Vermengung der Stilarten

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 456 - 458

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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Rhetorische Figuren und ihr Gebrauch

Genannte Bezugsinstanzen: Schreiber guten Stils, Ansbach, Gegenwärtig, Keller - Gottfried, Literatursprache, Zeitungssprache
Text

Doch wozu sich den Kopf zerbrechen über die Berechtigung solcher Bilder in Romanen? Werden sie doch auch in den Zeitungen, in Mitteilungen und Berichten über die einfachsten und nüchternsten Vorgänge immer üblicher, weil ihre Verfasser von der Verschiedenheit der Stilarten, von der großen Kluft zwischen einfacher Mit- $Seite 357$ teilung und Prunkrede, zwischen Lehr- und Schönbeschreibung und wie die Arten der Darstellung alle heißen, nichts gelernt haben oder nichts mehr wissen wollen. Zum Beweise noch ein letztes Beispiel, ja diesmal das allerletzte des Buches. Das Ausrücken der Garnison aus Ansbach veranlaßte einen dortigen Zeitungsmann zu folgendem Ergusse: Zu festgesetzter Zeit haben heute morgen die Söhne des Mars zur Erprobung des erlernten kriegerischen Spiels auf weiterem Terrain unsre Stadt verlassen, um sie erst wieder am 19. künftigen Monats mit ihrem Einzuge zu beglücken. Zahlreich war das Geleite, das sie scheiden sehen wollte, und an manch Offiziers- und Unteroffiziersfrauenauge hing eine aus besorgtem Herzen kommende Perle, die über die Wange in tränendes Naß zerfloß. Besonders stark vertreten war aber der andere Teil des weiblichen Geschlechts, nämlich der Teil, der noch nicht Hymens Fesseln verspürt — die edle Zunft der Küchenfeen und Hausdragoner. Sie werden es sein, die die schmucken Ulanen am allermeisten vermissen; denn es fehlt ihnen der Geliebte, der Verzehrer ihrer Überbleibsel und der Führer zum Tanzplatz. Da nun aber einmal alles unter dem Wechsel des Mondes veränderlich ist, werden auch sie sich trösten in dem hoffenden Gedanken, daß die bis zu ihrem Wiedereinzuge dazwischenliegenden 37 Tage noch lange keine Ewigkeit bedeuten und daß der Geliebte der holden Maid doch die Treue bewahren wird. Wollen sich aber die Schriftsteller und Zeitungsmänner von mir — Schulmeister nicht drein reden lassen, so will ich ihnen einen aus ihrer Mitte nennen, der ebenso urteilt, selber aber nur naturfrische und lebenswahre Bilder aufweist. Es ist G. Keller, der die „Manier" früh beobachtet hat und schon überwunden hatte, als er sie im grünen Heinrich (Volksausg. II, 145 f.) also geißelte: Die Art seiner Einrichtung, versetzte ich, werde vielleicht mit einem andern Wesen zusammenhängen, das ich seit einiger Zeit bemerkt habe, nämlich die wunderliche Manier, in welcher die verschiedenen Künste ihre technische Ausdrucksweise vertauschen. Da hätte ich kürzlich die Kritik einer Symphonie gelesen, worin nur von der Wärme des Kolorits, Verteilung des Lichtes, von dem tiefen Schlagschatten der Bässe, vom verschwimmenden Horizonte der begleitenden Stimmen, vom durchsichtigen Helldunkel der Mittelpartien, von den bewegten Konturen des Schlußsatzes u. dgl. die Rede sei, so daß man durchaus die Rezension eines Bildes zu lesen glaube. Gleich darauf hätte ich den rhetorischen Vortrag eines Naturforschers, der den tierischen Verdauungsprozeß beschrieb, mit einer gewaltigen Symphonie, ja mit einem Gesange der göttlichen Komödie vergleichen hören, während am andern Tische des öffentlichen Lokals einige Maler die neue historische Komposition des berühmten Akademiedirektors besprochen und von der logischen Anordnung, der schneidenden Sprache, der dialektischen Auseinanderhaltung der begrifflichen Gegenstände, der polemischen Technik bei dem dennoch harmonischen Ausklingen der Skepsis in der bejahenden Tendenz des Gesamttones zu reden gewußt hätten, kurz, es scheine keiner Zunft mehr wohl in ihrer Haut zu sein und jede im Habitus der anderen einherziehen zu wollen.

Wir stehen am Ende unserer Rundschau auf den verschiedenen Gebieten deutscher Sprachgestaltung vor einer Geschmacklosigkeit ohnegleichen, nachdem wir eine ganze Unzahl fehlerhaftester Gebilde von den oft gröb- $Seite 458$ lichsten Verunstaltungen der kleinsten Sprachteile bis zu den häßlichsten Verzeichnungen der ausgeführtesten Bilder haben an uns müssen vorüber ziehen lassen. Das Geschaute könnte sogar ohne viele Mühe leicht vervielfältigt werden. Dazu haben wir sehen müssen, wie heute oft auch die Meister nicht nur in Einzelfällen einen verzeihlichen Fehlgriff tun, sondern wie selbst sie und noch mehr die federgewandten Kritiker und Berichterstatter auch guter und großer Zeitungen in vielen Dingen die beklagenswerten Verirrungen der heutigen Sprachgestaltung eher fördern als abweisen, ja oft liebgewonnen haben. Wenn einer so die Besten, wenn er die, die echt deutsche Bahnen zu führen am berufensten wären, andre Wege wandeln sieht, wer könnte es ihm verdenken, wenn er da an einer allgemeinen Besserung verzweifelte und ausriefe wie jener Geistliche am Sarge Bernhards v. Weimar, als in diesem der letzte für große deutsche Belange kämpfende Held jenes uns fremdem Einflusse preisgebenden Krieges dahingesunken war: Du aber, armes Deutschland, gehe hin und weine bitterlich!

Scan
Matthias(1929) 456-458.pdf


Zweifelsfall

Rhetorische Figuren und ihr Gebrauch

Beispiel
Bezugsinstanz Literatursprache, Zeitungssprache, Ansbach, Keller - Gottfried, gegenwärtig, Schreiber guten Stils
Bewertung

Frequenz/immer üblicher, naturfrische und lebenswahre Bilder, Manier, Geschmacklosigkeit, gröblichste Verunstaltungen, häßlichsten Verzeichnungen, beklagenswerte Verirrungen

Intertextueller Bezug G. Keller: Der grüne Heinrich (Volksausg. II, 145 f.)