Ein recht, nicht: ein rechter braver Schüler
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 180 - 181 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Gelehrte, Sprache der Werbung, Gegenwärtig, Goethe - Johann Wolfgang, Mundart, Schriftsprache, Süddeutsch, Literatursprache, Zeitungssprache, Jensen - Wilhelm, Gehobene Sprache, Boyen - Hermann von, Geschäftssprache |
Text |
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Einen Fortschritt selbst über die Klassiker hinaus stellt die Art dar, wie in überlegter Sprache heute durchgängig ein zweites oder drittes Eigenschaftswort, das zu einem schon durch ein Eigenschaftswort bestimmten Hauptworte und dieser Bestimmung zusammen tritt (eine vierseitige gradlinige Figur = eine gradlinige Figur, die vierseitig ist), durch seine Adjektivform von einer Bestimmung geschieden wird, die, nur einem Eigenschaftsworte geltend, allein dessen Begriff einschränkt und immer im Adverbium steht: mit gutmütig derbem Tone, d. h. mit einem Tone, dessen Derbheit gutmütig ist. Statt wie Goethe noch sagte: (Minna von Barnhelm), ein Werk von vollkommenem norddeutschem Nationalgehalte, sagen wir also: ein Stück von vollkommen norddeutschem Nationalgehalte. Und da wir scharf, bequem und trefflich unterscheiden können — z. B. ein schönes, frisches Gesicht und ein noch schön frisches Gesicht —, so sind wir verpflichtet, in der Schriftsprache diesen Fortschritt zu wahren und nicht besonders die gradbestimmenden Angaben wie recht, ganz, außerordentlich u. ä. vor dem Eigenschaftswort in mundartlicher Weise zu beugen: ein ganzer neuer Hut, ein rechter braver Schüler. Die Häufigkeit dieser Ausdrucksweise ist auch schuld an solchen Anzeigen in den Blättern: Ein vollständiger ausgelernter Bäckergeselle sucht Arbeit. Freilich auch Jensen redet von einem unzweifelhaften römischen Wartturm statt einem unzweifelhaft römischen, und ähnlich ein Mitarbeiter der Tägl. R. von Geweben mit einem möglichst neutralen altmodischen guten (statt gut) stilisierten Muster. Auch eine Substantivierung des Eigenschaftswortes ändert an der Behandlung eines Bestimmungswortes nichts, das nicht dem dadurch aus- $Seite 181$ gedrückten ganzen Wesen, sondern nur der Eigenschaft gilt. So muß es wohl heißen: Geizige Reiche, d. h. reiche Leute, die geizig sind, aber die geistig Armen d. h. die Leute, die an Geist arm sind. Also hat eine Zeitung unrichtig geschrieben: zwei anscheinende Fremde statt anscheinend Fremde, d. h. zwei Männer, die anscheinend fremd waren, und richtig: zwei anscheinend Tote; das offenbar Vorbereitete und Berechnete des Streiches. Auch das Gegenstück fehlt im heutigen Schrifttume nicht, der Gebrauch des Adverbs, wo doch, als auch zum Substantiv gehörig, das Adjektiv erfordert wird. Da wird ein tüchtig unverheirateter Gärtner, ein anständig junger Mann gesucht, und ein Großhändler preist echt importierte Zigarren an. Selbst Boyen legt dem Fürsten Schwarzenberg den Ruf persönlich glänzender Tapferkeit bei, und zwei süddeutsche Gelehrte schreiben: Davon habe ich in meiner Ausgabe der ältest erreichbaren Texte das Erforderliche beigebracht und die nach ihrem ältest erkennbaren ... Auslaute sogenannten A-Stämme; und doch sind die ältesten Texte und Vokale gemeint, die erreichbar und erkennbar sind! Vollends sind Anschriften derart häufig: Staatlich (statt Staatlicher) Oberbrambacher Sauerbrunn. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schriftsprache, Zeitungssprache, Boyen - Hermann von, Goethe - Johann Wolfgang, Sprache der Werbung, Geschäftssprache, gegenwärtig, Jensen - Wilhelm, Literatursprache, Mundart, gehobene Sprache, Gelehrte, süddeutsch |
Bewertung |
Fortschritt, Frequenz/häufig, Frequenz/Häufigkeit dieser Ausdrucksweise, muß es wohl heißen, nicht, richtig, unrichtig, verpflichtet, diesen Fortschritt zu wahren |
Intertextueller Bezug |