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Ä
Von Substantiven, die einen Mann bezeichnen, werden Feminina auf ''in'' gebildet: ''König, Königin — Wirt, Wirtin — Koch, Köchin — Berliner, Berlinerin'' — sogar: ''Landsmann, Landsmännin'' (während sonst natürlich zu ''Mann'' das Femininum ''Weib'' oder ''Frau'' ist: ''der Kehrmann, das Waschweib, der Botenmann, die Botenfrau''). Von ''Arzt'' hat man in neuerer Zeit ''Ärztin'' gebildet. Manche getrauten sich das anfangs nicht zu sagen und sprachen von ''weiblichen Ärzten'', es ist aber gar nichts dagegen einzuwenden, und es ist großer Unsinn, wenn unsre Zeitungen $Seite 67$ immer von ''männlichen'' und ''weiblichen Arbeitern'', ''männlichen'' und ''weiblichen Lehrern'' reden statt von ''Arbeitern'' und ''Arbeiterinnen, Lehrern'' und ''Lehrerinnen'' (großer Unsinn auch, wenn es in Polizeiberichten heißt, daß ''ein neugebornes Kind männlichen'' oder ''weiblichen Geschlechts im Wasser gefunden worden sei'', statt ''ein neugeborner Knabe'' oder ''ein neugebornes Mädchen''). Dagegen ist es nicht gut, ein Femininum auf ''in'' zu bilden von ''Pate'', ''Kunde'' (beim Kaufmann) und ''Gast''. In der ältern Sprache findet sich zwar zuweilen auch ''Gästin'', auf Theaterzetteln konnte man noch vor gar nicht langer Zeit lesen, daß eine auswärtige Schauspielerin als ''Gastin'' auftrete, aber wer möchte noch heute eine Frau oder ein Mädchen ''seine Gästin'' oder ''Gastin'' nennen? Bei ''Pate'' unterscheidet man ''den Paten'' und ''die Pate'', je nachdem ein Knabe oder ein Mädchen gemeint ist, und der Kaufmann sagt: ''das ist ein guter Kunde'' oder ''eine gute Kunde von mir''. Entsetzlich sind die in der Juristensprache üblichen Bildungen: ''die Beklagtin'' (dazu noch des Adjektivum ''beklagtisch''!), ''die Verwandtin'' und — das neueste — ''die Beamtin''. Von Partizipialsubstantiven — und ein solches ist auch ''der Beamte'', d. h. ''der Beamtete'', der mit einem Amte versehene — können keine Feminina auf ''in'' gebildet werden; niemand sagt: ''meine Bekanntin, meine Geliebtin'', auch Juristen nicht.  
Das wirksamste Mittel, dem Unwesen zu steuern, das diese Leute namentlich im heimatlichen Teile und auf den Anzeigen-Seiten der Blätter treiben, könnten durch einen freien Entschluß gar wohl — größere Zeitungen anwenden. Sie dürften nur bekannt geben, daß sie künftig alle Anzeigen von einem Angestellten durchsehn und etwa falsche berichtigen lassen würden, natürlich ohne dafür und für etwa mehr benötigte Worte etwas zu berechnen. Große Zeitungen hielten das Opfer schon aus. Einige Unzufriedene, die zunächst von Anmaßung reden und vielleicht auch mit Entziehung der Kundschaft drohen sollten, würden sehr bald schweigen, solche zumal, die sich auf einmal schwarz auf weiß trotz einem im besten Schriftdeutsch reden sähen. Die Wirkung würde bald gewaltig sein. Wie jetzt das Schlechte — denn man muß nur sehen, wie solche Anzeigen gewöhnlich eine von der anderen abgeschrieben werden —, so würden dann gute oder doch bessere Muster nachgeahmt werden; im Erscheinungsorte nicht bloß, sondern bald auch in weitem Umkreise bis in die kleinsten Städtchen mit ihren kleinen Blättchen, für die immer, für beide, Städtchen wie Blättchen, das eine und das andere bedeutendere Blatt die Quelle ist nicht nur für den Stoff, sondern auch für einen guten Teil der Sprache. Auch die Berichte über Örtliches und Heimatliches könnten bald besser werden, wenn sie die Schriftleitungen nicht meist durch recht Unberufene einzogen und wenn Berufnere von selber ihre Berichte einschickten, die nicht lange ohne Nachahmung bleiben würden. In dem Sinne Zeitungsmann zu sein, wäre wahrlich ein Verdienst des einzelnen und ein Segen für alles, was deutsch schreibt und liest. Doch genug der allgemeinen Ratschläge; vielmehr noch einige auch dem Gebildeten von heute sehr nötige Hinweise auf verschiedene Erscheinungen, in denen sich verrät, wie sehr das Sprachgefühl, der Sinn für die Bedeutung der Wörter abgestumpft ist; wähnt man doch oft, mit den einfachsten und treffendsten Ausdrücken nicht mehr genug zu sagen, und glaubt immer, wer weiß wie dick auftragen zu müssen.  
Ü
''Über'' erfordert jetzt bei der Anführung eines Grundes, wozu es namentlich neben Wörtern der Gemütsbewegung dient, durchaus den Akkusativ: ''sein Zorn über dieses Gebaren; lachen über das alberne Gerede; sich ärgern über das Versehen'' (ehemals allgemein, jetzt oft noch aus der Mundart in Süd- und dem westlichen Mitteldeutschland: ''sich ärgern an etwas''). Zur Angabe der Gleichzeitigkeit, des Nebeneinander zweier Handlungen dient dagegen ''über'' mit Dativ: ''Kinder sollen über dem Essen nicht schwatzen. Es ist noch wie ehedem: die gewissenhaften jungen Leute vergessen über der Arbeit die Erholung und die leichtsinnigen über dem Spiele die Arbeit''. Sobald aber das eine der beiden zusammenfallenden Ereignisse auch als Grund des anderen aufgefaßt werden kann, wird auch dafür der Akkusativ wieder möglich, und so steht oft Dativ und Akkusativ nebeneinander, wie: ''über den Lärm und über dem Lärme erwachen; Wem das Herz voll Scham ist über dem, was wir eben erlebt haben'' (Dibelius); ''Wagner bekam nasse Augen über dieser schönen Kindlichkeit'' (Zd. v. Kraft), und: ''Ich kam über meine Gemütsbewegung wegen partikularistischer Bestrebungen von der Frage'' $Seite 147$ ''der Reform ab'' (Bism.). Dagegen läßt der Satz Ritters: ''Die Nationalisierung der breiten Massen kann nur über dem'' (statt: ''den'') ''Umweg ihrer sozialen Hebung erfolgen'', jede sinnliche Anschauung des Bildes vermissen. Nebenbei: nur süddeutsch und schlesisch ist die Form ''ober: Genien, die sich ober mir tummelten''.  +
Über- und Aufschriften können aus gleichem Grunde des Artikels entraten, mögen sie an Gebäuden oder an Straßenecken, über Auftritten in Schauspielen oder unter Gemälden und auf Büchertiteln stehn: ''Eisengießerei von R. M., Ottokarplatz, Platz vor dem Tor, Herbstabend, Geschichte der Völkerwanderung''. Heute darf man hierher sogar die sprichwörtlichen Wendungen ohne Artikel ziehen, gleichsam die Überschriften und Stichwörter zu allbekannten Geschichten, wenn auch tatsächlich die Artikellosigkeit darauf beruht, daß sie in einer noch häufiger ohne Artikel auskommenden Zeit geprägt sind: ''Ende gut, alles gut'', und neu z. B. bei Scheffel: ''Boden hart, Glaube roh, Leute grob''. Ganz natürlich kann dann der Brauch von den Straßenecken und Bilder- $Seite 122$ unterschriften selbst auch in Sätze, die Mitteilungen über Örtlichkeiten, besonders Wohnungsangaben, Besprechungen von Gemälden, deren Schauplatz u. ä. enthalten. Also ist der Geschäftsmann mit der Anzeige: ''Mein Geschäft befindet sich jetzt Töpferberg 20'' nicht minder im Rechte als etwa der Kunstkritiker der Tägl. Rundschau mit seiner Erläuterung einer Bilderunterschrift: ''Die kleine Tafel mit der Szene „Aus dem Dekamerone", dämmriger Garten mit der pikanten Gesellschaft''//1 Wie die Weglassung aber auch übertrieben werden kann, vor Titeln besonders, und in Appositionen, die weder Anreden sind noch sonst eine der oben angegebenen Arten von Angaben enthalten, mag man § 240 aus den mit * bezeichneten Beispielen fehlerhafter Oppositionen ersehn.//. Ähnlich geht aus den Formeln der Befehls- und Warnungsrufe, bei denen das Bedürfnis größter Knappheit durch Weglassung des Artikels deshalb um so leichter befriedigt werden kann, weil Anruf und Hinweis den gemeinten Gegenstand deutlichst kenntlich machen, diese Weglassung auf die Darstellung der Zustände über, die sich aus der Erfüllung des Befehles ergeben: ''Brust heraus! Kopf zurück! Hand aufs Herz! Gewehr ab!'' wird z. B. kommandiert, und nach ähnlichen Befehlen stehn dann die Mannschaften ''Gewehr bei Fuß'' oder ziehen ''Augen links'' vorüber.  
Das Münzrecht, vollends ein wertvolles, weitreichendes steht nur den Königen und Völkern zu, und auch Worte zu prägen ist nicht jeder Schreiber noch Schriftsteller berufen und berechtigt, sondern allein der allgemeine Sprachgeist, dessen sprachgewandte gute Beobachter und die, durch welche er vor allem lebendig wird und bleibt, die wenigen wirklich schöpferischen Denker, Dichter und Könner. So wagte Musäus: ''sie waghalsten'', oder J. H. Voß: ''sie wettforschten'', und ein Könner (DAZ 28) ''Flugzeuge, die wendiger sind als alle bisherigen''. Das von diesen geprägte Edelmetall wird man denn am sichersten von minderwertigem Zusatze reinhalten, wenn man nie eine Neubildung wagt oder von anderen gleichwenig Münzberechtigten entlehnt, solange im nämlichen Werte und Sinne die guten alten oder gar einfachere Formen noch kenntlich und in Umlauf sind. ''Inhaftnahme'' ist z. B. schlecht und überflüssig neben ''Verhaftung'', ähnlich ''Vorzeuge kommender Furcht'' und ''Voranzeige'', ''sachentsprechend'' neben ''sachgemäß'', ''Verwohlfeilerung'' neben ''Verbilligung'', ''Knechtschaffenheit'' (T. R.) statt ''Knechtsinn'', ''Übereinkommenheiten'' (T. R.) statt ''Überlieferungen'' oder ''in einvierteljährigen Fristen'' neben ''vierteljährigen'', ''Überbevölkerung'' (KW 26) statt ''Übervölkerung''. Es ist nicht Zufall, daß die Wendungen: ''die Arbeiten erfordern eine bedeutende Zeitlänge'' (statt ''[eine] lange Zeit'') und ''die Obsorge über etwas liegt mir an'' (statt ''die Sorge liegt ob'') von demselben Falschmünzer herrühren, geradeso wie ''abgefällte Bäume, einen Baum bestehen lassen, ersorgend, Herstammung des Namens'' wieder alle von einem andern (Jensen). Auch ''landhinein'' ist keine Verbesserung statt ''landeinwärts, gleichbürtige Freundin'' statt ''ebenbürtige'' (M. Fischer 1916), noch das jetzt schon weitverbreitete ''Gepflogenheit'' statt ''Gewohnheit'', ''Sitte, Brauch''; noch verkehrter freilich ist ''in der Betroffenheit des Geschicks'' statt ''so vom Geschick betroffen'' und recht breit der längst vergessenen Welt ''der Wohlgehabentlichkeit'' bei R. H. Bartsch. Überhaupt setze man keine schwerfällige Bildung auf ''-heit'' neben vorhandene auf ''-e'', wie ''Großheit, Dürrheit'', umgekehrt eher die knappen Formen auf ''-e'' neben den eingebürgerten auf ''-heit'', wie ''Trockene der Felder'' oder ''die Flaue der Börse''. Vgl. § 9, 1.  
Nicht alle Fälle, in denen eine ähnliche Wendung vorliegt, dürfen der nämlichen Beurteilung unterworfen werden//1 Besonders G. Keller hat eine Vorliebe für solche Mittelwortbeigaben, aber neben wirklich nichtssagenden wie: ''nach aufgehobener Tafel, nach beendigter Mahlzeit'' oder verunglückten, wie: ''Sie führten sie unter'' (!) ''geschwungenen Rauchfässern um die Kirche'', doch auch solche, die schwerfälligere Hauptwörter ersetzen oder eine Entwickelung malen: ''Die Kunde von der erkrankten und von ihm verpflegten adligen Wirtsfrau; Wir kannten uns nach ausgerauchter Zigarre; Er versprach mit einbrechender künftiger Nacht wiederzukommen''. Für die letzte Fügung hat er Goethe und Klopstock zur Seite mit den malenden Sätzen: ''Die andern schlichen zum dämmernden Walde. — Im dämmernden Saal, mit einer entschlummernden Totenlampe sparsam erhellt''.//, wie z. B. schon aus dem hervorgeht, was oben § 143, 3 über die artikellosen partizipialen Attribute gesagt ist. Oft ist auch das Mittelwort eher überflüssig und ein Zeichen alternder, unnötig breiter Darstellung als falsch und undeutsch. So alle die Mittelwörter, welche ganz allgemein den Eintritt eines Ereignisses andeuten, ohne seine Art zu malen, durch deren Verwandlung in das entsprechende Verbalsubstantiv aber auch nicht ein Deut mehr gesagt wäre, als das mit einem solchen Attribute oder einem regierenden Verbalsubstantiv verschonte bloße Substantiv auch ausdrückt. Oder wer sollte nicht lieber sagen: ''nach der Pest'' als ''nach aufgehörter''(!) ''Pest, nach dem Spaziergange'' als ''nach vollbrachtem Spaziergange, nach geheimnisvollem Gruße'' statt ''nach gesprochenem geheimnisvollem Gruße, nach dem Abschiede vom Freunde'' statt ''nach genommenem Abschiede vom Freunde, nach dem Ableben des Herrn'' als ''nach erfolgtem Ableben; Der Versprechungen'' statt ''der gemachten Versprechungen ward nicht mehr gedacht''?  +
Auch das transitive ''führen'' (d. h. ''bringen'') und das intransitive ''fahren'' (d. h. ''sich bewegen'') noch auseinanderhalten zu wollen, wäre vergebliches Bemühen. In beiden Bedeutungen wird schon längst bloß noch fahren gebraucht: ''ich fahre im Wagen'', und ''der Kutscher fährt mich''. Es kann aber gar nichts schaden, wenn man sich an ''Fuhre, Fuhrmann, Bierführer'', dem ältern ''Buchführer'' (statt ''Buchhändler'') u. a. den ursprünglichen Unterschied gegenwärtig hält. Und dazu könnte auch ''überführen'' dienen, das jetzt in der Zeitungssprache (als Ersatz für ''transportieren'') beliebt geworden ist, wenn mans nur nicht fortwährend falsch flektiert lesen müßte! Täglich muß man in Zeitungen von ''überführten Kranken'' und ''überführten Leichen'' lesen, das soll heißen: ''von Personen, die in das oder jenes Krankenhaus oder nach ihrem Tode in die Heimat zum Begräbnis'' $Seite56$ ''gebracht worden sind''. Wie kann sich nur das Sprachgefühl so verirren! Verbrecher werden ''überführt'', wenn ihnen trotz ihres Leugnens ihr Verbrechen nachgewiesen wird; dann aber werden sie ''ins Zuchthaus übergeführt'', wenn denn durchaus „geführt" werden muß. Es gibt eine große Anzahl zusammengesetzter Zeitwörter, bei denen, je nach der Bedeutung, die sie haben, bald die Präposition, bald das Zeitwort betont wird, z. B. ''übersetzen'' (''den Wandrer über den Fluß'') und ''übersetzen'', ''überfahren'' (''über den Fluß'') und ''überfahren'' (''ein Kind auf der Straße''), ''überlaufen'' (vom ''Krug'' oder ''Eimer'' gesagt) und ''überlaufen'' (''es überläuft mich kalt, er überläuft mich mit seinen Besuchen''), ''überlegen'' (''über die Bank'') und ''überlegen'', ''übergehen'' (''zum Feinde'') und ''übergehen'' (''den nächsten Abschnitt''), ''unterhalten'' (''den Krug am Brunnen'') und ''unterhalten, unterschlagen'' (''die Beine'') und ''unterschlagen'' (''eine Geldsumme''), ''unterbreiten'' (''einen Teppich'') und ''unterbreiten'' (''ein Bittgesuch''), ''hinterziehen'' (''ein Seil'') und ''hinterziehen'' (''die Steuern''), ''umschreiben'' (''noch einmal'' oder ''ins Reine schreiben'') und ''umschreiben'' (''einen Ausdruck durch einen andern''), ''durchstreichen'' (''eine Zeile'') und ''durchstreichen'' (''eine Gegend''), ''durchsehen'' (''eine Rechnung'') und ''durchschauen'' (''einen Betrug''), ''umgehen'' und ''umgehen'', ''hintergehen'' und ''hintergehen'', ''wiederholen'' und ''wiederholen'' usw. Gewöhnlich haben die Bildungen mit betonter Präposition die eigentliche, sinnliche, die mit betontem Verbum eine übertragne, bisweilen auch die einen eine transitive, die andern eine intransitive Bedeutung. Die Bildungen nun, die die Präposition betonen, trennen bei der Flexion die Präposition ab, oder richtiger: sie verbinden sie nicht mit dem Verbum (''ich breite unter, ich streiche durch, ich gehe hinter'', daher auch ''hinterzugehen'') und bilden das Partizip der Vergangenheit mit der Vorsilbe ''ge'' (''untergebreitet, durchgestrichen, hintergegangen''); die dagegen, die das Verbum betonen, lassen bei der Flexion Verbum und Präposition verbunden (''ich unterbreite, ich durchstreiche, ich hintergehe'', daher auch ''zu hintergehen'' und bilden das Partizip ohne die Vorsilbe ''ge'' (''unter'') $Seite57$ ''breitet, durchstrichen, hintergangen''). Darnach ist es klar, daß von einem Orte zum andern etwas nur ''übergeführt'', aber nicht ''überführt'' werden kann. Ebenso verhält sichs mit ''übersiedeln'', wo das Sprachgefühl neuerdings auch ins Schwanken gekommen ist. Richtig ist nur: ''wann siedelst du über? ich bin schon übergesiedelt'', aber nicht: ''wann übersiedelst du? ich bin schon übersiedelt, die Familie übersiedelte nach Berlin''. Die Verwirrung stammt aus Süddeutschland und namentlich aus Österreich, wo nicht nur der angegebne Unterschied vielfach verwischt wird, sondern überhaupt die Neigung besteht, das Gebiet der trennbaren Zusammensetzung immer mehr einzuschränken. Der Österreicher sagt gern: ''überführt, übersiedelt; er anerkennt etwas, er unterordnet sich, eine Aufgabe obliegt ihm, er redet von einem unterschobnen Kinde, von dem Text, der einem Liede unterlegt ist, er unterbringt einen jungen Mann in einem Geschäft, er überschäumt vor Entrüstung, er hat die verschiednen Weine des Landes durchkostet'' usw. Wir sollten uns mit allen Kräften gegen diese Verwirrung wehren, die ein Zeichen trauriger Verlotterung des Sprachgefühls ist. Von den mit ''miß'' zusammengesetzten Zeitwörtern sind Partizipia mit oder ohne ''ge'' gebräuchlich, je nachdem man sich lieber ''miß'' oder das Verbum betont denkt, also ''mißlungen, mißraten, mißfallen, mißbilligt, mißdeutet, mißgönnt, mißbraucht, mißhandelt, neben gemißbraucht, gemißbilligt, gemißhandelt''. Die Vorsilbe ''ge'' kann aber niemals zwischen ''miß'' und das Zeitwort treten, ''miß'' bleibt in der Flexion überall mit dem Zeitwort verwachsen. Daher ist es auch falsch, Infinitive zu bilden, wie ''mißzuhandeln''; es muß unbedingt heißen: ''zu mißhandeln, zu mißbrauchen''. Für ''neubacken'' wird jetzt öfter ''neugebacken'' geschrieben: ''ein neugebackner Doktor, ein neugebackner Ehemann'' usw., aber doch immer nur von solchen, die sich die gute alte Form nicht zu schreiben getrauen. Und doch fürchten sie sich weder vor ''neuwaschen'' noch vor ''altbacken'' noch vor ''hausbacken''.  
Mache sich doch nur jeder den Sinn einer Formel und die Bedeutung eines Wortes klar, nicht etymologisch wissenschaftlich, worauf es gar selten ankommt, sondern vom heutigen Sprachstande aus, was gewöhnlich ebensogut möglich als ausreichend ist. Dann wird ein Berichterstatter sein Bedauern über den Weggang eines Landrates nicht mehr also begründen: ''Hat er doch stets keinem zu Leide, keinem zu Freude seines schweren Amtes gewaltet''. Ebensowenig würde dann ein anderer den Aufenthalt des ersten Reichspostmeisters also gemeldet haben: ''Exzellenz v. Stephan weilt in unsern Mauern, um dem edlen Weidwerk obzuliegen''. Auch derartige Sinnlosigkeiten wären dann unmöglich: ''Sonntag nachmittag herrschte in der Stadt Würzburg eine förmliche Grabesruhe, die erst in der Nacht allmählich sich legte; der Rheingrafenstein mit den Ruinen der alten Raub-, Wild- u. Rheingrafen'' oder: ''Angorakater zu decken'' (statt: ''zum Decken'') ''gesucht''. Vielmehr würde dann auch unter den verschiedenen Ausdrücken, die sich auf die Darstellung, den Verlauf, die Behandlung einer Bewegung beziehen, leicht der richtige ausgewählt werden; man dürfte sich ja nur überlegen, ob die Bewegung auf- oder ab-, seit- oder rückwärts u. dgl. gerichtet sei. Dann würde also nicht gesagt werden: ''Sämtliche Häuser, durch die'' (statt: ''an denen'' — ''vorüber'') ''der Fackelzug ging, waren illuminiert. Das Haus blieb unter starker Bedeckung zurück'' — als ob sich das Haus überhaupt hätte bewegen können! ''Das Minimum wurde überschritten'', wofür aber nicht, wie angeraten worden ist, ''unterschritten'' aushilft, sondern Wendungen wie: ''es wurde nicht erreicht, man blieb darunter zurück''. Man würde von der Regierung $Seite 452$ nicht mehr fordern, daß sie ''den Umsturz niederhalten solle'' (statt ''aufhalten, verhindern''); desgleichen ''Wünsche nicht mehr in den Vordergrund tauchen lassen''. Auch Schüler würden dem Herrn Inspektor nicht mehr ''vorgeführt werden gleich Menagerietieren'', noch weniger freilich einem Musiker ''Orgeln und Klaviere''. Auch von ''Gipfeln'' und ''gipfeln'' wäre dann vielleicht nicht mehr so entsetzlich viel die Rede wie jetzt, wo man ''der Gipfel der Erniedrigung'' sagt statt ''die tiefste Erniedrigung'', wo jeder Vortrag, jeder Aufsatz ''in der und der Ausführung gipfelt'', sogar ''die Natur eines Künstlers in einer Porträtbüste''. Auch das wäre so schwer nicht zu vermeiden, daß Ausdrücke, die nur auf Handlungen und Zustände der Mehrheit passen, auf Einzelwesen angewendet werden. Aber da wird von dem Programm einer Partei als ''der einzigen Plattform geredet, um die sich jeder schart''; Die fröhliche Stimmung des Festes soll es fertigbringen, ''manchen Gast bis Mitternacht beisammenzuhalten'', und Gäste verbringen gar schöne Stunden ''in Mitte des geschätzten Jubilars''; eine Zeitung meldet: ''In Stärke von 500 Mann zog darauf der letzte Mann der Besatzung zum Bahnhof'', und eine freilich häufige Gedankenlosigkeit macht ein Joh. Volkelt mit der Wendung mit: ''meine zwei ersten'' (statt: ''ersten zwei'') ''Jahre in Basel''! Ein Historiker schreibt: ''Auch Philipp II. von Sp. sandte Mörder gegen die moderne Jesabel und nennt ihre Ermordung ein heiliges Unternehmen; die englische Regierung war nicht weniger müßig'' (statt: ''ebensowenig müßig'') ''im Schmieden von Mordplänen; sie arbeitete mit Gift und Dolch in den Niederlanden, in Spanien ... auch im eigenen Lande''.  
Die Einfügung eines Genetivs zwischen ein Hauptwort und seine präpositionale Beifügung ist oft sogar richtiger als die Zusammenziehung des Genetivs mit dem regierenden Worte in ein zusammengesetztes Hauptwort und die Verknüpfung der Beifügungen mit diesem. Tadelnswert sind darum die folgenden Ausdrücke: ''der Erdwurf auf den Toten, der Hammerwurf in den Rhein'' (Grimm), ''der Kirchenge-'' $Seite 165$ ''sang der Choräle und Hymnen'' (Ebeling), ''die dreiaktige Dramatisierung in Prosa der Maupassantschen Novelle'' (Meyers KL) und aus Zeitungen: ''die Residenzverlegung der kronprinzlichen Familie im Laufe dieses Herbstes nach Wilhelmshöhe; solche Ausnahmefälle sind nur durch die Not, durch Mangel an Natronsalz, also durch die Wahlverhinderung zwischen Kali- und Natronsalz bedingt''. Der Grund liegt darin, daß solche Zusammensetzungen die Folge einer in sich abgeschlossenen Verbindung sind, in der also die Rektionskraft des Grundwortes, besonders der Verbalsubstantive andern Adverbialien gegenüber gebunden ist, sowie darin, daß zwei zu demselben Hauptworte gehörige gleichartige//1 Unter gleichartigen Attributen sind da solche verstanden, die in gleicher Weise, erst für den einzelnen Fall gerade dieser Substantivierung aus selbständigen Satzteilen entstehen, ohne gleiche Form zu haben: ''er trägt die Kultur nach Osten, das Papier wird aus Rinde hergestellt''. Etwas anderes ist es, wenn der eine der abhängigen Begriffe mit dem übergeordneten schon vielfach verbunden gewesen und zu einem einheitlichen Begriffe verwachsen ist, ehe dieser zusammengesetzte Begriff mit einem andern abhängigen verbunden wurde. So ist z. B. erst lange, nachdem man hinter die allmähliche Entwicklung der Begriffe gekommen und diese mit Begriffsentwicklung bezeichnet war, die nähere Bestimmung der Begriffsentwicklung durch Anlehnung, Verengung usf. gegeben und gebildet worden. Erst als der Begriff Rangordnung schon feststand, traten Bestimmungen wie der Vögel im Tierreiche hinzu usf// Beifügungen bei solcher halben Zusammenziehung verschieden behantelt werden. Also wäre ganz unbedenklich ''Herstellung des Papiers'' (statt: ''Papierfabrikation'') ''aus der Rinde des Maulbeerbaums'' zu sagen, wie das der Weltweise lehrt, der die Schöpfung der Welt aus dem Nichts bezweifelt, der Chemiker, wenn er die Oxydation als Vereinigung des Sauerstoffes mit irgendeiner Substanz erklärt; nicht minder solche übliche Verbindungen wie: ''die Verlegung meines Geschäftes nach dem Marktplatz No. 11, die Ausschmückung der Marienkirche mit Ölmalereien, die Einrichtung der Kaserne für Gasbeleuchtung''.  
Um anderseits das starke Auftragen recht zu fühlen, braucht man nicht erst eine Zeitung zur Hand zu nehmen, wo natürlich — leider schon natürlich! — ein Irrtum der von ihr befehdeten Parteien eine Verkehrtheit, eigene Ansichten derselben Verbrechen und Niedertracht heißen. Ebensowenig ist dazu die Lektüre verhimmelnder Besprechungen oder von Kundgebungen der Zustimmung und Anerkennung nötig; deren mit Superlativen nur so umsichwerfende Verfasser müssen gar nicht wissen, daß übermäßiges, auffällig oft und stark gespendetes Lob verdächtig klingt und schließlich den allein richtigen Maßstab verrückt, wonach das Gute nicht allein gut, sondern auch die Regel, das einzig Richtige und pflichtgemäße, das Schlimme aber nur vom Übel ist und eigentlich gar nicht sein sollte. Man kann sich die Unsitte des starken Auftragens sehr wohl schon an allgemein üblichen Wendungen vergegenwärtigen: eine Aussicht, die ''schön, umfassend, allenfalls gewaltig'' heißen könnte, muß heute ''bezaubernd, großartig, überwältigend'' oder echter deutsch ''faszinierend, grandios, superb'' genannt werden; eine ''ergreifende Darstellung'' ist heute ''eine packende, ein entschiedenes, bestimmtes Vorgehen ein schneidiges''. Alles was klar ist, liegt auf der Hand, wenn schon es dort nimmer Platz findet, oder springt in die Augen, also vorgesehen $Seite 441$ und die Augen versichert! Worin sich einer widerspricht, damit straft er sich Lügen oder, der Tor! schlägt sich ins Gesicht. In den meisten Romanen lachen die Mädchen nicht mehr bloß ''hell'', sondern ''silberhell'', und werden nicht mehr bloß ''rot'', sondern ''tiefdunkelrot'', oder sie ''erglühen tiefdunkel''. Oder man höre nur daheim bei den Seinigen herum oder lese eine Zeitung oder eine Erzählung, die Volksanschauung und -Sprechweise wiedergeben. Da wird man die einfachen gradbezeichnenden Zusätze ''viel, sehr, gar, ganz'' immer seltener und dafür immer öfter die ungeheuerlichsten Übertreibungen vernehmen. Ich las z. B. in Briefen und hörte es im Munde einer in adliger Familie tätigen Schwester nie anders, als daß sie die Grade auch der schönsten Eigenschaften nur noch mit ''schrecklich'' bestimmte und die Leute als ''schrecklich gut, schrecklich schön, schrecklich freundlich'' beschrieb. Andre haben sich dafür in ''fürchterlich schön, furchtbar interessant, toll lustig'' verliebt; und die sind noch weit zurück, welche statt ''sehr'' oder ''zu gütig'' nur ''arg gütig, ungemein gütig'' sagen. Bietet sich doch, da der Fuß, auf dem man lebt, nicht mehr groß genug sein kann, zu demselben Zwecke unter anderm Gesichtspunkte ''ungeheuer, riesig, kolossal'' dar; also daß die Leute immer ''ungeheuer vergnügt'' und ''riesig aufgelegt'' und ''kolossal erfreut'' sind.