Für Provinzialismen ist in der guten Schriftsprache kein Raum, mögen sie stammen, woher sie wollen. Man spricht jetzt viel davon, daß unser Sprachvorrat aus den Mundarten aufgefrischt, verjüngt, bereichert, befruchtet werden könnte. O ja, wenn es mit Maß und Takt ge- schähe, warum nicht? Überzeugende Proben davon hat man aber noch nicht viel gesehen. Ein böses Mißver- ständnis wäre es, wenn man jeden beliebigen Provin- zialismus für geeignet hielte, unsern Sprachvorrat zu „bereichern." Meist liegt kein Bedürfnis darnach vor, man legt sich dergleichen aus Eitelkeit zu, um Aufmerk- samkeit zu erregen, etwa wie irgend ein Hansnarr zu einem gut bürgerlichen Anzug einen Tiroler Lodenhut mit Hahnenfeder aufsetzt.
Namentlich sind es österreichische Ausdrücke und Wen- dungen (Austriazismen), die jetzt durch wörtlichen Abdruck aus österreichischen Zeitungen in unsre Schriftsprache her- eingeschleppt, dann aber auch nachgebraucht werden.
Für brauchen z. B. sagt der Österreicher benötigen, für benachrichtigen verständigen (jemand ver- ständigen, während sich in gutem Deutsch nur zwei oder mehr untereinander verständigen können); beides kann man jetzt auch in deutschen Zeitungen lesen. In der Studentensprache ist das schöne Wort unter- fertigen Mode (statt unterzeichnen); das ist nichts als eine lächerliche, halb(!)-österreichische Bastardbildung. Der Österreicher sagt: der Gefertigte. Das ist dem deutschen Studenten, der sich zuerst damit spreizen wollte, mit dem Unterzeichneten in eine Mischform zusammen- geronnen, und seitdem erfüllt fast in allen akademischen Vereinigungen beim „Ableben" eines Mitgliedes der unterfertigte Schriftführer „die traurige Pflicht, die geehrten a. H. a. H. und a. o. M. a. o. M. geziemend (!) davon in Kenntnis zu setzen."
Unerträglich in gutem Schriftdeutsch ist das süd- deutsche gestanden sein und gesessen sein: die Per- sonen, mit denen er in näherm Verkehr gestanden war — es lebten noch Männer, die in der Paulskirche $Seite 412$ gesessen waren (vgl. S. 58); ganz unerträglich ferner die österreichischen Verbindungen: an etwas vergessen, auf etwas vergessen und auf etwas erinnern (auf die Einzelheiten des Stückes konnte ich nicht mehr erinnern u. ähnl.).
Eine ganze Reihe von Eigenheiten hat der Öster- reicher im Gebrauche der Adverbia. Er sagt: im vor- hinein statt von vornherein, rückwärts statt hinten, beiläufig (bailaifig) statt ungefähr (bis zur höchsten Spitze ist es beiläufig 6000 Fuß — dies ist bei- läufig der Inhalt des hübschen Buches — der zweite Band erscheint in beiläufig gleicher Stärke), während in gutem Deutsch beiläufig nur bedeutet: nebenbei, im Vorbeigehen (beiläufig will ich bemerken). Für nur noch heißt es in München wie in Wien: nur mehr: z. B. leidenschaftliche Gedichte von nur mehr geschichtlichem Wert — alle Bemühungen sind jetzt nur mehr darauf gerichtet — auf die Christlich-Sozialen fielen heute nur mehr acht Stimmen usw. Neuer- dings, das gut deutsch nichts andres heißt als: in neuerer Zeit (neuerdings ist der Apparat noch wesentlich vervollkommnet worden), wird in Österreich in dem Sinne von wiederum, nochmals, abermals, aufs neue, von neuem gebraucht, z. B.: es kommt mir nicht darauf an, oft gesagtes neuerdings zu wiederholen — er hat mich hierdurch neuerdings zu Dank verpflichtet — eine Reise führte ihn neuerdings mit der Künst- lerin zusammen — in diesem Vortrage wird neuer- dings die Frage untersucht — es kam eine Schrift zur Verlesung, worin B. neuerdings für seine Überzeugung eintrat — die Geneigtheit der Kurie muß bei jedem Wahlgange neuerdings erkauft werden.//*) Auf einige häßliche Austriazismen ist schon in der Formenlehre und in der Satzlehre hingewiesen worden. Vgl. S. 16 und 57.// Man möchte wirklich annehmen, daß mancher deutsche Zeitungs- redakteur von all diesen Gebrauchsunterschieden gar keine Ahnung habe, denn sonst konnte er doch solche Sätze nicht unverändert in seiner Zeitung nachdrucken, er müßte doch jedesmal den Austriazismus erst ins Deutsche über- setzen, damit der deutsche Leser nicht falsch verstehe! $Seite 413$
Eine Schrulle des niedrigen Geschäftsstils ist es, wenn jetzt angezeigt wird, daß Kohlen ab Zwickau oder ab Werke (!) oder ab Bahnhof oder ab Lager zu haben seien, Heu ab Wiese verkauft, Flaschenbier ab Brauerei geliefert werde, daß eine Konzertgesell- schaft ab Sonntag den 7. Juni auftrete, oder daß eine Wohnung ab 1. Oktober zu vermieten sei. Ab als selbständige Präposition vor Substantiven (vgl. ab- handen, d. i. ab Handen) ist schon seit dem sieb- zehnten Jahrhundert vollständig durch von verdrängt. Nur in Süddeutschland und namentlich in der Schweiz wird es noch gebraucht, dort sagt man noch ab dem Hause, ab dem Lande. Aber was soll uns plötzlich dieser Provinzialismus? und noch dazu in solcher Stammelform: ab Werke, von der man nicht weiß, ob es der Datip der Einzahl oder vielleicht gar der Akkusativ der Mehrzahl sein soll? Es ist übrigens doch zweifelhaft, ob die Geschäftsleute, die sich neuerdings damit spreizen, wirklich das alte deutsche ab meinen, und nicht vielmehr das lateinische ab. Zuzutrauen wäre es ihnen, wenigstens wenn man pro Jahr, pro Kopf per sofort, per bald, per Weihnachten und ähn- lichen Unsinn damit vergleicht.//*) Manche Kaufleute behaupten, in dem ab liege ein besondrer Sinn; es solle ausdrücken, daß der Übergang einer Ware aus dem Besitz des Kaufmanns in den des Käufers an der angegebnen Stelle (ab Bahnhof, ab Lager) geschehe; der Bahnhof, das Lager sei der „Erfüllungsort." Davon hat aber doch der harmlose Käufer, der so etwas in der Zeitung liest, keine Ahnung.//
Ein garstiger Berolinismus, der aber immer mehr um sich greift und schon in Lustspielen von der Bühne herab zu hören ist, ist bloß für nur in ungeduldigen Fragen und Aufforderungen: Was hat er bloß? Was will er bloß? Komm doch bloß mal her!
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