Das Fürwort *3

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 150 - 152

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Unsicherheit
Text

Die richtige Beugung der Fürwörter wir, ihr lautet: wir, unser, uns, uns; ihr, euer, euch, euch; nicht wir, unsrer; ihr, eurer. ,Herr, erbarme dich unser' (nicht: unsrer); ,Der Herr wird euer (nicht eurer!) gedenken' ; dagegen: ,Gedenke nicht unsrer Missetat!' Aus sprachgeschichtlichen wie aus Nützlichkeitsgründen sollten gute Schreiber diese Unterscheidung unverbrüchlich bewahren: wo die Sprache mit so einfachem und sicherm Mittel das persönliche und das besitzende Fürwort auseinander hält, darf die Nachlässigkeit sie nicht vermengen. Man unterlasse die zwecklose Berufung auf mühsam herausgeklaubte Ausnahmestellen bei den Klassikern: ,Oh dann bedarf es unserer nicht mehr' (der sterbende Attinghausen im Tell, wohl des Versmaßes wegen); ,eurer hätt' ich wahrlich nicht verfehlt' (gleichfalls im Tell);,... eurer wert zu sein' (Goethe). Nicht der Sprachgebrauch der großen Schriftsteller in vereinzelten Ausnahmen ist für uns Nachfahren maßgebend, sondern nur das, was sie durch regelmäßigen Gebrauch als Regel der Sprache für sich anerkannt haben, und auch das nur, soweit die Sprache selbst ihren regelmäßigen Gebrauch seitdem nicht gewandelt hat. Die Neigung zum völligen Aufgeben der Zweitfälle unser, euer wird immer größer; man widerstehe ihr, jeder für sich, aus der Überzeugung, daß es schade wäre, eine Form untergehen zu lassen, die kernig wirkt und scharf unterscheidet. ,Wie liebevoll hat sich mein Vater euer und eurer Eltern angenommen!' — soll es hier unterschiedlos eurer heißen?

$Seite 151$ Wer durchaus unsere unseres unseren schreiben will, obwohl er es ebensowenig spricht wie sonst ein Mensch, dem ist nicht zu raten. Die gesprochenen Formen lauten: unsre unsern eure euern. Nebeneinander kommen unsres unsers, eures euers vor; ich schreibe stets unsers, aber eures, enthalte mich jedoch, dies Andern (nicht: Andren!) als das allein Richtige vorzuschreiben.

Euer Exzellenz ist eine selbst im Kanzleistil nicht zu duldende Unform; es heißt ,Eure (Eurer) Exzellenz' , gleichwie ,Eure (Eurer) Majestät' .

Mit Entschiedenheit aber wollen wir alle entgegentreten der Entartung der Zweitfälle deren, dessen unter den Federn mancher Schreiber zu derem, dessem. Solche Formen gibt es nicht und soll es nicht geben; bei ihnen beginnt die Verwilderung unsrer Sprache, und der gegenüber ist für Milde kein Platz.

Bei Keller, und bei wem nicht noch, steht: ,Du bist mein!' , und es haben sich Tadler gefunden. Gar nichts gibt es zu tadeln, diese Form ist bestes Deutsch.

Was bedeutet: ,Er hat seinen Sohn und seine Frau von der Bahn abgeholt?' Ich weiß es nicht genau, und niemand kann es genau wissen, denn bei der herrschenden Vermengung von sein und dessen kann es sowohl die Frau des abholenden Vaters wie des abgeholten Sohnes sein. Wenn die seines Sohnes, so muß es heißen: ,und dessen Frau' . Dergleichen gehört eigentlich in eine Sprachlehre für Anfänger; aber wie viele Zweifel herrschen in Deutschland über ganz feststehende Regeln der Sprachlehre! Wer auf die Mehrdeutigkeit von sein je nach der Stellung im Satz aufmerksam geworden, dessen Sprachgefühl wird ihn schon zum Richtigen führen; nur nachdenken muß er bei solchen Wörtern, deren Gefährlichkeit er kennt, und diese Kenntnis will mein Buch verbreiten helfen. — Dagegen: Friederike Müller, (eine!) Tochter des Baumeisters Schulze und dessen Gemalin ..' ist falsch, es muß heißen: ,. . und seiner Gemalin' ; denn in ,dessen Gemalin' ist ,Gemalin' beugungslos, obgleich die Beugung notwendig und wohl auch meist beabsichtigt ist.

Wie steht es mit deren und derer? Bei vielen Schreibern wuseln sie wahllos durcheinander: ,.. Männer, derer (richtig: deren) das Volk nicht würdig ist' ; — ,Wir wollen deren (richtig: derer) gedenken, die fürs Vaterland gefallen sind' . $Seite 152$ Die Unterscheidung ist ganz einfach: es gibt das hinweisende Fürwort der, die, das (Mehrzahl: die), die kürzeste Ersatzform für derjenige; und es gibt das bezügliche Fürwort der, die, das statt welcher. Der Zweitfall des hinweisenden Fürworts heißt derer, des bezüglichen: deren. Also: ,die Völker, deren Führer ihnen voranschreiten ..; Das Geschlecht derer von Bismarck; Die Gelder, deren wir so dringend bedürfen ..; Vergessen wir aller derer nicht, die als unsre Vorkämpfer . .' Für die Einzahl steht am besten weder derer noch deren; sondern der: ,Die Ursache, wegen der er sich das Leben genommen .., Die Frau, der er so liebreich gedachte' . Es kommt aber jetzt zunehmend deren, nicht derer, auch für Einzahlen vor in Fügungen wie ,die Mutter und deren Tochter' , wofür besser steht: ,. . und ihre Tochter' .

Wie schon beim Geschlechtswort vor der fehlerhaften gleichzeitigen Anwendung gleicher Formen in verschiedenen Fällen und Bedeutungen (,die Mutter und Schwestern' ) gewarnt werden mußte (vgl. S. 91), so hier vor der Vermischung gleicher Fürwortformen für ganz verschiedene Fügungen. ,Die Gesellschaft seiner Mutter und Schwestern' ist für ein feines, ja schon für ein richtiges Sprachgefühl unerträglich; um wie viel mehr Fügungen wie: ,Er hat uns nie gefallen, also auch nie enttäuscht' , wo unbedingt ein zweites uns vor also stehen muß. — Heines berüchtigter Anfang: ,Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität' ist wahrscheinlich ein zu drolliger Wirkung beabsichtigter Schnitzer.

Dies oder dieses? Dies oder dieses Haus? Ist nicht dieses, weil vollständiger, auch feiner? Es gibt im Deutschen so viel ernste Zweifelfragen, daß man sich mit Läppereien nicht aufhalten mag, und dies oder dieses ist eine.

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Engel(1922) 150-152.pdf


Zweifelsfall

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Beispiel
Bezugsinstanz Sprachverlauf, Schreiber guten Stils, Literatursprache, Goethe - Johann Wolfgang, Schiller - Friedrich, Schreiber guten Stils, Behördensprache, Keller - Gottfried, Sprachgelehrsamkeit, Heine - Heinrich
Bewertung

kernig, scharf unterscheidend, Entartung der Zweitfälle, Verwilderung unsrer Sprache, für Milde kein Platz, bestes Deutsch, unerträglich, berüchtigt, drollige Wirkung

Intertextueller Bezug