Wortschatz und Wortform *6

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 64 - 68

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Unsicherheit
Text

,Für Provinzialismen ist in der guten Schriftsprache kein Raum, sie stammen, woher sie wollen', so gebietet herrisch einer der Sprachschulmeister Deutschlands. Solange es deutsche Schriftsprache und gesamtdeutsches Schriftentum gibt, sind Provinzialismen, wie der Welscher sagt, also landschaftliche und mundartliche Wörter und Wendungen vom guten Deutsch aufgenommen und zu bestem Gemeindeutsch verarbeitet worden. Kaum zu zählen sind die niederdeutschen Ausdrücke, von denen heute nur noch die Sprachgelehrten wissen, daß sie nicht hoch-deutsch und erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit schriftdeutsch sind. Niederdeutsch sind die Wörter oder Wortformen ,echt, Lippe, Diele, Lehm, Damm, Born, Bö, Beute, Odem, Hafer, Hälfte, Sucht, sacht, schwül, Nichte, Nelke, Treppe, ducken,$Seite 65$dreist, Wucht, plump, Ebbe, Flagge, Hafen, Bucht, Fracht, lichten (Anker), beschwichtigen, Laken, Geschwader, Qualm, schlummern, Boot, Klippe, Strand, Tau (Morgentau), Fracht, Schnippchen (schlagen), Sternschnuppe (in Süddeutschland ,schneuzen' sich die Sterne; vgl. Egmont 4, 1), Stoppel, dröhnen, hapern, prickeln, schlendern, schnüffeln, stottern, düster, flink' . Den Sprachmittlern zufolge wären alle diese Bereicherungen zurzeit ihres Eindringens gemeine ,Provinzialismen' und widerwärtige ,Modewörter' gewesen. Aus dem Bayrischen und Österreichischen, dem Schweizerischen, Schlesischen, Alemannischen, Schwäbischen, Ostpreußischen — von überallher ist der Schriftsprache die Fülle der jetzt unentbehrlichen Bereicherungen zugeflossen, allerdings fast jedes Wort erst nach Kämpfen mit Denen, die sich das Recht zuschrieben, Bestand und Form der Sprache nach ihrem anmaßlichen Geschmack zu verfügen. Wörter wie ,entsprechen, Klüngel, heikel, Fex, Schneid, staunen, anstellig, geistvoll' — gar nicht zu reden von den vielen berlinischen Ausdrücken — sind aus Seitenbächen dem großen deutschen Sprachstrom hinzugerieselt.

Alle unsre größten Schriftdeutschen Dichter stimmen darin überein, daß ohne Bereicherung aus der Landschaftensprache das Deutsche mit der Zeit verkümmern müsse. Keller schrieb nachdrücklich: ,Durch energische Geltendmachung der Dialekte wird das Hochdeutsche vor zu rascher Verflachung bewahrt.' Aber schon Goethe hatte erkannt, die Mundart sei ,doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft'. Und Lessing hatte den jungen Wieland, den er wegen seiner Welscherei gerüffelt, auf die Sprache der deutschen Schweiz als auf eine reiche Quelle guter Neuwörter hingewiesen, auch manches, z. B. ,entsprechen' , sogleich selbst in seinen Sprachschatz aufgenommen. Unentbehrliche Wörter wie fühlen, taüschen, Träne sind erst durch Luthers Bibel schriftdeutsch geworden. Aus Oberdeutschland stammen: staunen, tagen, Ahne. Vischer pries den Segen des mundartlichen Heimatbodens grade für den deutschen Schriftsteller: Wohl mir, daß ich im Land aufwuchs, wo die Sprache der Deutschen Noch mit lebendigem Leib im Dialekte sich regt, Borne, Milch der Mutter noch trinkt, noch quellendes Wasser am Vom Schulmeister noch nicht rektifiziertes Getränk!$Seite 66$Hätten die Sprachmeisterer in Deutschland soviel Macht wie Dreistigkeit gehabt, so fehlten uns heute die schweizerischen Ausdrücke Alp, Matte, Grat, Heimweh, anheimeln, Putsch, die süddeutschen Unbill, anheimeln, aufwiegeln, Machenschaft (noch neusterdings bekrittelt). Es ist kein Unglück, sondern ein willkommner Reichtum, daß wir in Deutschland für denselben Gewerbsmann mindestens fünf Bezeichnungen haben: Fleischer, Schlächter, Schlachter, Metzger, Selcher, und jeder Schreiber darf nach seinem Geschmack wählen. Mag immerhin das Wort Sahne fürs Schriftdeutsche Vorherrschen, so darf man doch keinem österreichischen Schreiber sein Obers, keinem ostdeutschen seinen Schmant als Fehler anstreichen, wenn es inmitten der rechten Umgebung steht, und die berlinisch-norddeutsche Strippe verdient in gewissen Fällen den Vorzug vor dem tadellosen Bindfaden. Ein schriftdeutscher Vorrang zwischen Tischler und Schreiner besteht nicht; so wenig wie zwischen Klempner und Spengler, und für den Oberdeutschen, auch für den Schriftsteller dieser Reichsgaue, dessen natürlicher Ausdruck Samstag lautet, wäre Sonnabend gradezu falsch, so wie Samstag im Munde eines echten Berliners abgeschmackt klänge.

Wer aus der Landsprach Gutes nimmt,

Das sich für seine Dichtung ziemt,

Mich dünkt, der hat nicht missetan,

Tut er's mit Kunst und nicht mit Wahn.

(Hugo von Trimberg im ,Renner', 13. Jahrhundert.)

An seinem Platz ist jedes Wort jeder Mundart vollberechtigt; ,überall in der Mundart ist heiliger Grund' (R. Hildebrandt). Selbst an sich niedrige Wörter wie befummeln, deichseln, fingern, drehen (ein Ding) sind bessere Sprache, jedenfalls mehr Sprache als die Klabastereien einer Unsprache wie des Welsch: managen, effektuieren, funktionieren, manipulieren, hantieren. Noch das roheste Mundartwort ist gewachsenes, eignes, echtes Sprachgut; sein welscher Ersatz ist erbastelt und dazu gestohlen.

Berechtigt ist jede Mundart, doch darf sie nicht zur Mundunart führen. Manches landschaftliche Wort ist im vertraulichen Alltagsgespräch selbst des Gebildeten kein Fehler, aber im Schriftdeutschen unzulässig. Kein Berliner braucht sich eines gelegentlichen bewußt hemdärmligen man statt nur,$Seite 67$

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Engel(1922) 064-068.pdf