Attribut: KapitelText

Aus Zweidat
Wechseln zu: Navigation, Suche

Dies ist ein Attribut des Datentyps Text.

Unterhalb werden 20 Seiten angezeigt, auf denen für dieses Attribut ein Datenwert gespeichert wurde.
D
Was über diese mit Absicht so peinlich verzeichneten Fälle hinausliegt, das ist vom Übel, und wenn es auch auf alter Grammatikervorschrift beruhte, wie auf der Adelungs, daß nach Verhältniswörtern statt ''es'' immer ''dasselbe'' eintreten müsse: in ''dasselbe, für dasselbe''. Einmal kommt nämlich auch da ''es'' vor, und bei Scheffel oder Hansjakob könnte es wahrlich nicht gut anders heißen als so: ''Eines (der Murmeltiere) legt sich auf den Rücken und reckt die Füße von sich, die andern legen auf es alles, so sie zusammen geraspelt haben''; und: ''Der Vogt rief das Maidle in die Stube, trat vor es hin und sprach''. Schon Berthold v. Regensburg sagt: ''so einez an dem tode lit, so loufet alles für ez''; J. Grimm (Meine Entlassung) mit Beziehung auf Deutschland: ''über es''; und jüngstens G. Hauptmann (E. Quint): ''Er kannte das Mädchen von Jugend auf und hielt sein Auge auf es gerichtet''. W. Raabe setzt gleichtonig neben einander: ''So leben wir miteinander, es (das Kind) und ich'', wie ''sich'', immer auf Hauptwörter bezogen, bei ihm auch gegen ''es'', ''auf es, für es'' findet; und in seinem Satze: ''In dem kleinen Staate ist es (das Städtchen) immer ein Faktor, und die Regierung nimmt Rücksicht auf es'', würde der Ersatz Rücksicht darauf sogar eine Unklarheit der Beziehung ergeben, immerhin mag man volleren Klanges halber eine andere Ausdrucksweise vorziehen. Nur darf diese nicht Präposition + ''derselbe'' sein, sondern ein entsprechendes demonstratives Adverb, wie sie in Beziehung auf Sachnamen überhaupt sehr gebräuchlich und auf die sächlichen Geschlechts die Regel sind: ''als er an den Bach trat, erblickte er darin'' (statt ''in ihm'') ''seine Verunstaltung''; ''der Reisende fand ein Bett in seinem Zimmer und legte sich darauf. Am Wege stand ein Haus, wir traten hinein'' u. ä. noch unzählige Male bei Goethe. Auch die andere Vorschrift//1 Berthold v. Regensburg, der mehr für das Ohr als für das Auge sorgte, hat sich nicht bedacht, dieselbe Form dreimal hintereinander zu setzen: ''die werdent danne viel zornlichen richten über die, die die Heiligen haben gerichtet uf ertriche'', wahrlich wohlklingender als das vom Modernen fälschlich geforderte ''über diejenigen, welche die Heiligen.''//, daß dieselbe erforderlich sei, wenn sonst ''sie sie, Sie sie'' zusammenträfen, beruht auf engherziger Regelung und bloßem Augenlesen, bei dem freilich die unterscheidende Kraft und Betonung des gesprochenen Wortes nicht zur Geltung kommt. ''„Wie sie sie'' (die ''Gedanken'') ''verarbeiten"'' $Seite80$ darf man also ruhig E. Förster nachmachen, in deren schlichten Briefen wahrlich viel Musik ist. Andere Fälle falscher Anwendung des Wortes ''derselbe'' können nicht einmal durch einen solchen Scheingrund gerechtfertigt werden. Da steht es, wo das einfache ''er, sie, es'' genügte:'' Eugen ist jetzt übervoll, da dasselbe'' (richtig: ''es'') ''durch die Anwesenheit der Kaiserin besondere Anziehungskraft erhalten hat''. Noch unschöner wirkt es, wenn es — so besonders auch bei Gelehrten — den durch langatmige Satzdehnung an die Spitze gebrachten Hauptbegriff des Satzes wieder aufnimmt: ''Den Sprachunterricht betreffend, so würden wir erraten, wie sich derselbe unserm Pädagogen gestalten muß''. Ein anderes Mißbehagen erregt es, wenn gegen das einfache Stilgesetz, wonach innerhalb des nämlichen Satzgefüges das gleiche Verhältnis den gleichen Ausdruck erhalten soll, dasselbe Beziehungswort in einem Satze abwechselnd durch ''er'' und ''derselbe'' aufgenommen wird: ''Die eine Partei will den Entwurf pure (!) annehmen, die andre ihn radikal amendieren, die dritte denselben verwerfen''. Zuletzt also, wo gar kein Fürwort nötig wäre, das längste und schwerfälligste! Auch das Gegenstück dazu fehlt nicht, daß dieser Liebling von heute in einem Satze die verschiedensten Beziehungen ausdrücken muß, als ob es gar kein anderes Mittel gäbe; bis auf drei bringt es z. B. ein Wiener Magistratsrat in folgender Leistung: ''Ich bin von den statistischen Bureaus der Städte Berlin und Dresden verständigt worden, daß dieselben'' (statt ''sie'') ''alle Beziehungen zum Prager Bureau abgebrochen haben, weil dasselbe'' (statt ''es'') ''seit April seine Mitteilungen in tschechischer Sprache veröffentlicht und denselben'' (statt ''ihnen'') ''eine französische Übersetzung beilegt'' //* Vgl. unten § 286 einen Gebrauch des Wortes, der selbst darüber hinausgeht.// . Alles, was von ''derselbe'', gilt natürlich erst recht von der noch steiferen, altertümelnden Form ''derselbige'', nicht minder aber auch von der kürzeren: ''selbiger'' und ''selbe'', mit der man alle die gleichen schönen Kunststücke wie mit ''derselbe'' fertig bringt. Nur eins davon aus der Deutschen Zeitung: ''Das Urteil lautete auf Tod durch den Strang und ist selbes zu vollziehen'' (statt und ''ist zu vollziehen'') ''den und den''.  
Von den Zusammensetzungen mit ''-in'' und ''ein'': ''d(a)rin'' und ''worin'', ''d(a)rein'' und ''worein'' dienen jene durchaus zur Bezeichnung der Ruhe, diese zur Angabe der Bewegung und Richtung//1 Auch der mit der Aufstellung von Regeln gewiß vorsichtige Grimm sagt Wb. II, 770: „Jetzt müssen wir ''in'' und ''ein'' auseinanderhalten: und ''darein'' kann nur auf die Frage ''wohin''? antworten und (S. 776) ''darin'' auf die Frage ''wo''?" In widersprechenden Fällen ist auch nach ihm „zuweilen noch dagegen gefehlt".//. Das Volk kennt den Unterschied gar gut, wenn es z. B. von ''dreinschlagen'' redet, aber von ''drinsitzen, -liegen, -stecken''. So durfte Eltze nicht schreiben: ''er wird sich darin finden'', oder D. Ehlers: ''er setzte seinen Ehrgeiz darin'', und gar auch ein Dichter (H. Kruse): ''Der Herr selbst hing, mit der Lanze darein zum Zeichen gelassen, am Rande. Über den Gießbach hin mit dem Kopfe nach unten.'' Der Endung -''in'' $Seite 30$ kommen an Bedeutung gleich die längeren Formen -''inne'' und ''innen'', nur daß sie etwas voller und feierlicher sind. Abgesehen von der Verwendung von ''inne'' neben Verben (''innehaben; innehalten'', neben welchem ''einhalten'', z. B. ''die Zeit, die Stunden'', mehr und mehr verschwindet; ''innewohnen''), kommen sie für sich allein nur neben Verhältnis- und Umstandswörtern vor, besonders in der Verbindung: ''mitten'' oder ''zwischen'' ''inne'' ''stehn, liegen''.  +
Unter den Erweiterungen, die ein Satzglied erfahren kann, stehen obenan das Attribut und die Apposition. Ein Attribut kann zu einem Hauptwort in vierfacher Gestalt treten: als Adjektiv (''ein schöner Tod''), als abhängiger Genitiv (''der Tod des Kriegers''), als Bestimmungswort einer Zusammensetzung (''der Heldentod''), endlich in Form einer adverbiellen Bestimmung (''der Tod auf dem Schlachtfelde, der Tod fürs Vaterland''). Auch gegen die vierte Art ist, wie ausdrücklich bemerkt werden soll, nichts einzuwenden; es ist untadliges Deutsch, wenn man sagt: ''das Zimmer oben, eine Wohnung in der innern Stadt, der Weg zur Hölle, die Tötung im Duell, die preußische Mobilmachung im Juni''. Manche getrauen sich zwar nicht, solche Attribute zu schreiben, sie meinen immer ein ''befindlich, belegen'' (''be!''), ''stattgefunden, erfolgt'' oder dergleichen dazusetzen zu müssen; aber das ist eine überflüssige und häßliche Umständlichkeit.//* Entsetzlich ist allerdings der Titel einer neugegründeten Zeitschrift: ''Deutsche Erde. Beiträge zur Kenntnis deutschen Volkstums allerorten und allerzeiten''.// Bisweilen kann man ja nun zwei solche Attributarten miteinander vertauschen, ohne daß der Sinn verändert wird, aber durchaus nicht immer. Auf wenigen Gebieten unsrer Sprache herrscht aber jetzt eine so grauen- $Seite 174$ volle Verwirrung wie auf dem der Attributbtldung; hier wird jetzt tatsächlich alles durcheinander gequirlt.  +
Der häufigste Fehler in der Wahl der Beiwortform ist die Verwechslung von ''lich'' und ''ig'', oder vielmehr das fehlerhafte Vorwiegen der Bildungen mit ''lich''. Man erbittet einen ''vierwöchentlichen'' Urlaub statt eines ''vierwöchigen'', und bekommt einen ''abschläglichen'' Bescheid statt eines ''abschlägigen''; macht eine ''zweimonatliche'' Krankheit durch statt einer ''zweimonatigen''; erlebt eine ''mehrstündliche'' Störung des Fernsprechverkehrs statt einer ''mehrstündigen''. Und doch gibt es kaum einen wichtigen Zweifelfall, der so leicht und sicher zu klären wäre wie dieser: ''ig'' bezeichnet die ununterbrochene Dauer, ''lich'' die wechselnde Wiederkehr. Eine ''dreimonatliche'' Krankheit wäre eine, die alle drei Monat einmal wiederkehrt; eine drei Monate andauernde ist eine ''dreimonatige''. Ein ''vierwöchentlicher'' Urlaub wird immer nach je vier Wochen aufs neue erteilt; einer, der vier Wochen dauert, heißt ''vierwöchig''. Eine ablehnende Antwort ist eine ''abschlägige'', denn sie wird nur einmal erteilt, nicht in regelmäßiger Wiederholung; dagegen gibt es ''abschlägliche'' Teilzahlungen, die wiederkehren. Es heißt: ''vierteljährliche'' Mietezahlung (Kündigung), ''vierteljähriger'' Aufenthalt; ''jährlicher'' Urlaub einmal im Jahr, ''einjähriger'' Urlaub für ein ganzes Jahr; ''viertelstündiger'' Schlaf, aber ''viertelstündlich'' einen Eßlöffel; ''dreistündiger'' Dienst mit ''dreistündlicher'' (alle drei Stunden erfolgender) Ablösung. Eine Ware wird mit ''dreimonatlicher'' Abzahlung gekauft, hat aber nur eine ''zweimonatige'' Lebensdauer. Diese Pflanzen sind ''zweijährig'' und blühen einmal ''jährlich''. Er wurde zu ''zweimonatiger'' Gefängnisstrafe verurteilt. Ein ''halbjähriger'' Unterricht mit ''vierteljährlicher'' Bezahlung. Es heißt allgemein: '',ein langjähriger Beamter' '', obwohl die Alltagsvernunft viel dagegen einzuwenden hat; der Sprachgebrauch ist über diese Einwendungen ebenso hinweggeschritten wie über die gegen den ''hundertjährigen'' Gedenktag (vgl. $Seite 121$ S. 155), der nicht hundert Jahre dauert, sondern etwas ''Hundertjähriges'' bezeichnet, so wie der ''langjährige'' Beamte etwas ''Langjähriges'', seinen ''langjährigen'' Dienst. Es handelt sich um feste Sprachformeln, die nicht zu verdammen sind mit neunklugen Spöttereien: ,also gibt es auch einen ''zehnjährigen'' Beamten, eine ''sechsjährige'' Gattin?' Nein, die gibt es nicht, obwohl sie nach der ,Analogie' ebenso gut denkbar wären; aber der Sprachgebrauch duldet sie nicht und hat seine guten Gründe dafür. Auch Tifteleien mit ''fremdsprachlich'' und ''fremdsprachig'', ''altsprachlich'' und ''altsprachig'' hat der Gebrauch beiseite geschoben, weil er in solchen Fällen kein Bedürfnis zur strengen Unterscheidung hatte wie bei ''monatlich'' und ''monatig''. Gewiß bezeichnet ''ig'' mehr die festanhaftende Eigenschaft, und die peinliche Untersuchung würde feststellen, daß der ''fremdsprachige'' Unterricht einer ist, der mittels fremder Sprache erteilt wird, also etwa auch Unterricht im Deutschen, den ein Franzose auf Französisch erteilt; dagegen ''fremdsprachlicher'' Unterricht der zum Erlernen einer fremden Sprache. Viele glauben, die von Eigennamen abgeleiteten Beiwörter auf ''isch'' müßten den buchstäblichen Wortlaut des Namens unverwischt lassen. Dies gilt, wenn überhaupt, d. h. wenn man in der Schriftsprache von jedem beliebigen noch so unbekannten Namen ein Beiwort auf ''isch'' ableiten will, wovor zu warnen ist, allenfalls für Namen, deren ursprüngliche Rechtschreibung sonst bis zur amtlichen Unzulässigkeit verwischt würde. In einer öffentlichen Urkunde darf nicht unvermittelt von einem ''Hessischen'' oder ''Briesischen'' Verlag gesprochen werden, und selbst wenn die Namen ''Hesse'' und ''Briese'' schon vorher deutlich dagestanden hätten, würde man Bedenken tragen, ''Hessische'' und ''Briesische'' zu schreiben, hingegen besteht kein Grund, allbekannte geschichtliche Namen, die längst beiwörtliche Bedeutung angenommen haben, genau in ihrer Hauptwortform zu erhalten und dadurch das Bildungsgesetz des Beiworts zu verletzen. Diese Buchstabenpeinlichkeit widerspricht dem Wesen aller Sprachen: Von Eigennamen abgeleitete Beiwörter benutzen zumeist nur den Stamm, kümmern sich nicht um die Endungen. Einzig fürs Deutsche bestehen Pedanten auf ''Goethesche'' Gedichte, wohl gar mit ''.. e'sche'' und fordern ''Hallesche'' Zeitung. Es heißt ''Goethisch'', ''Hallisch''; im 18. Jahrhundert schrieb man sogar ''Hällisch''. $Seite 122$ Schreiben wir doch auch ''Taciteisch'', nicht ''Tacitusisch''! Wer für Gelehrte schreibt, darf ''Manessische Handschrift'' sagen; für Ungelehrte nur, wenn der Name ''Manesse'' zuvor schon einmal genannt wurde. Daß die richtige Form ''allmählich'' heißt, verdient hier angemerkt zu werden; es hat nichts zu tun mit allemal, sondern bedeutet ''allgemächlich'', woher auch das ''h'' stammt.  
Alle Sprachlehren versuchen für die einzig richtige Beugung der Beiwörter nach der starken (''lieber, liebes, liebem, lieben; liebe, lieber, lieber, liebe; liebes, liebes, liebem, liebes;'' Mehrzahl: ''liebe, lieber, lieben, liebe'') oder nach der schwachen (ohne ''er'' und ''es''; Mehrzahl: in allen vier Fällen ''lieben'') treffliche Beispiele und gute Lehren zu geben. Auf keinem Gebiet der deutschen Sprachwissenschaft ist die Lehre so machtlos, der Gebrauch so schwankend. Hier werden nur die schwankenden, besonders die von den Sprachbütteln mit selbstherrlicher Gewalt entschiedenen Fälle behandelt, und, wie immer, die Entscheidungen nur nach dem herrschenden Sprach- und Schriftgebrauch getroffen. Im allgemeinen ist — vielleicht mit Bedauern — festzustellen, daß sich der Sprachgebrauch mehr und mehr von der starken Beugung freimacht und der schwachen anheimfällt. Wir hören viel häufiger ''Lieben Freunde!'' als ''liebe ..''; ''vieler großen Männer'' statt ''vieler großer . .''; ''trotz allen Mühens'' statt ''trotz alles . .''; ''alle guten Freunde'' statt ''alle gute . .''; ''ihr guten Menschen'' statt ''ihr gute ..''; ''Wir deutschen Gelehrten'' statt ''Wir deutsche Gelehrte''; ''alle guten Gaben'' statt ''alle gute . .'' Kaum je hört oder liest man noch ''alles Ernstes'', fast immer ''allen . .'' Allerdings in bestimmten Wendungen ist die starke Beugung widerstandsfähig geblieben: ''Werte Freunde'' oder ''Anwesende'' steht dem ''Lieben Freunde'' gegenüber, und ''Lieben Anwesende'' sagt niemand, — beinah möchte man hinzufügen: sagt noch niemand. Übrigens heißt es schon bei Bürger und Schiller: ''Lieben Freunde''. Ein schönes Beispiel für das regellose Schwanken zwischen starker und schwacher Beugung bieten Goethes Verse: ,''Gegrüßet seid ihr hohen Herrn, Gegrüßt ihr schöne Damen.' '' Strenge Vorschriften zu Gunsten oder Ungunsten nur einer der zwei Beugungen zu treffen, wäre zwecklos, denn der $Seite 123$ Sprachgebrauch will sich offenbar in diesem Punkte durchaus nicht gängeln lassen. Ich selbst bevorzuge, wo immer ich's ohne Eigenbrötelei darf, die starke Beugung und habe selbst von Sprachmeisterern darob noch keinen Verweis gehört. Ich tue das, weil ich die ewige Wiederholung von ''.. en'' matt und ermüdend finde, die starke Beugung, zumal die auf ''er'' und ''es'', als kräftiger empfinde und jede Abwechslung der Endungen mit ''e'' für nützlich halte. Da wo sich von altersher die starke Beugung erhalten hat, besonders in festen Fügungen, sollte man sie nicht ohne Not aufgeben. ''Gutes Mutes'', ''alles Ernstes'', ''reines Herzens'', ''grades Weges'', ''eines Teils'' (neben: ''andern Teils''), ''keinesfalls'', selbstverständlich: ''meines Wissens'', auch: ''heutiges Tages'', aber auch: ''vieler guter Menschen'', ''aller deutscher Städte'', ''zu Goethes ganzer späterer Entwicklung'' — was ist dagegen einzuwenden? Und ist nicht jedes ''er'', jedes ''es'' eine wahre Erquickung zwischen den 4 oder mehr ''en'', die sonst hintereinander zu stehen kommen? In älterer Zeit war die Beugung ''süßes Weines'' die Regel, ''süßen Weines'' galt für einen Fehler. Noch Klopstock beugte ausschließlich so: '',Du bist ernstes, düsteres Geistes.' '' Bei Goethe schwindet die starke Beugung zu Gunsten der schwachen, und es treten regellose Schwankungen ein: ,''Feines Silbers genug und roten Goldes' '' in demselben Vers. In abhängigen Zweitfällen steht heute durchweg schwache Beugung: ,''ein Glas süßen Weines, reinen Wassers' ''; bei aller Mannigfaltigkeit der Fügung wird doch nicht mehr stark gebeugt, sondern: ,''eine Art feuriger Rotwein, . . feurigen Rotweins' ''; mit ''einer Art feurigen Rotweins'' (daneben:''feurigem Rotwein''). Goethe: ,''Die Kunst ruht auf einer Art religiösem Sinn' '', was ebenso gut ist wie ''. . religiösen Sinnes''. — Das Schwinden des zweimaligen ''.. es'' (''süßes Weines'') in allen nicht alten festen Wendungen beruht wahrscheinlich auf einem Wandel des Lautgeschmacks: der hurtiger sprechende Deutsche unsrer Zeit empfindet die beiden gewichtigen Endungen schnell nacheinander übler als seine Vorfahren. Unverständlich für den, der sprachliche Entscheidungen gemäß dem wirklichen Sprachleben, nicht dem selbstherrlichen eignen Geschmack zu treffen pflegt, ist die Warnung einiger Sprachmeisterer vor völlig eingelebten und guten Fügungen, wie: ''zum Besten armer Kranker''; es müsse ''.. Kranken'' $Seite 124$ heißen. Hierzu gehört auch die eigensinnige, dem Sprachgebrauch zuwiderlaufende Forderung: nur ''ein schönes Ganze'' dürfe geschrieben werden. Fast alle Welt spricht und schreibt ''ein schönes Ganzes.'' Aber nichts Eigenwilligeres als die Sprache, zumal die deutsche; sie sagt: ''ein schönes Ganzes'', läßt sich aber hierdurch nicht zwingen ''ein schönes Äußeres'', ''mein ganzes Inneres'' zu sagen, sondern zieht ''Äußere'', ''Innere'' vor (vgl. S. 94). Von einem der Gewaltner unsrer Sprache, Adelung, wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Willkürregel über die schreibende deutsche Menschheit verhängt: von zwei aufeinander folgenden Beiwörtern im 3. Fall bekommt nur das erste ''.. em'', die nachfolgenden ''. . en''. Hier liegt einer der zum Glück seltnen Fälle vor, wo einem ganzen großen Volke von einem sich über dessen Sprache eitel emporblähenden Zuchtmeister eine ebenso sinnlose wie falsche Sprachform aufgenötigt wurde. In allen Schulen wurde seit Adelung gelehrt, von fast allen Schreibern befolgt, es müsse heißen: ''mit gutem alten Wein'', ''nach langem heißen Kampf'', ''bei geringem eignen Verlust'', ''nach deutschem bürgerlichen Recht'', ''nach gutem deutschen Brauch''. In neuster Zeit — Ehre, wem Ehre gebührt: zum Teil auf die Mahnung Wustmanns — wurde endlich mit der Adelungschen Vorschrift gebrochen, und selbst die Schulen haben sie größtenteils abgegeben. Goethe hatte sich nicht an sie gekehrt; bei ihm heißt es z. B.: ''aus natürlichem frommem Gefühl'', ''nach bezahltem teurem Lehrgeld''; auch bei Schiller steht: ''mit weitem flammendem Rachen''. Unter den Neueren hatte sich namentlich Treitschke von jenem alten Zopfe befreit: ,''Gestalten von unvergänglichem menschlichem Gehalt' ''; ''von gutem altem Adel''; ''nach altem germanischem Kriegsgebrauche''.' Selbstverständlich heißt es nur: ''von diesem guten Tabak''; die Doppelsetzung des ''m'' gilt nur für zwei Beiwörter. — Die Redesprache hatte sich niemals an die Adelungsche Regel gekehrt. Für die Beugungsformen der Beiwörter auf ''el'' und ''er'' lassen sich keine bindenden Vorschriften geben. Allenfalls läßt sich feststellen, daß der Sprech- und Schreibgebrauch sich zu Gunsten folgender Formen entschieden hat: ''dunkler, dunkle, dunklem, dunkeln, dunkles; heiter, heitre, heiterm, heitern, heitres'', ohne daß die abweichenden Formen $Seite 125$ ''dunkelm, dunklen, heitrem, heitren'' falsch zu nennen wären. Fremde Farbenbeiwörter bleiben ungebeugt: ,''eine rosa Schleife, eine lila Tulpe''; es ist nicht nötig, sich mit ''rosa-farben'' zu helfen. Dürfen wir uns noch heute einige der Freiheiten nehmen, die Goethe sich nahm und die sich gottlob die Dichter unsrer Tage noch erlauben? Zweifellos, nur dürfen wir den Sprachmeisterer nicht zuvor befragen, denn dem sind Sprachfreiheiten in groß und kleinen Dingen ein Greuel. Halt! ,''in groß und kleinen Dingen'' — ein ungebeugtes Beiwort neben einem Hauptwort? Wenn mit Maß, selten, am rechten Ort — unzweifelhaft, denn in diesem Punkte hat sich in der gesprochenen Sprache nichts geändert seit Goethes Tagen, der nur der wirklichen Sprache nachschrieb: ,''in gut und bösen Tagen, die klein und große Welt, in jung und alten Tagen, in der alt und neuen Zeit, Jeden Nachklang fühlt mein Herz froh und trüber Zeit'. '' ,Ein Garten voll Blumen, . . voller Blumen, . . voll von Blumen' '' — was ist richtig? was ist am richtigsten? Alle drei Fügungen sind richtig, und der Dichter kann noch als vierte gebrauchen: ''. . voll der Blumen''. Am wenigsten schön, weil unnötigerweise nicht durch Beugung, sondern Umschreibung ausgedrückt, ist ,''voll von Blumen''. — Aber ist nicht ''. . ,voller Blumen'' nur nachlässige Volkssprache? Keineswegs, es ist gute Dichtersprache und kommt in der besten Prosa vor: '',Jetzt, da der Himmel voller Sterne glüht'' (Goethe im Vers), ,''Das Stück war voller Handlung'' (Goethe in Prosa). — ,''Er ist voller Eifers'' oder ,''voller Eifer''? Nur ,''voller Eifer''!  
Das Beiwort muß echt sein, d. h. eine innere, begründete eigenschaftliche Bedeutung haben und nicht bloß äußerlich ,bei' dem Hauptwort stehen. Einen ''eßbaren Apfelbaum'' gibt es nicht, also darf man nicht einen Apfelbaum so nennen, dessen Früchte eßbar sind. Die zahlreichen Verstöße gegen diese vernünftige Grundregel faßt man unter dem Musterbeispielwort ,''die reitende Artilleriekaserne' '' zusammen. Es ist nachgrade zu einem lustigen Spiel geworden, Wendungen von auserlesener Lächerlichkeit für diesen Fehler zu sammeln, dar- $Seite 126$ unter allerlei selbstverfertigte, die jedoch ebenso belehrend sind wie die echten Fälle des unechten Beiwortes. Hier folgt eine kleine spaßige Sammlung: '',Niedrige Ertragsgerüchte'', ''künstliche Wasserfabrik'', ''keimfreie Eisgesellschaft'', ''künstliches Blumengeschäft'', e''lektrischer Bahnkontrolleur'', ''umklappbarer Krankenstuhlagent'', ''frischgestochner Spargelverkauf'', ''der ein-und zweispännige Kutscher'', d''er dreistöckige Hausbesitzer'', ''die verfaulte Obstfrau und der gedörrte Obsthändler'', ''der garantiert wasserdichte Tuchfabrikant'', ''der rohe Seidenhändler'', ''die verwahrloste Kinderanstalt'', ''die verheiratete Lehrerstelle'', ''die hochstämmigen Eichenzweige'', ''der ausgestopfte Tierhändler''.' Hübsch erfunden ist ''die rauchlose Pulverfabrikantentochter'', die einen ''schmalspurigen Eisenbahnbeamten'' heiratet; desgleichen die ''gepanzerte feuer- und diebessichere Generaldepositärsgattin aus Graz''. Nicht erfunden sind: ,''Der zahlreiche Familienvater, der grobe Unfugsparagraph'' und d''er unorganische Naturforscher' '', dieser eine Schöpfung von du Bois Reymond. Und ganz und gar nicht erfunden, sondern noch mit meinen Augen in großen Buchstaben bezeichnet gesehen habe ich einst die berühmte ,''Reitende Artilleriekaserne' '' im Norden Berlins, deren Deutsch allerdings aus der Zeit Friedrichs des Großen stammte. Über die Lächerlichkeit aller dieser echter und erfundener Verquatschungen kann kein Zweifel bestehen, und einem leidlich aufmerksamen Schreiber wird dergleichen schwerlich unterlaufen. In manchen Fällen läßt sich der Unsinn leicht beseitigen: aus dem ''alten Bücherhändler'' braucht nur ein ''Altbuchhändler'', aus dem ''gedörrten Obsthändler'' ein ''Dörrobsthändler'', aus dem ''sauren Kirschenbaum'' ein ''Sauerkirschbaum'' gemacht zu werden, und der vollendete Unsinn ist zu gutem Deutsch geworden. Goethe schrieb einmal ,''der wilde Schweinskopf' '', sei's aus Nachlässigkeit, sei's in dem Gefühl, man werde ihn schon richtiger verstehen, als er's geschrieben habe. Wie aber steht es mit einer Reihe von nicht so unzweifelhaften Verstößen gegen die allerstrengste Richtigkeit des sinnvollen Zusammenhangs? Der ''wilde Apfelbaum'' ist richtig, denn der Baum selbst ist wild; darf man also auch sagen ,''wilder Kastanienbaum' ''? Ich denke, mit demselben Recht; aber schon nicht mehr ,''eßbarer Kastanienbaum' '', denn nicht der Baum, sondern die Kastanien sind eßbar. Und wie denkt der Leser über den ,''plastischen Metallarbeiter' ''? Wahrschein- $Seite 127$ lich: unzulässig. Aber Goethe hat so geschrieben! Hm, ja dann —. Oder wie über ,''verschmitzte Frauenrollen' ''? Wohl ebenso tadelnswert; aber — sie stehen bei Lessing. Wer hat nicht schon von der ,''ländlichen Arbeiterfrage, der großstädtischen Dienstbotennot, einem geistlichen Musikfest, einem katholischen Kirchenbau, dem geheimen Stimmrecht' '' gelesen? Oder wer hat sich etwas Schlimmes gedacht bei einem ''Deutschen Wörterbuch'', bei ''Goethes Italienischer Reise'', bei ''französischem'' oder ''englischem Sprachunterricht''? Die Gewöhnung macht manche immer wiederkehrende, eigentlich unstimmige Verbindung annehmbar, und gegen die ''Sauregurkenzeit'' und den ''Dummejungenstreich'', ja selbst gegen die vielbelachte ''höhere Mädchenschule'' ist kaum etwas einzuwenden; gegen die letzte schon darum nichts, weil ,''höhere' '' nicht notwendig auf ,''Töchter' '' bezogen werden muß, sondern eher auf ,''Schule' ''. Darüber, daß ,''Zuntz sel''. (seliger) ''Witwe' '' jenseits von Gut und Böse der Sprachlehre steht, wird kein Zweifel herrschen. Aber — bei Goethe heißt es einmal: ,''Mein Mann seliger war bei Jahren' ''. Man sieht an dieser versteinerten Formel die Entstehungsgeschichte von ''Zuntz seliger Witwe''.  
Wie weit man mit der Anwendung des Beiwortes zum Ausdruck von Eigenschaften gehen darf, die sich in Tätigkeiten kundtun, ist eine Frage des schriftstellerischen Geschmackes. Der Alltagschreiber sei darin eher zu vorsichtig als zu kühn. Sobald er zu zweifeln beginnt, lasse er die Hand davon. Dem Berufschriftsteller sind keine Vorschriften zu machen; er handelt auf eigne Gefahr, aus der er je nachdem als neuschöpferischer Sieger hervorgeht, oder ausgelacht wird. Was ist nicht alle gewagt worden und verunglückt! ''Lächelnde Hände, tränenvoll Bewegungen, schluchzende Verbeugungen''. Lessing hat gewagt: ,''ein hoher Springer' '', und so viel Gescheites auch die Gescheitheit dagegen einzuwenden hat, wir haben das Gefühl: dies und ähnliches muß erlaubt sein, wenn man der Sprache und den selbständigen Schreibern nicht jeden stolzbewußten (?) Flügelschlag lähmen will. Nicht der Springer als Menschenkörper ist hoch, sondern sein Sprung: das wissen wir — so gut wie Lessing selbst es gewußt hat —, und dennoch gefallen uns Bild und Ausdruck. Lessing stellt dem ''hohen Springer'' den ''ebenen Tänzer'' gegenüber, und da wir einmal $Seite 128$ im Bilde sind, lassen wir auch den zu. Es kann nur zur dichterischen Belebung der nüchternen Prosa dienen, wenn das Beiwort so flüssig bleibt, daß es ins Zeitwort hineinschillert, und bei aller Berechtigung fester Sprachzucht darf die Freiheit des guten Schriftstellers nicht über Gebühr beengt werden. Kritteleien der Sprachvernünftler an Ausdrücken wie: ''ein scharfer Denker, ein feiner Beurteiler'' sind lächerlich und schädlich zugleich, um so schädlicher, aus je berufnerem Munde (ist dies erlaubt?) sie kommen, denn sie wirken lähmend. Oder Sie wirken noch schlimmer: sie machen die ganze Schreiberwelt jeder vernünftigen Unterweisung abgeneigt. Ohne die weit über alles Maß hinausschweifende Sprachschulmeisterei müßten wir heute, nach einem vollen Jahrhundert eifriger deutscher Sprachforschung und -belehrung, schon viel weiter sein im guten Deutsch. ''Deutsche Sprachforschung'' — ist das erlaubt? Gemeint ist doch nicht die Forschung ''von Deutschen'', sondern ''im Deutschen''. Das habe ich mir beim Schreiben auch gesagt, habe aber diesen knappen Ausdruck vorgezogen der breiten Erforschung der deutschen Sprache, weil ich die Gemeinschaft des richtigen Verständnisses zwischen mir und dem Leser fühlte. Auf diese stete ergänzende, berichtigende Mitarbeit des Lesers unmittelbar beim ersten Lesen wird von den meisten Sprachmeistern gar kein Gewicht gelegt; darum sei bei jeder schicklichen Gelegenheit nachdrücklich auf sie hingewiesen, selbst auf die Gefahr des Abschweifens. '' ,Gelehrte Laufbahn, philosophische Doktorwürde, die äußeren'' und ''inneren Kranken'' (vgl. S. 22), ''die herbstlichen Truppenübungen, eine herrschaftliche Köchin, ein klassischer Philologe, ein neuer'' (statt neusprachlicher oder ''Neu-'') ''Philologe'', ''Griechische Frühlingstage, ein semitischer Philologe'' (für die semitischen Sprachen), ''Liebigs Chemische Briefe, Römische Schlendertage von Allmers' '' — dem Leser darf überlassen werden, was er für erlaubtes und gutes, was dagegen für schlechtes Deutsch halten soll. Das geübte und gesunde Sprachgefühl eines Deutschen wird kaum je in die Irre gehen, es sei denn, daß er zu den Berufskrittlern gehört. Die Forderung eines von dieser Gattung, man müsse überall da, wo ein zusammengesetztes Hauptwort besteht, den Gebrauch eines Beiworts und Hauptworts vermeiden, weil der aufgelöste Ausdruck ,beängstigend' und das Beiwort ,abgeschmackt' $Seite 129$ sei, muß zurückgewiesen werden. Weil es ''Schöpferkraft'' gibt, ist ''schöpferische Kraft'' nicht abgeschmackt, und man darf in ebenso gutem Deutsch von einem ''musikalischen'' oder ''künstlerischen Genuß'' sprechen wie von einem ''Musik''- oder ''Kunstgenuß''. Wohin sollte es führen, wenn Ausdrücke wie ''kriegerische Ereignisse'', ''junkerliches Regiment, körperliche Bewegung, winterliche Landschaft, regnerische Tage, gärtnerische Anlagen, elterliches Haus'' nicht mehr geschrieben werden dürften, sondern auf Geheiß eines Zuchtmeisters einzig die Hauptwortgebilde? Die Sprache unterscheidet sehr fein und sehr notwendig zwischen beiwörtlichen und hauptwörtlichen Bildungen: ''kriegerische Ereignisse'' und ''Kriegsereignisse, junkerliches Regiment'' und ''Junkerregiment'', ''körperliche Bewegungen'' und ''Körperbewegungen'', ''erziehliche Wirkungen'' und ''Erziehungswirkungen'' usw. sind keineswegs gleichzusetzen. Z. B. kann ein ''junkerliches Regiment'' auch geführt werden von Nichtjunkern, dagegen ein ''Junkerregiment'' nur von geborenen Junkern, und so fort. Man denke nur an den Unterschied zwischen Beiwort- und Hauptwortform bei ''Schillersche Gedichte'' und ''Schillers Gedichte'': das erste wäre als Buchtitel unmöglich. ''Lange Gattin'' statt ''langjährige Gattin'' (vgl. S. 120) ist Unsinn; wie aber steht es mit einem ''kurzen Prediger''? Im Reichstag wird ständig zwischen ''langen'' und ''kurzen Rednern'' unterschieden, und man fragt sich, wie dies anders und doch ebenso kurz und gut ausgedrückt werden könnte. Selbst Doppelsinnigkeiten sind im einzelnen Falle (oder muß ich durchaus sagen: ''Einzelfalle''?) nicht so gefährlich, wie man zuerst meinen möchte. Wir sprechen ja nicht in einzelnen Wörtern (oder ''Einzelwörtern''?), sondern in zusammenhängenden sinnvollen Sätzen, und der Zusammenhang schiebt zurecht, erläutert und berichtigt, wo die Sprache einmal hat bequem sein wollen. Was ''weiblicher Unterricht'' alleinstehend bedeutet, ist mit Sicherheit nicht zu sagen; der Satz: ,''Der weibliche Unterricht bedarf des Griechischen nicht' '' ist unmißverständlich, gleichwie der Satz: ,''Der weibliche Unterricht in Knabenschulen ist nicht zu empfehlen' '' keinem Mißverständnis ausgesetzt ist. ,''Der kränkliche Eindruck' '' ist nicht falsch, ,''der konservative Antrag' '' ist richtig, ,''das lebenslängliche Zuchthaus' '' ist kein Unsinn — all dergleichen wird von jedem unbefangenen Hörer und Leser sofort richtig und nur $Seite 130$ auf eine Art verstanden. Ja selbst eine so kühne Übertragung von einer Person auf die andre: ,''Er machte mir einen gehässigen Eindruck' '' (''den Eindruck eines Gehässigen'') ist für die Redesprache noch zulässig, mag man sie auch in der hohen Schriftsprache nicht wagen. Bemängelt wurden oder werden Beiwörter auf ''. . er'' statt auf ''. . isch'', also nicht ''Berliner Zeitung'', sondern nur ''berlinische . .''; nicht ''Holländer Austern'', sondern nur ''holländische''; nicht ''Kölner Wasser'', sondern einzig ''Kölnisches ..''; nicht ''Schweizer Schulen'', sondern ausschließlich ''schweizerische . .'' Wie aber, wenn man in Köln selbst fast nur ''Kölner Wasser'' sagt? Muß dann die gesprochene Sprache von Hunderttausenden sich modeln auf das Gebot eines Einzelnen, der nach angeblichen Gesetzen auf dem Papier verfügt? Und für den ''Schweizerkäse'' oder selbst ''Schweizer Käse'' muß doch selbst er eine Ausnahme oder mildernde Umstände zulassen. Sogleich aber entsteht die bange Frage, ob man fürder noch ''Tilsiter Käse'' statt ''tilsitischer'' sagen dürfe. Indessen weil es nicht unrichtig ''Berliner Zeitung, Kölner Wasser, Schweizer Käse'' heißt, ist nun auch etwa richtig: ''Amerikaner Äpfel, Österreicher Botschafter''? Es ist lästig, immer wieder solche erlaubte und verbotene Ausdrucksformen nebeneinander zu halten; die Betrachtungsweise der herrschenden Sprachmeisterei zwingt dazu, denn sie kennen keine andre Beweisführung als die: Wenn dies erlaubt sein soll, dann soll wohl auch jede dem allgemeinen Gebrauch widersprechende Wendung erlaubt sein? In der Einleitung steht das Nötige über den Mißbrauch der ,Analogie' (vgl. S. 23), über den Vergleich des Ungleichen und des Gleichen. Die unaufhaltsame Neigung der deutschen Volksprache und in ihrem Gefolge der Schriftsprache zur Erweiterung der Umstandswörter in Beiwörter wurde an teilweise hervorgehoben (vgl. S. 13 und 158). Mag man bei diesem Wort noch so bedenklich sein, weil es sich um eine wörterreiche Gruppe handelt, der man nicht durchweg das Recht auf die beiwörtliche Verwendung zusprechen will, — grundsätzlich ablehnend oder allzu streng darf man sich gegen einen solchen Sprachtrieb nicht verhalten. Man hat ''eidesstattlich'' bemängelt, weil ''statt'' ein Vorwort sei und Vorwörter nicht beiwörtlich gebraucht werden dürfen. Das trifft nicht zu, denn ''statt'' ist hier kein reines Vorwort, sondern Hauptwort: $Seite 131$ ''an Eides Statt'', wie ja auch: '',Gutes Wort findet eine gute Statt''', und das Beiwort ''eidesstattlich'' von ''Eidesstatt'' ist untadlig. Nichts ist mehr einzuwenden gegen die Beiwörter aus Umstandswörtern: ''ferner'' (''fernere Gründe''), ''weiter'' (''weitere Folgen''), s''ofortig, heutig, dortig, hiesig'' (aber nicht ''dasig'', trotz gelegentlichem Vorkommen bei Lessing und Herder, denn es besteht keinerlei Sprachbedürfnis neben ''dortig''), ''morgig'' (neben ''morgendlich'' von ''Morgen'', also in andrer Bedeutung), ''demnächstig, etwaig'' (''etwanig'' ist nicht falsch). ''Allfallsig'' und ''allenfallsig'' (beide schon bei Goethe), ''desfallsig'' haben sich durchgesetzt und sind um so weniger zu bekämpfen, als man jedes deutsche Mittel zur Ausmerzung des widerlichen Wucherschwammwortes eventuell dankbar annehmen sollte. Ein ''zuwiderer Mensch'' ist gutes Deutsch. Gewagt wurden: ''gleichfallsig'' (von Heine), ''schlechthinnig'' (von Schleiermacher), ''vorhinnig, vielleichtig, sodannig'' — alle ohne Erfolg. Durchgedrungen sind ''vorherig, nachherig, obig''; aber nicht ''nebig'' (aus ''neben'', z. B. ''die nebige [beiliegende] Probe''). Nicht mehr zu beanstanden ist ''öfter'' (''der öftere Gebrauch''); dagegen ist Lessings ,''ofte Wiederholung' '' vereinzelt geblieben. Wenn sich eine Fachsprache ein bequemes Beiwort aus einer Vorwortwendung auf dem Wege über ein Hauptwort bildet: ''die nachbörslichen Kurse'' aus ,''Nachbörse' '' (die nach der Börsenzeit festgestellten), so ist sie wegen dieser Bildsamkeit eher zu beglückwünschen als zu tadeln. Wie stark der Hang zur beiwörtlichen (ist dies falsch?) Belebung der Umstandswörter ist, zeigt sogar mehr als ein fremdes Umstandswort: aus ''à part'' ist in Frankreich kein Beiwort geworden, wohl aber in Welschdeutschland: ,''ein sehr apartes Kleid' '' gilt sogar für ausnehmend fein, und selbst ,''apartig' '' bekommt man zu hören (vgl. hierzu für durch und zu S. 158). Auch die volkstümliche, der Schriftsprache natürlich versagte Ausdrucksweise: ,''ein rechter böser Kerl, schöne warme Hände' '' gehört hierher. Schlechtes Deutsch ist zurzeit noch erhältlich; aber wer weiß, ob es sich nicht durchsetzt, denn es scheint einem starken Bedürfnis zu entsprechen. Ich empfinde keins, aber Hunderttausende empfinden es, — soll ich Einzelner die Hunderttausende bevormunden? Dasselbe gilt für ''erstklassig'', das $Seite 132$ an sich nicht falsch gebildet ist, vielen unentbehrlich erscheint, aber als mißbrauchtes Modewort dem guten Geschmack verleidet wird. ''Tunlich'' wird von einem Zuchtmeister ganz verworfen, von einem andern nur in der Form ''tulich'' zugelassen, — wie soll man sich dazu verhalten? Wie immer: dem guten Sprachgebrauch soll man folgen, und der bedient sich des bequemen Wortes, das keineswegs dasselbe ist wie ''möglich''. Und in der Form, die alle Welt beim Sprechen gebraucht: ''tunlich'', soll man es schreiben wie sprechen, gleichviel was uns in irgendwelcher amtlichen Rechtschreibung anbefohlen wird, denn die Schreibung hat sich nach der gebildeten Sprache zu richten, nicht umgekehrt. Eine der ganz erfolglosen Vogelscheuchen der Gartenpolizei deutscher Sprache steht aufgerichtet gegen ''betreffend'' in jeder Anwendung, als Umstandswort wie als Beiwort. Es kommt von dem brauchbaren Zeitwort ''betreffen'' her und ist selbst gut brauchbar. ,''Ein Unglück betrifft mich, hat mich betroffen' '' wird nicht bemängelt, mit Recht aber ,''das mich betroffene Unglück' '' (vgl. S. 231). Ebensogut kann man natürlich sagen: ,''das mich soeben betreffende Unglück' '', und hiervon rührt die einwandfreie Wendung her: ,''der Betreffende' '' oder: ,''der betreffende Vorfall' '', mit Auslassung von: ,''uns' '' oder ,''den Gegenstand' ''. Der bloße Umstand, daß der Kanzleistil den ,''Betreffenden' '' als Haupt- wie als Beiwort besonders liebt, kann uns noch nicht hindern, es im guten Schriftdeutsch zu gebrauchen: die Kanzlei hat ein wohlberechtigtes Bedürfnis nach solchen Ausdrücken. Also getrost: ,''Der Betreffende ist nicht erschienen, Er hat den betreffenden Band des Werkes nicht mitgebracht.' '' Der Einwand, es sei ja nicht ''der Betreffende'', sondern ''der Betroffene'', ist nicht stichhaltig, denn es ist sowohl ''der'' (uns, die Sache) ''Betreffende'' wie ''der'' (von der Sache) ''Betroffene''. Übrigens beweist das Beispiel ''des Bedienten,'' der in Wahrheit ''ein Bedienender'' ist (S. 21), daß die Sprache die Kraft besitzt, selbst solchen Widersinn in allgemeingültigen Sinn zu verwandeln. Erst recht nichts ist zu sagen gegen ''bezüglich'' als Beiwort; es ist die beste Rettung vor dem unerträglichen ''respektive''. Allerdings ist ''bezüglich'' als Vorwort sehr übel, denn wir haben das durchaus gleichwertige — zu Unrecht bemängelte — ''betreffs'' und dürfen auch nach guten Mustern die $Seite 133$ unabhängige Mittelform ''betreffend'' (''diesen Umstand betreffend'') gebrauchen.  
Anders steht es mit einer sehr gefährlichen beiwörtlichen Anwendung der zweiten Mittelwortform. '',Lessing versuchte sich in den von Adolf Stahr beliebten Rettungen.' '' Hier tritt durch das mittelwörtliche Beiwort eine zeitliche Vorwegnahme ein, die oft zu höchst lächerlichen Wirkungen führen kann: '',Er wollte noch einmal den keinen Erfolg versprechenden, gänzlich verunglückten Versuch machen, seine Freunde umzustimmen.' '' Die tiefere Ursache solches unfreiwilligen Widersinns ist der deutsche Hang zur Satzstopferei: anstatt die Zeitfolge durch die Ordnung Hauptsatz — Nebensatz oder zweiter Hauptsatz auszudrücken, wird das Ergebnis vorwegnehmend schon in den Versuch hineingestopft. '',Kleist arbeitete damals noch an seinem von Tieck herausgegebenen Prinzen von Homburg.' '' Zur Zeit der Arbeit Kleists war der Prinz von Homburg noch nicht herausgegeben; aber die Schreiber solcher Sätze — es sind sehr gelehrte darunter — können ihr reiches Wissen nicht zurückhalten und es wohlgeordnet nach der Zeit- und Vernunftfolge von sich geben, sondern übersprudeln sich und uns auf einmal. Dieser Unsinn kommt auch bei gewöhnlichen Beiwörtern vor, die dem Sinne nach eine Zeitfolge besagen: ''erfolglos, ergebnislos, erfolgreich, vergeblich''. — Weitere Beispiele stehen auf S. 228.  +
Zur Steigerung der Beiwörter kommt zuerst in Frage: einfacher oder umlautender Selbstlaut. Eine durchgreifende Regel gibt es nicht, wir sind nur auf den Sprachgebrauch angewiesen, und dieser ist bis auf etliche Schwankungen jetzt leidlich fest: der Umlaut herrscht vor bis auf die mehrsilbigen Beiwörter, die fast durchweg den einfachen Selbstlaut in den Steigerungsformen behalten. ''Gesund'' bildet eine Ausnahme: früher wurde zur Aufrechterhaltung der schönen, strengen Regel ''gesünder'' getadelt; heute ist ''gesunder'' verdrängt. Von den einsilbigen Beiwörtern schwanken mehre, doch wird dem Leser die Entscheidung nach dem Sprachgebrauch und dem durch ihn geleiteten Sprachgefühl in keinem Falle schwer sein. $Seite 134$ Ich zähle diese noch einigermaßen schwankenden Beiwörter nur mit ihren jetzt überwiegenden Steigerungsformen auf: ''bänger, blanker, blässer, frömmer, glätter, kärger, knapper, runder, schmaler, zarter.'' Die Beiwörter auf Zischlaute (''böse, leise, weise, heiß, süß'') haben im Höchstgrade die Form ''est'': ''böseste, leiseste, süßeste, heißeste''. Von ''groß'' heißt die Form, die sich jetzt durchgesetzt hat, ''größte''; ''größeste'' gilt dem heutigen Sprachgebrauch als fehlerhaft. Goethe bildete im Vers, fast nie in der Prosa, ''süßte'', was ihm nicht nachgeschrieben werden darf. Einsilbige Beiwörter auf ''sch'' (''rasch, keusch, frisch'') bilden aus Wohllautgründen den Höchstgrad besser mit ''est''; bei den mehrsilbigen mit der Endung ''isch'' herrscht ''st'' vor, wenn man nicht lieber den Höchstgrad dieser Beiwörter mit andern Sprachmitteln bezeichnet: ''verlogenste'' statt ''lügnerischste''. Nach Selbstlautern, einschließlich der Beiwörter auf ''h'', schwankt der Höchstgrad zwischen ''st'' und ''est'': ''freieste'' und ''freiste'', ''froheste'' und ''frohste'', ''neueste'' und ''neuste'', doch beginnt die Form mit bloßem ''st'' zu überwiegen. Einsilbige Beiwörter auf ''d'' und ''t'' nehmen regelmäßig ''est'' an: ''mildeste'', ''lauteste'', ''gelehrteste''; die mehrsilbigen Mittelwörter (''befriedigend'', ''lobend'') regelmäßig ''st'', — hier kann man von keiner Schwankung mehr sprechen. Des Wohllautes wegen wird in Beiwörtern auf ''er'' das ''e'' im ersten Steigerungsgrade unterdrückt, wenn weitere Beugungssilben mit er folgen: ''düstrerer'', ''lautrerer'', ''heitrerer'', ''muntrerer''; das strengrichtige ''düstererer'' usw. wäre gradezu falsch. Wir alle sprechen ''erhabnere'', ''vollkommnere'' und tun gut, in den Beiwörtern auf ''en'' das ''e'' der ersten Steigerung in erweiterten Beugeformen wegzulassen. Bei dieser Gelegenheit sei auf die Form ''mehre'' statt ''mehrere'' verwiesen (vgl. S. 154). Gebeugt werden die ersten Steigerungsformen lieber nach den Mustern von ''bessern'', ''besserm'', ''größern'', ''größerm'' (nicht ''bessren'', ''bessrem'', ''größren'', ''größrem''). Echte Mittelwörter, d. h. solche, die noch ganz als Zeitwortformen, nicht als Beiwörter gefühlt werden, sind nicht durch Beugung mit ''er'' und ''st'' steigerungsfähig, sondern bedienen sich zur Steigerung andrer Mittel; nicht: ,''der verwundetste Soldat'' ', sondern ,''der am schwersten verwundete'' '. $Seite 135$ Je mehr eine Mittelwortform Beiwortsinn angenommen, desto eher ist die Steigerung mit ''er'', ''st'' zulässig: ,''Die quälendere Frage ist die'' '; aber nicht: '',die mich quälendere Frage'' ', sondern: ,''die mich mehr quälende . .' ''; ,''die stärkendsten Arzneien' ''; aber: ,''die seine Gesundheit am besten stärkenden ..' ''; ,''das geliebteste Kind' ''; aber: ,''das von ihm meistgeliebte Kind' ''. Steigerung über den Höchstgrad hinaus ist sinnlos, also sprachlich unzulässig: ,''das meistgelesenste Buch, die weitestverbreitetste Zeitung, das schönstgelegenste Haus' ''. Auch Kaufleute sollten sich niemals dieser unmöglichen Steigerung in ihren Anpreisungen bedienen. — Es heißt in der Schriftsprache nur ''einzig'', nicht ''einzigst'', mag immerhin die Zärtlichkeit einmal so übertreibend sprechen. ''Bestmöglich'', ''größtmöglich'' sind keine musterhafte Verbindungen, aber sie haben sich schon zu fest eingebürgert; ''möglichst gut'', ''so gut wie möglich'', ''so groß wie möglich'' sagen dasselbe in einwandfreier Form. Auf keinen Fall aber ''bestmöglichst'': ,doppeltgenäht hält besser' gilt für Sprachfragen nicht. '' ,Ein letzter Wunsch des Verstorbenen' '' soll nach einem Sprachbüttel ,unlogisch', also verboten sein. Man traut seinen Augen nicht, aber der deutschen Sprache gegenüber ist alles erlaubt; nur mit der unbedingten Forderung, sie solle deutsch sein, macht man sich lächerlich. '' ,Eine schönere als kluge Frau . . .'?'' Im Lateinischen, auch im Französischen geläufig, im Deutschen unzulässig, vielmehr nur: '',Eine mehr schöne als kluge Frau' '' Ebenso nicht etwa: '',Du rechnest schneller als richtig' ''; sondern: '',. . . mehr schnell als...' '' Die harmlose, gute, von jedermann gebrauchte Ausdrucksform: '',Ich trete eine längere Reise an, Eine bessere Köchin sucht Stellung; Dieser Stoff ist in allen größeren Geschäften zu haben; Ich wünsche nur eine kleinere Wohnung' '' — alles dies wird bemängelt, ,ganz wunderlich' genannt und verhöhnt: folglich ist ''gut'' jetzt besser als ''besser' ''. Die Sprache benimmt mit ihrer Künstlerkühnheit noch ganz andern Wundern die Wunderlichkeit: sie nennt den Mann, der mich, den Bedienten, bedient, den ''Bedienten'', und kein Mensch wundert sich darüber, weil nämlich dies schon seit mehr als einem Jahrhundert geschieht, die bessere Köchin erst seit einem halben Jahrhundert sucht. Ist es nicht viel zu milde, solche Be- $Seite 136$ trachtung der Sprache ausbündig philisterhaft zu nennen? Freuen sollte man sich, daß unsre Sprache noch nicht die Kraft eingebüßt, mit den einfachsten eignen Mitteln Wirkungen zu erreichen, zu denen sonst umständliche und langweilige Umschreibungen nötig wären. Jeder weiß, was eine ''bessere Köchin'' ist oder sein will, und keinem Vernünftigen, sondern nur dem öden Beckmesser kommt der Gedanke, daß ''gut'' dadurch besser als ''besser'' wird. Der Weg zum guten Deutsch führt leider überall durch das Distelgestrüpp solcher Kritteleien und muß durch solche hindurch gebahnt werden. Wie werden zusammengesetzte Beiwörter gesteigert? Heißt es die ''weitschauendere'' oder die ''weiter schauende Politik''; die ''tiefliegenderen'' oder die ''tiefer liegenden Gründe''; die ''hochgelegenste'' oder die ''höchstgelegene Wohnung'', der ''zartestfühlende'' oder der ''zartfühlendste Mann?'' Es gibt hierfür eine sichere Regel, ihre Anwendung aber hängt ab vom sichern Geschmack. Die Regel sagt: Ist die Zusammensetzung so fest, daß ein neues selbständiges Beiwort vorliegt, so wird nicht getrennt und das letzte Glied gesteigert; ist die Verbindung lose, wird das erste Glied noch deutlich als selbständiges Umstandswort gefühlt, so wird getrennt und die Steigerung erfolgt am ersten Gliede. In den genannten Fällen entscheidet sich der Sprachgebrauch dem Gefühl gemäß für: ''weiter schauende Politik'' (''weitschauender'' ist nicht unmöglich), ''tiefer liegende Gründe'', ''höchstgelegene Wohnung, zartfühlendster Mann''. Es heißt: '',tiefgefühltestes Beileid' (,tiefgefühlt' '' ist eine feste, übrigens ganz abgedroschene, Formel geworden); ,''tiefstgefühlt' '' wäre gradezu falsch. Warum falsch? Weil man nicht so spricht. Ob sich der Sprachgebrauch mit der Zeit für ''tiefstgefühlt'' entscheidet, wissen wir nicht. Aber jedenfalls: ,''ein tiefer fühlendes Herz' '', weil hier noch keine Formel vorliegt. '',Die wohlschmeckendste Speise, das wohltuendste Gefühl' '', weil '',wohlschmeckend, wohltuend' '' feste Beiwörter geworden sind. ''Hochgebildetst'' oder ''höchstgebildet''? Beides ist zulässig, doch wiegt ''höchstgebildet'' vor, ebenso ''höchstbesteuert'', — die Zusammensetzung wird noch nicht als formelhaft fest empfunden. Dagegen ''hochtrabendst'', weil ''hochtrabend'' ein selbständiges Beiwort ist. Schiller schreibt: '',Sie ist die hochbegabteste von allen' '' (Prolog zur Jungfrau), also galt ''hochbegabt'' schon damals als eine feste Formel. So sagen wir heute wohl nur: '',die hochfliegendsten Pläne' '' — aus gleichem $Seite 137$ Grunde. Will man ein Beiwort wie ''hochgeehrt'' überflüssigerweise noch auf den höchsten Grad steigern, dann nur: ,''hochgeehrteste Versammlung!' '' — Man sieht, die Entscheidung über Trennen oder Nichttrennen ist ausschließlich Sache des Sprachgefühls, d. h. der genauen Kenntnis des zurzeit herrschenden Sprachgebrauchs. Die Richtung geht mehr auf Nichttrennen, weil immer mehr Zufallsverbindungen zu formelhaft festen Neuwörtern werden.  
In unerträglicher Weise greift jetzt das unorganisch eingeschobne ''s'' in zusammengesetzten Wörtern um sich. In ''Himmelstor, Gotteshaus, Königstochter, Gutsbesitzer, Feuersnot, Wolfsmilch'' kann man ja überall das ''s'' als die Genitivendung des männlichen oder sächlichen Bestimmungswortes auffassen, wiewohl es auch solche Zusammensetzungen gibt, in denen der Genitiv keinen Sinn hat, das ''s'' also nur als Bindemittel betrachtet werden kann, z. B. ''Rittersmann, segensreich'' (Schiller hat in der Glocke noch richtig ''segenreiche Himmelstochter'' geschrieben). Aber wie kommt das ''s'' an Wörter weiblichen Geschlechts, die gar keinen Genitiv auf ''s'' bilden können? Wie ist man dazu gekommen, zu bilden: ''Liebesdienst, Hilfslehrer, Geschichtsforscher, Bibliotheksordnung, Arbeitsliste, Geburtstag, Hochzeitsgeschenk, Weihnachtsabend, Fastnachtsball, Großmachtspolitik, Zukunftsmusik, Einfaltspinsel, Zeitungsschreiber, Hoheitsrecht, Sicherheitsnadel, Wirtschaftsgeld, Konstitutionsfest, Majestätsbeleidigung, ausnahmsweise, rücksichtsvoll, vorschriftsmäßig''? Dieses Binde-''s'' stammt ebenso wie das falsche Plural-''s'' (vgl. S. 22) aus dem Niederdeutschen. Dort wird es wirklich aus Verlegenheit gebraucht, um namentlich von artikellosen weiblichen Hauptwörtern einen Genitiv zu bilden, aber immer nur einen voranstehenden, wie ''Mutters Liebling, vor Schwesters Tür, Madames Geschenk'' (in Leipzig 1593: ''nicht einer Nadels Wert''; Lessing: ''Antworts genug, über Naturs Größe''), und so ist aus diesem Verlegenheits-''s'' dann das Binde-''s'' geworden. Es gehört aber erst der neuern Zeit an. Im Mittelhochdeutschen findet es sich nur vereinzelt, erst im Neuhochdeutschen ist es eingedrungen, hat sich dann mit großer Schnelligkeit verbreitet und sucht sich noch immer $Seite 76$ weiter zu verbreiten. Schon fängt man an zu sagen: ''Doktorsgrad, Wertspapiere, Raumsgestaltung, Zugsverbindung, Gesteinsmassen, Gewebslehre, Gesangsunterricht, Examensvorbereitung, Aufnahmsprüfung, Einnahmsquelle, Niederlagsraum, Schwadronsbesichtigung'', ja in einzelnen Gegenden Deutschlands, namentlich am Rhein, sogar schon ''Stiefelsknecht, Erbsmasse'' (statt ''Erbmasse''), ''Ratshaus, Stadtsgraben, Nachtswächter, Kartoffelsbrei, Zweimarksstück, schiffsbrüchig'' u. a. In Leipzig sind wir vor kurzem mit einem ''Kajütsbureau'' beglückt worden (!). Das widerwärtigste wegen ihrer Häufigkeit sind wohl die Zusammensetzungen mit ''Miets-'' und ''Fabriks-''; ''das Mietshaus, die Mietskaserne, der Mietspreis, das Fabriksmädchen'', das tollste der in rheinischen Städten übliche ''Stehsplatz'' und ''der Verpflegsdienst''. Das Binde-''s'' hinter einem Verbalstamm eingeschmuggelt! Nur eine Wortgattung hat sich des Eindringlings bis jetzt glücklich erwehrt: die Stoffnamen. Von ''Gold, Silber, Wein, Kaffee, Mehl, Zucker'' usw. wird nie eine Zusammensetzung mit dem Binde-''s'' gebildet. Nur mit ''Tabak'' hat man es gewagt: ''Tabaksmonopol, Tabaksmanufaktur'', natürlich durch das verwünschte ''k'' verführt. ''Der Fabrikstabak'' und ''die Tabaksfabrik'' sind einander wert. ''Die Tabakspfeife'' geht freilich schon weit zurück. Wo das falsche ''s'' einmal festsitzt, da ist nun freilich jeder Kampf vergeblich, und das ist der Fall bei allen Zusammensetzungen mit ''Liebe, Hilfe, Geschichte'', hinter vielen weiblichen Wörtern, die auf ''t'' endigen, ferner bei allen, die mit ''ung, heit, keit'' und ''schaft'' gebildet sind, endlich bei den Fremdwörtern auf ''ion'' und ''tät''. Hier jetzt noch den Versuch zu machen, das ''s'' wieder loszuwerden, wäre wohl ganz aussichtslos.//* Jean Paul hat schon 1817 einmal den Versuch gemacht, diese ''s''-Krätze, wie er es nannte, zu bekämpfen, merzte auch aus einer neuen Auflage seines Siebenkäs alle falschen ''s'' aus. Es ist aber vergeblich gewesen. Und ebenso vergeblich wird es sein, daß es jetzt der Herausgeber der in Berlin erscheinenden Wochenschritft ''Die Zukunft'' wieder versucht. Die Mitarbeiter sollten sich das einfach verbitten.// $Seite 77$ Wo es sich aber noch nicht festgesetzt hat, wo es erst einzudringen versucht, wie hinter ''Miete'' und ''Fabrik'', da müßte doch der Unterricht alles aufbieten, es fernzuhalten, das Sprachgefühl für den Fehler wieder zu schärfen. Es ist das nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint, denn dieses Binde-''s'' ist ein solcher Wildling, daß es nicht die geringste Folgerichtigkeit kennt. Warum sagt man ''Rindsleder, Schweinsleder, vertragsbrüchig, inhaltsreich, beispielsweise, hoffnungslos'', da man doch ''Kalbleder, Schafleder, wortbrüchig, gehaltreich, schrittweise, gefühllos'' sagt? Hie und da scheint wieder der Rhythmus im Spiele zu sein, aber nicht immer. Nach ''Hilfe'' wird übrigens in der guten Schriftsprache ein Unterschied beobachtet: man sagt ''Hilfsprediger, Hilfslehrer, Hilfsbremser, hilfsbedürftig und hilfsbereit'', auch ''aushilfsweise'', dagegen ''Hilferuf'' und ''Hilfeleistung'', weil man bei diesen beiden das Akkusativverhältnis fühlt, bei den übrigen bloß die Zusammensetzung. Ähnlich ist es mit ''Arbeitgeber'' im Gegensatz zu ''Arbeitsleistung, Arbeitsteilung, staatserhaltend'' (wie ''vaterlandsliebend'') im Gegensatz zu ''kriegführend''. Niemand redet von ''kriegsführenden Mächten'', auch nicht von ''Kriegsführung'', weil hier die einzelne Handlung vorschwebt und deshalb der Akkusativ (''Krieg'') deutlich gefühlt wird, während ''staatserhaltend'' und ''vaterlandsliebend'' eine dauernde Gesinnung bezeichnen. Aber kaum hat man sich über den feinen Unterschied gefreut, so stößt man in der nächsten ''Zeitungsnummer'' auf den ''geschäftsführenden Ausschuß'' und auf die ''vertragsschließenden Parteien''.//* Unter den Hunderten mit ''Liebe'' gebildeten Zusammensetzungen haben nur wenige das ''s'' nicht: ''liebreich, liebevoll, liebeglühend, liebetrunken, liebedienerisch, Liebedienerei'', einige wohl deshalb, weil hier mehr ein dativisches Verhältnis gefühlt wird.//  
Mehr eine Stilfrage als eine der engern Sprachlehre ist die allgemeine Regel, die hier als Einleitung stehe: Bindewörter sollen Verbindbares gesellen, sei's durch Neben-oder Entgegenstellung; nicht aber äußerlich aneinander fügen, was innerlich nicht irgendwie, bejahend oder verneinend, zusammenhängt. Lächerlichkeiten wie: '',Der Tiger ist so stark wie der Löwe, hat aber ein geflecktes Fell,'' oder: '',Der Löwe' ist gelb und großmütig' '', oder: '',Der Dachdecker fiel aus der höchsten Turmluke. Er war ein geborener Hamburger und auf der Stelle tot' '' durchschaut jeder. Es gibt aber manche bindewörtliche Satzfügung, selbst in der Wissenschaft, die ebensowenig innerlich begründet ist; namentlich wird mit einem allzu willfährigen ''Und'' oder ''Und so'' von gewissen Schaumschlägern gar oft der Schein einer schlüssigen Beweisführung erzeugt, obwohl nichts bewiesen, alles vorgetäuscht worden. Über ''Als'' und ''Wie'' sind nach mehr als einem Menschenalter des Streites und der vernünftigen Belehrung die Ansichten so geklärt und so einig geworden, daß heute die durchgreifende Regel aufgestellt werden darf: ''Als'' steht für das Vergleichen ungleicher, ''Wie'' für das Vergleichen gleicher Begriffe. Dies sollte fortan unverbrüchlich für jeden Schreiber gelten, der sicher sein will, keine Möglichkeit eines Mißverständnisses zu erzeugen. Die Regel ist keineswegs ein Ausfluß der Schulmeisterei, sondern alle Gründe sprachlicher und gedanklicher Zweckmäßigkeit sprechen dafür: es gibt kein andres Mittel, um jede Zweideutigkeit auszuschließen. Die unterschiedlose Anwendung von ''Als'' oder ''Wie'' muß nicht immer, ja nicht oft zu Mißverständnissen führen; aber schon einmal unter zehn Richtigkeiten ist zuviel. Dazu kommt, wie schon mehrfach hervorgehoben werden mußte (vgl. S. 162), die Erwägung, daß durch die Sprachbelehrung des letzten Menschenalters Zehntausende von Lesern jedes der Regel zuwiderlaufende ''Wie'' statt ''Als'' sogleich als $Seite 186$ einen Verstoß empfinden und sich innerlich gegen den Schreiber auflehnen, der ja nicht zur Stelle ist, um die altbekannten Verteidigungsgründe vorzubringen, über welche die neuere Sprachlehre mit Recht hinweggeschritten ist. Der scheinbar gewichtigste, daß sich bei fast allen großen deutschen Schriftstellern zuweilen ''Wie'' findet, wo nach der Regel ''Als''; stehen sollte, hält nicht Stich: die deutsche Sprache namentlich des 18. Jahrhunderts hatte sich ohne strenge Schulzucht und Sprachlehre entwickelt und darf uns in solchen verhältnismäßigen Kleinigkeiten, worauf die Klassiker weniger Wert legten, nicht als Muster, ja nicht einmal als Entschuldigung dienen, denn wir werden sprachlich besser erzogen als sie und — wir sind keine Klassiker wie sie. Daß Mißverständnisse die unausbleibliche Folge der Verwechslung von ''Als'' und ''Wie'' sind, ist oft durch Beispiele bewiesen worden. Der Satz '',Wir müssen den Alkohol höher besteuern wie die Schweiz' '' ist ohne die späteren Auseinandersetzungen unverständlich. Er kann bedeuten: ''. . noch höher besteuern, als es zurzeit in der Schweiz geschieht''; aber auch: ''.. höher besteuern (als jetzt bei uns der Fall), wie das ja schon in der Schweiz geschieht''. Alle Bildungsprachen ohne Ausnahme, darunter alle andern germanischen, unterscheiden aufs bestimmteste zwischen Gleichheit und Verschiedenheit bei Vergleichen; auch das ältere Deutsch hatte völlig sicher geschieden; einzig im Neuhochdeutschen herrscht Unordnung, die nicht im Wesen der Sprache, sondern nur in der Nachlässigkeit der Schreiber — wir dürfen heute sagen: der früheren Schreiber — begründet ist. Übrigens beweist die Prüfung aller unsrer besten Schriftsteller, auch der des 18. Jahrhunderts, daß sie jene Unterscheidungsregel in den allermeisten Fällen unbewußt befolgt haben; die Ausnahmen sind vergleichsweis so selten, daß sie für uns nicht in Betracht kommen. Also der Schreiber von heute, der die Gefahr vermeiden will, seinen Lesern von heute als sprachlich unerzogen zu gelten, tut wohl, streng zu unterscheiden: nach Steigerungswörtern und Ausdrücken der Ungleichheit oder der Ausschließung steht ''Als'', bei Vergleichungen von Gleichem steht ''Wie''. '',Ich bin größer als du. — Er ist ganz anders als sie. — Er ist so groß wie sie. — Das weiß niemand (kein Andrer) als Gott. — Das weiß niemand (so gut) wie Gott. Er besitzt nichts (andres), als was er am Leibe trägt.' Wie'' $Seite 187$ statt ''Als'' wirkt fehlerhafter als gelegentliches ''Als'' statt ''Wie''. Die Regel schließt nicht aus, daß ''Als'' statt ''Wie'' in festgeprägten Ausdrücken unantastbar ist: soweit als möglich, so-wohl als auch. Man bemerke: der festen Ausdrücke mit nichtmißverständlichem ''Als'' statt ''Wie'' gibt es ziemlich viele; derer mit gutem ''Wie'' statt ''Als'' so gut wie keine. Dies kommt daher, daß das älteste Bindewort für die Vergleichung von Gleichem ''Als'' war; das Bindewort der Vergleichung von Ungleichem war ''Dan'' (heutiges ''Denn''). Dieses ''Denn'' hat sich in biblischen und ihnen nachgebildeten erhabenen Gelegenheitswendungen erhalten und dient in nichterhabener Rede noch heute sehr gut zur Vermeidung von ''als als'': '',Er war größer als Fürst denn als Mensch; Mehr als Abenteurer denn als Gesandter' '' (Goethe). Einer der Sprachmeisterer verwirft ''denn als'' und findet ''als als'' schöner! ''Als wie'' ist gute Dichtersprache, aber nachlässige Umgangs- und Schriftsprache. Goethes Professor Faust durfte sagen: '',Und bin so klug als wie zuvor' ''; ein Professor des 20. Jahrhundert wird nicht so sagen, darf jedenfalls nicht so schreiben. Aber selbstverständlich ist ganz richtig: '',Er war so groß als Mensch wie als Staatsmann' ''. Ferner ist es nicht falsch, in gewissen Fällen statt des erzählenden ''Als'' zu schreiben wie: '',Wie ich den Schaden besah.. — Grade, wie ich in den Saal trat, entfernte er sich.' '' Über ''Als'' in Beisatzfügungen muß in anderm Zusammenhange gesprochen werden (S. 259).  
Zu dem sonst ganz unschuldigen ''Doch'' muß Einspruch erhoben werden gegen dessen Verbot bei einigen Sprachmeisterern in Sätzen wie: '',Sie waren heute nicht im Garten? — Doch!' '' Es ist gutes Deutsch. Früher war man nachsichtiger als heute mit der Anwendung von ''indem'' in der Bedeutung ''weil'', und es galt einst als nicht übles Deutsch: '',Ich konnte dich gestern nicht besuchen, indem ich krank war. — Er mußte Schulden machen, indem sein Gehalt nicht ausreichte. — Im Winter wird mit Verlust gearbeitet, indem nicht genug Bestellungen alsdann einlaufen' ''. So darf ein guter Schreiber heute nicht mehr $Seite 188$ sagen, denn (nicht: ''indem'') ''indem'' hat heute fast nur noch die Bedeutung ''während'' im Sinne einer Gleichzeitigkeit. ''Während'' bedeutet ursprünglich nur die Gleichzeitigkeit einer Handlung oder eines Zustandes. '',Während ich dies tue, tust du das. — Während ich arbeitete, fiel ein heftiger Regen.' '' Aus diesem Bindewort der Gleichzeitigkeit hat sich, in neuster Zeit immer zunehmend, eines der Gegensätzlichkeit entwickelt, so daß ''während'' heute fast öfter ,''wogegen' '' als ,''in derselben Zeit, wo' '' bedeutet. Da nun aber der wahre Sinn von ''während'' nicht erloschen ist, sondern beim geringsten Aufmerken auf den Ausdruck vorklingt, so ergeben sich aus der mißbräuchlich gegensätzlichen Anwendung unfreiwillige Sinnlosigkeiten, die aus gutem Deutsch verbannt bleiben müssen. ,''Goethe wandte sich im Drama zuerst der vaterländischen Geschichte zu, während Schiller in seinen Räubern nahezu ungeschichtlich blieb.' '' Schiller war zur Zeit der Entstehung des Götz ein Knabe von 13 Jahren! ,''Während der Reichskanzler alle Gründe der Regierung für die Bewilligung vortrug, machte der Abgeordnete R. geltend, daß . .' '' Doch nicht gleichzeitig! Man sieht, daß berechtigte strenge Sprachregeln nichts mit äußerlicher Sprachmeisterei zu tun haben, sondern ebenso nützlich wie notwendig sind, nämlich da, wo sie die gute Sprache davor schützen, ein Werkzeug für Lächerlichkeiten zu werden. ''Allein'' ist doppelsinnig, bedeutet sowohl ''einzig'' wie ''jedoch'', — also Vorsicht! Überall, wo wir die Möglichkeit haben, eine Fügung durch die volle Zeitwortform auszudrücken, da sollen wir uns keiner unnötigen Hilfen, also auch nicht der Hilfszeitwörter bedienen. Nach ''wenn'', also in Bedingungsätzen, genügt die Unbestimmtheit der Erzählform nicht nur, sondern sie allein ist zulässig. Es heißt im guten Deutsch nicht: ,''Wenn ich wissen würde' '', sondern: '',Wenn ich wüßte' ''. Abweichungen von dieser klaren Regel kommen bei guten Schreibern äußerst selten vor, und ihr gelegentliches Vorkommen ist nicht maßgebend für den gewöhnlichen Schreiber. Die Regel gilt auch für die Frageform, worein sich ein Bedingungsatz oft kleidet. Es heißt im guten Deutsch nicht: ,''Würde ich das getan haben, so würde ich verdienen . .' '', sondern nur: '',Hätte ich das getan, so würde ich verdienen'' (oder: ''so verdiente ich'')', und statt des falschen ,''Würde ich das tun, so . .' '' muß es richtig $Seite 189$ heißen: ,''Täte ich das, so ..' '' Natürlich darf es nur heißen: ,''Er erklärte, er würde sich töten, wenn er gestraft würde' '', denn dieses zweite ''würde'' ist Leideform. ''Wenn'' und ''wann'' wurden im älteren Deutsch in allen Fällen klar unterschieden: ''wenn'' als bedingend, ''wann'' als Zeitbestimmung, und zwar nicht bloß in Fragesätzen. Heute unterscheidet man wohl noch: ,''Ich werde kommen, wenn ich kann' '' und ,''Ich werde kommen, wann ich kann' ''; aber in Nebensätzen werden ''wenn'' und ''wann'' vielfach nicht mehr auseinander gehalten. ''Wann'' ist zugunsten des alleinherrschenden ''Wenn'' so weit zurückgedrängt, daß Sätze wie: ,''Wann ich morgens in den Garten trete, sehe ich zuerst nach den Spargeln''; ''So erwacht der Müller, wann die Mühle stillsteht' '' heute beinah unnatürlich klingen. ''Um zu'' ist eine Bindewortfügung, die der gute Schreiber mit großer Vorsicht behandeln muß. Zwei falsche Anwendungen kommen zunehmend häufig vor, und das Gefühl für Falsch oder Richtig ist für beide Fälle so stumpf geworden, daß die Schärfung gar nicht leicht ist. Der erste Fehler besteht im Setzen von ''um zu'', wo keine Absicht vorliegt, sondern eine nicht unmittelbar absichtsvolle Abhängigkeit des Zeitworts von einem vorangehenden Hauptwort, Beiwort oder Zeitwort. Es heißt richtig nur: ,''Ich habe keine Zeit, müde zu sein' '', denn hier handelt es sich nicht um Absicht und Zweck, vielmehr steht ,''zu sein' '' in einem einfachen sprachlichen Abhängigkeitsverhältnis zu ,''Zeit' '', das dem eines Zweitfalles nahe oder gleich kommt. ,''Ich habe keine Zeit, müde zu sein' '' ist so viel wie: ,''Ich habe keine Zeit des Müdeseins, zum Müdesein' '', aber nicht: ,''um des Müdeseins willen' ''. Ähnlich bei ''Geld'': ,''Ich habe kein Geld, Verschwendung zu treiben' '' (''kein Geld der [zur] Verschwendung''). Beispiele ähnlicher Art lassen sich in Überfülle bilden: ,''Er hat Lust, zu arbeiten''. — ''ich habe den Mut, die Wahrheit zu sagen''. — ''Du hast nicht die Reife, dies schon zu verstehen''. — ''Die Sache ist geeignet, Aufsehen zu erregen.'' — ''Das Werkzeug diente ihm dazu, sich eine kleine Maschine zu bauen' ''. In allen diesen Fällen darf nur einfaches ''zu'' stehen, nicht ''um zu''. Der falsche Gebrauch von ''um zu'' hat in neuerer Zeit so um sich gegriffen, daß kaum noch auf eine völlige Umkehr zu hoffen ist. Jedenfalls sollte ein säuberlicher Satzbaumeister sich vor dieser Nachlässigkeit hüten. $Seite 190$ Noch schlimmer steht es mit dem zweiten Fehler bei ''um zu'': ,''Schiller siedelte 1803 von Jena nach Weimar über, um hier bald zu sterben' ''. Das ist Schillern natürlich gar nicht eingefallen, sondern es ist nur die Unbedachtsamkeit des Schreibers, die solche lächerliche Irreführung hervorruft. — ,''Von den epischen Werken Goethes wurden die bedeutendsten damals bloß angefangen, um unvollendet zu bleiben.' '' Dazu hatte Goethe sie gewiß niemals angefangen. — ,''Byron reiste ab, 28 Jahre alt, um sein Vaterland nie wiederzusehen.' '' O nein, dies war sein Schicksal, nicht seine Absicht. — Aber diese Form ist doch so bequem; warum sie ganz verwerfen um einiger zufälliger Sätze willen, die lächerlich wirken können? Hier wie oft: einer Fußfalle, deren Gefahr man kennt, geht man besser in weitem Bogen aus dem Wege, als daß man sorglos gegen sie anstoße und von ihr gepackt werde. Das ältere Deutsch kennt diesen Gebrauch gar nicht, er kommt erst im 18. Jahrhundert auf, ist wahrscheinlich fremden Ursprungs, heute eine bedenkliche Gefahr für jeden nachlässigen Schreiber. Der Einwand, der denkende Leser werde auch in einem doppelsinnigen Falle schon das Richtige verstehen, schlägt nicht durch: der Leser wird zuerst falsch verstehen, denn die erste Denkwirkung von ''um zu'' ist die einer Absicht, eines Zweckes; dem Leser wird also zunächst ein Lächeln oder Lachen kommen, und erst beim nochmaligen Durchdenken wird er sagen: Ach, so war's gemeint. Wo der Leser solche Gedankengänge durchmachen muß, gibt er allemal dem Schreiber die Schuld, zumal der Leser, der sein Sprachgefühl an guten Sprachlehren und Büchern geschärft hat. Die Berufung auf vereinzelte Sätze bei Goethe oder Schiller beweist nichts für den durchschnittlichen Schreiber oder den Leser von heute. Heftig getadelt wird der Gebrauch von ''zu'' in Sätzen wie: ''Ich habe einen Sack Äpfel zu liegen''. Der Verstoß wird von manchen sehr guten Sprechern und Schreibern begangen und darf nicht als grober Fehler gelten. Die entschuldbare Versuchung dazu rührt her von richtigen Wendungen wie: ,''Ich habe nichts zu essen, ich habe etwas zu erwarten, zu verkaufen' ''. Bei den zeitlichen Bindewörtern ''bis, bevor, ehe, solange'' (''wie'') und ''ähnlichen'' ist zu wiederholen, was über die Verneinung bei Zeitwörtern des Zweifels, der Furcht usw. gesagt wurde (S. 168). Sie verbinden sich oft und bei den Besten mit einer Verneinung, die ihnen nach strenger Denkregel nicht $Seite 191$ zukäme: ,''Ehe ich (nicht) weiß, daß du dich gebessert hast, kann ich dir den Wunsch nicht erfüllen.'' — ''Ich gebe kein weiteres Darlehen, bis (nicht) sämtliche Schulden getilgt sind.' '' Die eingeklammerte bedingende Verneinung ist eigentlich überflüssig, aber der innere Sprachsinn verlangt nach ihr, und niemand darf sie einen Fehler schelten.  
Mit einem groben Fehler hingegen haben wir es bei dem berüchtigten Satzdreh (Inversion) nach ''und'' zu tun. Lessing nannte diese fragende Satzform: Umkehr. ,''Ich habe mein Zigarrengeschäft übernommen, und wird es mein eifrigstes Bestreben sein .. Das Ministerium hat das Gesetz durchberaten und wird dasselbe dem Reichstag demnächst vorgelegt werden''. — ''Auf dem Gute F. wird zum 1. Oktober ein tüchtiger Kuhhirt gesucht, er muß verheiratet sein, und'' (''er''?) ''muß die Frau mitmelken'' (Anzeige in einem pommerschen Kreisblatt). — ''Das 16. Infanterieregiment hält Dienstag eine größere Nachtübung ab, erhält Mittwoch feldmäßige Verpflegung, und wird auf dem Gelände geschlachtet''. — ''Der Schwerverletzte wurde nach Hause geschafft, und schwebte sein Leben lange in Gefahr''.' Nicht auf die Mißverständnisse und Lächerlichkeiten, die aus der falschen Umkehr nach ''und'' eintreten können und tatsächlich oft genug eintreten, ist bei der Beurteilung dieser oft und gründlich durchgesprochenen Frage das Hauptgewicht zu legen, obwohl auch solche Erwägungen ernste Betrachtung verdienen. Zwei noch gewichtigere Gründe sollten diese Satzverzerrung für immer aus dem Sprachgebrauch eines gebildeten Schreibers verbannen. Obenan steht der schon mehrfach betonte: die heutigen Leser haben zumeist gelernt, diese Form ist ein Fehler. Was die Sprachgelehrten unter ''und'' gegen einander mit Für und Wider Kluges, Richtiges, Halbrichtiges, Irriges darüber gesagt haben, ist im Augenblick des Lesens für den Nichtgelehrten nicht da; dieser nimmt Anstoß und kann die sprachgeschichtlichen oder sonstigen Entschuldigungen nicht vernehmen noch würdigen. Es wird aber für die große unbekannte Lesermenge, nicht für einen kleinen Kreis von Sprachforschern geschrieben. Dies gilt für Schriftstücke jeglicher Art; wer einmal gelernt hat, nach ''und'' darf keine Umkehrung eintreten, der wird in seinem wohlerzogenen Sprachgefühl verletzt, wenn er liest: ,''Der Reichs-'' $Seite 192$ ''tag wird auf den 10. Januar einberufen und wird derselbe ..' '' Ob einige mildere Sprachrichter für feierliche Amtsverkündigungen dieser Art allenfalls eine Ausnahme zulassen wollen, ist den meisten Lesern unbekannt. Der zweite Grund für die Unzulässigkeit der Umdrehung nach ''und'' liegt in der dadurch entstehenden Satzform selbst. Der Leser wird in seiner glatten Gedankenbahn plötzlich unterbrochen, muß umlenken und umdenken; der Satzbau bekommt einen Knick, der Leser einen Ruck. Das ''Und'', das bequem ebnend verbinden sollte, wird zum Stein des Anstoßes. Alle Versuche, die Umdrehung sprachwissenschaftlich für gewisse Fälle — nicht etwa zu empfehlen, sondern zu entschuldigen, mögen je nachdem vortrefflich sein für Untersuchungen in Fachkreisen; für das wirkliche Sprachleben und -bedürfnis sind sie unbrauchbar. Um so mehr, als die Beobachtung lehrt, daß die Umkehr niemals in der Sprechsprache, sondern ausschließlich auf dem Papier vorkommt, also nicht aus dem Geiste der Sprache fließt, jedenfalls nicht aus dem der heutigen. Das sehr häufige Vorkommen in der ältern Sprache beruht auf einem ganz andern Satzbau und Satzgefühl. Wenn es z. B. in Luthers Bibel heißt: ,''Es lief das Volk zu, und kamen etliche Tausend zusammen''. — ''Und die Gräber taten sich auf, und stunden auf viele Leiber der Heiligen' '', — oder im Märchen: ,''Da ging das Kind in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau' '', so fühlt der Leser sogleich, daß es sich damit anders verhält, als mit den auf S. 191 stehenden schlechten Satzgebilden. Entweder ergänzt er mühelos ein ''es''; oder er weiß, und wäre es nur aus der Dichtung (''Sah ein Knab' ein Röslein stehn.. War so jung und morgenschön''), daß in der alten und in der gehobenen Sprache die Voranstellung des Zeitworts im kraftvollen, ja leidenschaftlichen Satz etwas Gewöhnliches, im Wesen der deutschen Sprache Begründetes ist. Dies aber hat mit der Umdrehung nach ''und'' im heutigen flachen Satzbau nichts zu schaffen. Für Goethe und Schiller hat Albert Heintze durch genaue Untersuchung festgestellt, daß die Umkehr nur an ganz vereinzelten Stellen und fast nur in Jugendwerken vorkommt. Ja schon von dem sehr jungen Goethe, dem Leipziger Studenten, haben wir eine ausdrückliche Warnung an seine Schwester: ,''Streiche das Und, setze davor einen Punkt und beginne einen neuen Satz' ''. Oft genügt schon das Streichen $Seite 193$ des folgenden Wortes: ,''Ich habe mich hier als Ofensetzer niedergelassen und bitte (ich) um geneigte Aufträge' ''. Völlig anders ist es um Satzfügungen bestellt wie: ,''1794 trat Schiller Goethen näher und schlossen sie innige Freundschaft' '', denn die Voranstellung der Jahreszahl bestimmt auch die Fügung ,''schlossen sie' '', und es könnte (nicht: ''könnte es''!) ebensowohl heißen: ,''1794 schlossen sie ..' '' Oder: ,''Im dritten Akt erreicht der seelische Kampf seine Höhe und beginnt der Umschwung' ''. Man nennt diesen richtigen Satzbau mit ''und'' die Umdrehung nach einer ,''Spitzenbestimmung' ''; ,''im dritten Akt' '' steht an der Spitze des Satzes und bestimmt die Stellung sowohl des zweiten wie des ersten Satzgliedes. Richtig heißt es deshalb: ,''Heute schließt der Reichstag seine Sitzungen und beginnen die Parlamentsferien' ''. Dies ist selbst vor der strengsten Sprachlehre äußerlich richtig; aber — und das ist für die ganze Frage bezeichnend — die Scheu vor einem falschen Satzdreh nach ''und'' ist durch die berechtigten Warnungen schon so groß geworden, daß ein auf gutes Deutsch bedachter Schreiber, der nicht nur sich, sondern auch dem Leser Genüge tun will, kaum wagen wird, an sich richtige Sätze so zu bauen wie die letzten zwei Beispiele, aus der begründeten Furcht, die Leser könnten ihn zu denen zählen, die noch immer nicht gelernt haben, daß nach ''und'' keine Umdrehung stehen darf.  
Über die Wiederholung oder Weglassung des Geschlechtswortes nach ''und'' wurde schon gesprochen (S. 91). Ergänzend sei nachgetragen: ,''der vierte und letzte Band' '' ist nur ein Band, der vierte ist zugleich der letzte; gibt es noch einen fünften Band, so muß es heißen: ''der vierte und der letzte Band''. ,''Der gute und kluge Mann' '' ist ein und derselbe Mann; handelt es sich um einen guten Mann und einen zweiten, der klug ist. So muß das Geschlechtswort wiederholt werden. Klingt sehr selbstverständlich, wird aber in zahllosen Fällen mißachtet, auch von solchen, die den Fehler in einer fremden Sprache nicht begehen würden. Man hat getadelt — was wird im Deutschen nicht alles getadelt von Schreibern, die am Welschen nichts zu tadeln finden! — unschuldige Wendungen wie: ,''Sei so gut und gib mir ..' '', und hat verlangt: ,''Sei so gut, mir .. zu geben' ''. $Seite 194$ Dies ist reinste Papiersprache, kein Mensch spricht so, folglich ist die Form mit ''und'' zum mindesten gute Umgangsprache; aber auch in guter Schriftsprache ist sie zulässig und tadelloser Brauch. Noch nach andern Ausdrücken ist diese gemütlichere Fügung allgemeiner Sprachgebrauch, der keine Rüge verdient: ,''Komm mir nicht wieder und trage mir deine Klagen vor!'' — ''Untersteh dich und pflücke mir die Äpfel ab!' '' Sprachsauberkeit ist vortrefflich, Sprachquengelei ist widerwärtig und sie erbittert, statt zu erziehen.  +
Die Sprach- und die Farbenbezeichnungen bilden ein substantiviertes Neutrum in zwei Formen nebeneinander, in einer Form mit Deklinationsendung und einer Form ohne Endung: ''das Deutsche'' und ''das Deutsch, das Englische'' und ''das Englisch, das Blaue'' (''ins Blaue hinein reden'') und ''das Blau'' (''das Himmelblau''), ''das Weiße'' (im Auge) und ''das Weiß'' (''das Eiweiß''). Zwischen beiden Formen ist aber ein fühlbarer Bedeutungsunterschied. ''Das Deutsche'' bezeichnet die Sprache überhaupt, und dem schließt sich auch ''das Hochdeutsche, das Plattdeutsche'' usw. an. Sobald aber irgend ein beschränkender Zusatz hinzutritt, der eine besondre Art oder Form der deutschen Sprache bezeichnet, wird die kürzere Form gebraucht: ''das heutige Deutsch, ein fehlerhaftes Deutsch, das beste Deutsch, Goethes Deutsch, mein Deutsch, dieses Deutsch, das Juristendeutsch, das Tintendeutsch'' (Goethe im Faust: ''in mein geliebtes Deutsch zu übertragen''; ''der Deutsche ist gelehrt, wenn er sein Deutsch versteht''). Die längere Form: ''das Deutsche'' und ''das Blaue'' muß natürlich schwach dekliniert werden: ''Lehrer des Deutschen, die beste Zensur im Deutschen, ein Kirchlein steht im Blauen, Willkommen im Grünen''! Die kürzere Form halten manche für ganz undeklinierbar und schreiben: ''des Juristendeutsch, eines feurigen Rot''. Sie steht aber durchaus auf einer Stufe mit andern endunglosen substantivierten Neutren, wie: ''das Gut, das Übel, das Recht, das Dunkel, das Klein'' (für ''Kleinod, Kleinet'', z. B. ''Gänseklein''), ''das Wild'', und es ist nicht einzusehen, weshalb man nicht sagen soll: ''des Eigelbs, des Tintendeutschs''. An dem ''tschs'' braucht man nicht Anstoß zu nehmen, sonft dürfte man auch nicht sagen: ''des Erdrutschs, des Stadtklatschs''. Ganz unsinnig ist, was man fort und fort auf den Titelblättern aus fremden Sprachen übersetzter Bücher lesen muß: ''aus dem Französischen des Voltaire übersetzt'' u. ähnl. Man kann über ''das Französisch Voltaires'' (nicht ''das Französische''!) eine wissen- $Seite 35$ schaftliche Abhandlung schreiben, aber übersetzen kann man etwas nur ''aus dem Französischen''; ''der Name des französischen Verfassers muß an andrer Stelle auf dem Titelblatt angebracht werden''.  
Das meistbehandelte, meistbekämpfte stehe voran: ''derselbe, dieselbe, dasselbe'' statt ''er, sie, es''. Ich gehöre zu denen, die ein wenig dazu beigetragen haben, es (,dasselbe') zu beseitigen, und freue mich dessen, wenngleich fast tägliche Wahrnehmungen mich lehren, daß wir Feinde dieses Schmarotzers noch lange nicht vollständig gesiegt haben. Dessen aber kann der Leser versichert sein: Wo er noch heute ''derselbe'' nebst Zubehör statt ''er, sie, es'' antrifft, da hat er es entweder mit einem an sich sprachungebildeten Schreiber zu tun oder mit einem, der es nie für nötig gefunden, seine Sprache durch ein gutes Fortbildungsbuch zu pflegen. Zunächst einige Beispiele, in denen die Unzweckmäßigkeit, Überflüssigkeit, Gespreiztheit von ''derselbe'' ohne weiteres einleuchten. ,''Gestern starb der Vertreter des Wahlkreises Stralsund; derselbe war 1892 zum erstenmal gewählt worden''. — ''Der Herr Abgeordnete Richter bittet um das Wort; derselbe hat es' ''. Ebenso schön: ,''Er hat dasselbe' ''. — ,''Man bestehe auf Lieferung der echten Sunlicht(!)-Seife; dieselbe ist erhältlich'' . . — ''Über den Erfolg der Reise hat Curtius Bericht erstattet, und ist'' (! vgl. S. 191) ''derselbe in jeder Buchhandlung käuflich''. — ''Das Theater ist jetzt fertig; dasselbe faßt über 2000 Zuschauer''. — ''Der deutsche Geist gelangte zum Siege über den fremden; worin derselbe'' (welcher?) ''besteht, ergibt sich . .'' — ''Der Ballon befand sich grade über dem Garten des Kommerzienrats, als derselbe platzte''. — ''Miß Sarah Sampson beruht auf denselben Voraussetzungen wie Diderots Stücke, ist aber von denselben unabhängig (Scherer)''. — ''Artikel 8 der Deutschen Reichsverfassung: In jedem dieser Ausschüsse werden mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein und führt (!) innerhalb derselben'' (''der Ausschüsse''? ''der Bundesstaaten''?) ''jeder Staat nur eine Stimme''. — ''Diese Betrachtung, daß der Genius .., hebt (dessen) das Wunder desselben nicht auf, erklärt aber . . Den Vorsprung, welchen'' $Seite 139$ ''derselbe'' (''jener, er'') ''vor dem bloßen Talente hat, und der durch keinen Fleiß des letzteren'' (s. S. 156) ''eingebracht werden könnte, selbst wenn derselbe'' (''wer''?) ''die Energie des Fleißes des Genius hätte' '' (Spielhagen). Aus allen diesen Beispielen ergibt sich außer der Breitspurigkeit des dreisilbigen Fürwortes statt des einsilbigen die Stilwidrigkeit, durch ein so gewichtiges, auf etwas Früheres so nachdrücklich rückweisendes Wort nichts weiter zu bezeichnen, als was sich von selbst versteht oder verstehen sollte. Die eigentliche Bedeutung von ''derselbe'': ''der nämliche'', wird ja um so deutlicher gefühlt, als es (''dasselbe''!) in diesem scharf hinweisenden richtigen Sinne noch fortwährend gebraucht wird, im drittletzten Beispiel (von W. Scherer) sogar in einem Satze neben ''dem'' falsch gebrauchten. Selbst da, wo kein Irrtum durch eine unklare Beziehung auf ein früheres Wort hervorgerufen wird, erzeugt das falsche ''Derselbe'' das unangenehme Gefühl, daß eine Gleichheit, eine Nämlichkeit hervorgehoben wird, die entweder gar nicht vorhanden oder nicht erkennbar, oder auf die noch besonders hinzuweisen überflüssig, ja lächerlich ist. '' ,Der und der ist gestorben; derselbe war ...' '' Aber wer denn sonst als ''der'' und ''der'', von dem allein doch die Rede ist? Dies sagt oder fühlt der Leser und bekommt den ermüdenden Eindruck, den jede zwecklose Breitspurigkeit erzeugt. Aber das scharf zurückdeutende Wort führt auch in vielen Fällen irre: ohne die Verweisung, bei einfachem ''er, sie, es'', würde man aus dem Gesamtinhalt das richtige Wort leicht erschließen; durch die allzu bestimmte Bezeichnung wird man grade auf die falsche Fährte hingelenkt. Man prüfe das Beispiel vom platzenden Ballon und dem wahrscheinlich nicht platzenden Kommerzienrat: stände da nur '' ,als er platzte' '', so würde man keinen Augenblick an den verunglückten Kommerzienrat denken, sondern von selbst ergänzen: ''der Ballon''. So aber heißt es: '' ,als derselbe platzte' '', und der zunächststehende ''Selbe'' ist der Kommerzienrat, also platzen wir selbst zunächst in ein Gelächter los, berichtigen dann unsre erste Auffassung und geben mit vollem Recht dem schlechten Schreiber die Schuld an unserm Irrtum. Den in allen solchen Fällen beliebten Einwand (vgl. S. 162 und 190), bei einigem Nachdenken müsse man das Richtige treffen, lehnt der gescheite Leser ab: er ist nicht dazu da, das $Seite 140$ Richtige unter allerhand Falschem zu suchen, sondern der Schreiber ist dazu da, das ist die Pflicht seines verantwortungsvollen Schreiberamtes, das Einzigrichtige unzweideutig auszudrücken. Dazu bietet ihm seine reiche Sprache ausgezeichnete Ausdrucksmittel, und wenn er aus Unwissenheit oder Nachlässigkeit die schlechten Mittel wählt, deren Zweckwidrigkeit oft genug nachgewiesen worden, so sagt der Leser mit Recht: Das ist ein schlechter Schreiber, er beherrscht nicht das gute Deutsch. Auch der Rettungsversuch an ,''demselben' '', es komme im ältern Deutsch oft vor, z. B. bei Luther, es stehe da neben ''Selbiger, Derselbige'', rettet die heutige Derselberei nicht aus der gerechten Verdammnis. Bei Luther war solche nachdrückliche Bezeichnung statt der schlanken mit ''er, sie, es'' Zeitsprache, heute ist sie es nicht. Auch steht bei Luther kein einziger Satz, worin ''derselbe'' zum geringsten Mißverständnis führen könnte. Mittelmäßige Schreiber, die sich selbst der Derselberei schuldig machen und sie nachher rechthaberisch zu verteidigen suchen, anstatt sie kurzweg aufzugeben, führen den hoffnungslosen Kampf durch Vorlegung irgendeines schlechtgezimmerten eignen Satzes oder des eines andern ungeschickten Schreibers mit einem angeblich durchaus notwendigen ''Derselbe'', ohne welches der ganze Satz zusammenfalle. Eine schöne Entschuldigung! Ein Satz, der nur durch eine Geschmacklosigkeit schmackhaft gemacht werden muß — welch eine Abgeschmacktheit! Sogar mit dem Hinweis auf mundartliches ''Dr'sell'' hat man die Derselbrigkeit zu retten versucht: ein dreisilbiges Ungetüm durch ein schnelles ''Dr'sell''! Nein, es bleibt dabei, daß es keinen gutgebauten Satz gibt, worin dieses ''Derselbe'' unentbehrlich wäre. Daß die gesprochene Sprache nur ''er, sie, es'' oder ''sein, ihre, ihr'' kennt, daß kein Mensch, nicht einmal der erpichteste Derselberer einer Kanzlei, jemals ''Derselbe'' spricht, davon kann sich der Leser durch seine alltägliche Beobachtung sofort überzeugen. In sehr vielen Fällen ist nicht nur ''Derselbe'', sondern auch jedes andre Fürwort ganz überflüssig. ,''Er arbeitete drei Jahre an diesem Drama und wandte sich nach der Vollendung (desselben) wieder andern Aufgaben zu''.' Natürlich kann hier auch ''dessen'' (vor ,''Vollendung' '') stehen. Ein Gegner von $Seite 141$ ''Derselbe'', der aber an dessen Notwendigkeit in gewissen Ausnahmefällen glaubte, empfahl gradezu diesen Satz: ,''Hat der Veräußerer eines Grundstücks eine bestimmte Größe desselben zugesichert, so . . .' '' Man streiche ''desselben'', und der Satz wird knapper, ohnedaß das Verständnis (desselben) im mindesten leidet. Übrigens gibt es, wenn durchaus die Größe dieses und keines andern Grundstücks bezeichnet werden soll, noch mehr als ein ''dem Desselben'' vorzuziehendes Ausdrucksmittel. — Ein Andrer hat in dem, offenbar nicht dem Volksmunde treu nachgeschriebenen, Satz eines Grimmschen Märchens: ,''Es blieb nichts übrig, als den Bart abzuschneiden; dabei ging ein kleiner Teil desselben verloren' '' den Kanzleischwanz ''desselben'' für nötig befunden. Man streiche es (dasselbe!), und der Satz bleibt inhaltlich derselbe (!), ist aber im Bau (desselben) bündiger und sprachgemäßer geworden. Der Leser lasse sich für seine Schreiberzwecke auf keine Tifteleien ein, sondern enthalte sich ein für allemal des dreisilbigen Fürwortes, wo es nicht eine Nämlichkeit nachdrücklich hervorhebt, sondern drei Silben statt der einen bietet, die vollkommen hinreicht und zur Beflügelung des Satzes dient. Daß die ewige ''Derselberei'' in neuerer Zeit so erschreckend um sich gegriffen hatte, bis ihr durch richtige Sprachbelehrung (von Otto Schröder, Wustmann, Matthias, Heintze, zuletzt durch mich [Deutsche Stilkunst, S. 62—69]) kräftig Einhalt geboten wurde, lag zum Teil daran, daß den Schreibern von älteren Sprachmeisterern manches Mittel zur Vermeidung ,''Desselben' '' verleidet oder verboten worden war. Von Adelung rührt das Verbot des ''es'' nach Vorwörtern oder an betonter Satzstelle her; ja, er schreibt zu dessen Ersatz ausdrücklich dasselbe vor! Seit ihm (demselben!) geht durch die allermeisten Sprachlehren die Warnung vor ''es'' mit Hochton, sintemalen ''es'' ,tonlos' sei. Es ist nicht tonschwächer als ''er, sie, ihm, ihn, uns' ''; ja in Österreich und Süddeutschland wird es mit besonderm Nachdruck, sogar mit langem ''e'' gesprochen: ''ehs''. ''Es'' nach Vorwörtern und nach ''auch'' kommt bei vielen guten Schriftstellern vor; Jakob Grimm empfahl und schrieb es gern: '',. . gar nicht für es angelegte Sammlungen, — der größte Glanz über es gekommen' ''; und allbekannt sind die Verse in Seidls Gedicht ,Hans Euler': ,''Für es (dieses Land) hab' ich gestritten, Für es schlug ich ihn tot' ''. ''Es'' ist überall da betont, wo man es eben — betont. $Seite 142$ Man hat sich nur seit mehr als einem Jahrhundert so an die falsche Regel gewöhnt, daß man sich schwer wieder ,an ''es' '' gewöhnen wird. In neuster Zeit bin ich bei manchem eigenwilligen Schriftsteller ,auf ''es' '' gestoßen, und die Leser scheinen sich allmählich ,für ''es' '' zu erwärmen.  
Neben oder nach der Derselberei steht seit einem Menschenalter die Welcherei an ihrem wohlverdienten Pranger, nur daß es hier mildernde, ja manchmal rechtfertigende Umstände gibt. So durchaus verwerflich wie ''Derselbe'' statt ''er'' ist ''welcher'' statt ''der'' nicht, und seine Brandmarkung als eines sprachlichen Schwerverbrechens oder einer unverzeihlichen Sprachdummheit schießt weit übers Ziel hinaus. Daß ''der, die, das'' kürzer sind und den Bezugssatz glatter, beschwingter an den Hauptsatz anschließen, begreift jeder Leser, ganz abgesehen von dem allgemeinen Sprach-, ja Lebensgrundsatz des ,kleinsten Mittels': Wo das einsilbige Wort genau dieselbe sprachliche Wirkung tut, wo dadurch genau derselbe Gefühlswert erreicht wird wie durch ein zweisilbiges, da gebührt der Vorzug dem einsilbigen. Dazu kommt: Es steht unzweifelhaft fest, daß die Redesprache, wenigstens die Umgangsprache, auch die beste, ja selbst die der Weicherer aus der Kanzlei, ''welcher, welche, welches'' nicht kennt, sondern ausschließlich ''der, die, das'' sagt. Überall, wo wir einem so offenkundigen Unterschied zwischen Rede- und Schreibsprache begegnen, muß unsre wählende Entscheidung auf den Sprachgebrauch der lebendigen Rede fallen. Die Berufung auf Sätze mit ''welcher'' bei den Klassikern beweist nur, daß im 18. Jahrhundert noch niemand mit einer strengen Mahnung aufgetreten war, und daß unsre Großen — in der Prosa, äußerst selten im Vers, und da fast immer nur aus Gründen des Versmaßes — eben so schrieben, wie sie um sich herum schreiben sahen, besonders von den Kanzleien. Indessen auch in dieser Hinsicht wußte man längst, was durch umfangreiche Zählungen neuerdings bestätigt wurde, daß die Bezugsätze mit ''der, die, das'' die mit ''welcher'' weit überwiegen, für das Deutsche Schriftentum in dem Jahrhundert zwischen 1750 und 1850 um das Doppelte. Einen Satz, in dem (worin) unbedingt das bezügliche ''welcher'' stehen müßte, gibt es nicht; wohl aber kommen zuweilen notwendige Fügungen $Seite 143$ vor, die durch ''welcher'' weniger übelklingend werden; andre, in denen man durch ''welcher'' die vorübergehende Ablenkung des Verständnisses in eine falsche Bahn vermeiden kann. Ich schreibe da, wo ''der, die, das'' auf den ersten flüchtigen Blick für das Geschlechtswort gelten könnten, besonders nach Vorwörtern, lieber ''welcher'', um auf der Stelle die einzig richtige Auffassung zu erreichen. ,''Die Regierung beabsichtigt nicht, eine Vorlage einzubringen, durch die vier Vertreter der Kolonien und Indiens als Mitglieder des geheimen Rates ernannt werden sollen''.' In diesem Satze würde ich hinter ,''durch' '' ''welche'' setzen, wenn ich es nicht vorzöge, ''wodurch'' zu schreiben. Ebenso wird man ''welchem'' in folgendem Satze für zweckmäßiger als ''dem'' halten: ,''Deutschland wird diesen Schritt, seit welchem (dem) eine merkliche Beruhigung eingetreten ist, nicht bereuen'.'' Wustmann hat durch seine sehr verdienstvolle, aber einseitig und rechthaberisch übertreibende Bekämpfung des bezüglichen ''welcher'' bei vielen seiner Verehrer eine wahre Wut gegen dieses Wort erzeugt, und es gibt ihrer manche, die gleich ihm selbst in solchen Sätzen wie: ,D''er, der der Tat verdächtig ist' '', oder: ,''Die, die die Bezugsätze falsch bauen' '' eine Musik erklingen hören, die durch den Mißton keines ''welcher'' gestört werden darf. So weit braucht der beste Schreiber nicht zu gehen, sondern er darf um des Wohlklangs willen und zur Erleichterung des sofortigen Verständnisses in den dazu angetanen Fällen ungescheut zu ''welcher'' greifen. Erst recht nicht zu tadeln ist der Gebrauch von ''welcher'' in Satzgefügen wie: ,''Die durch zweimaliges werden bezeichnete zweite Zukunft, welche schwerfällige Form besser vermieden wird, kommt selten vor' ''. Hierfür wird überstreng gefordert: ,''. . Zukunft, eine schwerfällige Form, welche . .' '' Man soll sich das Schreiberleben durch derartige Einengungen nicht unnötig erschweren. Manche tiftelnde Sprachlehrer älterer Zeit haben verzweifelte Versuche gemacht, zwischen ''welcher'' und ''der'' einen Bedeutungsunterschied zu erklügeln, den das lebendige Sprachgefühl nicht kennt, und der durch keinen stetigen Gebrauch unsrer Schriftsteller unterstützt werden kann. Im Gegenteil, von der hier und da aus Schönheitsgründen empfohlenen Abwechslung zwischen ''der'' und ''welcher'' in demselben Satz muß dringend abgeraten werden. Der Leser, dem sie be- $Seite 144$ gegnet, soll dazu gebracht werden, die feine Stilkunst des sorgsam unterscheidenden Schreibers zu bewundern; dies geschieht aber nicht, denn es gibt nichts zu bewundern, vielmehr gewahrt der Leser nur einen willkürlichen Wechsel zwischen zwei völlig gleichbedeutenden und für den Inhalt selbst bedeutungslosen Wörtern.  
Ein ähnlicher Schmarotzer wie ''derselbe'' ist das falsch gesetzte ''solcher'', das sich schon seit ziemlich langer Zeit in die Stelle des persönlichen Fürworts oder andrer Redeteile eingedrängt hat. ,''Ich habe einen herrlichen Garten und will dir solchen zeigen''. — ''Ich habe dein Buch empfangen und solches sogleich mit dem größten Vergnügen gelesen''. — ''Zu ihrem Hochzeitstage trafen Hunderte von Depeschen ein, darunter auch eine solche aus Südamerika''. — ''Man entdeckt bei genauer Prüfung mancher Gedichte, daß solche einfach andern nachempfunden sind''. — ''Unter meinen vielen Freunden befand sich auch ein solcher, der mir nicht nur riet, sondern auch half''. — ''Gestern habe ich Tabak aus Kuba geraucht, heute einen solchen aus Schwedt''.' Der Leser wird solche (!) Sätze selbst ohne weiteres in gutes Deutsch umwandeln. Nichts einzuwenden ist gegen ''solcher'' in folgendem Satze: ,''Die Schrift als solche geht uns hier nichts an, sondern nur in ihrem Zusammenhang mit der Aussprache''.' Von den Berufstadlern getadelt wurde auch diese nützliche und sprachgemäße Anwendung, die sich in den meisten neueren Sprachen findet. — Daß gegen ,''solch guter Mann' '' nichts einzuwenden ist, so wenig wie gegen ,''welch guter Mann' '', muß wohl eigens gesagt werden. ''Selbst'' ist doppelsinnig: es ist außer dem Fürwort ''selbiger'', ''derselbe'' ein Umstandswort in der Bedeutung ''sogar'', und es gibt Fälle, wo bei Unachtsamkeit Doppeldeutigkeit entstehen kann: ,''Er hat selbst diesen Unfug straflos hingehen lassen''.' Die Redesprache unterscheidet leicht durch die verschiedene Tonverteilung, die Schrift bedarf andrer Unterscheidungsmittel. Man helfe sich durch ''selber'', dem der Sinn sogar nicht innewohnt. Daß ''selber'' nicht so fein wie ''selbst'' sei, ist ein unhaltbarer Aberglaube. Doppeldeutigkeit des Satzes kann auch durch Mangel an Vorsicht bei dem doppeldeutigen ''sich'' entstehen, das sowohl $Seite 145$ ''sich selbst'' wie ''einander'', ''gegenseitig'' bezeichnet. ,''Die Liebe der Eltern und Kinder zu sich ist die Grundlage aller Gesittung' '' ist noch zur Not verständlich, man wird hier wohl ''sich'' als ''einander'' auffassen; aber hart und bei flüchtigerem Lesen halbdunkel bleibt solcher Satz. ,''Die Römer und die Karthager haben sich viele Jahre lang bekämpft' '' wird richtig aufgefaßt werden; wie aber: ,''Die Bewunderung dieser drei hochbegabten Geschwister für sich geht über alles Maß hinaus' ''? Hier ist sehr wohl die Bedeutung möglich: ,''eines jeden für sich selbst' ''. In Schillers Versen: ,''Wenn sich die Fürsten befehden, Müssen die Diener sich morden und töten' '' ist der gewollte Sinn ''einander'' durch den Zusammenhang des Dramas gesichert. ''Einander'' (oder ''gegenseitig, wechselseitig'') braucht nicht ohne Not zu stehen, darf aber in keinem Zweifelfalle fehlen. Man beachte: man kann sagen ,''Wir haben einander so lieb, Wir wollen einander verzeihen' ''; aber jedes feine Ohr hört aus ,''Sie waren einander würdig, Man wird bei so kurzer Begegnung einander nicht froh, Die Beiden spotten einander' '' einen ganz gemeinen Sprachfehler heraus. Also: ,''Sie waren einer des andern würdig' '' oder in andrer Fügung. Was bedeutet: ,''Die Parteien waren sehr geneigt, sich eine Art Mitverantwortung beizumessen' ''? Doch nur: ''jede Partei sich selbst''. Soll gemeint sein, ''eine Partei der andern'', so muß es heißen: ,''einander . . beizumessen' ''. Kein Lateinschreiber würde in solchem Falle ''sibi'' setzen; warum wohl schreibt mancher im Deutschen sich? Aus den Schwankungen des Sprachgebrauches bei ''was'' und ''das'' in Bezugsätzen (''Das Haus, das'' [oder ''was''?] ''ich gesehen habe''; ''Für alles, was'' [oder ''das''?] ''du an mir getan, sage ich dir innigen Dank''; ''Für das Gute, das'' [oder ''was''?] ''du an mir getan . .'') kann man durch eine feste Regel herauskommen, was (nicht ''das''!) dringend zu empfehlen ist. Nach einem bestimmten einzelnen Sachenwort sächlichen Geschlechts, einem echten Hauptwort wie: ''das Haus, das Buch, das Lied'' steht ''das'': ,''Das Lied, das'' (nicht ''was''!) ''sie gesungen'', ''Das Buch, das ich gelesen ..''; ''Das Haus, das ich gesehen ..' '' Ebenso nicht: ,''Das Mädchen, was ..'', sondern ''das ..'' Nach einem unbestimmten Zahlwort, einem allgemeinen Sachwort, unechtem Hauptwort: (,''alles, vieles, Gutes, Schlechtes, Nützliches' '') kann ebenso wohl ''das'' wie ''was'' Stehen: $Seite 146$ ,''Alles, was'' (oder ''das'', aber weniger bräuchlich) ''ich von euch gehört habe''; ''das Unerhörte, das'' (oder ''was'') ''mir widerfahren ist..''; ''das Ärgste, das'' (oder ''was'') ''er mir antun konnte..' '' Je weniger bestimmt hauptwörtlich, je allgemeiner das Wort ist, wozu der Bezugsatz gehört, desto mehr neigt sich der Gebrauch zu ''was'': ''vieles was, alles was, nichts was''; aber selbst in diesen Fällen ist ''das'' nicht unbedingt falsch. Wird über den Gesamtinhalt eines voraufgehenden Satzes durch einen anknüpfenden Bezugsatz geurteilt (''Er hat mich gestern lange besucht, was mich sehr freut''; ''Goethe und Schiller haben viele Jahre hindurch in innigster Freundschaft miteinander gelebt, was für uns zu einem ewigen Gewinn geworden''; ''Er hat sich eine zu große Schärfe und einen leidenschaftlichen Ton angewöhnt, was ihm bei vielen schadet''), so steht nur ''was''. Abweichungen von diesen paar durchgreifenden Regeln kommen gelegentlich bei guten Schriftstellern, besonders älterer Zeit, vor, ändern aber nichts an der Geltung eines steten Gebrauchs, der als solcher durch die weit überwiegende Ausdrucksform der Besten anerkannt wird. Wir empfinden heute Freytags Satz: ,''Das Gut, was der Vater hinterlassen hat' '' zum mindesten als eine arge Nachlässigkeit. Zu ''was'' ist dieselbe Warnung zu erlassen wie zu andern Wortformen mit verschiedener Fallbedeutung (vgl. S. 91): man halte den 1. und den 4. Fall auseinander. ,''Was ich bin und was ich habe ..' '', nicht: ,''Was ich bin und habe' '', obwohl dergleichen in der mündlichen Rede durchgeht; das Auge urteilt anders als das Ohr. Falsch sind: ,''Aus was besteht . .'', ''Mit was beschäftigst du dich?'', ''Von was spricht sie?' '' Es muß heißen: ''woraus, womit, wovon''. Selbst statt des richtigen ,''durch was' '' steht besser ''wodurch'', statt ,''an was' '' besser ''woran''. Dies gilt trotz vereinzelten Abweichungen bei guten Schriftstellern: ''Zu was die Posse?'' (Goethe), ''In was besteht der Zauber?'' (Hauff). Gibt es ein erlaubtes Wort ''worum''? Es ist schwer zu begreifen, wie ein so gutes und nützliches Wort nahezu aus dem Gebrauch verschwinden, wohl gar in den Geruch der Unzulässigkeit oder Unbildung kommen konnte. ''Worum'' steht ebenso für ''um das'' (''um was'') wie ''worin'' für ''in was'', ''worauf'' für ''auf was'' usw. ,''Das Buch,'' $Seite 147$ ''worum ich Sie gebeten . .''; ''Der Acker, worum man sich stritt''; ''Worum handelt es sich?' '' sind ebenso untadliges, ja sogar flüssigeres Deutsch als die aufgelösten Formen: ''um das, um den, um was''. Nicht zu verwechseln natürlich mit dem Fragewort ''warum''? = ''weshalb''? ,''Warum streiten sich die Leute? Es ist des Kaisers Bart, worum sie sich streiten''. — ''Warum bitten Sie denn grade mich''? — ''Worum handelt es sich''? — ''Die Summe, worum er ihn ersuchte. .' '' Man hat getadelt: ,''Was ist die Uhr''?' Alle Welt spricht so; aber alle Welt spricht falsch, nur ich spreche richtig — sagt der Sprachzuchtmeister. ,''Was ist die Uhr''?' ist genau so richtig wie ,''Wie viel ist die Uhr''?' und ,''Wie viel Uhr ist es''?', nur mit dem Unterschiede, daß ,''Was ist die Uhr''?' gebräuchlicher ist. ''Was'' als Abkürzung von ''etwas'': ,I''ch weiß was ganz Neues, Er hat mir was vorgemacht, Ich will dir was sagen' '' ist kein Fehler in der Umgangsprache, eine Nachlässigkeit in der höhern Schriftsprache. Der Zweitfall von ''was'' heißt ''wessen'' (oder ''wovon''), in der gehobenen Sprache nach dem Vorbilde alter fester Wendungen ''wes'': ,''Wes Geistes Kind, Wes das Herz voll ist ..' '' Sind in ,''Ich bin es müde, über Sklaven zu herrschen''; ''Ich bin es satt''; ''Ich bin es zufrieden''; ''Er wird es nicht froh''; ''Er will es nicht Wort haben''; ''Er hat es keinen Hehl'' (Schiller); ''Da war ich's erst gewiß'' (Goethe); ''Ich erinnere mich's'' (Schiller); ''Wir haben es acht''' — sind alle diese vierten Fälle von ''es'' nicht grundfalsch? Sie sind nicht falsch, sondem bestes Deutsch: ''es'' ist nämlich in solchen Fügungen gar kein vierter Fall, sondern ein noch erhaltener alter zweiter (im Mittelhochdeutschen ''es''), und wir sollten alle solche markige Ausdrücke liebevoll bewahren. Hieraus folgt natürlich nicht, daß wir schreiben dürfen: ,''Ich bin den Vertrag zufrieden, Ich bin das Lesen überdrüssig.' '' — Auch ,''Dem ist nicht so' '' ist nicht falsch, sondern eine gute alte, schon mittelhochdeutsche Ausdrucksform. Die sprachgeschichtlich begründete Beugung von ''jemand'' (und ''niemand'') ist: ''jemand, jemands, jemand, jemand''; beide sind Zusammensetzungen mit ''Mann''. Im Mittelhochdeutschen wurde diese Entstehung noch deutlich gefühlt, also lautete der dritte Fall (nach ''man'' = ''Mann''): ''iemanne, niemanne'', der vierte: ''ieman, nieman''. Dieser Zusammen- $Seite 148$ hang ging späteren Geschlechteren allmählich verloren und ist heute wohl den Sprachforschern bekannt, dem Sprachgefühl des Ungelehrten nicht mehr bewußt. Die aus dieser Entwicklung erklärbare Beugung ''jemand'' (''niemand''), ''jemands, jemandem, jemanden'', die sich auch bei unsern Klassikern findet und heute zu überwiegen beginnt, ist daher nicht falsch zu nennen; sie geht namentlich im dritten Fall (''jemandem, niemandem'') aus dem gewiß nicht tadelnswerten Streben hervor, das Beugungsverhältnis klarer zu bezeichnen. Wie lautet die Beugung des unbestimmten Fürwortes ''man''? Es gibt keine, aber es gibt gute Ersatzwörter; die besten sind die Beugeformen von ''einer, eines, einem, einen''. ,''Wenn man die Gesundheit eingebüßt, so freut einen nichts mehr''. — ''Was man nicht besitzt, kann einem nicht gestohlen werden''. — ''Man muß sich nicht danach'' (ebenso gut: ''darnach'') ''richten, was einem das Bequemste ist.' '' Auch die vielfach bemängelten ''uns, unser'' können mit einiger Vorsicht zur Fortführung von Sätzen mit ''man'' verwendet werden; Lessings ,''Man kann noch so wortreich sein, gewisse Leute werden uns nicht verstehen' '' ist einwandfrei, und einen Satz wie ,''Fragt man sich, was von uns in dieser Hinsicht verlangt wird, so . .' '' kann man nicht hart oder dunkel nennen. Hart wird dieser Gebrauch nur da, wo ohne Not zu dem mehrheitlichen ''uns, unser'' gegriffen wird, wo ihm also ein ''wir'' im leitenden Satz entsprechen müßte. In Lessings Satze steht mit gutem Grunde ''man'', weil die Unbestimmtheit des Personenkreises beabsichtigt war, Lessing nicht gleich von sich sprechen wollte; es ist eine Feinheit, daß er erst im zweiten Gliede mit ''uns'', also mit sich selbst, kommt. ''Darohne'' — schlechter ''daohne'' — ist eine erlaubte, ja gute Form statt ''ohne das'', nun gar statt ''ohne dasselbe''; es kommt auch in der festen Wendung ,''es ist nicht darohne' '' vor und bedeutet dann: ''. . nicht ohne Grund, für nichts und wider nichts'', also wie die Redensart ,''Das ist nicht ohne' '' in der gemütlichen Umgangsprache (vgl. S. 11). In der alten erhabenen Sprache steht so im Bezugsatze statt ''was'' oder ''der die das'': ,''Segnet die, so euch verfluchen' ''. Wer dies nachahmen will, bedenke wohl: Eines schickt sich nicht für alle, und prüfe sich samt dem, was er zu sagen vorhat. In besondern Fällen ist es noch heute zulässig, weil wirksam. — Dasselbe gilt von ''so'' in der Bedeutung ''wenn''. $Seite 149$ Mit der Bemerkung ,''Kanzleiwort' '', wie oft geschehen, ist ''derjenige'' nicht abgetan, wenigstens nicht in der Schriftsprache. Es ist schleppend, es ist nicht unbedingt nötig, denn ''der'' (betont, also gedehnt) genügt. Dies trifft aber nur für die Redesprache zu, wo man jede scharfe Hervorhebung eines Wortes auf die einfachste Weise bewirken kann: durch die wandlungsfähige menschliche Stimme. Will man dem Leser ein einzelnes Wort besonders ans Herz legen, so versagt die geschriebene Sprache zuweilen selbst da, wo man durch kluge Wortstellung hervorhebt oder dämpft. Es bleibt einem (oder: ''uns''!) in solchen Fällen nichts übrig, als im Druck zu sperren, und es gibt viele Schreiber, grade die besten, die zu diesem Mittel aus Schönheitsgründen nur höchst ungern greifen (vgl. S. 327). Für diejenigen (!), die die Sperrung vermeiden wollen, ist ''derjenige'' ein nicht zu verschmähendes Mittel, wenngleich nicht das einzige. Allerdings zieht der Sprachmeisterer, welcher (!) ''derjenige'' grundsätzlich verwirft, ''die die die'' vor, also hätte ich soeben schreiben sollen: ,''Für die, die die Sperrung . .' '' So schreibe ich nicht, und so zu schreiben empfehle ich nicht (vgl. S. 143). — Kein gutes Ersatzwort, vielmehr ein ganz schlechtes, ist das österreichische ''jener'': ,''Jene Abnehmer, welche die Zeitung zweimal zugestellt wünschen . .' '' (vgl. S. 69). Dieses durchaus verkehrte ''jener'' wird in Österreich sogar oft für tonloses ''der'' (''die das'') gebraucht: ,''Die Formenlehre des Englischen ist einfacher als jene (die) des Deutschen.' '' Wie mag sich wohl erklären, daß die österreichischen Schriftsteller diese Unart, die ihnen in jeder deutschen Sprachlehre vorgehalten wird, durchaus nicht ablegen wollen? Sie stützt sich auf keine Erscheinung der ältern Sprache, auf keinen deutschen Dichter von Namen, auch nicht auf Lenau oder Grillparzer. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie eine Franzoserei: falschübersetztes ''celui, ceux''. Es ist zwar mehr eine Stil- als eine Formfrage, soll aber schon hier berührt werden: Faust durfte sagen ,''Habe nun, ach! Philosophie . .' '', und Dichter dürfen nach Belieben ''ich'', ja selbst alle persönlichen Fürwörter im 1. Fall weglassen; der gewöhnliche Schreiber hüte sich vor dieser Nachlässigkeit, die auf jeden Menschen von Geschmack abstoßend wirkt (vgl. S. 353). ,''Dem sein Vater' '' — nur in der Volkssprache, nicht in der guten Umgangs-, geschweige Schriftsprache. Goethe durfte $Seite 150$ sich erlauben: ,''dem König seine Braut' ''; wir dürfen es nicht. Ähnlich steht bei Goethe: ,''Des Teufels sein Gepäck' ''; bei Lessing: ,''der Alten ihre Denkungsart' ''; bei Mörike in einem absichtlich volksliedartigen Gedicht (Storchenbotschaft): ,''Des Schäfers sein Haus und das steht auf zwei Rad.' '' Das beugungslose ''anders'' in ''wem anders'' ist ebenso richtig wie in ''wer anders''; ''mit niemand anders'' so gut wie ''niemand anders''. Allerdings darf es auch heißen: ''für niemand andern''. ''Anders'' ist Umstandswort (aus einem Zweitfall) und bedeutet ''sonst''. Beide Ausdrucksformen stehen gleichberechtigt nebeneinander: ''niemand'' (''jemand'') ''andrer'' und ''niemand anders''; dagegen nicht: ''wem anderm'', ''wen andern'', sondern besser: ''wem (wen) anders''.  
Die richtige Beugung der Fürwörter ''wir, ihr'' lautet: ''wir, unser, uns, uns; ihr, euer, euch, euch''; nicht ''wir, unsrer; ihr, eurer''. ,''Herr, erbarme dich unser' '' (nicht: ''unsrer''); ,''Der Herr wird euer'' (nicht ''eurer''!) ''gedenken' ''; dagegen: ,''Gedenke nicht unsrer Missetat!' '' Aus sprachgeschichtlichen wie aus Nützlichkeitsgründen sollten gute Schreiber diese Unterscheidung unverbrüchlich bewahren: wo die Sprache mit so einfachem und sicherm Mittel das persönliche und das besitzende Fürwort auseinander hält, darf die Nachlässigkeit sie nicht vermengen. Man unterlasse die zwecklose Berufung auf mühsam herausgeklaubte Ausnahmestellen bei den Klassikern: ,''Oh dann bedarf es unserer nicht mehr' '' (der sterbende Attinghausen im Tell, wohl des Versmaßes wegen); ,''eurer hätt' ich wahrlich nicht verfehlt' '' (gleichfalls im Tell);,''... eurer wert zu sein' '' (Goethe). Nicht der Sprachgebrauch der großen Schriftsteller in vereinzelten Ausnahmen ist für uns Nachfahren maßgebend, sondern nur das, was sie durch regelmäßigen Gebrauch als Regel der Sprache für sich anerkannt haben, und auch das nur, soweit die Sprache selbst ihren regelmäßigen Gebrauch seitdem nicht gewandelt hat. Die Neigung zum völligen Aufgeben der Zweitfälle ''unser, euer'' wird immer größer; man widerstehe ihr, jeder für sich, aus der Überzeugung, daß es schade wäre, eine Form untergehen zu lassen, die kernig wirkt und scharf unterscheidet. ,''Wie liebevoll hat sich mein Vater euer und eurer Eltern angenommen!' '' — soll es hier unterschiedlos ''eurer'' heißen? $Seite 151$ Wer durchaus ''unsere unseres unseren'' schreiben will, obwohl er es ebensowenig spricht wie sonst ein Mensch, dem ist nicht zu raten. Die gesprochenen Formen lauten: ''unsre unsern eure euern''. Nebeneinander kommen ''unsres unsers, eures euers'' vor; ich schreibe stets ''unsers'', aber ''eures'', enthalte mich jedoch, dies Andern (nicht: ''Andren''!) als das allein Richtige vorzuschreiben. ''Euer Exzellenz'' ist eine selbst im Kanzleistil nicht zu duldende Unform; es heißt ,''Eure'' (''Eurer'') ''Exzellenz' '', gleichwie ,''Eure'' (''Eurer'') ''Majestät' ''. Mit Entschiedenheit aber wollen wir alle entgegentreten der Entartung der Zweitfälle ''deren, dessen'' unter den Federn mancher Schreiber zu ''derem, dessem''. Solche Formen gibt es nicht und soll es nicht geben; bei ihnen beginnt die Verwilderung unsrer Sprache, und der gegenüber ist für Milde kein Platz. Bei Keller, und bei wem nicht noch, steht: ,''Du bist mein!' '', und es haben sich Tadler gefunden. Gar nichts gibt es zu tadeln, diese Form ist bestes Deutsch. Was bedeutet: ,''Er hat seinen Sohn und seine Frau von der Bahn abgeholt?' '' Ich weiß es nicht genau, und niemand kann es genau wissen, denn bei der herrschenden Vermengung von ''sein'' und ''dessen'' kann es sowohl die Frau des abholenden Vaters wie des abgeholten Sohnes sein. Wenn die seines Sohnes, so muß es heißen: ,''und dessen Frau' ''. Dergleichen gehört eigentlich in eine Sprachlehre für Anfänger; aber wie viele Zweifel herrschen in Deutschland über ganz feststehende Regeln der Sprachlehre! Wer auf die Mehrdeutigkeit von ''sein'' je nach der Stellung im Satz aufmerksam geworden, dessen Sprachgefühl wird ihn schon zum Richtigen führen; nur nachdenken muß er bei solchen Wörtern, deren Gefährlichkeit er kennt, und diese Kenntnis will mein Buch verbreiten helfen. — Dagegen: ''Friederike Müller,'' (eine!) ''Tochter des Baumeisters Schulze und dessen Gemalin ..' '' ist falsch, es muß heißen: ,''. . und seiner Gemalin' ''; denn in ,''dessen Gemalin' '' ist ,''Gemalin' '' beugungslos, obgleich die Beugung notwendig und wohl auch meist beabsichtigt ist. Wie steht es mit ''deren'' und ''derer''? Bei vielen Schreibern wuseln sie wahllos durcheinander: ,''.. Männer, derer'' (richtig: ''deren'') ''das Volk nicht würdig ist' ''; — ,''Wir wollen deren'' (richtig: ''derer'') ''gedenken, die fürs Vaterland gefallen sind' ''. $Seite 152$ Die Unterscheidung ist ganz einfach: es gibt das hinweisende Fürwort ''der, die, das'' (Mehrzahl: ''die''), die kürzeste Ersatzform für ''derjenige''; und es gibt das bezügliche Fürwort ''der, die, das'' statt ''welcher''. Der Zweitfall des hinweisenden Fürworts heißt ''derer'', des bezüglichen: ''deren''. Also: ,''die Völker, deren Führer ihnen voranschreiten ..''; ''Das Geschlecht derer von Bismarck''; ''Die Gelder, deren wir so dringend bedürfen ..''; ''Vergessen wir aller derer nicht, die als unsre Vorkämpfer . .' '' Für die Einzahl steht am besten weder ''derer'' noch ''deren''; sondern der: ,''Die Ursache, wegen der er sich das Leben genommen .., Die Frau, der er so liebreich gedachte' ''. Es kommt aber jetzt zunehmend ''deren'', nicht ''derer'', auch für Einzahlen vor in Fügungen wie ,''die Mutter und deren Tochter' '', wofür besser steht: ,''. . und ihre Tochter' ''. Wie schon beim Geschlechtswort vor der fehlerhaften gleichzeitigen Anwendung gleicher Formen in verschiedenen Fällen und Bedeutungen (,''die Mutter und Schwestern' '') gewarnt werden mußte (vgl. S. 91), so hier vor der Vermischung gleicher Fürwortformen für ganz verschiedene Fügungen. ,''Die Gesellschaft seiner Mutter und Schwestern' '' ist für ein feines, ja schon für ein richtiges Sprachgefühl unerträglich; um wie viel mehr Fügungen wie: ,''Er hat uns nie gefallen, also auch nie enttäuscht' '', wo unbedingt ein zweites uns vor also stehen muß. — Heines berüchtigter Anfang: ,''Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität' '' ist wahrscheinlich ein zu drolliger Wirkung beabsichtigter Schnitzer. ''Dies'' oder ''dieses''? ''Dies'' oder ''dieses Haus''? Ist nicht ''dieses'', weil vollständiger, auch feiner? Es gibt im Deutschen so viel ernste Zweifelfragen, daß man sich mit Läppereien nicht aufhalten mag, und ''dies'' oder ''dieses'' ist eine.  
Die Schwankungen und Zweifel am Geschlecht des Hauptwortes werden beim Hauptwort behandelt; hier kommt hauptsächlich in Frage die falsche Weglassung oder Setzung des Geschlechtswortes. Daß es in formelhaften Wendungen oft fehlt und fehlen darf, gehört nicht zu den Schwierigkeiten; zweifelhaft ist nur die Grenze. '',Mit Recht, auf Grund, bei Sinnen' '' erregen keine Zweifel; ,''an Hand, in Nachahmung' '' gelten für ungut. Dergleichen die Auslassung des Geschlechtswortes in Fällen wie: ''Schreiber dieses ist der Ansicht''; ''Verfasser'' (statt: ''ich'') ''glaubt''; dies ist Drahtungs-, nicht Schriftsprache. Kein andres Volk treibt solche Beknapsung des Notwendigen. In manchen Kanzleien galt oder gilt: ,''Ein hohes Ministerium wolle geneigtest beschließen' '' für erhabener als '',Das hohe ..' ''. Drollige Auffassung, die endlich verschwinden sollte. Erich Schmidt fand das Geschlechtswort vor bedeutsamen weiblichen Eigennamen, z. B.: ''die Eschenbach'', ,gradezu unziemlich' (vgl. S. 31). Sein Geschmack wird gewiß von sehr Wenigen geteilt. Im 18. Jahrhundert war '',die Neuberin, die Schillerin' '' das Selbstverständliche, und es ist nicht einzusehen, warum der weibliche Eigenname ohne ''. . in'' unziemlich wirken soll. In den romanischen Sprachen ehrt das vorgesetzte Geschlechtswort den weiblichen Namen. Aber gleichviel — der gute und der ehrerbietige Sprachgebrauch sagt nun einmal: ''die Stein, die Sand, die Eschenbach, die Viebig, die Kollwitz'', und dabei dürfen wir uns beruhigen. '',Guten Tag, die Herren!' '' wird bemängelt. Wie aber, wenn solche, zunächst allerdings befremdende Formel sich einbürgert? Auch das ''Sie'' der Anrede mit der Mehrzahl ''er''- $Seite91$ scheint bei strenger Prüfung als sinnlos; einmal fester Sprachgebrauch geworden, trotzt es jedem Tadel. Ob in Verbindungen wie ''der Vater und der Sohn'' das Geschlechtswort regelmäßig zu wiederholen oder allenfalls wegzulassen ist, ist mit einer durchgreifenden Regel nicht zu entscheiden. Je inniger die Verbindung, je vollständiger die innere Einheit, desto eher darf, ja muß die Wiederholung unterbleiben. ''Die Griechen und Römer hatten besondere Formen für den Ruffall'' ist nicht unrichtig, denn hier liegt eine begriffliche Gemeinschaft vor; in einem Satze wie ''Die Griechen und Römer haben Kriege miteinander geführt'' wird das Fehlen eines zweiten ''die'' als Härte empfunden. Ebenso in: ''Der Fuchs und Hase leben in Feindschaft miteinander.'' Mit Recht als unfein gilt die Auslassung des Geschlechtswortes in Beisatzwendungen wie: ''August von Goethe, Sohn des großen Dichters .., Meine Vermählung mit Fräulein Emilie Schulze, Tochter des Herrn Friedrich Schulze und . .'' Dies ist die Sprache der Standesamtseintragungen oder der Grundbücher, nicht die der gebildeten Rede und Schrift. Man hüte sich davor, die Formgleichheit von Geschlechtswörtern mißbräuchlich für verschiedene Bedeutungen zu verwenden. ''Ich habe die Mutter und Töchter gesehen, Die Größenverhältnisse und Schönheit des Bildes .., Die Art und Eigenschaften des Werkes..,'' ''Die Gesellschaft der Frau und Kinder'' gelten bei jedem Sprachgebildeten für grob fehlerhaft. ''Der Ministerpräsident und Minister des Äußern'' kann in gutem Deutsch nur besagen, daß von einem Minister mit zwei Ämtern die Rede ist; handelt sich's um zwei Männer mit je einem Amt, so muß das Geschlechtswort wiederholt werden. ''Der oder die Hochverräter sind ermittelt'' mag als Notbehelf geduldet werden, aber eine Tugend wird aus dieser Not niemals. In solchem Falle läßt sich durch eine ganz andre Wendung Abhilfe schaffen. Männliche Eigennamen bleiben ohne Geschlechtswort; wie aber steht es mit dem zweiten und dritten Fall der fremden männlichen Eigennamen, die mit Zischlauten endigen? ''Sophokles' Dramen; Er hat sich Tacitus' zugewandt?'' Über $Seite92$ die Beugung selbst wird beim Hauptwort gehandelt (vgl. S. 116); hier nur die Frage, ob ''die Dramen des Sophokles, des Tacitus Germania'', zulässig sind? Diese, bei neuzeitlichen Namen unzulässigen, Fügungen rühren aus dem Schulbetriebe her, wurden dort durch das Beispiel des Griechischen, zum Teil des Französischen, unterstützt und haben sich mit der Zeit Sprachbürgerrecht auch in der reifen Bildungswelt erobert. Es lohnt jedenfalls nicht, dagegen anzukämpfen.