Beschränkte Möglichkeit solcher Zusammenziehungen

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 297 - 299

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Unsicherheit
Text

Und doch wird man gar manche Sätze billigen müssen, die äußerlich betrachtet den nämlichen Fehler wie die vier angeführten enthalten, daß sie nämlich besonders infolge Gemeinsamkeit des Subjekts zusammengezogen sind, obwohl das einleitende gemeinsame Fürwort nicht für beide paßt. Oder hätte einer, der mit Bewußtsein auch für die sprachliche Schönheit in einem Musterwerke deutscher Prosa wie den ersten Büchern von Wilhelm Meisters Lehrjahren gelesen hat, wirklich einen ähnlichen Ruck wie bei den oben angeführten Sätzen erhalten, wenn er dort auf den ersten Seiten die folgenden las? Dagegen waren mir unter den Büchern des Großvaters die deutsche Schaubühne und ital.-deutsche Opern in die Hände gefallen, in die ich mich sehr vertiefte und jedesmal nur erst vorne die Personen überrechnete und dann sogleich zur Aufführung des Stückes schritt. — Marianne schaute mit einem traurigen Blick nach ihr auf, den Wilhelm bemerkte und in seiner Erzählung fortfuhr. — Es finde sich ja so manche leere Zeit, die man dadurch ausfüllen und nach und nach etwas hervorbringen könne, wodurch wir uns und andern ein Vergnügen bereiten, und ohne verbindendes und: In diesen Zimmern platzte jetzt wohl eine Feuerkugel .., $Seite 298$ in diesen Zimmern, deren vermaledeite Peking-Tapete ich geschont, mich geniert habe, meine Landkarte aufzunageln. Ich meine, der Ruck ist ausgeblieben und bleibt auch bei jüngeren und jüngsten Sätzen derart aus: bis zur Ausgelassenheit, worüber Veronika sich nicht wenig verwunderte und es ihr unverhohlen äußerte (E. T. A. Hoffmann); oder: ohne ihren Rat, den sie für ... unschätzbar hielt und deshalb die Fähigkeiten nicht hoch genug anzuschlagen wußte, die eines so kostbaren Förderungsmittels zu entbehren wußten (Annette v. Droste-H.); oder: der Einfluß, den die weltpolitische und wirtschaftliche Lage auf den Krieg gewonnen und ihn in die Länge gezogen haben, konnte zu lange nicht erkannt werden (v. Freytag-Loringhoven); oder: Er schritt auf einen eisernen Schrank zu, dem er ein graues Büchlein entnahm und vor mich hinlegte (Bonsels); oder: Eine Postexistenz der Seele fordert ihre Präexistenz, wie auch Origines sah und dadurch in Ketzerei verfiel (Deussen). Der Eindruck der tadellosen Glätte solcher Sätze beruht auf zwei Gründen//1 In stilistischen Lehrbüchern, wo man freilich solche Unterscheidungen vergebens sucht, werden solche Fügungen allgemein grobe Fehltritte genannt. Die oben aufgestellten Gesichtspunkte wollen natürlich auch keine Regeln sein, welche die Klassiker bewußt befolgt hätten; aber sie sind der weit überwiegenden Mehrheit der Beispiele entnommen, in denen die Freiheit, die es immer bleibt, bei Klassikern und bei guten Stilisten unserer Zeit vorkommt, und sie bezeichnen somit die Grenzen, innerhalb deren sie das Sprachbewußtsein und Schönheitsgefühl dieser berufenen Sprachschöpfer nach noch größerer früherer Freiheit auch jetzt noch für zulässig hält.//: einmal benimmt die Form des zweiten Satzes frühzeitig genug die Vorstellung, als ob das Fürwort auch für ihn noch voll gelte; vor allem aber enthalten sie sämtliche Angaben über die Ausführung, das Fortspinnen, die Folgen der ersten Handlung; aber diese Ausführung, dies Fortspinnen und diese Folgen liegen sämtlich auf dem nämlichen Gebiete, innerhalb desselben Umkreises wie jene, so daß sie dem ersten Satze durchaus Verwandtes und Ähnliches enthalten. Das läßt sich aber wahrlich von der Abfahrt von Markranstädt oder St. Flour und der Ankunft in Leipzig oder Clermont nicht sagen und ebensowenig von dem Aufstecken der Köpfe auf einer Stange und der Beisetzung der Leichname sonst wo! Endlich wird eine weitere Betrachtung ergeben, daß in den getadelten Beispielen die falsch angeknüpften Sätze auch tatsächlich vielmehr mit dem übergeordneten als mit dem Satze, mit welchem sie zusammengezogen sind, auf gleicher Stufe stehn: die letzte Post bringt uns nach Markranstädt, und 81/2 sind wir in Leipzig; am Xten abends sind wir in St. Flour und drei Tage später in Clermont. Das Gleiche gilt von dem tadelnswerten Satze Grillparzers: Gegenwärtiger Brief ist nicht mein erster, sondern ich hatte schon in Karlsruhe einen geschrieben, den ich aber vergaß, auf die Post zu geben, und als ich es in Straßburg tun wollte, sah, daß ich ihn verloren hatte. In den gutgeheißenen Sätzen Goethes dagegen sind die zusammengezogenen Sätze auch sachlich völlig gleichwertig, und um dies der Sache entsprechend auszudrücken, ist die Zusammenziehung gewählt, obwohl die formellen Bedingungen dafür nicht ganz erfüllt waren. Wer die Form nicht über alles setzt, kann danach unbedenklich Sätze billigen und nachbilden wie den Marie Ebners: Es ist eine Entwicklungskrankheit, aus der Georg sich neu gekräftigt erheben und dann erst recht kräftig an Leib und Seele gedeihen wird; oder folgende zwei bei v. Boyen: Ich erblickte den Obersten Scharnhorst, an den ich $Seite 299$ sogleich heranritt und mich meldete; und: Die häufigen Gelegenheiten zum Absatz, den die Garnisonen ihnen und ihrer Nachbarschaft darboten und so den innern Verkehr belebten, wo und so die innigste Verbindung der beiden Nebensätze ausdrückt. Gleich entschieden wird er aber nach denselben Gesichtspunkten den folgenden Satz des nämlichen Generals zurückweisen: Er hatte ein Regiment in Westfalen bekommen, wo es aber auch nicht recht zu gehen schien und er es möglich machte, daß ihm das in Marienstein erledigte Regiment verliehen wurde. Er wird danach auch bei einem Neusten, Bornhak, der überhaupt die Freiheit über Gebühr gebraucht, ja mißbraucht, unbedingt den Satz verurteilen: Sie bleibt an das Lutherische Bekenntnis gebunden, nach dessen Ritus sie das heilige Abendmahl auf ihren Zimmern feierte, aber die Predigten der verschiedensten Geistlichen beider Bekenntnisse hörte und jeder Religionsgemeinschaft helfend zur Seite stand; die von aber an folgenden Sätze sind doch, wie wahrlich deutlich genug ist, dem Hauptsatze gleichwertig. Bei H. Hansjakob wird man den Satz untadelig finden: Das war die gute alte Zeit, von der sie in den Schottenhöfen heute noch reden und Vergleiche anstellen mit der Neuzeit, aber desto entschiedener den anderen mißbilligen: Als blinder Spielmann hatte er die Welt durchreist und auch die Jahrmärkte meiner Heimat, wo er alle Wirtshäuser kannte, mir davon erzählte, mein Heimweh milderte und mein Freund war; denn daß der Spielmann Hansjakobs Heimweh milderte und sein Freund war, geschah eben nicht in der mit wo bezeichnten Heimat, sondern in — Freiburg i. Br.! Wieder wird man nicht mit einem Berichterstatter der Tgl. R. rechten, der schrieb: Am andern Morgen erzählte er mir sein Mißgeschick, worüber ich ihn bedauerte und ihm mehr Stabilität während des Schlafens empfahl; gar ernstlich aber mit denen der Köln. Ztg., welche sich gestattet haben: Derselbe sprach mit einem die Straße passierenden Mädchen, dem er ein Adieu zurief und sich umdrehend das Gleichgewicht verlor (statt und verlor dabei das Gleichgewicht), und: Die Feier wird durch eine Rede begangen werden, welche der zeitige (!) Rektor Br. hält und dann die Ergebnisse der Preisaufgaben verkündet (statt die Feier wird durch eine Rede, welche der .. Rektor .. hält, begangen und dann die Ergebnisse ... verkündet werden). Überhaupt wird diese Freiheit, wenn sie in Zeitungen angetroffen wird, öfter auf Unbeholfenheit der Berichterstatter oder Mangel an Nachdenken beruhen, als daß sie von jener Art wäre, unter welcher die Schönheit und Beweglichkeit des Stiles gedeiht. Auch das kann noch allgemein gesagt werden, daß sie dem rednerischen und verstandesmäßigen Stile ferner liegt als dem gemütlich ausspinnenden, also dem geschichtlichen und erzählenden, davon am meisten dem der Romane.

Scan
Matthias(1929) 297-299.pdf


Zweifelsfall

Ellipsen in Satzreihen

Beispiel
Bezugsinstanz Droste-Hülshoff - Annette von, gegenwärtig, neu, Bornhak - Friederike, Schreiber guten Stils, Literatursprache, Bonsels - Waldemar, Deussen - Paul, Hoffmann - Ernst Theodor Amadeus, alt, Fachsprache (Geschichtswissenschaft), Goethe - Johann Wolfgang, Grillparzer - Franz, Hansjakob - Heinrich, Köln, Zeitungssprache, Ebner-Eschenbach - Marie von, gesprochene Sprache, Boyen - Hermann von, Freytag-Loringhoven - Hugo von
Bewertung

bezeichnen die Grenzen, innerhalb deren sie das Sprachbewußtsein und Schönheitsgefühl dieser berufenen Sprachschöpfer nach noch größerer früherer Freiheit auch heute noch für zulässig hält, dem rednerischen und verstandesmäßigen Stile ferner liegt als dem gemütlichen ausspinnenden, also dem geschichtlichen und erzählenden, davon am meisten dem der Romane, den nämlichen Fehler enthalten, der überhaupt die Freiheit über Gebühr gebraucht, ja mißbraucht, desto entschiedener den anderen mißbilligen, Eindruck der tadellosen Glätte, falsch angeknüpften Sätze, Freiheit, gar ernstlich aber mit denen der Köln. Ztg., getadelten, gutgeheißenen, Ruck bleibt aus, Ruck ist ausgeblieben, tadelnswerten, unbedingt den Satz verurteilen, Wer die Form nicht über alles setzt, kann danach unbedenklich Sätze billigen und nachbilden wie, wird den folgenden Satz zurückweisen, wird man den Satz untadelig finden, wird man gar manche Sätze billigen müssen, wird man nicht mit einem Berichterstatter der Tgl. R. rechten, wird öfter auf Unbeholfenheit der Berichterstatter oder Mangel an Nachdenken beruhen, als daß sie von jener Art wäre, unter welcher die Schönheit und Beweglichkeit des Stiles gedeiht

Intertextueller Bezug