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W
Wustmann schimpft jedes Neuwort, das ihm nicht gefällt, ,Modewort', mag es selbst bei den besten Schreibern stehen, die sich keiner flüchtigen Mode unterwerfen. ,Wer überhaupt die Fähigkeit hat, solche Wörter zu erkennen, erkennt sie sofort und erkennt sie alle', so Wustmann der Unfehlbare über Dutzende von Wörtern, die den behutsamsten Schriftstellern als die ganz natürlichen aus der Feder fließen. Da sollen elende Modewörter sein: ,''Darbietung, Ehrung, bedeutsam, eigenartig, erheblich, hochgradig, minderwertig, selbstlos, verläßlich, ausgestalten, darstellen, einschätzen, bewerten' '' usw., usw. (vgl. S. 57). Verwerfliche Modewörter sind in der Tat nicht schwer zu erkennen: an ihrer ewigen Wiederholung bei jeder passenden und nicht passenden Gelegenheit, an ihrer Formelhaftigkeit und Ausgedroschenheit. Kein Zeitalter war ohne sie, denn es ist ja nur menschlich, daß ein ursprünglich gutes, schlagkräftiges Wort allgemein gefällt und nachgesprochen $Seite 70$ wird. Im 18. Jahrhundert herrschten die Mode- und Schlagwörter ''Aufklarung'' und ''Genie'' so aufreizend, daß Wieland jenes schon 1785 für übelberüchtigt erklärte und Lessing von diesem sagte: ,Wer mich ein Genie nennt, dem gebe ich ein paar Ohrfeigen, daß er denken soll, es sind vier.' Heute, schon seit einem Jahrzehnt, behauptet sich das Modewort ''ausgeschlossen'', etwa neben ''tadellos'', mit einer schwer begreiflichen Zähigkeit, denn noch immer ist kein Absterben wahrzunehmen. Gegen solche Wortstrohhülsen gibt es keinen andern Rat als den: der gute Schreiber meidet sie schon deshalb, weil so ziemlich jeder andre sie immerfort im Munde führt, gleichwie ein sprachsaubrer Mensch abgegriffene schmutzige Rechenpfennige wie ''Individualität, Neuorientierung, funktionieren, interessieren, Elemente, Faktoren'' weit von sich weist. Einige böse Modeformeln, z. B. ,''anschneiden, aufrollen, auslösen, voll und ganz, unentwegt' '', sind durch die andauernde verdiente Lächerlichmachung schon so wertlos geworden, daß nur sprachlich Rückständige sie noch gebrauchen.
Deutsch ist die neubildungsfähigste aller Sprachen schon durch die fast unbegrenzte Möglichkeit neuer Zusammensetzungen, besonders von Hauptwörtern. Grimms Wörterbuch mit seinen 730 Verbindungen mit ''Land'', über 600 mit ''Hand'', 510 mit ''Geist'', 615 mit ''Krieg'' ist unvollständig; die nur 287 mit ''Liebe'' zusammengesetzten Wörter wurden von andern Sammlern um mehr als 600 bereichert. Zusammensetzungen mit ''Kunst'' führt es 613 auf, doch fehlen z. B. ''Kunstwein, Kunstwolle, Kunsthonig, Kunstbutter'' und mehr als hundert ähnliche.
Zu beklagen ist, daß ''Trieb'' und ''Bedürfnis'' zu Neuschöpfungen sich fast ausschließlich am Zusammensetzen befriedigen müssen: die stete Angst vor der Sprachschulmeisterei hat den Wagemut zur hauptwörtlichen Neubildung aus Zeitwortstämmen unterdrückt und den Schöpfertrieb auf das Fremdwort abirren lassen. Ohne die Furcht, mit ,''Trieber, Krafter, Liege, Grolle, Umrichte, Sprenge' '' von den Bekrittlern jedes deutschen Neuwortes verhöhnt zu werden, hätte man nicht von vornherein zu ''Motor, Automobil, Chaiselongue, Fronde, Neuorientierung, Explosion'' gegriffen als den in Deutschland selbstverständlichen welschen Bezeichnungen für neue Dinge.
$Seite 71$ Die Schrankenlosigkeit im Zusammensetzen von Hauptwörtern verführt zu ungefügen Mißbildungen. Zu den früheren Beispielen noch einige: ''Kyffhäusergeschenkartikelhalle, Stiftungsadministrationskontrolloffiziant, Kesselsteinverhinderungsmittelerzeugungsgesellschaft''. Schlecht sind überflüssig umständliche Bildungen wie ''Kleinkinderbewahranstalt''. Gewagt, aber nicht unbedingt verwerflich, ist eine Zusammensetzung wie die ''Losvonrombewegung'' als bequemes Schlag- und Zeitungswort.
Regeln über die zulässige Länge von Zusammensetzungen lassen sich nicht geben; soviel Geschmack, wie zur Vermeidung der ärgsten Wortungetüme nötig, ist jedem verständigen Leser selbst zuzutrauen. Er halte sich in bedenklichen Fällen nur vor: Lieber zu kurz als zu lang, denn die Zusammenleimerei ist ja keine vorgeschriebene Pflicht. ''Dampfstraßenbahn'' wird als gut, oder doch erträglich empfunden; ''Dampfstraßenbahngesellschaft'' ist schon Papier-, nicht Redesprache. Mehr als drei Glieder einer Wortgruppe werden meist als Überlänge wirken.
Wie vorsichtig man mit jeder Schulmeisterei grade gegenüber dem Zusammensetzungstrieb im Deutschen sein muß, lehrt die Gruppe mit ''Rück-'': das Grimmsche Wörterbuch führt 85 Neubildungen allein fürs 19. Jahrhundert auf, darunter ''Rückblick, Rückhalt, Rückwirkung, Rückschlag, Rückschluß''. Die drei letzten wurden von Wustmann als ,Modewörter' verworfen, was ihnen nichts geschadet hat.
Manche Zweifel entstehen nur dadurch, daß man nicht einfach dem allbekannten Sprachgebrauche folgt, sondern ihm zuwider vernünftelt. Man hat nie etwas andres gehört als: ,''Rechenheft, Zeichenbuch, Zeichenlehre' '', — so schreibe man auch so und schlimmbessre nicht. ''Rechen .., Zeichen..'' sind die verkürzten Zeitwortstämme (statt des eigentlichen ''Rechenen, Zeichenen''), so wie ''Schreibheft'' die Verkürzung von ''Schreibenheft, Reitlehrer'' die von ''Reitenlehrer'' ist. Darum auch ''Gefangenwärter, Gefangenanstalt, Gefangenlager'', nicht ''Gefangenen- ''. Das erste Glied einer Wortverbindung braucht nicht immer in der Mehrzahl zu stehen, sondern die Einzahl bezeichnet die ganze Gattung: ''Buchwart'' ist genügend und besser als ''Bücherwart'', so wie der ''Buchhändler'' genügt, um mit mehr als einem Buch zu handeln. Ein ''Bücherhändler'' wäre einer, der nicht berufsmäßig, sondern gelegentlich Bücher verkauft. Darum nicht ''Äpfelbaum'', sondern ''Apfelbaum''; $Seite 72$ nicht ''Nadelnholz'', sondern ''Nadelholz''; nicht ''Länderkarten'', sondern ''Landkarten''. Die Abweichung in ''Gänsehals, Scheibenschießen, Taschentuch, Küchentür, Leichenpredigt, Tintenfaß, Sonnenschein, Erdenluft'' usw. ist nur scheinbar: ''Gänse, Scheiben, Taschen, Küchen, Leichen, Tinten, Sonnen, Erden'' sind Reste altdeutscher Einzahlformen im 2. Fall.
Jahrzehnte hindurch hat es ''Speisekarte'' geheißen, wo dies nicht für zu gemein, weil nur deutsch galt, also ''Menü'' gesagt werden mußte. Da begann die Vernünftelei: auf der Karte stehen ja Speisen, nicht eine Speise, und man druckte ''Speisenkarte''. Also etwa ''Tänzekarte'' statt ''Tanzkarte''? Auch hier handelt es sich um mehr als einen Tanz. Man bleibe bei ''Speisekarte'', denn es ist die Karte fürs Speisen und gehört zu derselben Wortbildungsgruppe wie ''der Speisesaal, der Speiseschrank, der Speisewagen''. Es wäre schade, wenn die falsche Vernünftelei über den richtigen Sprachgebrauch siegte.
Wustmann — immer wieder muß man die freie Sprache gegen ihren ärgsten Vergewaltiger verteidigen — Wustmann nennt Zusammensetzungen wie ''Muldetal, Pleißeufer, Rassepferd, Rassehund'' eine ,traurige Verirrung' und rasaunt mit einer kaum begreiflichen Überhebung: ,Wer nicht fühlt, daß das alles das bare Gestammel ist, der ist aufrichtig zu bedauern. Es klingt genau, wie wenn kleine Kinder dahlten, die erst reden lernen.' Das liest der unselbständige Sprachschüler, schämt sich und schreibt fortan ''Rassenpferd, Rassenhund, Rassenweib'', weil ein mürrischer Sprachgärtner mit der großen Heckenschere an allem Freiwuchs entlangstelzt und jeden übers grade Richtscheit hinaussprießenden eigenwilligen Trieb wegschneidet. ''Sonnenschein'' und ''Tintenfaß'' sind richtig, und ''Muldetal'' ist richtig, ebenso richtig wie ''Rhonetal, Elbetal, Bodetal''. ''Erdenleben'' ist richtig, und doch wußte Goethe, was er tat, als er schrieb: ,Es kann die Spur von meinen Erdetagen . . .' Denn die Sprache und ihre wahren Meister sind eigenwillig und schaffen sich aus Regelwidrigkeiten feine Reize und wertvolle Bereicherungen. Wir sehen nebeneinander: ''Meerwasser'' und ''Meeresstille, Jahrbuch'' und ''Jahreszeit, Leibschmerzen'' und ''Leibeserben, Windrichtung, Windsbraut, Windeseile'', und niemand vermag zu sagen, warum einmal ganz ohne ''s'', ein andermal mit ''s'', ein drittes Mal mit ''es''. Noch merkwürdiger ist eine Verbindung wie $Seite 73$ ''Hitzschlag'': es wäre der Sprache eine Kleinigkeit, die Häufung von Zischlauten zu mildern wie in ''Hitzeferien, Hitzewelle''; aber sie tut es nicht, und wir haben uns zu fügen.
Es heißt richtig ''Hauptstraße, Lindenstraße, Bismarckstraße''; oder falsch ''Dresdenerstraße, Berlinerstraße. Dresdener'' und ''Berliner'' sind in diesen Fällen keine Haupt-, sondern Beiwörter, werden noch als Beiwörter gefühlt, müssen also unverbunden stehen.
Verschiedene Sprachbüttel, die ich nicht jedesmal mit Namen anführen mag, haben Zusammensetzungen bemakelt wie: ''Schillerdenkmal, Röntgenstrahlen'' (,gelallt'), ''Goetheforscher, Wagnerverehrer'' (,das könnte doch nur ein Kerl sein, der gewerbsmäßig jeden verehrt, der Wagner heißt'), ''Bismarckbeleidigung'' (,Gipfel der Sinnlosigkeit'), ''Silberhochzeit'' (,kann nur von einem Juden herrühren', — es steht zuerst bei Goethe und Voß, steht nie bei Heine und Börne), ''Fremdkörper, Höchstgehalt, Mindestgehalt, Einzelfall, Deutschgefühl, Erstaufführung'' (gegen die ''Heimpariserei Première'' wurde von dem Merker nichts eingewandt), ''Ärztetag''. Über diese und ähnliche Sprachdummheiten ist der Sprachgebrauch der Gebildetsten siegreich hinweggeschritten, und alle jene bemakelte Neubildungen gelten jetzt mit Recht für gutes Deutsch. Der Sprache glücken noch ganz andre scheinbare Widersinnigkeiten: ''Goldbuchstabe, Silberhorn, Wachshölzchen'', selbst ein ''silbernes Hufeisen'' sind ihr längst sinnvolle Ausdrücke geworden. Und mag man bei strenger Prüfung Verbindungen wie ''Prinzgemahl, Prinzregent, Fürstreichskanzter'' noch so falsch finden, — der heilende Sprachgebrauch hat die Fehler ausgetilgt und zu brauchbaren Redeformeln gemacht.
Zusammensetzungen mit dem Zeitwortstamm . . ''nahme'': ''Parteinahme, Anteilnahme'' (,wir haben ja Anteil'), ''Zuhilfenahme'' wurden verallgemeinernd für ,schauderhaft' erklärt. Desgleichen Bildungen wie ''Instandsetzung, Verächtlichmachung, Außerachtlassung, Nachhauseweg, das Ineinanderarbeiten, Inumlaufsetzung, Außerdienststellung''. Niemand schaudert mehr davor, niemand braucht davor zu schaudern, außer dem Beckmesser, dem das Schauderhaftfinden (!) der Zweck des Lebens ist. Viele jener Verbindungen sind an die Stelle elender Welschwörter getreten (''Renovation, Diskreditierung, Omission, Kooperation, Zirkulation''); aber gegen diese hatte nie einer der Bemakler deutscher Neuschöpfungen sein ,Schauder- $Seite 74$ haft!' geschleudert. Daß nicht jede Verbindung mit .. ''nahme''
zu empfehlen ist, begreift der Leser (Vgl. S. 349).
Bekrittelt wurden oder werden mit Scheingründen der ,Logik' Bequemlichkeitswendungen wie ''Entstehungsgeschichte des römischen Reichs, Goethes Geschichtschreiber; Goethes Biograph'' wurde nicht bemängelt. Das Bedürfnis fordert solche läßliche Fügungen, und der Sprachgebrauch rechtfertigt hinterher das Bedürfnis.
Auf den landschaftlichen Unterschied in der Behandlung gewisser Gruppengebilde wurde schon bei norddeutschem ''Wartesaal'' und süddeutschem ''Wartsaal'' hingewiesen. Die süddeutsche Neigung zum Verkürzen des ersten Gliedes zeigt sich noch in Wörtern wie ''Tagblatt'' (Stuttgart usw.), ''Tageblatt'' (Berlin, Hannover), ''Taglohn'' und ''Tagelohn, Wagmut, Wagemut''. Beide Formen müssen als gleichberechtigt gelten.
Die zweite Art, auf die jetzt hauptsächlich Wörter entstehen, ist die Zusammensetzung, d. h. die Art der Wortbildung, in der sich mehrere einzeln völlig verständliche selbständige Sprachgebilde, Wörter oder Stämme, zu einem neuen Worte vereinigen: ''Seebad'': ''daß das Mädchen nicht zu lange seebadet''! Recht schwierig ist hier besonders für zusammengesetzte Haupt- und Eigenschaftswörter die Frage zu beantworten, wann und wie die Stelle kenntlich zu machen sei, an der die beiden Teile der Zusammensetzungen, das vorangehende Bestimmungs- und das nachfolgende Grundwort, zusammengeschweißt werden. Vor allem gilt es dabei, $Seite 16$ die eigentliche und die uneigentliche Zusammensetzung auseinanderzuhalten. Die ältere ist die eigentliche Zusammensetzung; sie ist inniger und schafft eine unbestimmtere allgemeinere Bedeutung; auch kann sie gewöhnlich nicht durch ein Hauptwort mit Genetiv, sondern nur durch einen längeren Ausdruck aufgelöst werden, wie z. B. ''Lindenbaum'' eine Baumart ist, die ''Linde'' heißt. In dieser eigentlichen Zusammensetzung tritt das Bestimmungswort ohne jede Fall, Zahl oder Person bezeichnende Endung vor das Grundwort. Die uneigentliche Zusammensetzung läuft ganz anders immer auf eine syntaktische und zwar meist eine genetivische Verbindung hinaus, und dementsprechend ist das Bestimmungswort hier ebenso gut ein Genetiv in der Einzahl wie in der Mehrzahl: ''Königsthron, Ärztetag''. Verschiedenes hat dazu beigetragen, daß die zweite, jüngere Art immer mehr Gebiet gewonnen hat, auch solches, das zu Recht der anderen gehört; es beruht das darauf, daß die einst ganz seltene uneigentliche Zusammensetzung überhaupt fast an Stelle jeder möglichen Genetiv- oder ähnlichen Verbindung getreten ist. Das schon hierdurch gewonnene Übergewicht wird aber noch dadurch verstärkt, daß auch in zahlreichen eigentlichen Zusammensetzungen uneigentliche gesehen werden, weil die auf ursprünglich schwacher Deklination des Bestimmungswortes oder bloßer Angleichung an diese beruhende ''n''-Form oder die wegen eines ursprünglichen ''i'' im Stammauslaut eingetretene umgelautete Form des Bestimmungswortes fälschlich teils genetivisch, teils und meist pluralisch aufgefaßt worden ist (''Fahnenträger, Tannenbaum, Gänsebrust''). Es ist also schließlich nur natürlich, wenn diese Bewegung sich mit jetzt vordringenden Formen fortsetzt, wie ''deutsche Bankengruppe, Speisenkarte, Äpfelwein, -baum, Gefangenentransport, -wächter'', so übel das doppelte ''-enen'' klingt, ''Vögeleier, Bäumegruppen, Städte''(!)''anlagen des Altertums, die Burg''(!)''anlagen'' gewesen sein sollen. Trotzdem soll sich der Einsichtige von dem Irrtum freihalten, auf dem alle diese jüngeren unnötigen Formen beruhen, daß nämlich das Bestimmungswort eine Mehrzahl sein müsse, sobald sachlich an eine Mehrheit des bestimmenden Begriffs gedacht werden kann. Nur bei Zusammensetzungen mit Eigenschafts- und Mittelwörtern herrscht die Mehrzahlform heut: ''Krankenhaus, Abgeordnetenhaus''.
Eine biographische Darstellung ist natürlich auch eine Erzählung, kann sich also in keinem andern Tempus bewegen als im Imperfekt. Aber der erste Satz, die Geburtsangabe, wie stehts damit? Soll man schreiben: ''Lessing war geboren, Lessing wurde geboren'' oder ''Lessing ist geboren''? Alle drei Ausdrucksweisen kommen vor. Aber merkwürdigerweise am häufigsten die falsche! ''Er ist geboren'' — das kann man doch vernünftigerweise nur von dem sagen, der noch lebt. Den Lebenden fragt man: ''wann bist du denn geboren''? Und dann antwortet er: ''ich bin am 23. Mai 1844 geboren''. Von einem, der nicht mehr lebt, kann man wohl am Schlusse seiner Lebensbeschreibung sagen: ''gestorben ist er am 31. Oktober 1880''. Damit fällt man zwar aus der Form der Erzählung heraus in die der bloßen tatsächlichen Mitteilung; aber die ist dort ganz am Platze, denn sie drückt die gegenwärtige Sachlage aus. Am Anfang einer Lebensbeschreibung aber kann es doch vernünftigerweise nur heißen: ''er war'' oder ''er wurde geboren''; mit ''wurde'' versetze ich mich — was das natürlichste ist — an den Anfang des Lebenslaufs meines Helden, mit ''war'' versetze ich mich mitten hinein. In wieviel hundert und tausend Fällen aber wird in Zeitungsaufsätzen, im Konversationslexikon, in Kunst- und Literaturgeschichten, in der Allgemeinen deutschen Biographie usw. die Gedankenlosigkeit begangen, daß man von Verstorbenen zu erzählen anfangt, als ob sie lebten! Den Fehler damit verteidigen zu wollen, daß man sagte: ''ein großer Mann lebe eben nach seinem Tode fort'', wäre ein arge Sophisterei. Das Fortleben ist doch immer nur bildlich gemeint, in der Biographie aber handelt sichs um das wirkliche Leben. +
Wenn sich der 2. Fall (der Mehrzahl) in seiner Form vom 1. und 4. gar nicht unterscheidet; wird oft der Ersatz durch den 3. Fall beliebt: ''während acht Tagen, innerhalb zehn Jahren; vermittels Pferdebeinen'' (K. Vogt), ''während fünf Tagen'' (Bism.), ''innert dreißig Tagen'' (H. Federer). Ist solcher Ersatz hier gar nötig oder, wie andre wieder meinen, gar ein Fehler, den man durch die Wahl anderer Wörter und Einfügung äußerlich kenntlicher Kasusformen zu vermeiden hat? Nötig ist er nicht, Goethe hat: ''innerhalb acht Tage, wegen Sprachfehler, wegen Irrtümer'' geschrieben; Wilhelm I. als Prinz sogar ''während zwei Tage'', wo ''zweier'' nahelag, und G. Keller so merkwürdig als unausweichlich: ''nach dem Argensgebirge, auf dessen Vorhügeln einem der Richtplatz gelegen war''. Ebensowenig darf die Wahl des im Femininum der Einzahl sowieso dem Genetiv immer gleichen Dativs beanstandet werden; denn sie ist das Mittel, welches am einfachsten ist und nie den Sinn verändert. C. F. Meyer hat gefügt: ''wegen etwas Menschlichem, etwas zu Menschlichem'', und R. Hildebrand: ''statt Bösem''. +
Gleich tadelnswert sind Neubildungen auf ''-heit'' (nach ''r, g'' und ''ch'': ''keit''), wenn in gleicher Bedeutung einfachere Bildungen zur Verfügung stehen, also z. B. ''Mutigkeit'' wegen ''Mut'', ''Anmutigkeit'' wegen ''Anmut'', ''Gütigkeit'' wegen ''Güte''. Unnötig breit sind auch viele Bildungen auf ''-lichkeit'', wie ''Gegensätzlichkeit'' statt ''Gegensatz'', ''historische Bezüglichkeiten'' statt ''geschichtliche Beziehungen'', ''Inhaltlichkeit'' statt ''Inhalt''. Noch weniger schön sind vollends die Ungetüme auf ''-haftigkeit'', wie ''Schadhaftigkeit'', ''Riesenhaftigkeit, Schablonenhaftigkeit'', desgleichen ''Maßhaltigkeit'' (O. Bie). Oft stellt die erneute Triebkraft der Endungennis und ''-e'' gefälligere Ausdrücke zur Hand wie: ''Bangnis, Düsternis, Engnis, Trübnis, Zagnis''; ''Feuchte, Helle, Starre, Steile, Wirre''; sogar: ''auf die Wander hetzen'' (Zd. v. Kraft), oder jene Langwörter lassen sich durch die bloßen Eigenschaftswörter oder deren Substantivierung vermeiden, indem man also nicht sagt: ''die Riesenhaftigkeit seiner Gestalt'', sondern ''seine riesenhafte Gestalt'' oder ''das Riesenhafte seiner Gestalt''. +
Sowieso massenhaft lästig und oft schwerfällig, dürfen Formen auf -''ung'' nicht auch von solchen zumal einfachen Zeitwörtern gebildet werden, neben denen schon ein einfacheres Wort die substantivische Bezeichnung auch der Handlung übernommen hat, es sei denn der Überfluß bereits allgemein beliebt. Man soll also nicht sagen ''Salomos Preisung oder Lobung der göttlichen Allmacht'', da in gleichem Sinne ''Salomos Lob oder Preis der göttlichen Allmacht'' üblich ist, neben dem zusammengesetzten ''Lobpreisung''; ebenso nicht ''(An- oder Ver-)kaufung'' statt ''(An- oder Ver)kauf des Gutes'', auch nicht ''Gefangennehmung'' statt ''Gefangennahme'' U. a. In der DAZ. 7. 9. 27 ist sogar gewagt eine Grundablöse. Vgl. auch § 36. +
Häufig sind auch drittens die Fälle, in denen die Sprache die zuerst aus der bloßen Freude am Können hervorgegangenen Doppelbildungen jetzt zu Begriffsspaltungen benützt, ein Fortschritt, den man fördern und nicht etwa stören und erschweren soll, wohl gar durch Berufung auf unsere Klassiker; denn gerade in solcher Hinsicht empfindet man ihren Standpunkt schon merklich als älter. Sagt doch Goethe: ''das Chor der Eumeniden'' und Schiller in gleichem Sinne: ''der Chor der Alten'', während wir gewissenhaft scheiden zwischen dem Maskulinum, das ''den Chor der Sänger, des griechischen Schauspiels'', und dem Neutrum, das ''den Standort der Kirchensänger'', auch ''eine lustige Schar'' bezeichnet. Ebenso wie Lessing noch ''das Schild des Äneas'' sagt, scheiden wir heut scharf zwischen der Waffe, die wir ''den Schild'' (Mehrzahl: ''Schilde''), und dem Aushänge- und Aufklebezeichen, das wir ''das Schild'' (Mehrzahl: ''Schilder'') nennen. Ähnlich steht es jetzt bei folgenden Wörtern: Staaten nennen den Vertrag zwischen einander wie Frauen den Anreihstreifen ihrer Kleider ''den Bund'', während zusammengeschnürte Sachen, Stroh u. a. ''das Bund'' (Bündel) bilden. Der Höcker des Kamels wie im Volksmunde der ganze Rücken und die Erhöhung auf der Mitte der Schildfläche heißt ''der Buckel'', ''die Buckel'' dagegen ist eine Beule, ein Geschwür//2 Nicht mehr trifft also Grimms (Wb. II, 485) Scheidung: ''der Buckel'' = ''Rücken, Höcker, die Buckel am Schilde''. In Georges' Wörterbuch v. J. 1869, in Lübkers Reallexikon v. 1874 und in Baumeisters Denkmälern des klass. Altertums v. 1888 ff. steht durchaus ''der Schildbuckel''.//. Das bekannte Gebilde, das entsteht, wenn Linien oder Flächen sich schneiden, heißt schriftgemäß nur noch ''die Ecke'', und das alte Neutrum ist nur in Zusammensetzungen mit Zahl- und Eigenschaftswörtern (''das Viel-, Rechteck'') und in dem Adverb ''übereck'' (nicht gut: ''überecks'') allgemein gebräuchlich, außerdem mundartlich in Süddeutschland und der Schweiz. Der Weise erfreut sich seiner ''Erkenntnis'' (= ''Einsicht''), aber ein Rechtsuchender über ein günstiges ''Erkenntnis'' (= ''richterliches Urteil''//3 Ähnlich ist ''die Ärgernis'' abstrakt = ''Verdruß, Kummer'', ''das Ärgernis'', konkret — ''das Ärgernis'' —, ''Anstoß Erregende, die Ehrbarkeit Verletzende''. In gleicher Bedeutung steht ''das'' und ''die Ersparnis'', ''das'' und häufiger ''die Verderbnis'', aber ausschließlich ''die Befugnis, das Wagnis''.//. Allgemein nennt man die weite grünende Fläche draußen ''die Flur'', aber der Raum vor den Zimmern, der Vorsaal u. ä. heißt, zwar noch nicht beim Volke, aber fast ausnahmslos bei Schriftstellern und Höhergebildeten: ''der Flur''. Wem zu Gefallen ein Dienst erwiesen wird, den freut ein solcher ''Gefallen'', mitteldeutsch auch noch: ''Gefalle''; dagegen ist die Empfindung des $Seite 40$ Gefallens, besonders die Freude, Luft an etwas ''das Gefallen'' (''ein Gefallen an etwas haben''). Münzen, Arzneien, Dichtungen usw. haben ''einen Gehalt'', während Beamte jetzt gleich gern ''das Gehalt, die Gehalte'' wie ''Gehälter'' einstreichen. Ganz allgemein und an Maschinen, Gewehren ausschließlich ist von ''dem Kolben'' die Rede, und nur der Kopf der Keule, etwa auch, eine keulenartige Pflanzenfrucht heißt noch ''die Kolbe'', und so auch allein in der kräftigen Wendung ''die Kolbe lausen''. Ebenso hat das fast nur noch im Hause übliche Neutrum ''Lohn'' (etwa in: ''das Boten-, Macherlohn'') durchaus dem Maskulinum Platz machen müssen, nicht nur in der edleren Anwendung = ''Belohnung''. Neben ''das'', auch ''der Niet'', dem beiderseits breitgeschlagenen Nagel, steht in gleicher Bedeutung, aber auch zur Bezeichnung der genieteten Stelle ''die Niete'', abgesehen von ''die Niete'' (Fehllos), der niederländischen Form von „nichts". ''Der Lorbeer'' (Mehrzahl: ''Lorbeere'') ist der Baum wie dessen Zweig als Zeichen der Anerkennung und diese selbst, während ''die Lorbeeren'', die man erntet, gleichviel ob bildlich oder am Baume, von der Einzahl ''die Lorbeere'' kommen. ''Das Pack'' schränkt sich immermehr auf das so benannte liederliche Gesindel ein, indem das Wort zur Bezeichnung eines Bündels immer überwiegender männlich gebraucht wird, freilich auch in der Form ''Packen''//1 Auf alle Fälle verdienen diese wahrscheinlich deutschen Wörter den Vorzug vor ''Paquet'' und ''Paket'', wie ja die Ableitung ''das Päckchen'' schon Fachausdruck der Post geworden ist.//. Mehr zufällig, ungeordnet zusammenseiende Wesen bilden ''einen Trupp'', Menschen wie Elefanten; dagegen ist eine größere wie kleinere Menge zusammengehöriger Leute ''eine Truppe'', gleichviel ob zusammen eingespielte Dionysoskünstler oder soldatisch eingeübte Mannschaften. Jenen gönnen wir recht reichen ''Verdienst'' (Erwerb), diesen erkennen wir gern ''das Verdienst'' zu, Frieden und Ordnung zu wahren. Jung ist ''das Fiber'' (techn. Dichtungsmittel) neben ''die Fiber'' (Faser).
Auch eine Freude der Sprache, die sie sich vor sechshundert Jahren viel öfter gönnte, besteht nämlich darin, für die nämliche Sache aus ihrer Fülle heraus Doppelformen zu bilden, und nicht immer hat sich der Gebrauch schon für die eine oder gegen die andere entscheiden mögen. Ich nenne nur ''der'' und ''das Bereich'', das ursprünglichere Neutrum ''das Drangsal'' und das heute fast überwiegende Femininum ''die Drangsal'', ''der'' und ''das (Vogel-)Bauer'', ''der'' und jetzt überwiegend ''das Floß''//1 So nennt Ehrental, ein trefflicher neuer Homerübersetzer, die von ihm an Nogat wie Mosel beobachtete Sache Odyssee V, 253. 263. 267 ''das Floß''.//, ''der'' und ''die Haspel'' (Plur. ''Haspeln''), ''der'' und ''die Hirse'', ''der'' und ''das Juwel'', ''der'' und ''das Kamin'', ''der'' und ''das Knäuel'', ''der'' und ''das Spind'', ''der'' und auch noch: ''das Münster, das'' und ''die Neunauge, der Pacht'' (Mehrzahl: ''Pachte'' und ''Pächte'') und etwas häufiger ''die Pacht'' (Mehrzahl: ''Pachten''), ''der'' und ''das Szepter, die Zacke'' und ''der Zacken, der'' und ''das Ungestüm, der Zeh'' (''des Zehes'') und ''die Zeh(e), der'' und auch ''die Zierat'' (Mehrzahl: ''Zieraten'' und auch ''Zierate''). +
Wieviel zu der herrschenden Unsicherheit im Gebrauche der Modi die Unsitte beiträgt, die Hilfszeitwörter wegzulassen, ist schon oben gezeigt worden (vgl. S. 138). Nicht nur der Unterricht sollte darauf halten, sondern auch jeder Einzelne sich selbst so weit in Zucht nehmen, daß gerade da, wo ein Zweifel über den Modus entstehen kann, das bequeme Auskunftsmittel, das Hilfszeitwort zu unterdrücken, verschmäht würde, der Gedanke stets reinlich und bestimmt zu Ende gedacht würde. Für den Konjunktiv des Imperfekts aber und seinen richtigen Gebrauch ist insbesondre noch der Umstand verhängnisvoll geworden, daß man ihn in Hauptsätzen zu Bedingungssätzen durch den sogenannten Konditional (''würde'' mit dem Infinitiv) umschreiben kann (''ich würde bringen'' statt: ''ich brächte''). Das hat nicht nur dazu geführt, daß sich viele Leute von gewissen Zeitwörtern kaum noch einen wirklichen Konjunktiv des Imperfekts zu bilden getrauen, daß sie sich überall da, wo sie zweifeln (vgl. S. 61), mit dem kläglichen ''würde'' behelfen, anstatt sich $Seite 157$ die Kenntnis der richtigen Verbalform zu verschaffen, sondern sie hat auch schon eine bedenkliche Verwirrung im Satzbau angerichtet. Von Süddeutschland und namentlich von Österreich aus hat sich aus dem fehlerhaften Hochdeutsch der Halbgebildeten immer mehr die Unsitte verbreitet, den Konditional auch in Bedingungs- und Relativsätzen, Vergleichungs- und Wunschsätzen anzuwenden.
Man schreibt: ''ich würde mich nicht wundern, wenn ich in einer Zeitung lesen würde'' (''läse!'') — ''von großer Bedeutung wäre es, wenn sich der Leserkreis des Blattes vermehren würde'' (''vermehrte!'') — ''wir könnten eine monumentale Sprache wiedergewinnen, wenn wir unser Denkmalschema verlassen würden'' (''verließen!'') — ''wie schematisch würde eine historische Darstellung ausfallen, wenn sie immer nur diese Maßstäbe anlegen würde'' (''anlegte!'') — ''weniger Sauberkeit und Regelmäßigkeit wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine glühende Leidenschaft, ein hoher Sinn offenbaren würden'' (''offenbarten!'') — ''der Christ, der sich einbilden würde'' (''einbildete!''), ''daß seine Religion die Menschen zu Engeln gemacht habe, wäre ein Utopist — der Stil seiner Abhandlung wird oft so hoch, als wenn er über Goethe schreiben würde'' (''schriebe!'') — ''hat die Kochstunde geschlagen, so muß das Feuer flackern, als ob es auf Kommando gehen würde'' (''ginge!'') — ''er fuhr mit den Händen auf und ab, als ob er buttern würde'' (''butterte!'') —'' wenn man diese Arbeit eines Spezialisten auf therapeutischem Gebiete durchstudiert, so bekommt man den Eindruck, als wenn man das Urteil eines Richters lesen würde'' (''läse!''), ''der in eigner Sache entscheidet — diese Romane tun, als würden sie die Laster nur der Sittlichkeit wegen schildern'' (''schilderten!'') — ''es wäre zu wünschen, er würde dieser Feier einmal beiwohnen'' (''wohnte bei!'') — ''wenn nur wenigstens künstlerische Form ihre Darstellung adeln würde'' (''adelte!'') — ''der Engländer ist zu fachlich und zu praktisch, als daß er selber beleidigend auftreten würde'' (''aufträte!'') — ''der Ernst des militärischen Lebens läßt es sich ab und zu gefallen, daß das'' $Seite 158$ ''Blümlein Humor an ihm emporwuchert, ohne daß sich dadurch das feste Gefüge der Disziplin lockern würde'' (''lockerte!'').
Ein wahres Wunder, daß wir den Kehrreim bei Mirza Schaffy und Rubinstein: ''ach, wenn es doch immer so bliebe''! nicht längst verschönert haben zu: ''ach, wenn es doch immer so bleiben würde''! Ein wahres Wunder, daß wir das alte Volkslied: ''wenn ich ein Vöglein wär und auch zwei Flüglein hätt''! noch nicht umgestaltet haben zu: ''wenn ich ein Vöglein sein würde und auch zwei Flüglein haben würde''! Denn so müßte es doch eigentlich in dem schönen österreichischen Zeitungshochdeutsch heißen! Im Volksdialekt heißt es freilich ganz richtig: ''Wann i a Vögerl war'' (= ''wär'') ''und a zwoa Flügerln hätt''.
Nicht zu verwerfen ist es, wenn in Bedingungs- und Wunschsätzen anstatt des Konjunktivs ein ''wollte, sollte'' oder ''möchte'' mit dem Infinitiv erscheint. Der Satz kann hierdurch bisweilen eine feine Färbung erhalten. ''Wenn ich mir das erlauben wollte'' — ist etwas andres als das einfache: ''wenn ich mir das erlaubte, wenn er sich so etwas unterstehen sollte'' — etwas andres als das einfache: ''wenn er sich das unterstünde — wenn sich doch die Regierung einmal ernstlich darum kümmern möchte'' — etwas andres als das einfache: ''wenn sie sich doch einmal darum kümmerte''. Eine so sinnvolle Verwendung der Hilfszeitwörter ist natürlich mit dem inhaltlosen, nichtssagenden würde nicht auf eine Stufe zu stellen.
Die Ausdrucksweise ist ihrer Herkunft nach hauptsächlich oberdeutsch//1 Ein am Oberrhein beheimateter Wächter über die Reinheit der Schriftsprache klagte in der Zeitschr. f. d. deutsch. Unterr. sogar schon 1890, daß dort der Konditional der Modus der indirekten Rede ist und gesagt wird: ''Er sagt, er würde vortrefflich tanzen statt er tanze vortrefflich''; Unzutreffend sei die Behauptung, ''die Bauern würden im Gelde schwimmen''. Ein Münchner Direktor schreibt gar mit solchem ''würde'' im Hauptsatz: ''Der Schüler N. N. möchte in die Sexta des dortigen Realgymnasiums eintreten. Ich würde'' (statt: ''bitte'') ''deshalb um Übersendung eines JB. bitten!''//, aber schon hat sie von dorther, wo sie in der Umgangssprache und Tagesliteratur durchaus vorherrscht, in unser ganzes Schrifttum Einzug gehalten, zumal in der Erscheinungsform, in der sie am häufigsten ist. Das ist der Nebensatz der Bedingungsperiode der Nichtwirklichkeit, während er doch nur in dem durch jenen bedingten Nach- und Hauptsatze seinen Platz hat anstatt des auch dort ausreichenden Konjunktivs des Imperfekts oder Plusquamperfekts. Während also möglich ist: ''Wenn die Königin Luise beim Beginne der Erhebung noch gelebt hätte, wäre sie nicht imstande gewesen, begeisternder auf die ausziehenden Krieger zu wirken, als sie es so tat'', kann man der Deutlichkeit halber auch lieber mit Luther schreiben: ''Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meere, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich leiten''. Nicht nachahmenswert sind dagegen alle Formen mit bloß umschreibendem ''würde''//2 Für den Nebensatz ist also falsch im Aktiv: ''wenn ich geben würde'' oder ''würde ich geben'' statt ''wenn ich gäbe'' oder ''gäbe ich: wenn ich gegeben haben würde'' oder ''würde ich gegeben haben'' statt ''wenn ich gegeben hätte'' oder ''hätte ich gegeben''; im Passiv; ''wenn gegeben werden würde'' oder ''würde gegeben werden'' statt ''wenn gegeben würde'' oder ''würde gegeben'' und ''wenn würde gegeben worden sein'' oder ''würde gegeben worden sein'' statt ''wenn gegeben worden wäre'' oder ''wäre gegeben worden''.// im Nebensatze, ob dieser nun nachfolgt oder vorangeht. Selbst Luther schrieb freilich auch: ''Würde sich die Welt nicht an uns stoßen, so würde ich mich stoßen an der Welt''; ähnlich schreiben die Schweizer G. Keller und C. F. Meyer: ''Wenn du Gott fürchten würdest, brauchtest du nicht zu fliehen. Wäre es nicht Hochverrat, wenn ich neben dir Geringere beschenken würde?'' und gar auch W. Raabe: ''Sie würden mich für einen Narren nehmen, wenn ich aus der Kriminalgeschichte vorlesen würde; Es hätte mir jedermann einen Bleistift geliehen, wenn ich den Wunsch ausgesprochen haben würde'' (Stopfkuchen); und: ''ein Spiegelembryo, welcher noch dem schönsten Mädchenangesicht die verschrobenste Fratze zugeschnitten hätte, wenn eins hineingelächelt haben würde'' (L. aus d. W. IV). Kein Wunder denn, daß auch ein Münchner Bergsteiger geschrieben hat: $Seite 373$ ''Wenn der Schnee nicht gar zu weich sein würde'' (statt: ''wäre''), ''hoffte ich auch zum Ziele zu gelangen'', oder ein angesehener Altdeutscher aus dem Elsaß (v. Dürckheim): ''Ich drückte mich aus dem Salon, in den ich mir gelobte nie mehr einzutreten, wenn ich nicht dazu genötigt sein würde'' (statt: ''wäre''). Neuerdings gesellt sich auch G. Hauptmann mit solchen Sätzen hinzu: ''Würde das Buch nicht in ihm gewohnt haben, so würde der Tod an seine Stelle getreten sein'', und: ''Würde jetzt ein Mensch in seinen Gesichtskreis treten, er müsse ihn hassen wie ein Gespenst'', sowie Lilienfein: ''Der Wehruf dürfte hundertfach in unserer gottlosen Zeit gelten, wenn nicht Männer wie Ew. Durchlaucht beweisen würden, daß das Hohe noch immer lebt''.
In diesen und manchen ähnlichen Fällen mag der Begriff der Zukunft, in den das Ganze durch das regierende Verb gerückt wird und der im Konjunktiv nicht angedeutet werden kann, den einigermaßen futurischen Konditional nahegelegt haben, freilich ohne daß es notig wäre. In andern Fällen fehlt auch jede solche scheinbare Entschuldigung. Da sprach ein Reichstagsabgeordneter: ''Es wäre'' (auch möglich: ''würde'' — ''sein'') ''bedenklich, wenn noch andre Staaten zur Goldwährung übergehen würden'' (statt: ''übergingen''), und ähnlich die — preußischen Minister in den Reden über das Volksschulgesetz. Auch ein bekannter Alpenschilderer schreibt: ''Würde man sich die Mühe nehmen und zu Fuß herumgehn'' (statt: ''nähme man sich die Mühe und ginge'' oder ''wollte''//1 Damit sei darauf hingewiesen, daß die Hilfszeitwörter ''wollen'' (ebenso ''sollen'') immerhin zur Verfügung stehn, wenn die bloße Konjunktivform einmal ungewöhnlich oder nicht kräftig genug scheint. Immerzu also gesagt: ''Wenn es sich noch ändern sollte'' statt ''änderte, würdest du davon benachrichtigt''. — ''Wollten sich die Landleute nur klarmachen'' neben ''machten sich die Landleute nur klar, was es bedeute, den Viehstand zurück oder gar eingehn zu lassen, so würden sie anders handeln''.// ''man sich die Mühe nehmen'' und ''gehn''), ''so träfe man viele grünende Felder''. In der Berliner Tgl. R. stand sogar in einem Romane (E. Bauer): ''Wenn eine solche Flasche auf hoher See aufgefischt werden würde'' (statt: ''aufgefischt würde''), ''so könnte ich das begreifen'', und: ''Fürst Alexander würde mir besser gefallen, wenn er weniger ehrlich aussehen würde'' (statt: ''aussähe''). Natürlich benehmen andere Wörter an der Spitze des Bedingungssatzes solchen Fügungen das Fehlerhafte keineswegs, sondern gleich tadelhaft steht in einem Ortsblättchen: ''Th. erteilte die üblichen Warnungen für den Fall, daß'' (= ''falls'') ''Truppen gegen ihn gesendet werden würden'' (statt: ''gesendet würden'').
Der Fehler ist in der Sache der nämliche, als wenn im selbständigen Wunschsatze, dessen Modus, wenn der Gegensatz zur Wirklichkeit stärker hervorgehoben werden soll, natürlich der Konjunktiv des Imperfekts ist (''O daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe!''), dafür die Umschreibung mit ''würde'' aufträte: ''würde er nur wenigstens das noch erlebt haben'' (statt des allein Richtigen: ''Hätte er w. nur erlebt!'') So falsch stand z. B. in der Augsburger Allg. Z.: ''Würden die Reichenberger sich nur die Zittauer zum Muster nehmen!'' oder bei Schirokauer (Lasalle): ''Ich wünschte, Sie würden lesen, was Lothar'' $Seite 372$ ''Becker darüber schreibt'', und allerneustens bei Joh. Ponten: ''Ach, wann wir doch wieder bauen würden!'' Was im selbständigen Begehrungssatze keinen Sinn hat, gewinnt ihn auch nicht im abhängigen: ''Ich wollte er würde schon da sein'' (statt: ''wäre schon da'') oder: ''Gäbe Gott, daß wir nicht wieder in solche Not kommen würden'' (statt: ''kämen''), und wenn auch Heer einmal bietet: ''Er überraschte mich auf dem Wunsch, wenn sie nur den jungen Z'binden erhören würde''. Um kein Haar besser ist, wie in dem Satze der DAZ. 27, der Indikativ der Zukunft in solchen Sätzen: ''Es ist zu wünschen, daß möglichst viele Menschen des 200jähr. Jubiläums dieses Buches gedenken werden''. +
Wie der Konditional in den bedingenden Nebensätzen nicht am Platze ist, weil er auch in den Sätzen, aus denen sie hervorgegangen sind, nimmer geduldet werden kann, so gehört er auch nicht in einräumende oder Vergleichsätze, weil diese, wenn sie mit wenn eingeleitet sind oder ohne dieses in Fragesatzstellung erscheinen, erst wieder aus bedingenden Sätzen hervorgegangen sind. Danach hätte weder ein hervorragender deutscher Pädagoge schreiben sollen: ''Wenn wir nun auch in Deutschland jene Einrichtung nachahmenswerter finden würden'' (statt ''fänden''), ''so würden uns doch alle übrigen Bedingungen fehlen''; noch auch G. Keller oft ähnlich: ''Sie ließen sich gar nicht bei uns sehn, wie wenn sie das Elternhaus geflissentlich fliehen würden'' (statt: ''flöhen''//1 Damit sei darauf hingewiesen, daß die Hilfszeitwörter ''wollen'' (ebenso ''sollen'') immerhin zur Verfügung stehn, wenn die bloße Konjunktivform einmal ungewöhnlich oder nicht kräftig genug scheint. Immerzu also gesagt: ''Wenn es sich noch ändern sollte'' statt ''änderte, würdest du davon benachrichtigt. — Wollten sich die Landleute nur klarmachen'' neben ''machten sich die Landleute nur klar, was es bedeute, den Viehstand zurück oder gar eingehn zu lassen, so würden sie anders handeln''.// oder ''fliehen wollten''). +
Über den Einfluß der süddeutschen Mundarten (§ 365, 4) hinaus können selbst innerhalb der Schriftsprache auch im Bedingungssatze berechtigte Formen mit ''würde'', besonders das Imperfekt des Passivs, ein Anlaß sein, dann auch wirklich konditionale Formen mit dem nämlichen Hilfsverb einzuschmuggeln. Oder klänge der Satz: ''Wenn Charleston genommen würde, wäre die Nachwirkung auf Europa bedeutend'', in dieser richtigen Form für den Ungeschulten so viel anders als in den beiden falschen Fassungen: ''Wenn Charleston genommen werden würde, wäre'' usw. oder: ''Wenn unsre Truppen Charleston nehmen würden''? Ja der Konditional kann im Bedingungsnebensatze selbst zu Recht bestehn in dem allerdings seltnen Falle, daß dieser zugleich ein bedingter ist wie in der Goethischen Stelle: ''Ich wäre ohne zu bekennen getrost der Ewigkeit entgegengegangen, wenn nicht diejenige, die nach mir das Hauswesen zu führen hat, sich nicht zu helfen wissen würde''//1 Nämlich: ''wenn ich nicht bekennte''!// ''und du dich immer darauf berufen könntest, deine erste Frau sei damit ausgekommen''. Ähnlich im BGB. § 831: ''Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden'' ... [''auch so''] ''entstanden sein würde''.
7. Ein wenigstens in seiner Häufigkeit junger Gebrauch von ''würde'' + Nennform (Konditional) ist in Erzählungen die Anwendung in Gedankengängen der folgenden Art: ''„Mitten in der Probe“ — so las sie, Freda Nöhring bei Wildenbruch in einer Depesche — „der Herzog von Anfang an dabei. Das Stück schlägt seine Augen auf. Tausend Grüße! Brief folgt. Schottenhauer.“ Mit hastigen Blicken hatte sie gelesen; jetzt wandte sie sich zur Tür, ... an der Tür blieb sie stehen und las noch einmal. Das Telegramm war so allgemein gehalten — es war offenbar an das ganze Haus Nöhring gerichtet. Von den tausend Grüßen würde einer doch wohl auch für sie bestimmt sein''. Oder in Marie Herzfelds Übersetzung von Arne Garborgs „Bei Mama" steht einmal: ''„Die Toiletten, welche sie herstellte, fanden Beifall; wenn sie gesund bliebe, würde alles sich wieder machen'', und an einer anderen Stelle: ''Fanny hatte in der letzten Zeit sich hübsch zu finden begonnen; allein sie war'' [''nach ihrem Urteil''] ''gar nichts gegen Lea. Ach, wer einmal solche Haare hätte! Dieses dumme, lichte Gekräusel ... sie würde niemals anständig aussehen.“'' Ersichtlich handelt es sich in diesen Stellen um fast bis zum Selbstgespräch lebendig gewordene Gedanken, die der Schriftsteller seine Personen sich machen läßt. Daß er aber, um sie als solche zu kennzeichnen, mit einem bloßen Wechsel zwischen dieser Konditionalform und überwiegenden bloßen Imperfekten auskommt und nicht immer erst ein: ''„urteilte —, dachte —, sagte, — meinte er bei sich", „nach seinem Urteile"'' einzuschieben braucht, macht die Ausdrucksweise besonders gefällig; und zumal schon Gustav Freytag und Theodor Storm//1 Nämlich: ''wenn ich nicht bekennte''!//, wenn auch vereinzelt, solche Fügungen gebildet haben, brauchen wir uns in unserer Freude an der geschmeidigen Form dadurch nicht stören zu lassen, daß ihre kaum vier Jahrzehnte alte Häufigkeit gewiß auf französischen Einfluß zurückgeht//2 Vgl. E. Herdin in Lyons Zeitschrift für den deutschen Unterricht, 17. Jahrg. (1905), S. 191 ff., und Th. Matthias, ebenda S. 419 ff., sowie E. Herdin, Studien über Bericht und indirekte Rede im modernen Deutsch, Dissertation. Upsala 1905, bes. S. 36. Ein umgekehrter Vorgang, das vom Standpunkte der Vergangenheit als künftig erst Vorgestellte doch wie schon leibhaftig erlebt hinzustellen, führt zu dem merk- $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ würdigen Indikativ des Imperfekts in folgendem Satze: ''Es war mir in solch seltsamen Stunden, als ob ich hinter die Dinge sehen könne. Morgen kam der Tod! Morgen würden wir wie ein Blatt verweht werden'' (Die Glocke, 1918, 123 f.). In feinem Klanggefühl biegt v. Kohlenegg aus dem schwerfälligen ''würde'' in ein bloßes Imperfekt ab: ''Nun würde sie sich noch ein Weilchen vor ihr dickleibiges Buch setzen ... , an dem Tee nippen und dazu mit spöttischer Nase nachdenklich über das Buch hinausblicken, bis sie müde sein würde und sich aufs Ohr legte''.//.
Z
Gegen die richtige Bildung der Zahlwörter werden nur wenig Verstöße begangen; es ist auch kaum Gelegenheit dazu. Lächerlich ist es, daß manche Leute immer ''sechszig'' und ''siebenzig'' drucken lassen, denn in ganz Deutschland sagt man ''sechzig'' und ''siebzig''. Für ''fünfzehn'' und ''fünfzig'' sagen manche lieber ''funfzehn'' und ''funfzig''. Im Althochdeutschen stand neben unflektiertem ''funf'' ein flektiertes ''funfi'', woraus im Mittelhochdeutschen ''fünfe'' wurde. ''Funfzig'' ist nun mit ''funf'' gebildet, nach ''fünf'' dagegen ''fünfzehn'' und ''fünfzig'', die in der Schriftsprache die Oberhand gewonnen haben.//* Leute, die altertümlich schreiben möchten, z. B. ''Verfasser historischer Romane oder Schauspiele, greifen gern zu zween'' und ''zwo'', haben aber gewöhnlich keine Ahnung von den Geschlechtern und machen sich dann lächerlich. Darum wohl gemerkt: ''zween'' ist männlich, ''zwo'' weiblich, ''zwei'' sächlich//.
Statt ''hundertunderste'' kann man jetzt öfter lesen: ''hundertundeinte'', aber doch nur nach dem unbestimmten Artikel: ''nicht als ob ich zu den hundert Fausterklärungen noch eine hundertundeinte hinzufügen wollte''. Es schwebt dabei wohl weniger die Reihenfolge und der neue letzte Platz in dieser Reihenfolge vor, als die Zahl, die von ''hundert'' auf ''hundertundeins'' steigt. Trotzdem hat die Form keine Berechtigung. Die Bildungen ''anderthalb'' (d. h. ''der andre, der zweite halb'') ''drittehalb'' (21/2), ''viertehalb'' (31/2) sind jetzt mehr auf die Umgangssprache beschränkt; in der Schriftsprache sind sie seltner geworden. Es ist aber gar nichts gegen sie einzuwenden. +
Die Einheit heißt, außer in Verbindung mit folgenden Zehnern (''einundzwanzig''), jetzt allgemein ''eins'', wenn kein Hauptwort darauf folgt, und nicht wie man manchmal, besonders von Norddeutschen hört: ''ein Viertel auf ein, auf Seite einhundert und ein''. Wieder ein norddeutscher Proffesor [sic!] war es, der den ''zweihundert und einten'' (statt ''ersten'') ''Vers'' anführte und von der ''einten Stunde'' sprach. Dagegen weicht die Form ''eins'' in den Wendungen ''in eins weg, mit eins vor'' dem gewissenhafteren ''in einem fort, mit einem Mal'' immermehr zurück, eher sagt man noch ''mit einmal''. Auch das ist lediglich Ausstrahlung der norddeutschen Mundarten, wenn man in der Schriftsprache statt ''einmal'', gleichviel ob dies mehr das wirkliche Zahlwort ''einmal'' oder das Zeitadverb ''einmal'' ist, nur ''mal'' sagt, wie z. B. sehr oft Eltze. +
In dem Wesen und der Bedeutung des Superlativs liegt es begründet, daß er eigentlich nur den bestimmten Artikel haben kann: ''unter hundert Männern von verschiedner Größe ist einer der größte. Sind drei von dieser Größe darunter, so sind diese drei die größten. Dann ist aber einer von diesen dreien nicht ein größter'' — das ist undeutsch! —, sondern ''einer der größten''. Darum ist es eine Abgeschmacktheit, zu schreiben: ''Lessings'' $Seite 241$ ''Andenken wird gepflegt, wie eine seltenste Blume im Treibhause — ein 45jähriger, der einer reifsten Zukunft entgegenschreitet.'' Nur in der Mehrzahl kann man allenfalls, wie der Kaufmann, von ''billigsten Pressen'' oder, wie der Philosoph, von ''kleinsten Teilen'' reden.
Ebenso abgeschmackt ist es, zu sagen: ''dieses Denkmal wird stets einen ersten Rang behaupten — die Politik spielte in seinem ganzen Leben eine erste Rolle'' — und von ''ersten Künstlern, ersten Opernsängern, ersten Firmen, ersten Häusern'' zu reden, wie es jetzt in den Anpreisungen von Kaufleuten und Buchhändlern geschieht. ''Erste'' soll hier einen Superlativ ersetzen, es soll so viel heißen wie ''größte, bedeutendste, hervorragendste''; das ist aber eben unlogisch.//* Nur in Verbindungen wie: ''ein Kaffee erster Sorte, ein Künstler zweiten Ranges, ein Wagen dritter Klasse, ein Stern vierter Größe'' bleibt der bestimmte Artikel vor den Ordinalzahlen weg.// Ebenso unlogisch ist es, zu sagen: ''ein letzter Wunsch des Verstorbnen, eine Hauptursache des Erfolgs''; genau genommen muß es heißen: ''einer der letzten Wünsche, eine der Hauptursachen des Erfolgs'', denn auch die Hauptursache ist ein superlativischer Begriff von derselben Bedeutung wie: ''die höchste, die wichtigste Ursache.''
Recht unfein klingt es, wie es in militärischen Kreisen üblich ist, hinter Personennamen die Kardinalzahl zu gebrauchen und von ''Fischer eins, Meyer sieben'' zu reden. Vielleicht soll es unfein klingen. Oder wollen wir in Zukunft auch von ''Otto drei'' und ''Heinrich acht'' reden? Wie mag ''Wilhelm zwei'' darüber denken?
Die falschen Zusammensetzungen ''Zeichnenbuch, Zeichnensaal, Rechnenheft'' sind in der Schule, wo sie sich früher auch breit machten, jetzt wohl überall glücklich wieder beseitigt; außerhalb der Schule aber spuken sie doch noch und gelten noch immer manchen Leuten für das Richtige. In Wahrheit sind es Mißbildungen. Wenn in Zusammensetzungen das Bestimmungswort ein Verbum ist, so kann dieses nur in der Form des Verbalstammes erscheinen; daher heißt es: ''Schreibfeder, Reißzeug, Stimmgabel, Druckpapier, Stehpult, Rauchzimmer, Laufbursche, Spinnstube, Drinkhalle, Springbrunnen, Zauberflöte'', oder auch mit einem Bindevokal: ''Wartesaal, Singestunde, Bindemittel''.//* Wofür man in Süddeutschland auch ''Wartsaal, Singstunde'' sagt, wie neben ''Bindemittel'' auch ''Bindfaden'' steht. ''Schreibpapier'' und ''Schreibpult'' spricht sich schlecht aus, weil ''b'' und ''b'' zusammentreffen; man hört immer nur: ''Schreipapier''. Darum ist wohl ''Schreibepapier'' vorzuziehen.// Nun gibt es aber Verbalstämme, die auf ''n'' ausgehen, z. B. ''zeichen, rechen, trocken, turn''; die Infinitive dazu heißen: ''rechnen'' (eigentlich ''rechenen''), ''zeichnen'' (eigentlich ''zeichenen''), ''trocknen, turnen''. Werden diese in der Zusammensetzung verwendet, so können natürlich nur Formen entstehen wie ''Rechenstunde, Zeichensaal, Trockenplatz, Turnhalle''. Wäre ''Rechnenbuch'' und $Seite 75$ ''Zeichnensaal'' richtig, so müßte man doch auch sagen: ''Trocknenplatz, Turnenhalle'', ja auch ''Schreibenfeder'' und ''Singenstunde''. +
Nicht weniger gilt es auf der Hut zu sein, daß nicht etwa aus der Auflösung zweier abhängiger Sätze in zwei selbständige die Auflösung ganzer Abschnitte und Erzählungen in lauter Einzelsätze werde. Daß diese Manier — das Gemache verdient keinen bessern, keinen deutschen Namen — aber wirklich schon sehr verbreitet ist, davon kann man sich beinahe so oft überzeugen, als man eine Erzählung zur Hand nimmt. Einige Proben statt vieler: ''Auf Madame Pompesa machte dieser Zusatz wenig Wirkung. Ihre Vorsicht war durch dies untrügliche Zeichen geweckt. In ihrer Seele wogte ein Meer stürmischer Empfindungen. Sie beschloß, ein wachsames Auge auf Herrn M. zu haben. — Das Verhängnis bricht jetzt über den armen Jüngling herein. Er ist im Gefängnis. Seine Mutter sucht ihn auf. Er erblickt sie. O Mutter, meine Mutter, schreit er auf''. Dieser Ausruf preßt selbst den härtesten unter den Zuschauern Tränen heraus. Dazu ein Beispiel, daß Zeitungsberichte mit dem gleichen prickelnden Mittel gearbeitet werden: ''25. April dieses Jahres ist, wie wir mitteilten, die Ordensgesellschaft der bewaffneten Brüder der Sahara ins Leben getreten. Dem Kardinal Lavigerie verdankt sie ihre Entstehung. Was er gesehen und erlebt während eines langjährigen Aufenthalts im schwarzen Erdteile, das schildert er seinen Zuhörern mit hinreißender Beredsamkeit. Er drängte noch kräftiger als zuvor, den Arabern in den Arm zu fallen. Seine Reden zündeten. Alle christlichen Mächte Europas einigten sich. Es trat die bekannte Brüsseler Konferenz zusammen, und den Beschlüssen, die damals gefaßt wurden, verdankt die neugegründete Einrichtung ihr Entstehen'' (!) —
Man sieht, wozu diese Art der Darstellung führt: zu einer Auflösung aller künstlerischen Abrundung und Abwechslung, zu einem zerhackten und zerrissenen Stile, der sich mit seinen Einzelsätzen tut, als wenn er nur lauter Gleichwichtiges zu sagen hätte, lauter Bedeutsames wie etwa eine Auslassung des allmächtigen großen Napoleon, der sich gern so vernehmen ließ und schließlich auch dazu berechtigt war. Ein Sprachkenner wie Bernhard Wities bemerkte in der M. Allgem. Zeitung 1907, Nr. 108, S. 271 von einer Darwinübersetzung treffend: „Die Zerlegung der von Carus stammenden Perioden in kleinere Sätze vereinfacht zwar den Stil, verwischt aber auch zuweilen die Schärfe des Gedankens“. Oft sind jedenfalls die stolz einherschreitenden Einzelsätze nichts als aufgebauschte Satzglieder wie in einer freilich allerschlimmsten P. Lindauschen Satzreihe: ''Es war im August des Jahres 1868. Es war um die Mittagsstunde, und in dem Redaktionsbureau der E. Zeitung herrschte eine drückende Hitze. Die Morgennummer war unter der Presse''; und dann fingen zwei Sätze mit ''Ich hatte'' und nicht wohlklingender je einer mit ''Ich las'' und ''Ich gähnte'' $Seite 328$ an. Wäre es nicht abgerundeter und weniger zum — Gähnen, wenn sich die unbedeutsamen Ereignisse etwa so zusammenschlössen? ''In der Mittagsstunde eines Augusttages im Jahre 1868, deren Hitze gar schwül auch über dem Redaktionsbureau der E. Zeitung lagerte, hatte ich mir eben, da die Morgennummer noch unter der Presse war'' usw. Meister wie G. Freytag und C. F. Meyer haben freilich mit einem ganz einfachen Satzbau nicht geringe Erfolge erzielt, und wir dürfen wohl hoffen, daß von solchen Meistern aus anstatt gesuchter Lindauscher Sprunghaftigkeit und Zuspitzung eine naive Frische und Einfachheit noch auf weiteren Gebieten deutscher Darstellung als dem der Novelle und Erzählung heimisch werde. In Meisterhand ist dieser ,,Kleine-Sätzchen-Stil" jedenfalls ein Hauptmittel, uns endlich vollends herauszuheben aus den Geleisen der „Heiligenrömischenreichsdeutschernationsatzungeheuer“, die im Auslande verrufen waren und ganz auch heut noch nicht tot find.
Geradezu als gewaltsame Zerreißung wird es empfunden, wenn Hauptwörter, die mit dem Zeitwort bereits zu einem mehr oder minder festen Begriffe verwachsen sind, von der Stellung am Ende des Hauptsatzes oder gar unmittelbar vor dem Zeitwort des Nebensatzes verdrängt werden. So wenn in der Köln. Ztg. gestanden hat: ''Die deutsche Verfassungspartei hat nunmehr Stellung zu dem Ministerium Taaffe'' (statt: ''zu dem Ministerium Taaffe Stellung'') ''genommen'', oder in der Nat.-Ztg.: ''Die Nachricht, daß Deutschland Schritte bei der Schweiz zur Unterstützung französischer Vorstellungen wegen anarchistischer Umtriebe'' (statt: ''daß Deutschland bei der Schweiz ... Schritte'') ''getan habe''. Auch der Satz eines Schulbuchs: ''Darius hatte über ein ungeheures Heer den Datis und Artaphernes gesetzt'', zerstört die bereits eingetretene Formelhaftigkeit der Wendung ''setzen über'' und verfällt dadurch beinahe der Lächerlichkeit. Wenigstens ist er nicht besser als die Ausdrucksweise: ''Er schloß in sein Herz den Knaben, er legte auf seine Kniee das Haupt'', oder in der N. Fr. Pr.: ''Dieser Knabe wird sich Bahn durch die Welt brechen''; mag freilich sein, daß ein anderes als ein unverdorbenes deutsches Sprachgefühl die engre Zusammengehörigkeit der Wendungen ''ins Herz schließen, auf seine Knie legen, Bahn brechen'' oder gar ''bahnbrechen'' nicht fühlt, also auch nicht die Trübung, die sie durch ihre Zerreißung erleiden.
Weniger gewaltsam zwar, trotzdem aber oft kaum weniger störend wirkt eine Veränderung des Stellungsverhältnisses zwischen Zeitwort und Objekt, wenn ihre Verbindung noch nicht so formelhaft fest ist. So möchte ich in den Sätzen: ''Wie im Lutherfestspiele, das auch seine erste Aufführung in Jena erlebte, und das Boot glitt an die Landungsstelle, wo der Vermieter der Ankömmlinge bereits harrte, die Umstellungen in Jena seine erste Aufführung erlebte und bereits der Ankömmlinge harrte nicht gar zu entschieden als nötig hinstellen und verlangen''. Wohl aber bezeichne ich die nächsten vier Sätze unbedingt als verkehrt: ''Das große Auge schleuderte Blitze ihm nach'' (W. Raabe statt ''schleuderte ihm Blitze nach''). ''Volksleben und Gesellschaft sind aber dabei fast in Tierheit durch rohste Genußsucht verfallen'' (ders.); ''daß er nicht im geringsten acht auf die Welt außerhalb seines Manuskriptes hatte'' (ders.); oder: ''Der Cumaondistrikt hat manchen Wandel in den letzten Jahrhunderten'' (statt ''hat in den letzten Jahrhunderten manchen Wandel erlebt'' (Tgl. R.). ''So wird das schmucke Büchlein sich Freunde weit und breit'' (statt: ''so wird sich das ... Büchlein weit und'' $Seite 397$ ''breit Freunde'') ''machen''. — Gar der Satz: ''Noch gefährlicher wurde Friedrichs Lage, als die Seemächte, Österreich und Sachsen die Quadrupelallianz zu Warschau 1745 schlossen'' bei einem Geschichtsforscher (statt: ''1745 zu Warschau die Quadrupelallianz schlossen'') schmeckt wahrlich nach — einer Antwort aus der Geschichtsstunde und -tabelle.
