Frl. Mimi Schulz, Tochter usw.
Buch | Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen |
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Seitenzahlen | 213 - 214 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, Fachsprache (Geschichtswissenschaft), Behördensprache, Zeitungssprache, Fachsprache (Germanistik) |
Text |
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Zu der einen Nachäfferei des Französischen bei der Apposition kommt aber jetzt noch eine zweite, nämlich die, den Artikel wegzulassen und zu schreiben: Regetellus, Sohn des Präfekten Crescentius. In gutem Deutsch ist das nur dann üblich, wenn die Apposition Amt, Beruf oder Titel bezeichnet, und da eigentlich nur in Unterschriften, wenn man selbst seinen Namen und Titel hinschreibt. Aber abgeschmackt ist es, den Artikel bei Verwandtschaftsbegriffen wegzulassen, und doch kann man das jetzt ebenso oft in Geschichtswerken wie in Verlobungsanzeigen lesen. Historiker und Literarhistoriker schreiben: die Bekanntschaft mit Körner, Vater des Dichters Theodor Körner — die Briefe sind an die Herzogin Dorothee Susanne, Gemahlin des Herzogs Johann Wilhelm, gerichtet — Gabriele von Bülow, Tochter Wilhelm von Humboldts — und der Reserveleutnant und Gymnasialoberlehrer Schmidt zeigt an, daß er sich mit Fräulein Mimi Schulz, Tochter des Herrn Kommerzienrats Schulz, verlobt habe. Diese lapidarische Kürze mag in den Augen des Reserveleutnants der Größe des Augenblicks angemessen erscheinen — deutsch ist sie nicht. Hat der Herr Kommerzienrat nur die eine Tochter, so muß es heißen: der Tochter, hat er mehrere, so muß es heißen: einer Tochter; und warum soll die Welt nicht erfahren, ob er noch mehr hat? Und wenn der Geschichtschreiber nicht wüßte, oder wenn es überhaupt unbekannt wäre, ob die Fürstin, von der er erzählt, eine oder mehrere Töchter gehabt hat, so müßte es immer heißen: eine Tochter, denn eine $Seite 214$ Tochter war es auf jeden Fall, ob sie nun die einzige war oder Schwestern hatte. Ebenso falsch ist es natürlich, zu schreiben: der Vorwärts, Organ der sozialdemokratischen Partei. Hat die Partei mehrere Organe, so muß es heißen: ein Organ; hat sie nur das eine, ist das ihr anerkanntes amtliches Organ, so muß es heißen: das Organ. Organ allein könnte höchstens (in dem zweiten Falle) unter dem Titelkopfe der Zeitung stehen. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Fachsprache (Geschichtswissenschaft), Schreiber guten Stils, Fachsprache (Germanistik), Zeitungssprache, Behördensprache |
Bewertung |
abgeschmackt, deutsch ist sie nicht, falsch, lapidarische Kürze, muß es heißen, müßte es immer heißen |
Intertextueller Bezug |