bestimmungen des Prädikats ist nämlich der Infinitiv mit um zu möglich, wenn die Präposition um + Substantivum damit verbunden werden kann; und wer sagt nicht: bemüht sein, sich Mühe geben um etwas? Im übrigen wird ein empfindliches Sprachgefühl neben allen Satzaussagen, die eine Richtung, Anregung, Neigung, Fähigkeit zu etwas ausdrücken, noch heute bloßes zu bevorzugen und heute häufige Wendungen wie die folgenden nicht über sich gewinnen: Er ist nicht fähig, um es zu begreifen. Der Soldat Manteuffel war nicht dazu geeignet, um in diese Stellung eines Staatsmannes und Regenten berufen zu werden. Der folgende Tag wurde dazu benützt, um die Stadt kennen zu lernen (v. Dürckheim). Dagegen liegt es im Zuge der Entwicklung, wenn der Infinitiv mit um zu für den mit zu eintritt, selbst nach andeutendem dazu, sobald die Auffassung als Absichtssatz überwiegt. So heißt es bei dazu gehören (= nötig sein) kaum noch anders als bei Rodenberg: Es gehörte die ganze Unabhängigkeit und Energie ... der Herzogin dazu, um nicht an dem Unternehmen zu scheitern; ähnlich ist für es fehlt heute der Satz v. Dürckheims mustergültig: Es fehlte ihm, um Staatsmann zu sein, der scharfe, klare Blick in die Zukunft. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schreiber guten Stils, alt, Goethe - Johann Wolfgang, gegenwärtig, neu, Köln, Zeitungssprache, Sprachverlauf, Rodenberg - Julius, Zittau, Schiller - Friedrich, 20. Jahrhundert, Feist - Sigmund, Dürckheim - Ferdinand Graf Eckbrecht von, Livius - Titus, Cicero - Marcus Tullius |
Bewertung |
ausgereicht hat, darf nicht eintreten, das Richtigere, Frequenz/häufige, Frequenz/wer sagt nicht, gerechtfertigt, heißt es kaum noch anders, kann angewandt werden, konnte derselbe nicht anders sagen, als er gesagt hat, liegt es im Zuge der Entwicklung, möglich, Möglichkeit, nicht Notwendigkeit, mustergültig, Musterhaft, nicht über sich gewinnen, richtig, richtige Wahl, sollte man, Tadelnswert, tadelt mit Recht, überflüssigen, Unbedingt getadelt werden muß, wer sagt nicht, wird ein empfindliches Sprachgefühl bevorzugen |
Intertextueller Bezug | Andresen, Wustmann |