Fremde Wendungen, besonders Gallizismen

Aus Zweidat
Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 424 - 427

Nur für eingeloggte User:

Unsicherheit
Text

Solchen Flüchtigkeitsfehlern gegenüber muß sich wahrlich der Ärger über manches Fremdländische//1 Den Kampf gegen überflüssige Fremdwörter im besonderen zu führen, kann sich ein Buch wie dieses versagen, wo er kräftiger von einem großen Vereine, dem Deutschen Sprachvereine, geführt wird. Ein guter Helfer darin ist Hoffmann-Matthias, Fremdwörterbuch. Leipzig, Friedr. Brandstetter.// dämpfen, namentlich wenn es vielbeschäftigten Zeitungsschreibern bei der Übersetzung einmal aus der Feder fließt. Nur leise und bloß für den Kundigen schimmert die französische Färbung durch, wenn man statt es kommt uns zu ein durch das französische c’est à nous veranlaßtes es ist an uns findet, das doch nur die Reihenfolge, nicht die Verpflichtung bezeichnet. Ähnlich liegt die Sache, wenn, durch avoir beau veranlaßt, gut suchen haben in der Bedeutung vergeblich suchen verwendet wird, während es echt deutsch doch nur so viel ist als leicht suchen können. Heute klingt es auch weniger deutsch als französelnd oder doch gesucht, wenn eine folgende das Subjekt oder Objekt bildende Nennform bei oder vor dem regierenden Verb nicht durch das Wörtchen es angedeutet wird, wie in dem Satze Freytags: Meinst du, ich werde überleben von den Schwertgenossen getrennt zu sein?//2 Ranke sagt: Wallenstein liebte es, neue Regeln aufzustellen, ganz nach deutscher Art, da es lieben etwas zu tun, wenn es auch unter französischem Einfluß beliebter geworden sein mag, ohne Grund abgewiesen wird. Eine ganze Reihe in Büchern wie dem Brandstätters als Gallizismen verpönter Wendungen sind gar nicht so schlimm. So läuft es doch wahrlich keinem Gesetze der deutschen Sprache zuwider, wenn man eine Widerlegung oder eigene Ansicht mit der Frage einleitet: Was willst du? Was wollen Sie? Ebensowenig die ratlose Frage: Was hat er nur? oder: Fragen ähnlichen Sinnes im Infintiv: Was tun? Auch: Dein Fall ist ein andrer statt deine Sache liegt, verhält sich anders ist nichts so Fremdes. Gleich gar nicht hat es aber französischen Einflusses bedurft, um diesen Tag, diesen Morgen neben heute morgen sagen zu lassen: ebenso ist es (ge)denkt mir, auch es denkt mich noch = ich erinnere mich noch viel zu alt, als daß man dafür französische Quelle annehmen müßte. In der Wendung eine Schwäche hegen oder haben für — darf man dagegen gern eine herübergenommene schöne Metonymie anerkennen und nachahmen. Aber wieder für Wendungen, wie sie sich bei Lessing finden und heute sehr oft: Zum Unglück, daß Dianas Schar so nah mit ihren Hunden war. Vielleicht, daß sie in diesem Zustande mehr zu beklagen war als Essex selbst, braucht man die Erklärung nicht mehr in fremder Herkunft zu suchen, nachdem sie Paul a. a. O. (S. 240) so natürlich als Prädikat (vielleicht, zum Unglück) + Subjektssatz erläutert hat.//

Lästiger fällt es uns schon, wenn sich aus der Fremde Fürwörter einnisten, die nach deutschem Sprachgefühl überflüssig sind. So das nämliche Wörtchen es in vor- und eingeschobnen Sätzen mit wie, die keine eigentlichen Vergleichssätze sind und in denen wie schon hinreichend die Be- $Seite 425$ ziehung ausdrückt. Also ist in den folgenden Sätzen das eingeklammerte es überflüssig: wie er [es] selbst erzählte, hat er den Freund noch eingeholt. Ein Pope, wie er nicht sein soll, aber leider [es] häufig ist. Er war von dem Wahne Don Ferrantes mehr umsponnen, als er selbst [es] wußte. Mehr nach englischer Art ist es in Sätze, besonders Relativsätze, eingefügt, in denen der regierende Satz in der abhängigen Konstruktion mitten innen steht: Schwierigkeiten, die [es] vorauszusehn unmöglich war (H. Grimm), oder: In dieser Angelegenheit, die wir [es] für unsre Pflicht halten, zu unternehmen. Ein Possessiv statt des Artikels ist wider unsre Art in Wendungen wie: seinen Hof, seine Cour machen, seine Verzeihung erlangen; ebenso in der Anrede, wo der bloße Nennfall oder Hinzufügung eines Eigenschaftswortes üblich ist//1 An der Richtigkeit dieser Aufstellung für die gewöhnliche Redeweise ändern solche leidenschaftlich bewegte Stellen nichts, wie: Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!//: was willst du, meine Tante, statt: was wünschest du, Tante oder liebe Tante? Auch Teilungsgenetive, besonders dem französischen partitiven en entsprechende, dringen gegen deutsche Art ein statt artikelloser Nominative oder Akkusative bloßer unbestimmter Fürwörter, oft ohne ein im Deutschen nötiges regierendes Wörtchen: Er bewilligte ihnen so viel Schulen und Synagogen, als sie [deren] bedurften. — Zwei Tropfen Stärkendes träuft mir hinein; ihr habt ja dessen (statt: welches). Man räumte mir von den besten Zimmern ein (statt: eins oder einige von den besten Zimmern (P. Heyse). Ganz störend ist für uns die Einschiebung des Fürwortes andere zwischen Personalpronomen und Substantiv: die Pfaffen schonen uns nicht, uns [andre] Laien. Französisch wirkt es auch, wenn ein Fürwort und Titel oder ein einfacher Ausrufesatz in einen Titel mit daran gefügtem Relativsatz auseinandergezogen, also z. B. nicht gesagt wird: Ich Tor oder Bin ich ein Tor, gegen eine Neigung kämpfen zu wollen, sondern: Tor, der ich bin, gegen eine Neigung usw. Gleich undeutsch ist es, wenn der Relativsatz, der doch die Art bestimmen soll, statt einer Nennform, eines abhängigen Fragesatzes oder auch Mittelworts neben ein Verb der Wahrnehmung tritt und z. B. gesagt wird: Ich sah den Prinzen, der zu ihren Füßen kniete statt: ich sah den Prinzen zu ihren Füßen knien(d) oder: wie der Prinz zu ihren Füßen kniete. Am ärgsten aber läuft es der innerlichen und empfindungsvolleren Auffassung unserer Sprache zuwider, wenn statt des Dativs der bei etwas beteiligten Personen das Possessiv oder der Genetiv des Substantivs eintritt. Zwar zu Füßen fallen ist bei Grimm, Wb. IV, 1, 991 ff. fast ebenso oft und namentlich schon bei Luther in der Fügung zu jemandes Füßen als einem zu Füßen fallen belegt. Aber durchaus undeutsch bleiben Wendungen wie: Der Himmel führte sie in meinen (statt mir in den) Weg; jemand zu seiner (statt sich zur) Gesellschaft herüberrufen, zu des Königs (statt dem Könige zu) Ehren ein Fest veranstalten; zu jemandes (statt: einem zu) Hilfe kommen, zu jemandes Verfügung, Diensten (statt einem zur Verfügung, zu Diensten) stehen. Ähnlich muß es beurteilt werden, wenn gesagt wird: sich in jemandes Arme werfen, die Hand jemandes küssen, ein Kreuz an den Hals des Mädchens hängen, oder in einem allerneusten Romane: Wenn zwei Seelen ineinander sind, sind sie nicht Gottes? $Seite 426$ flüsterte er in ihr Ohr. Wie fein das Deutsche unterscheidet, können daneben solche Zeitwörter zeigen, neben denen ihrer Bedeutung halber kein Dativ zur Bezeichnung der an einer Handlung interessierten Person möglich ist wie ruhen, liegen, schlafen u. ä. Das Kind ruhte, schlief, lag in den Armen der Mutter.

Auch der Gebrauch und die Fügung mancher Zeitwörter ist mehr französisch als deutsch. Ein sächsischer Diplomat konstruiert ausnahmslos: Lady Paget hat auf der Reise einen preußischen Diplomaten begegnet (statt ist ihm begegnet), und in gelehrten Zeitschriften liest man immer öfter ohne Wemfall: das Wort, die Wendung begegnet (statt kommt vor, findet sich) bei dem und dem. Ähnlich steht so das verspricht in der Bedeutung der Wendung: Das läßt etwas (Außerordentliches) erwarten, mit welchem Zusatz natürlich auch versprechen nicht zu tadeln wäre. Bewohnen, bei dem wir an ein Einnehmen der ganzen genannten Räumlichkeit denken, vom Wohnen einzelner Personen in einer Stadt zu gebrauchen (wie es bei habiter möglich ist), führt gar zur Aufgabe des feinen Unterschiedes: Ich bewohne das Haus Nr. 10 (= habe ganz inne) und Ich wohne (in) Nr. 10 (d. h. in einem Teile desselben). Auch nichts von jemand wollen (statt wissen wollen), was willst du mir? (statt von mir) oder gar das bloße wollen statt behaupten und das breite sich befinden statt werden und sein (F. Lewald: sich bedient befinden) sind durchaus keine Bereicherungen unseres Wortschatzes und Gebrauches. Auch H. Hansjakob ist die Ausdrucksweise: Man möchte herausbringen, wozu die alten Sachen gedient und wie sie von neuem (statt: neu) ausgesehen haben, gewiß im Umgange mit linksrheinischen Amtsbrüdern angeflogen.

Auch zuviel unnatürliche Bilder sind von jenseit des Rheines geholt worden; so die gang und gäbe: auf dem Laufenden bleiben, ... sein, ... (sich) erhalten, sogar jemanden oder sich auf das Laufende setzen, gewiß ein Kunststück, das man von der Fremde lernen mußte. Auch eintreten in ein Gespräch (statt sich einlassen), auf einen Gedanken, Vorschlag (statt eingehn); etwas, eine Vorstellung, eine Person tritt in meine Gedanken (statt kommt mir in den Sinn, fällt mir ein) stecken eine so eintönige Leistung der Fremde dar, daß man sie schleunigst auf Kosten heimischer Mannigfaltigkeit herüberholen muß. Und damit der Wechsel und die Bestimmtheit der deutschen Ausdrucksweise nur ja vor der fremden nichts voraushabe, wird solche Uniformierung, auf deutsch Verarmung, nach fremdem Muster noch weiter gefordert, indem die vielen eintönigen Phrasen des Französischen mit être und avoir, faire und donner nachgeäfft werden. So heißt es denn französelnd es hat statt es gibt; Sorge, Genuß, Langeweile, Schande (P. Keller!) geben statt bereiten, verschaffen, verursachen u. v. a.; man ist unter einem Eindruck statt daß man darunter stünde, man ist von einer Ansicht statt daß man sie hätte, hegte, nährte u. a. m.; man hat Zweifel, hat Harm, hat Qual, wo es früher hieß man hegt Zweifel oder man zweifelt, man härmt oder quält sich. Das häufige: Nachrichten, Briefe von jem. haben (statt bekommen) macht gar 1920 schon der Deutschkundler W. Freye mit: inzwischen haben beide Königinnen einen Sohn. Auch daß der Satz: Du bist von den Leuten des Kardinals bei C. F. Meyer steht, macht den Gallizismus nicht erträglicher. Aber nun das Allerfeinste: man tut einem Wunden (Wildenbruch!), man macht von etwas Erwähnung, wie schon früher nicht viel $Seite 427$ besser man tut einer Sache Erwähnung, man macht es so und so, wo Vernünftige sagen man sagt, spricht, entgegnet das und das; es macht (statt ist) warm oder kalt; der Hund gibt laut (statt schlägt an); Fleur machte Michael ein Zeichen zurückzubleiben; und weil man zu bequem ist, zwischen dem, was klar, und dem, was unzweifelhaft, entschieden, fest ausgeprägt, fertig usw. ist, zu unterscheiden, läßt man das alles in dem einen französischen Ausdrucke prononciert oder seiner äußerlichen Verdeutschung ausgesprochen oder erklärt zusammenfließen, und eine ähnliche Neuheit allerjüngster Tage ist die prominente Persönlichkeit, der Prominente. Selbst Hier in Sätzen der polnischen Z. wie: Hier, was vorging. Hier, welche Rolle ich in der Kommune spielte, statt mannigfacher Wendungen wie Vernehmen Sie, Hören Sie, Erfahren Sie denn u. v. a. ist eine zugespitzte Art zu reden, die dem Deutschen fernliegt und lediglich durch Übersetzung von voici veranlaßt ist.

Scan
Matthias(1929) 424-427.pdf


Zweifelsfall

Übersetzungsinterferenzen: Französisch

Beispiel
Bezugsinstanz 20. Jahrhundert, Fachsprache (Germanistik), Freye - W. (?), neu, Schriftsprache, Meyer - Conrad Ferdinand, Lewald - Fanny, Freytag - Gustav, alt, Gelehrte, Zeitungssprache, Umgangssprache, Grimm - Jacob, Grimm - Wilhelm, Grimm - Hans, Hansjakob - Heinrich, gegenwärtig, Köln, Zeitungssprache, Lessing - Gotthold Ephraim, Luther - Martin, neu, Heyse - Paul, Keller - Paul, Redewendung/Sprichwort, Ranke - Leopold von, Sachsen, Sprache der Politik, Übersetzer, Schreiber guten Stils, Übersetzer, Zeitungssprache, Wildenbruch - Ernst von
Bewertung

als Gallizismen verpönter, Am ärgsten aber läuft es der innerlichen und empfindungsvolleren Auffassung unserer Sprache zuwider, auf Kosten heimischer Mannigfaltigkeit, darf man nachahmen, das Allerfeinste, durchaus keine Bereicherungen unseres Wortschatzes und -gebrauches, durchaus undeutsch, echt deutsch, eintönige Leistung der Fremde, eintönige Phrasen des Französischen, französelnd, Französisch wirkt es auch, Frequenz/ausnahmslos, Frequenz/fast ebenso oft, Frequenz/gang und gäbe, Frequenz/häufig, Frequenz/immer öfter, Frequenz/sehr oft, Frequenz/üblich, Ganz störend, gar nicht so schlimm, gegen deutsche Art, gesucht, gewiß im Umgange mit linksrheinischen Amtsbrüdern angeflogen, Gleich undeutsch, Kunststück, das man von der Fremde lernen mußte, Lästiger fällt es uns schon, wenn sich aus der Fremde Fürwörter einnistem, die nach deutschem Sprachgefühl überflüssig sind., läuft es doch wahrlich keinem Gesetze der deutschen Sprache zuwider, lediglich durch Übersetzung veranlasst, macht den Gallizismus nicht erträglicher, mehr französisch als deutsch, Mehr nach englischer Art, nicht viel besser, nicht zu tadeln, nichts so Fremdes, Richtigkeit für die gewöhnliche Redeweise, solche Uniformierung, auf deutsch Verarmung, statt, überflüssig, undeutlich, weil man zu bequem ist, zwischen dem, was klar, und dem, was unzweifelhaft, entschieden, fest ausgeprägt, fertig usw. ist, zu unterscheiden, weniger deutsch als französelnd, wider unsere Art, zugespitzte Art zu reden, die dem Deutschen fernliegt, zuviel unnatürliche Bilder

Intertextueller Bezug Deutschen Sprachvereine, Hoffmann-Matthias: Fremdwörterbuch. Leipzig, Friedr. Brandstetter, Paul: a. a. O. (S. 240)