Zusammensetzungen mit un-, be- und ver-

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 26 - 28

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Unsicherheit
Text

Von den ebenfalls zur Zusammensetzung dienenden Partikeln (vgl. oben § 25) erheischen un- und be- besondere Beachtung.

1. Den Haupt- und Eigenschaftswörtern gemeinsam ist die Zusammensetzung mit der abschwächenden, verneinenden oder den Begriff ins Schlimme oder Unnatürliche verkehrenden Vorsilbe un-. Ist sie bei jenen seltener, so wirkt sie bei ihnen auch kräftiger, in alten Bildungen wie Unzucht, Untat und noch mehr in selteneren und dem einzelnen Schriftsteller eigentümlichen Bildungen wie Unort bei G. Keller, Unwort bei J. Grimm. Nie verbindet sich die Partikel mit Verben, indem Wörter wie verunzieren, beunruhigen, ein verungnadeter Beamter (Minor); Brechts ein wenig verunechtete Gedichtsammlung (DAZ. 28) und selbst das unschöne verunmöglichen Weiterbildungen von nominalen Zusammensetzungen (Unzier, $Seite 27$ unruhig) sind. Danach ist nicht nur ein Wort, wie verunalten falsch, sondern selbst das un- vor eigentlichen Verbalsubstantiven, d. h. solchen, die noch deutlich die Handlung ausdrücken, hart und unschön. Grimms Unbezeichnung der Länge ist also nicht besser als Zeitungsausdrücke derart: Unberüchsichtigung der Eingabe, Unentschädigung einiger Kalamitosen (!). Auch zum ersten Mittelwort passt die Vorsilbe wenig, solange dies nicht völlig adjektivische Bedeutung angenommen hat wie etwa unbedeutend, unwissend, ungenügend, unvermögend; also ein nicht uneinnehmendes Wesen, eine nicht unanziehende Arbeit, unstillstehend, unveraltende Prosaerzählungen würden besser vermieden. Selbst neben dem zweiten Mittelworte, bei dem un- an sich viel häufiger ist als beim ersten, da es außerhalb der Konjugation immer, wie Haupt- und Eigenschaftswort, etwas Abgeschlossenes bezeichnet, muß die Partikel dann mißfallen, wenn es in eigentlich verbaler Kraft Objekt oder Adverbiale regiert und Zeitformen bilden hilft. Demnach wird man weder Grimm die Sätze nachmachen: Garten- und Feldbau sind der allgemeinen Kunde unentzogen (statt nicht entzogen); es ist ihnen ungelungen, sich eigentlich anzubauen, noch die Sätze bei B. Schulze-Schmid, Avonianus und Osk. Schmitz billigen: Sie waren unverwöhnt vom Leben. Im Wallenstein erfolgt die Peripetie durch die vom Helden unerwartete Notwendigkeit, sich auch von Max trennen zu sollen. — Aus dem nächsten Dörfchen, vor dem ein Teil mit dem weißen Kirchturm unverdeckt war durch die gegenüberliegende Berglehne. — Ein lebhafteres Sprachgefühl wird auch den Widerstreit empfinden, der zwischen der Vorsilbe un- und den Steigerungsendungen obwaltet; oder ist seltener nicht natürlicher als unhäufiger? und ist es nicht merkwürdig, wenn eine Behauptung mit dem Ausdrucke, sie ist unbegründet, als grundlos bezeichnet worden ist, daß dann eine andere noch unbegründeter genannt wird? Der üble Klang endlich steht der Zusammensetzung solcher längeren Wörter mit un- entgegen, deren erste Silbe allein stark betont ist, wie unmißverständliche Entschiedenheit, unstaatswirtschaftliche Grundsätze.

2. Die Vorsilbe be- verleitet vielfach dazu, daß die diesen zwei Buchstaben freilich kaum anzusehende Fähigkeit, jedes transitive Verbum bequemer konstruierbar (streuen auf etwas: etwas bestreuen) und jedes intransitive transitiv zu machen (fallen: befallen), überspannt wird, indem ganze Redensarten in ein Zeitwort verdichtet werden, das mit Hilfe der Vorsilbe aus einem substantivischen Bestandteile der Wendung gewonnen wird und das einen Nebenton auf dem be- erhalten muß, der dessen klanglicher Nichtigkeit widerstrebt. Man braucht sich z. B. nicht zu wundern, daß unter Anlehnung an räuchern aus der Wendung einem Weihrauch streuen das Wort beweihräuchern geworden ist, wie ähnlich benachteiligen, bevollmächtigen, und sich zu altem bemuttern jüngeres betochtern gesellt hat (Gundolf); und doch wird man den Spott verstehen, den Platen sein mit mancher Krone bediademtes Haupt Karls V. eingetragen hat, und wird denselben Spott auch selber für ältere Bildungen wie bekopfschütteln, beschandflecken, beaugenscheinigen bereit haben und nicht minder für das herrliche Zweigespann Jensens: beachselzuckt und belorbeert werden, und für befezte und beturbante Köpfe in der Tgl. R. oder den unbekochten Junggesellen bei Zobeltitz. Während des Krieges $Seite 28$ wurden wir beliefert (mit ...), und seit Bülows Deutscher Politik (Bismarck wußte das Ausland zu beeindrucken) wimmelt es von diesem Wort bei Politikern und Nichtpolitikern: Der Zar, durch die inzwischen eingegangenen Nachrichten stark beeindruckt (Helferich) — losgelöst von dem Eindruck und den Beeindruckten (Gundolf). Auch H. Federers bevogten ist nicht viel schöner als sein bekuttet (1918).

Öfter dient jetzt auch ver- zu knappen Neubildungen: Menschen, die noch naiv jedes Erlebnis versichtlichen (Gundolf); die innern Gesetze, die sich in Körper- und Menschenwelt versichtbaren; seine innern Erfahrungen versprachlichen; das Tempo hat sich verlangsamt; verwürdigt, vergleichmäßigt (ders.); der Alte, Vergraute (Federer 26); verbedürftigen, verarmseligen (DAZ. 29).



Zweifelsfall

Wortbildung oder Syntagma

Beispiel
Bezugsinstanz
Bewertung
Intertextueller Bezug