Zur oder zu der? beim oder bei dem?
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
---|---|
Seitenzahlen | 132 - 134 |
Nur für eingeloggte User:
Unsicherheit |
---|
In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
---|---|
Genannte Bezugsinstanzen: | Sprachgelehrsamkeit, Hansjakob - Heinrich, Grosse - Carl Friedrich August, Mann, Frau, Grimm - Jacob, Gegenwärtig, Alt, Behördensprache, Goethe - Johann Wolfgang, Lessing - Gotthold Ephraim, Gesprochene Sprache, Schiller - Friedrich, Schriftsprache, Grimm - Wilhelm, Literatursprache, Zeitungssprache, Volk, Gehobene Sprache, Umgangssprache, Geschäftssprache, Redewendung/Sprichwort |
Text |
---|
Allgemeiner als die Frage, ob Geschlechtswort oder nicht, läßt sich die andere beantworten, wann neben Verhältniswörtern der volle Artikel, wann dessen Zusammenziehungen mit jenen eintreten sollen, also die Formen: zur, am, im, vom, zum, beim; ans, ins, aufs, durchs, fürs, ums, vors, hinters, übers (nicht über’s u. ä.); auch, wenn schon etwas seltener, doch nicht weniger empfehlenswert: vorm, außerm, überm, hinterm, unterm, selbst gegens und widers. Sie gehören als das allein Natürliche, und zwar in jeder Schreibart, in alle formelhaften Wendungen und alle festgeprägten, sprichwörtlichen wie andern Redensarten; und wenn schon Lessing angefangen hat, solche gern zu trennen, so ist das eine Kleinigkeit, worin der Große einmal nicht nachahmenswert ist. Gar aber solche Ausdrücke: er schlug die Gegner auf das Haupt (= er besiegte sie), in das Auge (statt ins Auge) fassen, er kam um das (statt ums) Leben, die Arbeit ist zu der (statt zur) Not genügend, in das (statt ins) Stocken geraten, auf das (statt aufs) neue, zumal bei schriftstellernden Frauen beliebt, doch auch bei Schriftstellern, von denen z. B. selbst Grosse an das Herz gewachsene Kinder kennt, und ein anderer in der Täglichen Rundschau gar mit dem Tode fortgegangen statt mit Tode abgegangen fertig bringt — solche Ausdrücke sind wahrlich nichts als auch ein Beweis von der schon so erschreckend großen Hinneigung unserer jetzigen Schriftsprache zu gespreizter Unnatur. Allerdings wenn in der dritten Steigerungsstufe sich auf das ergötzlichste, auf das beste besonders breit macht, so ist das nicht zu verwundern, da diese Form in Sprachlehren lange genug als die feinere hingestellt und in fremdsprachlichen Übersetzungen danach verfahren worden ist. Überhaupt ist in allen nicht formelhaften Wendungen mit Verhältniswörtern die zusammengezogene Form, besonders zur, am, im, beim, vom, nicht ganz so allgemein auch die auf -s, so oft berechtigt, als darin die hinweisende Kraft des Artikels nicht besonders angespannt zu werden braucht, um etwa auf einen Gegenstand als den bestimmt vorher genannten oder gerade auf ihn als einen ähnlichen und doch anders gearteten, entgegengesetzten hinzuweisen. Solche Zerdehnungen: Die Haltung Preußens in dem Krimkriege, die Lehrer sollen die Teilnahme an dem Schulunterrichte- $Seite 133$ den Kindern durchziehender Zigeuner nicht gestatten, verraten denn auch dem Einsichtigen ihre Herkunft aus der — Schreibstube, — diese gar zweier Ministerien! Ehedem wurde sogar der Wesfall eines eingeschobenen Hauptwortes mit dem Verhältniswort zusammengezogen, und Hansjakob schrieb volkstümlicher Weise meist so: in's Bierkramers Haus. Das Gewöhnliche ist die Zusammenziehung vor dem substantivierten Infinitive beim Lesen, beim Schreiben. Auch ein Eigenschaftswort hat nicht an sich bestimmte Kraft, so daß auch davor möglich ist: im besten Alter, ... Wohlsein, am Heiligen Abend, zum nächsten Ersten. Selbst vor einer genetivischen Beifügung, die ja den Artikel an sich oft fordert (§ 141), begnügt sich das regierende Hauptwort gern mit der zusammengezogenen Form: beim Lesen des Briefes, zum Aufsetzen eines letzten Willens, im Rate der europäischen Staatsmänner, zur Bestreitung des Lebensunterhaltes; sich aufs Technische des Baues verstehn. Nur die Abkürzungen auf s sind, wohl auch des Wohlklangs halber, neben Genetiven seltener, und kein gewählt Sprechender möchte anders als so hören: auf das Schlachtfeld des 18. August, auf das Dach des Hauses, auf das Schreiben des Ärzteverbandes. Vollends in Ausdrücken wie: Ich trinke auf das Wohl des Fürsten; des Königs Sorge um (für) das Wohl des Staates fordert die Gemessenheit und Würde des Ausdruckes wie die Wichtigkeit der Sache die volle Form. Ein sich an ein Hauptwort anschließender Relativsatz macht ebenfalls vor jenem den vollen Artikel nur nötig, wenn das Hauptwort nach einer besonderen Art hin bestimmt und erläutert, wenn also der Artikel soviel ist wie derjenige, also stärkere hinweisende Kraft hat. Also kann man natürlich nicht sagen: Goethe braucht das Wort Bildung nicht bloß im Sinne, den es heute hat, sondern nur in dem Sinne. Aber im Anfange der Glocke: Zum Werke, das wir ernst bereiten, oder in dem Verse Goethes: als man hörte vom Rechte der Menschen, das allen gemein sei, ist die Zusammenziehung so wenig eine dichterische Freiheit als etwa in dem Satze der Grimmschen Märchen: zur Zeit, wo sie herabfielen, ein der andern Schriftsprache nicht gestattetes Zugeständnis an den Volksmund. So steht denn ein durch einen Relativsatz erläutertes Hauptwort, was sein Bedürfnis nach voller Artikelform anlangt, unter demselben Gesichstpunkte wie jedes andere Hauptwort, dem des Hinweises oder der durch eine Beifügung herbeigeführten Bestimmung noch der Art, also der Unterscheidung. Der Tuchhändler, der uns gerade den gewünschten Stoff nicht mehr geben kann, muß uns also bescheiden: von dem Stoffe habe ich nur noch einen Rest, und ein Gespräch kann also abgebrochen werden: Ich mag von dem ganzen Gerede..., Ich will von dem Unfuge nichts mehr hören. Wer dagegen von Dingen aus seiner Umgebung spricht und mit Leuten, die das Besprochene auch kennen, oder unter Umständen, die nur an jene zu denken verstatten, also immer die Umgangssprache muß zu den verschliffenen Formen hinneigen, und so heißt es, wenn von den Verhältnissen des Heimatortes die Rede ist, nur: zum Lehrer, Pfarrer, Bäcker gehn oder schicken, am Bade, am Markte wohnen, im Orte, im Städtchen geboren. Der Kanzlist dagegen, ebenso der Reisebeschreiber, der Erzähler, die auch fremde und unbekannte Gegenstände als fremde für alle kenntlich machen und oft erst benennen und beschreiben müssen, ehe sie darauf als auf bekannte hinweisen können, werden ebenso überwiegend genötigt sein, sich für die getrennten Formen zu $Seite 134$ entscheiden. Deshalb sagt z. B. ein Reisender: Erst nach zehnstündigem Marsche waren wir wieder in einem Dorfe unter Menschen; doch o weh! in dem Dorfe gab es kein Wirtshaus. Manche der über den Artikel wie auch der über die Deklinationsendungen gegebenen Bestimmungen erleiden kleine Abweichungen in den Verbindungen mehrerer deklinablen Wörter zu beigeordneten Gliedern oder gar einheitlichen Begriffen. Zunächst einiges vom Geschlechts- und vom Verhältnisworte, soweit jene Art auf dieses übertragen wird. |
Zweifelsfall | |
---|---|
Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schiller - Friedrich, alt, Literatursprache, Redewendung/Sprichwort, Literatursprache, gesprochene Sprache, gehobene Sprache, gesprochene Sprache, Goethe - Johann Wolfgang, Grimm - Jacob, Grimm - Wilhelm, Grosse - Carl Friedrich August, Hansjakob - Heinrich, Schriftsprache, gegenwärtig, Behördensprache, Lessing - Gotthold Ephraim, Behördensprache, Literatursprache, Schriftsprache, Schriftsprache, Literatursprache, Mann, Frau, Literatursprache, Sprachgelehrsamkeit, Zeitungssprache, Geschäftssprache, Umgangssprache, Volk |
Bewertung |
berechtigt, Beweis von der schon so erschreckend großen Hinneigung unserer jetzigen Schriftsprache zu gespreizter Unnatur, das allein Natürliche, des Wohlklangs halber, die feinere, fordert die Gemessenheit und Würde des Audruckes wie die Wichtigkeit der Sache, Frequenz/Das Gewöhnliche, Frequenz/nicht ganz so allgemein, Frequenz/schon etwas seltener, Frequenz/seltener, Frequenz/sich besonders breit macht, kann man natürlich nicht sagen, muß, nicht, nicht gestattetes, nicht nachahmenswert, nicht weniger empfehlenswert, nötig, nur, so heißt es, so wenig eine dichterische Freiheit, volkstümlicher Weise, Zerdehnungen |
Intertextueller Bezug |