Nennform mit um zu falsch statt Hauptsatzes
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 331 - 332 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, Rückert - Friedrich, Bornhak - Friederike, Alt, Keller - Gottfried, Gellert - Christian Fürchtegott, Literatursprache, Zeitungssprache, Bismarck - Otto von, Raabe - Wilhelm |
Text |
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Noch viel tadelnswerter ist es freilich, wenn um zu über die Grenzen der Folge- und Absichtssätze hinaus zur Anführung jedes beliebigen fortführenden Gedankens dienen soll. Denn wenn ein solcher in die Form eines logisch, d. h. hier nach dem Gesichtspunkte des Zweckes, auch der Folge bestimmenden Nebenumstandes herabgedrückt werden soll, so widerstreitet dies dem Hauptgesetz über die Anwendung der Haupt- und der Nebensatzform. Aus der Feder Bornhaks hätte denn so wenig der Satz kommen sollen: Die junge Fürstin wurde dort von (dem und dem) empfangen, um am 27. Juni nachmittags in Berlin einzutreffen, als aus der H. Rückerts der gleich schlimme: Schon mittelhochdeutsch war aus gleicher Quelle môment entlehnt worden, um aber (!) nachher wieder zu verschwinden. Und vor und neben vielen Romanschriftstellern schrieb einer der ersten unter ihnen, G. Keller, oft derart: So haben wir das komische Schauspiel, wie Menschen sich der abstraktesten Ideologie hingeben, um nachher jeden, der an etwas erreichbar Gutes und Schönes glaubt, einen Ideologen zu nennen; $Seite 332$ und W. Raabe: Da stand Mariens kleines Nähtischchen, wie sie es an jenem Abende verlassen hatte, um nicht wieder davor zu sitzen, nicht wieder durch die Rosenstöcke in die dunkle Gasse hinauszusehen. Namentlich aber in Zeitungen ist aller paar Zeilen Ähnliches zu finden: Ein Paar Gespanne machen vor der Universität Halt, um gleichgültig weiter zu rollen, wenn ein Herr ausgestiegen. Die Papiere fallen rasend schnell, meist um nicht wieder zu steigen. Im örtlichen Teile bringen die Gelegenheitsberichterstatter dann vollends manchmal gar Ungereimtes zuwege: Hieran schloß sich die Festtafel, zu der vier Tafellieder vorlagen, um später einem lustigen Tanzreigen Platz zu machen! Wer wollte freilich verkennen, daß ein G. Keller, wenn er ferner auch schrieb: Durch das Fenster sah ich dem Zuge nach, der sich durch die Wiesen unter den Bäumen hin bewegte und dann auf der Höhe des Kirchhofs zum Vorschein kam, um endlich in der Kirchtür zu verschwinden, dies aus Verlangen nach Abwechslung in Satzform und Satzrhythmus getan hat//1 Neuerdings hat solche Fälle in größerem Zusammenhange E. Lerch behandelt: „Satzglieder ohne den Ausdruck irgendeiner logischen Beziehung" (German.-roman. Monatsschrift V (1913), 353 ff.).//? Überhaupt gibt es wohl einen Fall, wo der feine Stilist selbst die Weiterentwicklung einer Handlung, mag sie schon an anderm Orte und zu späterer Zeit erfolgen, auch einmal in der Nennform mit um zu angeben darf; das ist dann, wenn der Widerspruch zwischen der Erwartung oder Absicht, die bei Beginn wirken mochte, und dem schließlichen Ergebnis mit einer gewissen, je nachdem launigen oder bittern Ironie hervorgehoben werden soll. Vgl. als Musterbeispiel für die launige Ironie: Er schoß über den glatten Saal, um sich auf einmal zu den Füßen seiner Angebeteten zu finden, und für die bittere: Mit dem ganzen Überschwang der Jugend trat er in seinen Beruf ein, um in dessen Tretrade sehr bald eine andere Auffassung vom Leben zu lernen. Auch Gellert schrieb schon: Marianne erholte sich aus einer Ohnmacht, um in die andere zu fallen. Wie fein aber Bismarck diese Freiheit zu nutzen verstand, kehren solche Sätze bei ihm: Die Ausführung des Beschlusses war völlig unmöglich, wenn man nicht die bisher aufgewandten Kosten als weggeworfen betrachten wollte, um im nächsten Jahre wieder von neuem anzufangen. — Die Regierung glaubt, daß es nicht nützlich sei, das Beispiel hinzustellen, ein deutsches Land habe Preußen nur den Finger zu reichen, um gegen seinen Willen aller seiner Eigentümlichkeiten entkleidet und bis auf die Haut preußisch uniformiert zu werden. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Bismarck - Otto von, Bornhak - Friederike, Schreiber guten Stils, Keller - Gottfried, Gellert - Christian Fürchtegott, Rückert - Friedrich, Zeitungssprache, alt, Literatursprache, Raabe - Wilhelm |
Bewertung |
aus Verlangen nach Abwechslung in Satzform und Satzrhythmus, Falle, wo der feine Stilist darf, falsch, Frequenz/aller paar Zeilen, gleich schlimme, hätte denn so wenig der Satz kommen sollen, Musterbeispiel, Noch viel tadelnswerter ist es freilich, Ungereimtes, widerstreitet dies dem Hauptgesetz, wie fein diese Freiheit zu nutzen verstand |
Intertextueller Bezug | E. Lerch: Satzglieder ohne den Ausdruck irgendeiner logischen Beziehung (German.-roman. Monatsschrift V (1913), 353 ff.) |