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F
Immerhin soll man in der Verurteilung solcher Redeweise vorsichtig sein, um so mehr, je mehr ein solches Wort wie Angeklagter, auch Verstorbner bloße Begrifflichkeit angenommen hat gegenüber Ausdrücken wie: ''gemißhandelt, ermordet, getötet'', bei denen durchaus noch an den bestimmten Zeitpunkt gedacht wird, in dem der durch sie bezeichnete Zustand herbeigeführt worden ist. Niemand soll es gar verargt werden, von der Tätigkeit des Fürsten Bismarck als preußischer Minister vor 1866 zu reden, wenn auch Bismarck damals noch nicht Fürst war, oder zu erzählen, wann der deutsche Kaiser Wilhelm I. geboren sei, sich vermählt habe usw., wenn schon er dies alles nicht als deutscher Kaiser getan hat. Denn es ist natürlich und psychologisch gerechtfertigt, eine noch dazu bedeutende Persönlichkeit in der Stellung mit dem Titel zu nennen, worin sie für die einfache, naive Anschauung ihre größte, von allen bedankteste Tätigkeit entwickelt hat. Falls aber Genauigkeit und sachliche Rücksichten doch empfehlen, Personen und Sachen in der dem objektiven Zusammenhange entsprechenden Bezeichnung einzuführen, zugleich aber auch der Wunsch vorhanden ist, die Person oder Sache in einer späteren und allgemeiner damit verbundenen Vorstellung nahe zu bringen, so soll es nicht mit den schwerfälligen Adjektiven ''damalig, ehemalig, späterer, nachherig geschehen'' wie z. B. bei v. Boyen: ''der Oberst, nachherige Feldmarschall Kleist; der Kampf wurde nur einen Augenblick dadurch unterbrochen, daß der gegenwärtige General von dem Knesebeck, damaliger Adjutant des Generals v. Rüchel, zu mir heraufkam''. Vielmehr soll die erläuternde Bezeichnung der andern Verhältnisse nachfolgen, entweder in Klammern außerhalb der Fügung oder in einem erläuternden Satze: ''... der Adjutant des Generals v. Rüchel, von dem Knesebeck (jetzt General von dem Knesebeck)'' oder — ''es ist derselbe, der jetzt General ist'' — oder — ''es ist der jetzige General'' u. dgl.  +
G
Die Vorschrift, einen Satzteil möglichst dahin zu stellen, wohin er gehört (§ 388), verdient besondere Würdigung den kleinen Adverbien gegenüber. Hier kann sogar allzugroße Peinlichkeit mehr schaden als nützen. Zwar daß die früher gewöhnlich vor das Geschlechts- und ähnliche Wörtchen gestellten Gradbezeichnungen ''gar, viel, weit, ungefähr'' (''ganz'' [''et'']''was anders, gar ein großes Haus'') heute meist unmittelbar vor das Adjektiv rücken, und noch vielmehr die ungewöhnlicheren wie ''beträchtlich, bedeutend, völlig'', die dadurch erst deutlicher als solche die Adjektive bestimmende Adverbien erscheinen, mag noch sein, obwohl sich niemand den Kopf darüber zerbrechen soll und jeder getrost nach dem Tone entscheiden mag, ob er z. B. stellen soll: ''gar noch keine'' oder ''noch gar keine, ganz etwas anders'' oder ''etwas ganz anders, so eine schöne'' oder ''eine so schöne Blume''. Nur zur Unterbrechung des leichten Flusses der Rede aber dient es entschieden, wenn ähnliche Adverbien, die zu präpositionalen Wendungen treten, hinter die Präposition eingeschoben werden, weil sie zu dieser — nicht mit gehörten! Anstatt also natürlich zu stellen: ''spätestens in einer Woche, höchstens ein Zeitraum von vier Tagen, geradezu in roher Weise'' u. ä., bricht man lieber die Zunge, natürlich sich nicht selber, aber dem, der das Geschriebene laut lesen soll und dem hinter einem oder meist zwischen mehren kleinen Wörtchen ein solches schweres Einschiebsel höchst unbequem fallen muß: ''in spätestens einer Woche, ein Zeitraum von höchstens vier Tagen, in geradezu roher Weise, in frühestens acht Tagen, auf offen gesagt falschem Wege, in nachgerade lästiger Art; in der Richtung auf etwa das Gersonsche Haus''. Noch stärker stören den glatten Redefluß freilich folgende Stellungen: ''Dem südwestlichen Teile war ein fast noch Überbieten jenes Elends vorbehalten'' (Jensen); ''glänzende Männerfiguren, kraftvoll und natürlich in auch jeder Hinsicht'' (DAZ. 27); ''in vermutlich absehbarer Zeit'' (v. Kohlenegg), und: ''aus hauptsächlich den unteren Schichten'' (Hitler).  
Wenn auf solche Weise Wörter mißverstanden und miteinander verwechselt werden können, deren Sinn und Bedeutung man sich mit ein wenig Nachdenken noch klar machen kann, um wieviel mehr sind Wörter dem Mißverständnis und dem Mißbrauch ausgesetzt, wie die $Seite 344$ kleinen Präfixe ''ge, be, ver, ent, er'', deren Bedeutung nicht mehr klar am Tage liegt, sondern nur noch mehr oder weniger dunkel gefühlt wird! Wie oft wird ''brauchen'' und ''gebrauchen'' verwechselt! Und doch heißt das eine ''nötig haben'', das andre ''anwenden''. Wie oft liest man das dumme ''belegen sein'' (''ein Haus ist in der oder der Straße belegen''), wie oft das gespreizte ''beheben'' (die ''Hindernisse werden sich hoffentlich beheben lassen''), wie oft das widersinnige ''beeidigen'' (''die Zeugen wurden beeidigt'')! Im gewöhnlichen Leben sagt man: ''hier wird Trottoir gelegt''; sowie es aber eine Tiefbauverwaltung besorgt, dann wird es ''verlegt''. Warum denn ''ver''? Was man ''verlegt'' hat, das findet man doch nicht wieder. Wie oft muß man das lächerliche ''entnüchtern'' lesen (statt ''ernüchtern''), auch schon ''entwehren'' (statt ''erwehren'')! Wird jemand ''entledigen'' und ''erledigen'' verwechseln? Wie abgeschmackt ist der Gebrauch von ''entfallen'' und ''entlohnen'', mit dem sich jetzt täglich die Zeitungen spreizen! Fabrikarbeiter werden ja nicht mehr ''bezahlt'', sie werden nur noch ''entlohnt'', und von der ''Fernsprechstrecke Berlin—Wien, die 660 Kilometer beträgt, entfallen 430 auf österreichisches und 230 auf deutsches Gebiet''. Warum denn ''ent''? Wem ''entfallen'' sie denn? Es wird aber auch nichts mehr ''gehofft'', sondern alles nur ''erhofft'' (''der erhoffte Erfolg blieb aus''). Das allerschönste aber ist ''erbringen'', das in keiner Zeitungsnummer fehlt. ''Beweise'' und ''Nachweise'', die früher ''gebracht'' oder ''geliefert'' wurden und im Volksmunde noch jetzt ''gebracht'' werden, in der Zeitung werden sie nur noch ''erbracht''. Ja selbst ''Tatsachen'' werden schon ''erbracht'' (''die neue Verhandlung hat eine ganze Reihe neuer Tatsachen erbracht''), ''Beispiele'' (''Koschat erbringt dafür ein lebendes Beispiel'' — schreibt der Musikschwätzer), ''Erträge'' (''die Staatsforsten erbringen einen Ertrag von einer Million Mark'') und sogar ''Spuren'' (''von einem Sinken des Richterstandes ist bis jetzt nicht eine Spur erbracht''). Warum denn ''er''? was heißt denn ''er''? ''Er'' ist verwandt mit ''ur'', wie ''erlauben'' neben ''Urlaub'' noch zeigt, und beide sind aus ''us'' entstanden, das $Seite 345$ ''aus'' bedeutete. Diese ursprüngliche Bedeutung von ''er'' ist in vielen damit zusammengesetzten Zeitwörtern noch sehr gut zu fühlen: gewöhnlich bedeuten sie den Anfang oder das Ende einer Handlung, wie auch das Wort ''ausgehen'' beides bedeutet (vgl. ''wir sind davon ausgegangen'', und: ''die Sache ist übel ausgegangen''). Den Anfang, den Ausgangspunkt einer Handlung bezeichnet ''er'' z. B. in ''erblühen'', den Endpunkt dagegen in ''erlangen, erreichen, erfinden, erfüllen, ertrinken, ersticken''. Weislingen im Götz sagt mit bewußter Unterscheidung: ''ich sterbe und kann nicht ersterben''. Was nun da ''erhoffen'' bedeuten soll, ist unverständlich; es könnte doch nur heißen: so lange auf etwas hoffen, bis es eintritt. Jedenfalls ist es ein Widerspruch, zu sagen: ''der erhoffte Erfolg blieb aus'', es genügt: ''der gehoffte''. Auch ''ein Brief'' kann nicht ''eröffnet'' werden, wie die Post sagt (''amtlich eröffnet''!), sondern einfach ''geöffnet''; ''eine Aussicht wird mir eröffnet, ein Beschluß der Behörde'', auch ''ein neues Geschäft''; dann wird es aber jeden Morgen nur ''geöffnet''. Auch weshalb die ''Eisenbahndirektion Sonntags einen „Sonderzug" erstellt'', ist nicht einzusehen; man ist doch schon zufrieden, wenn sie ihn ''stellt''. Das törichtste aber sind die ''erbrachten Beweise, Nachweise, Belege, Beispiele, Erträge'' und ''Spuren. Einen Beweis'' oder ''Nachweis erbringen'' könnte zur Not einen Sinn haben, wenn man damit den durchgeführten, bis aufs letzte Tipfelchen gelungnen Beweis im Gegensatz zu dem bloß versuchten bezeichnen wollte. Aber daran ist doch in den seltensten Fällen zu denken, ''erbringen'' wird mit ganz gedankenlosem Gespreiz für ''bringen'' gesagt. In ''bringen'' liegt ja schon der Begriff des Vollendens, des Beendigens; ''bringen'' verhält sich zu ''tragen'' wie ''treffen'' zu ''werfen'' oder ''schießen''. Man könnte schließlich auch sagen: ''Kellner, erbringen Sie mir ein Glas Bier!'' ''Ent'' (urverwandt mit dem lateinischen ''ante'' und dem griechischen ''avri'', vgl. ''Antlitz, Antwort'') bedeutet eigentlich ''vor, gegen, gegenüber''. Mit Zeitwörtern zusammengesetzt, drückt es daher zunächst aus, daß sich von einem $Seite 346$ Ganzen ein Teil ablöst und ihm als ein selbständiges Ganze gegenübertritt, so in ''entstehen, entspringen''. Daraus entwickelt sich dann überhaupt der Begriff der Trennung, Lösung, Befreiung und auch Beraubung, wie in ''entkommen, entfliehen, entwenden, entlehnen, entkleiden, enthüllen, entblättern, entkräften, entthronen, entfesseln, entlarven'', und endlich, bei gänzlicher Verblassung der eigentlichen Bedeutung, eine bloße Verstärkung des Verbalbegriffs, wie in ''entlassen, enttäuschen, entfremden''. Wenn man neuerdings ''entrechten'' und ''enthaften'' gebildet hat, so ist dagegen nichts weiter einzuwenden, als daß das zweite recht überflüssig ist. ''Entlohnen'' aber kann doch nur heißen: ''einem seinen Lohn wegnehmen'' (wahrscheinlich hat der Schöpfer des Wortes zugleich an ''lohnen'' und ''entlasten'' gedacht), und ''entnüchtern'' nur: ''einen betrunken machen'', und was das ''ent'' in einem Satze wie: ''auf den Quadratkilometer entfallen 200 Seelen'' — bedeuten soll, ist gänzlich unverständlich. Man könnte ebenso gut sagen: ''auf den Quadratkilometer entkommen 200 Seelen''.//* Bei dem jetzt so beliebten ''entfallen'' mag wohl das lateinische ''dis'' vorgeschwebt haben, das in ''distrahere'' die Trennung, in ''distribuere'' die Verteilung bedeutet.// Auch wenn Bibliotheken um gütige ''Entleihung'' oder ''Entlehnung eines Buches'' gebeten werden, so ist das sinnwidrig; die Bibliothek ''verleiht'' ihre Bücher, der Leser aber ''leiht'' oder ''entleiht'' sie. Lebhafter Streit ist darüber geführt worden, ob es richtig sei, zu sagen: ''er entblödete sich nicht''. Das Grimmische Wörterbuch erklärt die Verneinung bei ''sich entblöden'' für falsch. In der Tat liegt es auch am nächsten, ''sich entblöden'' mit Zeitwörtern wie ''entbehren, enthüllen, entschuldigen, entführen, entwischen'' zu vergleichen, sodaß es bedeuten würde: ''die Blödigkeit'' (d. h. ''Schüchternheit'') ''ablegen, sich erdreisten, sich erfrechen''. Dann wäre natürlich die Verneinung falsch, denn ''sich erdreisten'' — das will man ja gerade mit ''sich nicht entblöden'' sagen. Neuerdings ist aber darauf aufmerksam gemacht worden, daß $Seite 347$ die Vorsilbe ''ent'' hier gar nicht verneinenden (privativen) Sinn habe, sondern wie in ''entschlafen, entbrennen, entzünden, entblößen'' das Eintreten in einen Zustand bezeichne, sodaß ''sich enttblöden'' bedeuten würde: ''sich schämen, sich scheuen'', und die Verneinung davon: ''sich erdreisten''. Die Unsicherheit über die eigentliche Bedeutung des Wortes bestand schon im achtzehnten Jahrhundert. Wieland schreibt bald: ''Verwegner, darfst du dich entblöden'' (d. h. ''dich erfrechen''), bald: ''du solltest dich entblöden'' (d. h. ''dich schämen''). Das klügste wäre, man gebrauchte eine Redensart überhaupt nicht mehr, die so veraltet und in ihrer Bedeutung so verblichen ist, daß ihr niemand mehr unmittelbar anfühlt, ob sie mit oder ohne Verneinung das ausdrückt, was man ausdrücken will. ''Ver'' gibt dem Zeitwort meist einen schlimmen Sinn, es bezeichnet, daß gleichsam ein Riegel vor eine Sache geschoben ist, daß sie nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, und schließlich auch, da man doch manche eben gern wieder rückgängig machen möchte, daß sie falsch gemacht worden ist. Man denke an: ''versichern, versprechen, verbinden, verpflichten, verkaufen, verpfänden, sich verlieben, sich verloben, sich verbeiraten, verstellen, verdrehen, verrücken, verlieren, verderben, vergiften, verschwinden, verschlimmern, versauern'' (allerdings auch: ''verbessern, vergrößern, verfeinern, verschönern, veredeln, versüßen''). Für ''meinen'' also zu sagen ''vermeinen'', wie es der Amtsstil liebt, wäre eigentlich nur dann am Platze, wenn die Meinung als irrig bezeichnet werden sollte (vgl. ''vermeintlich''), und von jemand, der einfach seine Wohnung oder seinen Ausenthalt gewechselt hat, zu sagen: ''er ist nach Dresden verzogen, er ist aus die Elisenstraße verzogen'', ist geradezu lächerlich, denn es klingt das, als ob er damit verschwanden und gänzlich unauffindbar geworben wäre. Ebenso unverständlich aber ist es, warum, wie in Leipzig, ''Trottoirplatten und Straßenbahngleise'' immer ''verlegt werden'', oder wie in Hamburg, ''Kaffee verlesen wird'', oder wie in Magdeburg, ''Rüben verzogen werden''. Es $Seite 348$ ist doch genug, wenn sie ''gelegt, gelesen'' und ''gezogen'' werden. Am meisten verblaßt ist die Bedeutung von ''be'' und ''ge''. ''Be'' ist aus ''bei'' abgeschwächt; ''ge'', in der ältern Sprache ''ga'' (wie noch in ''Gastein''), ist urverwandt mit dem lateinischen ''con'' und bedeutet ''einen Zusammenhang, eine Vereinigung''. Am deutlichsten ist sein Sinn noch in Bildungen wie ''gerinnen, gefrieren, Gedicht, Gebüsch, Gehölz, Gewölk, Gebirge, Gerippe, Gefühl, Gehör, Gewissen'' (vgl. ''scientia'' und ''conscientia''). Aber wenn sich auch die ursprüngliche Bedentung noch so sehr abgeschwächt hat, so kann man doch immer noch durch umsichtige Vergleichung dahinterkommen, weshalb es unnötig ist, zu sagen: ''einem die Möglichkeit benehmen, Geld zu beschaffen'', oder: ''ein Haus beheizen'', wie unsre Techniker jetzt sagen (sie meinen offenbar: ''beöfnen, mit Öfen versehen'') oder: ''die bei Goslar belegnen geistlichen Stiftungen'', weshalb es lächerlich ist, wenn ''Schmerzen, Krankheiten, Hindernisse immer behoben werden'' (statt ''gehoben''). Auch für ''gründen'' wird jetzt oft unnötigerweise ''begründen'' gesagt: ''die Begründung des Deutschen Reiches''. Nein, ''begründet'' werden nur ''Meinungen, Behauptungen, Urteile''; aber ''Reiche, Staaten, Städte, Anstalten, Schulen, Geschäfte, Zeitungen'' werden ''gegründet''. Befremdlich klingt es auch, wenn Juristen davon reden, daß ein Zeuge ''beeidigt'' werden müsse, oder wenn Zeitungschreiber in Gerichtsverhandlungen einen ''Beklagten'' auftreten lassen. Ein Zeuge kann seine Aussage ''beeidigen'' (vgl. ''beschwören''), aber er selbst kann nur ''vereidigt'' werden (vgl. ''verpflichten''). ''Beklagen'' kann man aber nur den, dem ein Unglück zugestoßen ist; vor Gericht kann einer nur ''verklagt'' oder ''angeklagt'' werden. Wer ''angeklagt'' wird, kommt vor den Strafrichter, wer ''verklagt'' wird, vor den Richter in bürgerlichen Streitigkeiten. Und ebenso läßt sich recht gut fühlen, weshalb es unnötig ist, zu sagen: ''die 1883 gebornen haben sich heuer zu gestellen.'' Groß in solchen Verschiebungen und Vertauschungen sind namentlich die Kanzleimenschen, die Techniker und $Seite 349$ alle, die sich ein fachmännisches Ansehen geben möchten, die suchen etwas darin, und sie verblüffen auch wirklich die große Masse mit diesem wohlfeilen Mittelchen.//* Auch mit den Präpositionen springen sie in derselben Weise um wie mit den Präfixen. In der Sprache des gewöhnlichen Lebens wird ''ein neues Haus gedeckt, eine neue Kirche gewölbt, eine Straße gepflastert, ein Brand gelöscht, Sandsteinfiguren werden an einem Hause angebracht, Bilder werden eingerahmt'', und wenn man eine Stube tapezieren läßt, so werden ''die Möbel vorher zugedeckt''; sowie aber der Techniker, der Fachmann davon spricht, wird ''das Haus eingedeckt, die Kirche eingewölbt, die Straße abgepflastert, der Brand abgelöscht, die Figuren werden aufgebracht, die Bilder gerahmt'', und ''die Möbel abgedeckt''. Für gewöhnlich werden Farben ''gemischt'', und zu einer Lotterie werden auch die Lose ''gemischt''. Der Farbenfabrikant aber empfiehlt ''seine Ausmischungen sämtlicher Farbentöne'', und die Lotteriedirektion spricht von der ''Einmischung der Lose''. Für gewöhnlich wird ein Vogel von der Stange ''abgeschossen'', und unnütze Sperlinge werden ''weggeschossen''; sowie aber der Herr Landrat davon redet, werden die Sperlinge ''abgeschossen'' usw.// Der Unterricht kann sehr viel tun, das abgestorbne Sprachgefühl in solchen Fällen wieder zu beleben. Wem die Bedeutung von ''ent'' und ''er'' einmal auseinandergesetzt worden ist, der wird nie wieder ''entnüchtern'' statt ''ernüchtern'' schreiben, er wird aber auch bald alle die Leute auslachen, die sich immer mit ihrem ''entfallen'' und ''erbringen'' spreizen.  
Ein Mittel, das ein feinsinniger Beobachter der heutigen Sprache wie der der Klassiker empfahl, Mittelwörter der obigen Art mit dem Artikel zu versehen und so Sätze nach dem Muster zu bauen: ''Die Schrift ist eine den Helden beleidigende, dieses Urteil ist ein beide Teile befriedigendes'', ist geradezu eine Schlimmbesserung, die ärgerlich deutlich auf eine zweite Unform der Satzaussage hinweist, die aus jenem Zuge zum Begrifflichen und Nominalen hin neuerdings erschreckend überhand nimmt: es ist das deklinierte Prädikatsnomen: ''Der Herr ist ein gütiger. Die Aussichten sind schlechte. Der Lauf der Moldau wird hier ein rauschender und tosender'' (Stifter). ''Die Partei der linken Sozialre-'' $Seite 211$ ''volutionäre ist in beiden Fällen die schuldige an den Bluttaten. Die Lebensmittelfrage war eine ernste'' (Hindenburg). Auch für diese Gestalt der Satzaussage liegt natürlich in der Sprache wieder eine Stelle vor, wo sie — nach der Entwicklung der Sprache müssen wir einfügen: noch — berechtigt ist und von der aus sie sich so unberechtigt auszudehnen sucht. Das Aussagewort muß nämlich gebeugt, dazu auch oft mit dem Geschlechtsworte versehen werden erstens, wenn es überhaupt nur dadurch in der gewünschten Eigenart und Satzfügung verwendet werden kann. Das ist aber so bei denjenigen fast nur attributiv verwendbaren Eigenschaftswörtern auf -''lich'', die mehr die Umstände, unter denen eine Tätigkeit geschieht, nach Zeit und Art als etwas Zuständliches bezeichnen, wie ''täglich, stündlich, mündlich, schriftlich'' (''die Lieferungszeit war eine wöchentliche''); dann ganz bekanntermaßen bei den Ordnungszahlen und endlich bei Substantivierungen, deren Eigentümlichkeit ja gerade die Voraussetzung des Geschlechtswortes ist: ''Die Schlichtheit ist das Wohltuendste an seiner Kunst; unter den gegebenen Verhältnissen war diese Entscheidung das richtige''. Zweitens hat die gebeugte Form des Aussagewortes die Aufgabe, auch durch die Übereinstimmung in der Form den Subjektsbegriff als mit dem Prädikatsbegriffe zusammengehörig zu bezeichnen, sei es nach Art, Klasse oder auch im Gegensatz zu einem andern Dinge, von dem diese Aussage nicht gemacht werden kann. Vgl: ''Was der Obergärtner zuerst begriff, war: sie sind von einem gemeinsamen Wahn bewegt und dieser mußte, im Zusammenhang mit dem Osterfest entstanden, ein religiöser sein'' (G. Hauptmann, E. Quint). Soll dagegen einer Person oder Sache eine Eigenschaft schlechthin zugesprochen werden, ohne Rücksicht auf einen Gegenstand oder die begriffliche Einordnung in Art und Klasse, so ist der heutigen Sprache durchaus die ungebeugte Form oder, wie man es ebensogut und einfacher ausdrücken konnte, die adverbiale Aussage angemessen. Beispiele werden den Unterschied am besten erläutern: ''Der Mathematiklehrer erklärt, auf verschiedene Figuren an der Tafel hinweisend: Diese Linie ist eine grade, die dort eine krumme; wenn es aber nur auf das Urteil ankommt, ob eine Linie wirklich gerade gezogen sei, oder auf das Vorhandensein nur einer beabsichtigten Eigenschaft, so sagt der Zeichenlehrer: Diese Linie ist noch lange nicht grade, sie ist ganz krumm''. Ric. Huch warnt richtig: ''Kind, diese Weise zu leben ist nicht die rechte für dich'', und die Hökerfrau, die nach den verschiedenen von ihr feilgebotenen Arten z. B. von Pflaumen gefragt wird, erklärt: ''Das hier sind böhmische, die dort türkische''; aber die Frage, ob ihre Pflaumen auch reif seien, wird sie spitz abweisen: ''Meine Pflaumen sind alle reif!'' Wer sagt: ''Ein neues Buch ist nicht immer ein gutes'', oder mit Superlativ: ''Der grade Weg ist nicht immer der kürzeste'', dem kommt es darauf an zu verneinen, daß im gegebenen Falle die Begriffe neu und gut, grad und kürzest zusammenfallen, sich decken, während es der Händler mit seiner Ankündigung: ''Meine neuesten Kücheneinrichtungen sind wirklich praktisch, nur darauf abgesehen hat, diese eine Eigenschaft anzupreisen. Freilich berühren sich beide Auffassungen oft sehr nahe, beim Superlativ zumal. Oder wer wollte von den beiden Übersetzungen des bekannten Satzes im Cäsar die eine unbedingt falsch nennen: ''Von diesen allen sind die Belger die tapfersten oder am tapfersten''? A. Stifter beschreibt im $Seite 212$ „Nachsommer“ von Mathilde ihrem Sohne aufgehobene Bücher: ''Die Bücher sind nicht neue und schön eingebundene'', aber auch anfechtbar: ''Der Schade konnte ein beträchtlicher sein''. So ist es denn erklärlich, wenn die gebeugte Form außer im Superlativ//1 Hier ist entsprechend der ganzen Entwicklung des Prädikatsnomens seit dem Mhd. die adverbiale Form (''am größten'') im Vordringen; und ein Satz wie der Hildebrands: ''Die Antwort darauf ist freilich auch die schwerste zu geben'' ist mehr nur noch eine Erinnerung an die heute fast überwundene Herrschaft der substantivischen Superlativform im Prädikat.// auch dahin übergreift, wohin sie deutlich erkennbar nicht gehört, zumal ihr auch noch das Übersetzen aus fremden Sprachen, der englischen, französischen und den altklassischen besonders, zu Hilfe kommt und die leidigen und immer wieder mitschuldigen Kanzleien ihr das Mäntelchen der Vornehmheit umgehängt haben. Indes auf der andern Seite steht die Entwicklung unserer Sprache bis in die letzten Jahrzehnte; und außer für die oben abgegrenzten Fälle hat diese Entwicklung von den der Sprache ehemals möglichen vier Formen (dekliniertes Adjektiv ohne Artikel, — mit bestimmtem, — mit unbestimmtem Artikel, undekliniertes Adjektiv) für die Angabe der bloßen Zuständlichkeit nur die flexionslose Form übrigbehalten. Doch halt! Auch die Liebhaber der steifleinenen definierten Prädikate haben etwas Geschichtliches für sich anzuführen; sie finden sie nämlich begründet in dem — sie meinen vielleicht, berechtigten — Übergewicht der Haupt- über die Zeitwörter und der Verwendung in die Aussage gehöriger Begriffe zu Subjekten (vgl. § 262). Und gewiß, während man ehedem, wenn man die geringe Ausnutzung der Wagenplätze besprach, sagte: ''die Wagenplätze werden verhältnismäßig wenig ausgenützt'', so sagt man heute lieber: ''die Ausnützung der Wagenplätze ist eine geringe''; u. ä. z. B. ''die Verbreitung des Buches ist eine schnelle und erhebliche''. Gewiß ist auch, daß in diesem Satze niemand sagen wird: ''sie ist schnell'', wie überhaupt gerade nach den Verbalsubstantiven, besonders denen auf -''ung'', wenn sie einmal Subjekt sind, oft die deklinierte Form als notwendig empfunden wird. Ganz natürlich, weil es die Tätigkeitsbezeichnungen nicht vertragen, mit der die bloße Zuständlichkeit bezeichnenden ungebeugten Form verbunden zu werden. Nur ist der ''„man"'', der sich heute lieber so ausdrückt, noch lange kein guter Stilist; und dieser allerneuste Satzbau wird dadurch nicht stilvoll, daß die dazu benötigte Beugung des Aussagewortes nur die Folge der verkehrten Erhebung von Verbum und Prädikat zu Substantiv und Subjekt ist. Es muß also vielmehr heißen: ''Das Buch hat sich schnell und bedeutend verbreitet'', und nicht, wie in der Tägl. R.: ''In Indien ist die Briefbeförderung eine erstaunlich schnelle'', sondern: — ''werden die Briefe erstaunlich schnell befördert''. So bleibt es denn dabei: Weg mit solchen Fügungen: ''Der Anblick war ein überraschender'' (statt ''überraschend''), ''die Feier war eine erhebende, das Wetter war ein herrliches, die Wahl war die glücklichste''//2 Natürlich ist diese Form dann am Platze, wenn ein Relativsatz folgt: ''die glücklichste, die getroffen werden konnte''; nach § 143, 2.//; oder: ''Jedenfalls ist der Name Hornisgrinde in seiner zweiten Hälfte ein äußerst zutreffender'' (bei Jensen); ''Die Versammlung war eine glänzende, wenn auch nicht sehr zahlreiche'' (G. Keller); ''Ginevra, dieser Name ist außer-'' $Seite 213$ ''halb Italiens ein seltener'' (F. v. Saar); und selbst in einem Soldatenbriefe von 1870: ''Das Verlangen nach Paris hineinzukommen ist ein enormes, die Ausgabe ist gleich am ersten Tage eine sehr große'', und gar: ''die Gegend ist eine reizende, aber auch zuweilen eine traurige''! Und so wenig als man sich durch diesen französelnden westdeutschen Briefschreiber zu einer Anerkennung der neusten Modeform für die Aussage bestimmen lassen darf, können auch Gelehrte dahin wirken, welche die Form liebgewonnen haben: ''Die Vorarbeiten sind noch ungenügende. Bei der Betrachtung des Entwicklungsprozesses'' (!) ''der Sprache ist die Parallele mit der Entwicklung der organischen Natur innerhalb gewisser Grenzen eine berechtigte und lehrreiche. Die folgende Ausführung eines Mitgliedes war die entscheidende. Der Erfolg des Buches war ein durchschlagender''. Doppelt verkehrt ist diese Ausdrucksweise in den Sätzen: ''Die Scheu vor diesem Mißverhältnis ist in den verschiedenen Sprachen und Perioden eine sehr verschiedene''; und: ''Jeder tiefe Eindruck würde bei ihm ein lebenslänglicher sein''; denn überhaupt wird mit ''verschieden'' nie eine positive Art bestimmt, und das unbestimmte Geschlechtswort, das im Grunde immer der Ausdruck für die Einheit bleibt, stimmt schlecht zu den behaupteten mannigfaltigen Arten der Scheu. Es ist selbstverständlich, daß das soeben über die Form des Aussagewortes neben dem Hilfszeitworte ''sein'' Gesagte nicht minder für die andern Zeitwörter gilt, die wie ''werden, bleiben, dünken, heißen, scheinen'' oder Passive wie ''genannt, gescholten werden'' u. ä. dazu dienen, eine adjektivische Aussage mit dem Subjekt zu verbinden. Also auch nicht musterhaft schreibt ein Gelehrter: ''Der Gedanke, daß der geistige Charakter eines Volkes in seiner Sprache sich spiegelt, ist uns heute ein längst geläufiger geworden''.  
Auch in der Deklination der Fürwörter herrscht hie und da Unwissenheit oder Unsicherheit. Daß man eine Frage besprechen muß, wie: ''gedenke unsrer'' oder ''unser''? ist traurig, aber es ist leider nötig, denn der Fehler: ''es harrt unsrer eine schwere Aufgabe'', oder: ''wir gedenken eurer in Liebe'', kommt sehr oft vor; viele glauben offenbar, die kürzern Formen seien nur durch Nachlässigkeit entstanden. Die Genitive der persönlichen Fürwörter ''ich, du, er, wir, ihr, sie'' heißen ursprünglich: ''mein, dein, sein, unser, euer, ihr'', z. B.: ''gedenke mein, Vergißmeinnicht, der Buhle mein, ich denke dein, unser einer, unser aller Wohl, unser keiner lebt ihm selber''.//* Aus diesen Genitiven sind dann, indem man sie als Nominative auffaßte (''mein'' wie ''klein'') und nun aufs neue deklinierte, die besitzanzeigenden Eigenschaftswörter ''mein, dein, sein, unser, euer, ihr'' entstanden. Früher nahm man an, daß auch in den Anfangsworten des ''Vaterunsers'' das ''unser'' der nachgestellte Genitiv von ''wir'' sei (nach dem griechischen ''pater hwmn''). Wahrscheinlicher ist es aber doch, daß es hier das besitzanzeigende Eigenschaftswor ist (nach dem lateinischen ''Pater noster'').// Daneben sind freilich im Singular schon früh die unorganischen Formen ''meiner, deiner, seiner'' aufgekommen und haben sich festgesetzt, aber doch ohne die echten, alten Formen ganz verdrängen zu können (Gellert: ''der Herr hat mein noch nie vergessen, vergiß, mein Herz, auch seiner nicht''); ''ihr'' ist leider ganz durch ''ihrer'' verdrängt worden; ''wir wollen uns ihrer annehmen''. Aber in der ersten und zweiten Person der Mehrzahl ist doch die richtige alte Form noch so lebendig, daß es unverantwortlich wäre, wenn man sie nicht gegen die falsche, die sich auch hier eindrängen möchte, in Schutz nähme. ''Unsrer'' und ''eurer'' sind Genitive des besitzanzeigenden Eigenschaftswortes, aber nicht des persön- $Seite 44$ lichen Fürworts. Also: ''erbarmt euch unser und unsrer Kinder!''//* Genitiv und Dativ von ''Eure Majestät, Eure Exzellenz'' heißen natürlich ''Eurer Majestät, Eurer Exzellenz''. Völliger Blödsinn aber ist, was man darnach gebildet hat: ''Eurer Hochwohlgeboren!''//  
Wie weit sind von Gesetz und Regel, wie sie eben festgestellt wurden, Ausnahmen gestattet? Für die rückbezüglichen Zeitwörter nach § 124 f. keine; auch was sich daraus für die aktivische oder passivische Bedeutung des zweiten Mittelwortes ergibt, ist ebendort erledigt. Wie steht es nun aber um die Passivformen von Verben mit einem Dativobjekt? Da verdient zuerst das häßliche//2 Auch Grimm, Wb. III, 1878 nennt es nur: „erträglicher", welcher Komparativ natürlich viel weniger besagt, als der Positiv besagen würde.// ''gefolgt von'', das in einer wahren Sintflut durch die Zeitungen rauscht und in Rinnsalen schon auch in Schulaufsätze dringt, durchaus keine Duldung, zumal es alle nach Form wie Bedeutung richtigen und trefflichen Ausdrücke verdrängt, wie ''begleitet, umgeben, mit, hinterdrein'' u. a., auch Relativsätze, die gar nicht soviel länger sind. Ist die Fügung: ''Damit eilte sie hinaus, mühsam gefolgt von dem alten Pfarrer'' wirklich sachlich treffender als die: (''so'') ''daß der Pfarrer nur mühsam folgen konnte''? oder die andere: ''Er schritt langsam hinaus, gefolgt von einem Piquet Reiter'', bezeichnender als die: ... ''hinter sich ein Piquet Reiter''? Den Vogel hat freilich Hackländer abgeschossen: ''Er sagte dies so heiter und gefolgt von einem herzlichen Lachen'' (statt einfacher: ''unter herzlichem Lachen''). Die aus bloßer Bequemlichkeit dem Französischen und Englischen nachgeäffte Wendung ist nicht besser als folgende Mißfügungen aus Zeitungen und Büchern: ''Freundlich von den Umstehenden geholfen''//3 Für diese Formen würde es nur eine künstliche Erklärung und Rettung be- $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ deuten, wenn sie der Sprachforscher aus dem älteren transitiven Gebrauche von ''beneiden'' (''Die zwei Schwestern beneideten ihm sein Glück in Grimms Märchen'') und ''helfen'' (''Was hülft sie ihr Wüten und Toben?'' bei Luther) herleiten wollte, da für das heutige Sprachbewußtsein bei diesem die Person durchaus im Dativ und bei jenem die Sache mit ''um'' oder ''wegen'' steht. Auch ''begegnen'', das vor 100 Jahren, als die Gebildeten noch mehr französisch parlierend aufwuchsen, noch häufig transitiv war (''ich begegnete dich, ich habe begegnet''), ist heute fast noch nur bei Diplomaten und andern auf ähnliche Weise das Französische Handhabenden so zu finden (wie sehr oft z. B. bei Vitzthum v. E., London, Gastein und Sadowa: ''12 Jahre, seit ich Sie nicht begegnet hatte'').//''suchten wir uns durchzuwinden. Darüber ward er von seinem bittersten Feinde begegnet''//3 s.o.//. ''So würden Sie vielleicht verdienen, auf Ihr Wort geglaubt zu werden'' (statt ''daß man Ihnen glaubte''). ''Ich habe das ihrer Mutter beneidet'' (v. Bonin), und: ''das wenig beneidete''//3 s.o.// (statt ''beneidens-'' $Seite 217$ ''werte'') ''Verdienst der Norddeutschen Allgemeinen. Ein vom Kaiser präsidierter Ministerrat'' (statt ''ein Ministerrat unter des Kaisers Vorsitz''), dazu das rheinisch-westdeutsche: ''Wir werden beschert'' (statt ''uns wird beschert'') und ''Sei herzlich dafür gedankt''. Die letzte Wendung darf nicht etwa mit der anderen gerechtfertigt werden: ''Sei bedankt, seien Sie herzlich bedankt''. Zwar genießt diese ihre jetzige Beliebtheit auch erst, seit man so unzählige Male Wagners ''„Nun sei bedankt, mein lieber Schwan“'', gesungen hat. Aber Wagner hatte auch dazu dreifache Berechtigung. Schon früher heißt es z. B. bei Logau: ''Christi Opfertod wird schlecht von uns bedankt''. Dazu kommt die bekannte Kraft der Vorsilbe ''be''-, ein intransitives Verb transitiv zu machen (§ 34, 2). Endlich aber kommt der Wendung der schon oben § 124, 4 als so wichtig erkannte Übergang in die Bezeichnung des Zuständlichen zugute, der auch die Passivperfekte und passiven Mittelwörter ''widersprochen'' (''sein''), ''geschmeichelt'' (''sein''), ''der Gekündigte rechtfertigt: den tiefgeschmeichelten Beamten von Molos, das geschmeichelte Bild, sich geschmeichelt finden'' oder ''fühlen'' beanstandet denn auch niemand mehr. Besonders deutlich zeigt die Bildung ''unwidersprochen'' (''bleiben'') den Übergang in die Zustandsbezeichnung, und Fügungen wie die folgenden sind häufig: ''die ... bisher unwidersprochen gebliebene Mitteilung; eine Äußerung unwidersprochen lassen''. Dagegen war es eine ungehörige Ausdehnung dieser Redeweise auf die ganze Leideform, wenn ein Großindustrieller berichtete: ''Er pries auch die Einrichtung mit dem Markenaufkleben sehr, aber das'' (statt: ''hierin'') ''wurde ihm widersprochen''//1 Auf keinem solchen Fehler beruhen die Ausdrücke: ''die befohlene Mannschaft, zur Vorstellung befohlen werden, zur Tafel befohlen sein'', die gute Verdeutschung des französischen ''commander'' sind, aber in bestimmter Bedeutung.//; und noch sprachwidriger sagt Trentini: ''ein Baumstrunk, auf dem sich gestern ein verbotenes Paar geküßt hatte''. Nur dann darf von solchen Verben mit einem Dativobjekt ausnahmsweise eine beliebige Form des persönlichen Passivums gebildet werden, wenn diese Verletzung der Regel durch die dadurch gewonnenen Vorteile mehr als ausgewogen wird; das können aber sein: größere Kürze, Ebenmaß, d. h. gleiche Fügung mit einem beigeordneten zielenden Zeitworte, und wirksamere Hervorhebung des Gegensatzes. So rechtfertigen sich die Sätze: ''Nicht die sind schuld, die schmeicheln, sondern die, die geschmeichelt sein wollen'' (v. Baudissin); ''wie Gott verehrt und gehorcht sein wolle'' (Kant) und: ''Da sitze ich nun mit meinem Kornvorrate, ohne von einem sterblichen Menschen beklagt oder geholfen zu werden'' (Möser). Die präpositionale Angabe, selbst die präpostionale Ergänzung im engeren Sinne bei Verben kann neben deren Passivum nicht das Subjekt werden. Es gibt also keine falschere Form der Auskunft als die in „Über- $Seite 218$ Land und Meer": ''Die angefragten Pillen sind uns unbekannt''. Auch etwas gewalttätig, aber doch eher hinzunehmen ist ''der Angefragte'', wie man besonders seit der Einführung des Fernsprechers den Angerufenen bezeichnen hört; G. Keller sagt ja z. B. auch: ''Sie wußte, daß man dich nur anzufragen braucht, um gleich etwas Gescheites zu hören'', und ebenso der andre große Schweizer, C. F. Meyer: ''Öffentlich und brieflich werde ich angefragt, warum ich das Gedicht „An die Tote“ ausgeschlossen hätte'' (an Rodenberg 5. 11. 95). Eine ähnliche Kühnheit hat der Rennplatz gezeitigt: ''Die Buchmacher hatten einen Bombenerfolg: Dieses'' (statt: ''auf d''.) ''Pferd war gar nicht gewettet worden'' (DAZ. 28).  
Wo die Ergänzung der dem Hauptsatze entsprechenden Form oder die einer Form von ''sein'' dem Nominativ des verglichenen Wortes erfordert oder auch nur ermöglicht, ist dieser nicht nur in Ordnung, sondern heute durchaus bevorzugt//1 Solche Fügungen als Apposition aufzufassen und deren Kongruenz dafür zu fordern, dazu besteht nicht das geringste Recht. Es sind eben verkürzte Vergleichssätze. Wenn G. Keller den Satz: ''Jener trug einen schwarzen Filzhut breit wie ein Wagenrad, dieser ein Hütlein wie ein Suppenteller'', hätte in die Zwangsjacke der Apposition spannen wollen: ... ''wie einen Suppenteller'', so würde das heißen: ''er trug den Hut wie man einen Suppenteller trägt'', während es bedeuten soll: ''der aussah wie ein Suppenteller''. In dem Satze E. Bauers: ''Ich habe ihn besser als sein Ruf gefunden'' würde die Änderung ''seinen Ruf'' den ganz andern Sinn geben, daß ich ''den Ruf nicht gut gefunden habe'', ohne daß damit gesagt wäre, ob er es in Wirklichkeit nicht war. Wenn endlich zwei Erzähler ganz ähnlich schreiben: ''Er erblickte die Geliebte bleich wie der Tod in der Sänfte'', und: ''als er die Gattin bleich wie der Tod erblickte'', so tritt da der verglichene Gegenstand (''Tod'') in seinem ganzen Sein viel kräftiger hervor.//. So schreibt schon Lessing mit gutem Rechte: ''Lassen Sie mich nicht wie ein Gottschedianer'' (nämlich: ''kritisiert'') ''kritisieren''; und: ''Doch wird mir wohl Herr Klotz erlauben, den Abstand zwischen einem Geheimrate wie er'' (nämlich: ''ist'') ''und einem Magister'' (''für'') ''unendlich nicht zu halten''; ebenso Schiller: ''Nimmermehr würde ich einen Posten wie dieser da'' (nämlich: ''ist'') ''verlassen haben''; Nietzsche: ''Solchen Unsteten wie du dünkt auch ein Gefängnis selig''; Jean Paul: ''Geschichten von Überhelden, wie der schwedische Karl XII.''; Grabbe: ''mit Pferden wie die meinigen''; G. Keller: ''an Freudentagen wie der heutige''; W. Raabe: ''Das Seelengleichgewicht stellte sich in einem Charakter wie der seinige nicht wieder her''. Von den Neueren z. B. Hackländer: ''Mir ist, als sähe ich ihn vor mir dahinziehen wie ein begossener Pudel'' (nämlich: ''abzieht''); Ebers: ''Die ganze Kriegerkaste kann nur einer einzigen Schar wie eure Unsterblichen'' (''sind'') ''nicht widerstehn'', und der Verfasser eines Buches über Sprachrichtigkeit: ''In einem Buche wie das in Rede stehende würde es geziemen''; endlich noch gedrängter ein Neuester, H. Federer: ''Kahl, mit einer senkrechten Furche wie ein Beilhieb in der Stirn'', und: ''Neben ihm, dem Geraden wie eine Forumsäule, fiel der nette Stefano zusammen''.  
Bei ''gegen'', das einst nur den Dativ regierte, hat der Akkusativ die Alleinherrschaft gewonnen, also daß Wendungen, wie ''was bin ich gegen dir? er ist arm gegen seinem Bruder'' nur noch als mundartliche Nachklänge einer älteren Zeit angesehen werden können. Nicht eben schön ist endlich ''ob'' mit Genetiv in der Bedeutung ''wegen'', der sich besonders in gehoben oder doch feiner sein sollender Rede findet, wie auch schon die Klassiker sagten: ''ob der Wunder; ob des seltsamen Gerätes''//1 Der Genetiv ist nur an den bei ''wegen'' angeglichen, und ursprünglich stand bei ''ob'' (eigentlich: ''oberhalb, über: ob der Enns, ob dem Wald'') auch in einer ''wegen'' nahe kommenden Bedeutung der Dativ, aus räumlich-sinnlicher Anschauung heraus, indem die im Dativ davon abhängige Sache als die Fläche, die Grundlage gefaßt ward, auf der sich die Handlung entwickelte.//.  +
Wenn schon § 161, l dem Eindringen von ''gegen'' statt ''für'', auch ''vor'', nicht unbedingt das Wort geredet werden konnte, so dünken uns vollends Wendungen wie ''gegen'' (statt ''vor'') ''etwas sicher sein, warnen'' u. ä. noch hart. Anderseits in der Bedeutung: ''im Gegenüber mit, in einer Verhandlung mit'' muß es durchaus verteidigt werden gegen solche, die allein das neuere und schwerfälligere ''gegenüber'' deutlich genug finden. Also: ''Er behauptete gegen mich'' braucht durchaus nicht umgeändert und umgestellt zu werden in: ''er behauptete mir gegenüber''//1 Trotz Freytag, der z. B. französelnd ''gegenüber ihnen'' sagt, stellen wir nämlich ''gegenüber'' allen Fürwörtern und Städte- und Eigennamen noch nach.//, und: ''Die Regierung war gegen das entfesselte Element ohnmächtig ist'', wenn nicht besser, so doch einfacher und sinnlicher als: ''gegenüber dem entfesselten Elemente'' oder: ''dem ... Elemente gegenüber'', in welcher Doppelstellung ''gegenüber'' neben anderen Substantiven als Eigennamen erscheint. Noch dazu verstehn die meisten ''gegenüber'' nicht zu konstruieren, sondern äffen mit einem ''gegenüber von'' das französische ''vis-à-vis de'' nach. Aber es heißt nicht: ''gegenüber von mir, - von dem Rathause, - von Mainz'', sondern: ''mir gegenüber, Mainz gegenüber, gegenüber dem Rathause'' oder ''dem Rathause gegenüber''. Ebenso gebührt dem einfachen ''gegen'' unser Schutz in Vergleichen anstatt des in unsere alternde Sprache gern dafür eingeschmuggelten: ''im Vergleich mit, im Verhältnis zu''; oder klingt nicht Luthers: ''Alle Bücher sind nichts gegen die Bibel'', frischer und einfacher als ein heutiges: ''Der alte ehrwürdige Vater war ein Zwerg im Vergleich zu seinem riesengroß aufgeschossenen Sohne''? Der falsche Gebrauch desselben Wortes endlich in dem Satze Boyens: ''diese Verschiedenheit der Gesinnungen gegen die'' (statt ''von denen''), ''welche sich in Südpreußen ausgesprochen hatten'', hat denselben in § 162 behandelten Grund, wie die falsche Anwendung von ''zu, an'' und ''für'' statt ''gegen'' in den folgenden Sätzen: ''das Mißtrauen zum preußischen Offiziere'' (E. Richter), ''die Gerechtigkeit fordert ein Entgegenkommen an die übrigen Nationalitäten'', und: ''unter tunlichstem Entgegenkommen für die Bedürfnisse der Industrie'' (Zittauer Nachrichten).  
Im aktiven Verhältnisse entspricht dem ''sein'' mit Infinitiv und ''zu'' mit der gleichen Färbung der Notwendigkeit und Möglichkeit//1 Auch die bisweilen angefochtenen Wendungen ''sich ausgezeichneter Aufnahme, großen Beifalls zu erfreuen haben'' rechtfertigen sich dadurch.// ''haben'' mit Infinitiv und ''zu'': ''Er hat'' (''genug'') ''zu arbeiten'' = ''er kann'' oder: ''muß genug arbeiten'', und: ''er hat zu schweigen'' = ''er muß schweigen''. Bedenklich ist nur, wie massenhaft diese Form statt der einfachen Hilfsverben mit Infinitiv verwendet wird, so daß mir z. B. eine mitteldeutsche Schulordnung bekannt ist, in der es fast nie heißt: ''die Schüler sollen dies —, dürfen jenes nicht tun'', sondern fast immer: ''sie haben ohne besondere Erlaubnis das Schulgebäude nicht zu verlassen'' u. ä. Am allerhäßlichsten wirkt es, wenn in gleicher Weise ein passivischer Infinitiv mit ''haben'' verbunden wird: ''Nach einer Verordnung haben nun ... nach dem Maßstabe der neuen Währung die ... Zahlungsverbindlichkeiten bewirkt zu werden''; und nicht viel besser, wenn ein Gegenstand, der nicht wohl tätig gedacht werden kann, dazu Subjekt ist: ''In den Kasernen hat ein Vorrat von Arzneien sich zu befinden''. Eine ähnliche unnütze Vermischung aktivischer und passivischer Ausdrucksweise ist die Art, wie ''bekommen'' (oder ''erhalten'') immer häufiger zur Bildung der Leideform verwendet wird: ''er hat es gesagt bekommen'' statt ''es ist ihm gesagt worden''. Selbstverständlich ist diese Ausdrucksweise $Seite 118$ um so unnatürlicher, je weiter der Sinn des Satzes von der eigentlichen Bedeutung des Wortes ''bekommen'' abführt. Also während man sich an ''satt bekommen'' neben ''satt haben'', an ''mitgebracht bekommen'' nicht stoßen wird, kann einem die Drohung eines Schulleiters: ''sonst wird er das Stipendium entzogen bekommen'', nie erträglich und nur aus der schlimmen Verschwommenheit unserer höheren Sprache erklärlich erscheinen//1 Irrtümlich erklärt Kunze in der Zeitschrift für d. deutsch. Unterr. 1890 (S. 43) den Mißbrauch nur für oberrhein-schwäbisch: er ist leider allgemein verbreitet. In der Tägl. Rundschau schreibt so selbst F. Dahn und auch ein anderer Mitarbeiter: ''Der Hofopernsänger Sch. hat . . . die Rolle des Beckmesser zugeteilt erhalten''. Rosegger schreibt: ''Zwei Kindlein, die . . . Milchsuppe in den Mund gegossen bekamen'', und Ant. Springer gar: ''er bekam'' (statt: ''bei ihm wurden'') ''schon frühzeitig Altartafeln bestellt''. Bei aller Anerkennung der Tatsache, daß die deutsche Sprache das Aktiv bevorzugt, kann man doch nicht bis zur Duldung auch widersinniger Umschreibungen des Passivs gehn.//.  
Wer erkennt nicht ohne weiteres, daß hier derselbe falsche Gebrauch der aktivischen Beifügung vorliegt, der § 181 ff. schon für die substantivische gerügt wurde? Eigenschaftswörter, die nur zum Bestimmungsworte eines zusammengesetzten Hauptwortes gehören, werden zum Gesamtbegriffe gezogen, indem sie durch Beugungsendungen als mit ihm zusammengehörig bezeichnet werden. Der Verwandtschaft in der Sache muß eine gleiche Behandlung in der Sprachform entsprechen. Einfach als richtig sind auch hier die Fälle anzuerkennen, wo die Beziehung des Eigenschaftswortes auf die ganze Zusammensetzung auch möglich ist, mag dieser auch dadurch eine Eigenschaft beigelegt werden, die ursprünglich nur dem Bestimmungsworte zugedacht war: so ''die Deutsche Reichszeitung, die rauchlosen Pulverarten, menschliche Geistesbildung, Erwerb deutscher Universitätssammlungen, die gefestigte Ideenwelt''. Man wird die Form eines letzten Willens nicht billigen, durch die ''ein Vermächtnis zu einem katholischen Kirchenbau'' statt ''zum Bau einer katholischen Kirche'' ausgesetzt wird; aber wenn in einer Stadt eine katholische Kirche gebaut wird, so darf man unbedenklich ''vom langsamen Fortschreiten des katholischen Kirchenbaus'' reden, da ja auch der Bau selbst eine von den Katholiken ausgehende Sache ist. Dem Stile nach unterscheidet man überdies schon längst einen evangelischen und einen katholischen Kirchenbau. $Seite 186$ Vollends den Ausdruck ''Kissinger Badebesuch'' zu bemängeln, ist unberechtigt, da das der Badebesuch ist, dessen sich die Kissinger erfreuen. Auch die ''zweijährigen Budgetberatungen'' sind nicht zu beanstanden, da in Zusammensetzungen mit Zahlen die Verbindungen mit -''jährig'' für die etwa nicht vorkommenden Bildungen aus Zahlen + ''jährlich'' eintreten; wie denn schon im Althochdeutschen ein aller fünf Jahre wiederkehrendes Spiel ein ''fünfjähriges'' genannt wird. Ebenso ist jeder Tadel zu sparen, wenn die Beziehung bloß auf den ersten Bestandteil nur noch für den Sprachforscher, kaum noch für das allgemeine Sprachbewußtsein deutlich ist; und natürlich ist der Tadel desto weniger angebracht, je mehr die Zusammensetzung einen kaum in seine Bestandteile auflösbaren einheitlichen Begriff darstellt. Außer von Silbenstechern sind denn auch solche Verbindungen wie ''lateinische Sprachlehren, englische Wörterbücher, lateinische Wortkunde'' nie als Sprachfehler empfunden worden, ebenso wenig die ''italienischen Sprachführer, französischen Briefschulen, italienischen'' u. a. ''Reisebriefe'' oder ''Lessings verschmitzte Frauenrollen''. Namentlich gehören viele Baumnamen hierher: z. B. ''der schwarze Maulbeerbaum, der saure Weichselkirschbaum, blaue'' und ''gelbe Pflaumenbäume''; und niemand denkt daran, sie in ''Bäume mit gelben Pflaumen'' usw. aufzulösen, zumal sie dem lateinischen ''morus nigra, cerasus acida'' usw. entsprechen. Überhaupt geben treffende Kürze und jenes auf keinem Sprachgesetze beruhende Recht des Herkommens, gewöhnlich im Bunde miteinander, den Freibrief, durch den eine dritte Art solcher Fügungen selbst vor den grimmigsten Sprachmeistern gesichert ist. So folgende: ''Freie Handzeichnung, das Bürgerliche Gesetzbuch, philosophische Doktorwürde, akademisches Bürgerrecht, die gelehrten Berufsarten, adlige Herrensitze, adlige Landsitze, bürgerliche und adlige Standesinteressen'' u. a.; auch die ''Schwarze''(-)''Meer-Flotte Rußlands'' hieß mit Recht so. Endlich muß man für die Umgangssprache wie ihre Widerspiegelung in den Zeitungen wohl auch noch die oder jene Fügung mit eigenem und mit dem ihr innewohnenden Humor hinnehmen, ob nun die Zeitungsschreiber über die ''Saure'' (nicht ''saure'') ''Gurken-Zeit'' oder ''Saure Gurkenzeit'' klagen oder sogenannte Gebildete vom ''französischen Sprachlehrer'' sprechen, den ihr Kind habe; wenn der und seine Standesgenossen nur wissen und betonen, daß er Lehrer der französischen Sprache ist. Selbst ''die Feier des hundertjährigen Geburtstages, die fünfzigjährige Doktorjubelfeier, die Wiederkehr des hundertjährigen Todestages'' u. ä. Fügungen müssen unbeanstandet bleiben nicht nur wegen der treffenden Kürze des Ausdrucks, sondern auch wegen des vollen eigenartigen Gehaltes, den gerade diese Bildungen mit -''jährig'' gewonnen haben; sind es doch Feiern, die — ganz entsprechend der Bedeutung von -''ig'' (§ 12) — 100 oder 50 Jahre umfassen, einen solchen ganzen durch einen eigenartigen Geist bestimmten Zeitraum zur Grundlage haben! Die Geburtstage noch unter den Ihrigen, unter ihrem Volke Lebender, solcher zumal, die alljährlich und nicht als ein seltenes Fest der Erinnerung und Anerkennung begangen werden, sollen natürlich trotzdem auch heute noch nur mit den Ordnungszahlen gezählt werden, wie es im ''Siebzigsten Geburtstag'' schon J. H. Voß selbst beim geliebten Tamm getan hat.  
Bei ''gelten'' steht heute hauptsächlich der Dativ der Person wie Sache, die ein Unternehmen, eine Handlung angeht, für die etwas wichtig ist: ''Eine Kugel kam geflogen, gilt’s mir oder gilt es dir? Die Uneigennützigkeit des Theophan in Geldangelegenheiten, wenn es der Ehre seines Standes gilt'' (Lessing). Dagegen steht im allgemeinen neben dem unpersönlichen ''es gilt'', solange das ''es'' nicht durch ein vorhergehendes, dadurch vertretenes Substantiv volleren Inhalt $Seite 197$ erhält, die Sache, auf die es ankommt, um die es sich handelt, im vierten Fall: ''es galt einen verzweifelten Sprung''.  +
Drittens müssen zahlreiche Wörter auch der gemischten Deklination eingeordnet werden (Gruppe VI). So die Wörter auf ''-ismus'', für die es freilich nur in der Mehrzahl merkbar ist: ''des Katechismus, die Katechismen''; dann die auf ''-or'' (''Professors, Professoren'') und besonders die auf ''-ium, -eum, -uum'', (''des Museums, die Museen''), denen man den Genetiv auf ''-s'' ebensowenig jemals vorenthalten, als ein ''a'' in der Mehrzahl (''Adverbia'' statt des besseren ''Adverbien'') zugestehen sollte. Auch die sächlichen Wörter auf ''-a'' gehören hierher, und wo es, wie bei ''Drama, Thema, Dogma, Miasma'' einmal eine Mehrzahl auf ''-en'' gibt (''Themen, Dogmen''), sollte man sich zur Pflicht machen, weder mit dem vollen Fremdling ''Dogmata'' zu prunken noch sich mit einem Mischling ''Dramas'' einzulassen //1 Bei ''Komma'', das nie eine Mehrzahl auf ''-en'' bildet, ist es das Beste, ''die Komma'' zu sagen. Virchow sagt durchaus auch ''die Eskimo'', ebenso Dr. Ranke in seinem Buche: Der Mensch; dort heißt es auch nur ''die Papua, Damara, Dualla, Maori, Puri, Ovahero Zulu, Hindu'' und wie diese außereuropäischen Völker auf ''a, i, o'' und ''u'' alle heißen; mit ''s'' nur, zu den obigen Vorschriften stimmend, ''Kretins'' und ''Negritos''.// ). Auch einige einzelne Wörter fügen sich hier an: ''Triton, Dämon'' (''des Dämons, die Dämonen''), sowie ''Nuntius'' mit ''die Nuntien, Genius'' mit ''die Genien'', neben dem in Sonderbedeutung natürlich ''das Genie, des Genies'' nicht zu beanstanden ist. Von der Mehrzahl ''die Heroen'' zur Einzahl ''der Heros'' hat schon Goethe vielmals einen Wen-fall der Einzahl: ''einen Heroen'' gebildet, und seitdem ist diese Einzahl ''der Heroe'' ziemlich häufig geworden. Es schließen sich Wörter an, die ursprünglich lateinische Eigenschaftswörter auf ''-e'', im Plural ''-ia'' sind und meist nur in der Mehrzahl (auf ''-ien'') vorkommen: ''das Fossil(e), Repressalien, Insignien'', aber nicht auch ''Kleinodien'', wie man freilich in der Bedeutung ''Reichsinsignien, Juwelen'' überwiegend, aber von einem — echt deutschen Worte fälschlich findet, glücklicherweise wenigstens noch nicht, sondern nur richtig ''Kleinode'', wenn etwa eine Mutter ihre Kinder so bezeichnet. Eine andere Art gemischter Deklination ist es, welche man den Wörtern zugestehen muß, die man in der fremden Form und Aussprache herüberzunehmen genötigt ist oder sich wähnt: nämlich einen deutschen Genetiv der Einzahl auf ''-s'' und die Mehrzahl der fremden Sprache, z. B. ''Kolon, Kolons, Kola''; besonders auch bei den französischen Wörtern auf ''-er'' (zu $Seite57$ sprechen ''eh''), ''-on'' oder ''-ond, -and'' und ''-ent'' (gesprochen ''ohng'' und ''ahng''), wie ''des Plafonds, die Plafonds''; nur die Österreicher, die ''Plafohnd'' ohne Nasenlaut sprechen, bilden auch ''Plafonde''.  
Von den Fremdwörtern sind viele in den Umlaut hineingezogen worden, obwohl er ihnen eigentlich auch $Seite 17$ nicht zukommt, nicht bloß Lehnwörter, deren fremde Herkunft man nicht mehr empfindet, wie ''Bischöfe, Paläste, Pläne, Bässe, Chöre'', sondern auch Wörter, die man noch lebhaft als Fremdwörter fühlt, wie ''Altäre, Tenöre, Hospitäler, Kanäle''. Aber von andern wird doch die Mehrzahl noch richtig ohne Umlaut gebildet, wie ''Admirale, Prinzipale, Journale''. Wenn sich daher irgendwo ein Schwanken zu zeigen beginnt, so ist es klar, daß die Form ohne Umlaut den Vorzug verdient. Besser also als ''Generäle'' ist unzweifelhaft ''Generale''. Bisweilen hat die Sprache auch hier die Möglichkeit der doppelten Form zu einer Unterscheidung des Sinnes benutzt: ''Kapitale'' (oder ''Kapitalien'') sind Gelder, ''Kapitäle'' Säulenknäufe; hier heißt freilich auch schon die Einzahl ''Kapitäl''. Auch zwischen der starken und der schwachen Deklination hat die Pluralbildung der Fremdwörter vielfach geschwankt und schwankt zum Teil noch. Im achtzehnten Jahrhundert sagte man ''Katalogen, Monologen''; jetzt heißt es ''Kataloge, Monologe''. Dagegen sagen die meisten jetzt ''Autographen'' und ''Paragraphen''; ''Autographe'' und ''Paragraphe'' klingt gesucht. Unbegreiflich ist es, wie unsre Techniker dazu gekommen sind, die Mehrzahl ''Motore'' zu bilden, da es doch nicht ''Faktore, Doktore'' und ''Pastore'' heißt; wahrscheinlich haben sie an die ''Matadore'' im Skat gedacht, die lagen ihnen näher. ''Effekte'' und ''Effekten'' werden wieder dem Sinne nach unterschieden: ''Effekte'' sind Wirkungen, ''Effekten'' Wertpapiere oder Habseligkeiten.  +
Genetiv des geteilten Ganzen (partitivus) liegt vor in Wendungen wie ''der letzte deines Volkes, der jüngere der Brüder, eine ganze Reihe schöner Tage, es sei genug der Greuel''. Er bedarf einiger Erörterungen, damit man eine Grenze finde, bis zu welcher der Verfall der Abhängigkeitsbezeichnung, d. h. der Kasusformen, der hier besonders weit vorgeschritten ist, als unabänderlich zugegeben werden muß, von welcher aus es sich aber ebenso gebührt ihm zu steuern. Allgemein läßt sich nur sagen, daß zwischen dem bedachten und höheren, noch vielmehr dem poetischen Stile und der Umgangs- und Geschäftssprache ein Unterschied besteht. Jener zeigt nämlich noch engeren Zusammenhang mit der älteren Zeit; da aber wurde zu Wörtern, die Gattung, Zahl oder Menge, Maß oder Gewicht ausdrücken, ebenso zu den nicht wie heute vorwiegend adverbialisch, sondern substantivisch aufgefaßten unbestimmteren Bezeichnungen des Maßes, $Seite 174$ wie ''etwas, was, genug, viel, mehr, wenig, nichts'', ausnahmslos der Genetiv gesetzt, um den Stoff zu bezeichnen, aus dem sich die Mengen und Vielheiten zusammensetzen. Die flüchtigere Schreib- und Redeweise hat dagegen dem Zuge der Sprache nach Vereinfachung viel mehr nachgegeben, indem sie, durch die Unkenntlichkeit des Genetivs an den Femininen und den artikellosen Mehrzahlen verleitet, auch für die Einzahl der Maskulinen und Neutren auf dessen Bezeichnung verzichtete und neben ''wenig Hoffnung''(''en'') auch ''wenig Geld, wenig Mut'' stellte.  +
Gefälliger Knappheit zuliebe wird man alle die Fügungen billigen und sich erlauben $Seite 172 $ dürfen, in denen eine Beifügung, mag sie auch genau genommen ursprünglich zum Bestimmungsworte gehört haben, allenfalls mit der ganzen Zusammensetzung verbunden werden kann. Man wird es z. B. von Pecht nicht verdenken, wenn er in der Tägl. R. seine aus München kommenden Plaudereien — natürlich besonders über Münchner Kunst — ''Münchner Kunstplaudereien'' überschrieb, ähnlich darf man auch statt: ''Abgrenzung zwischen den Sphären der Interessen Italiens und Frankreichs'' sehr wohl sagen: ''die Abgrenzung der Interessensphäre Italiens und Frankreichs, die Herstellungstechnik der einzelnen Waren, der Testamentsvollstrecker des Prinzen Jerome'' (= den dieser bestimmt hat). Selbst für die vielen Verfasser von ''Lebensbeschreibungen'' berühmter Männer und für die Bewunderer und Nachahmer, welche die ''Geschichtsschreiber der Römer, der Päpste'' u. a. auch für diesen ihren Ausdruck gefunden haben, möchte ich ein gutes Wort einlegen. Denn wir verstehn unter dem ''Geschichtsschreiber Friedrichs d. Gr''. nicht so sehr den Schreiber der Geschichte Friedrichs als den Geschichtsschreiber, den dieser gefunden hat und nun hat//1 Überdies haben hier unzweifelhaft die Fremdwörter ''Biographie, Historiker'' eingewirkt, erst wohl trübend, aber doch auch erklärend.//, gerade wie sich auch der ''Lebensretter des Fürsten'' oder ''sein Gutsverwalter'' erklärt.  +
Eine besondere Erwähnung erheischen die Fremdwörter, natürlich nicht die entbehrlichen, die überhaupt in gute deutsche Rede nicht gehören, auch die nicht, welche zwar, ursprünglich aus der Fremde entlehnt, vom Sprachkenner noch als sogenannte Lehnwörter erkannt, von den meisten aber als deutsche Wörter angesehen werden, so unter den oben besprochenen ''Pacht, Pfirsich, Trupp''. Für unseren Zweck kommen nur Bezeichnungen für Dinge der Fremde, wie ausländische Flüsse, Berge, Bauten und für der Fremde entlehnte Waren, Erzeugnisse u. dgl., in Frage; und selbst diese hier, wo es sich nur um einen Rat gegenüber schwankendem Gebrauche handelt, nur insoweit, als der Trieb des deutschen Sprachgeistes, diese Dinge im Geschlechte einheimischen anzureihen und anzugleichen, zu Spaltungen und Widersprüchen, zu einem Nebeneinander verschiedener Geschlechter geführt hat. Der ''Baro-, Thermo-, Gaso-'' und ''Hygrometer'', die ebenso wie ''Meter'' und ''Liter'' in wissenschaftlichen Werken ziemlich ausschließlich als Neutrum auftreten, beginnen bereits aus dem Volksmunde und der höheren Umgangssprache auch in die Schriftsprache vorzubringen//1 Schon früher nannte sich Goethe selbst ''einen Barometer'' und Heine Rotschilden ''einen politischen Thermometer''; ebenso brauchte das letztere Cl. Brentano, der Physiker Lichtenberg, heute z. B. der Verf. von Rembrandt als Erzieher, und ''der Liter'' sagt z. B. ein Plauderer der Tägl. Rundschau, 1891, Beil. S. 95 im Bunde mit W. Jensen.//, gewiß nicht zum $Seite42$ Unglück, da darin ein Stück Einempfindung der uns einmal aufgebürdeten fremden Maßbestimmungen liegt, eine Anempfindung an ''der (Feuchtigkeits-)Messer, Stab, Krug, Schoppen''; und ''Kilometer'' überdies wird selten anders als männlich gebraucht. Ähnlich steht dem Neutrum ''das Pendel'' fachmännischer Schriften in der schönen Literatur von Herder bis C. F. Meyer und K. v. Heigel ''der Pendel'' gegenüber. Auch ''der Atom'' mit Schiller und Wieland und ''der Meteor'' in Anlehnung an ''Meteorstein'' zu sagen neben ''das Atom'' und ''das Meteor'', kann nicht mehr verpönt werden. Am allerwenigsten soll sich jemand darüber den Kopf zerbrechen, ob er sagen soll ''die Tiber'' und ''die Rhone, der Peloponnes'' und ''der Chersones, das Parthenon'' u. a., wie er es Jahrzehnte lang gehört hat, bei den Flüssen z. B. auch ganz natürlich beim Übergewicht des Femininums unter den deutschen Flurnamen auf ''-er'' und ''-e'', oder ob er es Sprach- und andern Gelehrten nachtun müsse, die werweißwelche Gelehrsamkeit zu zeigen wähnen, wenn sie mit den Formen ''der Tiber, der Parthenon, die Peloponnes'' dem fremden Buchstaben gerecht werden statt heimischer Gewöhnung und unbewußter Anempfindung. Und nun nur noch ein Wort über die vielen Wörter auf ''at-'', die meistens lateinischen männlichen Wörtern auf ''-atus'' entsprechen oder doch nachgebildet sind; hat sie doch Bismarck kurz vor seinem Rücktritte einer das Geschlecht betreffenden Weisung an seine Kanzleien würdig erachtet. Das Volk hat hier gar nicht so übel ''dem Senate'' und ''Magistrate'', die es als bestimmt abgegrenzte Körperschaften der Ratsherren wohl kennt, sowie überwiegend auch ''dem Ornate'', bei dem es an Rock, Anzug gedacht haben mag, ihr männliches Geschlecht gelassen. Ebenso erfreulich aber ist sein Neutrum bei Wörtern wie ''das Kanonikat, Zölibat, Majorat, Noviziat, Notariat, Pastorat, Patriziat, Rektorat'' u. a. Bezeichnungen einer Würde, eines Amtes oder Standes; denn in diesem Neutrum liegt eine aus lebhaftem Sprachgefühl hervorgegangene Angleichung an die Wörter mit der Gleiches bedeutenden Endsilbe ''-tum''. Nur bei ''Episkopat'' scheidet man wohl zwischen ''der E.'' = die Gesamtheit der Bischöfe und ''das E.'' = das Bistum, die Bischfswürde. Bei ''Exarchat'' überwiegt das sächliche Geschlecht, mögen auch Gelehrte das männliche der Fremdsprache belieben.  
Nicht ganz einfach regelt sich die Verbindung des zweiten Mittelwortes mit ''sein'' oder ''haben'' in der Tätigkeitsform. Zwar das steht heute fest, daß die transitiven (''geben''), reflexiven (''sich schämen'') und bis auf wenige unten erwähnte Ausnahmen auch die unpersönlichen Zeitwörter (''es friert'') durchaus ''haben'' verlangen: ''er hatte gegeben, du hast dich geschämt, es hat'' (''mich'') ''gefroren''. Wie: ''es hat geregnet, es hat gesprüht, es hat gestaubt'', heißt es jetzt auch durchaus: ''es hat getagt''. Auch von den intransitiven, d. h. den Zeitwörtern, die nicht mit einer Ergänzung im 4. Falle verbunden werden, bilden die meisten ihre zusammengesetzten Zeiten mit ''haben: Der Hund hat gebellt, das Kind hat gelacht''. Solche Fügungen gab es aber ursprünglich gar nicht und noch bis in das 9. Jahrhundert nur ganz vereinzelt. Auch die früher auftretenden Umschreibungen des ursprünglich immer einfachen Präteritums mit ''sein'' sind zunächst spärlicher und von Haus aus von den Umschreibungen mit ''haben'' in der Bedeutung streng geschieden gewesen. Zu einem Zeitwort gehörte ursprünglich ''haben'', wenn es einen Vorgang in seinem Verlaufe bezeichnete (verbum imperfectivum), dagegen ''sein''//2 Diese Erklärung des Wechsels zwischen ''sein'' und ''haben'' hat zuerst O. Behaghel angedeutet in seiner „Syntax des Heliand" § 183—186 und 301, auch in seiner „Deutschen Sprache", 2. u. 3. Aufl., S. 324 (1902 und 1904) kurz erwähnt und in der „Zeitschrift für deutsche Philologie" Bd. 32, S. 71 ff. (1900) auch erklärt. Die oben zuzugrunde gelegte ausführlichste Darstellung bietet jetzt Hermann Paul, Die Umschreibung des Perfektums im Deutschen mit ''haben'' und ''sein''. Aus den Abhandlungen der kgl. bayer. Akademie der Wiss. I. Cl., XXII. Bd., I. Abt., S. 159—210(München 1902).//, wenn es den Abschluß eines Vorganges oder das Geraten in einen Zustand bezeichnete (v. perfectivum). Von ''werden, sterben, bersten, schmelzen, schwellen, kommen'' bezeichnete zumal die Vergangenheit immer den Abschluß eines Zustandes, ein Ergebnis, und so hat die zweite Vergangenheit davon immer gelautet: ''geworden -, gestorben -, geborsten -, geschmolzen -, geschwollen -, gekommen sein''. Außerdem sind jetzt perfektivische Zeitwörter meist die Zusammensetzungen mit ''ge''-, ''ent''-, ''ver''-, ''er''-, ''zer''-; auch: ''ab''-, ''auf''-, ''aus''-, sei es, daß sie von ungebräuchlich gewordenen einfachen Zeit-, sei es, daß sie von Eigenschafts- oder Hauptwörtern gebildet sind. So heißt es denn ausschließlich: ''es ist gelungen, er ist genesen, - entronnen, - entsprossen; er ist verzweifelt, - vertrocknet, - abgeblüht; die Tür ist abgeschnappt; er hat gesessen'', aber: ''er ist aufgesessen; der Krater hat gebrannt'', aber: ''der Krater ist ausgebrannt''. Einige solche Bildungen von Eigenschaftswörtern sind: ''erblassen, erbleichen, erblinden, ergrimmen, erkalten; verarmen, verstummen''; von Hauptwörtern: ''entarten, ausarten, verkohlen, verbauern, verknöchern, verjähren''. Auch Umstandsangaben, die das Ergebnis einer Zustandsveränderung bezeichnen, wirken bisweilen in gleicher Weise wie die genannten Vorsilben. Es heißt zwar: ''das Eisen'' $Seite104$ ''hat gerostet'', aber: ''es ist schwarz gerostet; es hat getaut'', aber: ''der Schnee ist weich getaut; der Wein hat noch einmal gegoren'', aber: ''der Wein ist klar -, ist zu Essig gegoren; die Wäsche hat gut getrocknet'', aber: ''die Wäsche ist ganz'' (''völlig'') ''getrocknet; der Wein hat während der letzten Sonnentage tüchtig gereift'', aber: ''der Wein ist'' (''jetzt'') ''völlig gereift. Das Obst hat im Keller gefault'', aber wie bei Geothe: ''Die Schindeln sind durch die Jahreszeit ganz schwarz gefault; die Wunde hat schon'' (''einigermaßen'') ''geheilt'', aber: ''sie ist'' (''vollständig'') ''geheilt. Das Haar hat gebleicht'' (''ist fahler geworden''), aber: ''sein Haar ist gebleicht'' (''ist ganz bleich geworden''). Nur zwischen ''gealtert sein'' und - ''haben'' waltet gar kein greifbarer Unterschied mehr ob. Einerseits bei verneinender Feststellung eines Ergebnisses sagt Auerbach: ''Das dunkelbraune Auge scheint kaum gealtert zu haben'', und wieder Schiller: ''Mein Vater ist nicht gealtert''; und anderseits bezeichnet den Grad, das Ergebnis des Älterwerdens Jeremias Gotthelf und G. Keller mit ''haben'': ''So sehr habt ihr gealtert, wenigstens um zehn Jahre'', und E. Hesse: ''wie er im Schatten ihrer Blondheit um Jahrzehnte gealtert habe; die Mutter schien sehr gealtert zu haben''; dagegen Stahr mit ''sein'': ''Karoline war in diesen wenigen Monaten um Jahre gealtert''. Auch die Zeitwörter der Fortbewegung haben ursprünglich immer beide Perfektbildungen gleichzeitig gehabt: wenn die Tätigkeit an sich, in ihrem Verlaufe bezeichnet wurde, die Auffassung also imperfektisch war, die mit ''haben''; wenn Beginn oder Abschluß, Ausgangspunkt oder Ziel der Tätigkeit bezeichnet wurde, die Auffassung also perfektivisch war, die mit ''sein''. So sagt Wolfram von Eschenbach perfektivisch schon: ''für'' (= ''vorbei'') ''was geloufen und geriten daz her'' (342, 1); aber anderseits hat von der Tätigkeit in ihrem Verlaufe noch Jung Stilling geschrieben: ''Ich war ein fleißiger Mann, hab über Land und Sand gelaufen''. Auch heute scheidet man wohl noch: ''er ist davongeeilt'' und: ''er hat sehr geeilt; ich bin weiter geritten als er'' (Ziel!), und: ''er hat trotz des kleinen Mißgeschickes weiter geritten''. Auch für ''rudern'' gilt z. B. noch heute der Ansatz von Adelung: ''sie haben den ganzen Tag gerudert, die Enten haben mit den Füßen gerudert'', wie von ''segeln'' M. Dreyers: ''Er erzählte, wie er mit seiner Mutter gesegelt habe''; aber: ''er ist davon, ans andere Ufer gerudert''. Dem Satze ''Der Wind hat hurch den Wald gerauscht'' steht zur Bezeichnung der Bewegung in rauschendem Gewand gegenüber: ''Die Dame ist durch den Saal gerauscht''; und dem ''Wir haben bis 2 Uhr getanzt'', der andere: ''Er ist lächelnd ins Zimmer getanzt''. Auch scheidet man noch: ''die Wasserkünste haben gesprungen'' und: ''der Reif ist gesprungen; die Soldaten haben geschwenkt'' (= ''eine Schwenkung gemacht'') und: ''sie sind nach links abgeschwenkt; Karl der Große hat gern gejagt'', und: ''der Meldereiter ist in einer Stunde hergejagt; der Vogel hat ängstlich geflattert'', und: ''der Vogel ist in das Nest geflattert. Man hat'' (den Beginn der Handlung bezeichnend) [''auf''] ''eine Zeitung abonniert'', und: ''man ist'' (bleibender Zustand) ''auf eine Zeitung abonniert''. Th. Storm schrieb dementsprechend 3. 2. 81 noch: ''jetzt wo er Marseille passiert ist'', während nach allgemeinem Gebrauch ''er hat Dresden passiert'' jetzt bedeutet: ''er ist durchgekommen'', dagegen: ''es ist passiert'' so viel wie: ''es hat sich ereignet''. Gleichbedeutend steht nebeneinander: ''Ekel hat'' und ''ist mich überkommen''. Anderseits ist gerade bei den Zeitwörtern der Bewegung die Fügung $Seite105$ mit ''sein'' durchaus vorherrschend geworden, auch „Wo der Begriff der Tätigkeit in ihrem Verlaufe vorwiegt und auf Ziel und Ausgangspunkt keine Rücksicht genommen wird". Heut fragt uns kein Kutscher mehr wie der bei Goethe: ''„Hab ich nicht gefahren wie Extrapost?"'' Niemand sagt mehr wie Schiller: ''„Der Kaiser hatte an dem Entwurfe gescheitert"''; und Gellert würde nicht mehr schreiben: ''„Sehr viele reisen im Geist und überreden sich, als hätten'' (sondern: ''wären'') ''sie gereist"''. Voß schrieb noch: ''Ich schäme mich, daß ich gekrochen habe'', dagegen v. Sybel: ''Ferdinand VII. war vor der rauhen Macht Napoleons gekrochen''. Einem alten Musterbeispiele: ''der Schnelläufer hat gelaufen'' setzte ein Amtsblatt mit dem jüngeren Brauche schon 1890 entgegen: ''Heute am ersten schönen Tage ist der lange angekündigte Schnelläufer endlich gelaufen''. Selbst ein Gespräch lediglich über die Art der Bewegung kann heute also geführt werden: ''Was habt ihr gestern angegeben? — Wir sind eine Stunde ausgerückt. — Zu Fuß oder wie? — Die Jüngeren sind gegangen, die Älteren gefahren. — Die Mutter verweist es einem Kinde, daß es zuviel herumgesprungen sei'', und der Weitherumgekommene rühmt sich, ''viel'' oder ''oft'' oder ''gern'' oder ''weit gereist zu sein''. Es heißt mit Angabe des Ausgangspunktes durchaus: ''das Wasser ist aus der Erde gequollen'', aber auch sonst schon häufiger ''das Wasser ist — es hat den ganzen Tag gequollen''; und höchstens in anderer Bedeutung scheidet man: ''die Erbsen haben schon gequollen'' (= ''sind eine Zeitlang eingequellt gewesen'') und: ''die Erbsen sind gequollen'' (= ''sind genug gequellt, aufgequollen''). Ja diese Vorherrschaft von ''sein'' ist so bestimmend geworden, daß Zeitwörter, die an sich mit ''haben'' verbunden werden, ''sein'' erhalten, wenn sie zu einem Begriffe der Bewegung geworden sind. Neben: ''er hat mit den Augen geblitzt'', steht: ''der Gedanke ist aufgeblitzt; der Freier ist abgeblitzt''; neben: ''lange hat ein Verfahren gegen ihn geschwebt; der Wahn, in dem er bisher geschwebt hatte'' (Goethe), anderseits: ''sie ist davongeschwebt''; neben: ''er hat lange gewankt, geschwankt'', auch: ''er ist in das nächste Zimmer gewankt, geschwankt''. Es heißt: ''er hat getorkelt, getaumelt'', aber: ''er ist davongetorkelt, zu Boden getaumelt. Er hatte wochenlang vor einem solchen Ereignisse gebebt'', aber: ''ein dumpfer Widerhall ist aus der Gruft emporgebebt'' (Uhland); ''er war davor zurückgebebt. Ich habe -, mich hat geschaudert'', aber: ''ich bin davor zurückgeschaudert. Ich habe gezittert'', aber: ''er ist erschrocken davongezittert. Das Feuer hat mächtig geflammt'', aber: ''der Blitz ist vom Himmel herabgeflammt. Das Feuer hat lange gelodert'', aber: ''da war die Leidenschaft in ihm emporgelodert. Die Würste haben schon gewallt'', aber: ''das Wasser ist übergewallt. Der Wind'' (''die Glocke, es'') ''hat die ganze Nacht gestürmt'', aber: ''das wilde Heer ist durch-, vorbei-, hereingestürmt. Die Bienen haben schon geschwärmt, er hat lange für das Mädchen geschwärmt, er hat die ganze Nacht geschwärmt'', aber: ''die Burschen sind in den Wald geschwärmt. Der Sturmwind hat gebraust'', aber: ''der Reiter war an ihm vorbeigebraust: das Ohr hat ihm gesaust'', aber: ''er ist davongesaust; er hatte schon drei Tage gerast'', aber: ''er war fortgerast''. Nicht anders werden sonst transitive Zeitwörter behandelt, wenn sie zur Bezeichnung einer Bewegung mit Zielangabe, also perfektivisch geworden sind. Man sagt zwar: ''das Holz hatte'' (auch: ''war'') ''im Strome ge''- $Seite106$ ''trieben'', aber: ''die Lade war ans Land getrieben; er war'' (''zu Boden'') ''gestürzt, hereingestürzt; der Gedanke war ihm durch den Kopf geschossen. Das Kind hat gebrochen, der Dieb hat eingebrochen'', aber: ''das Kind ist auf dem Eise eingebrochen. Die Wunde ist aufgebrochen. Die Erfahrung hat ihm sehr am Herzen gerissen'', aber: ''das Mißtrauen ist eingerissen; alles hat getroffen'', aber: ''die Weissagung ist eingetroffen''. Überhaupt hat sich dann die Schriftsprache, wie so oft, auch diese Doppelfügungen zunutze gemacht, wenn auch in anderm Sinne, als sie ursprünglich gemeint waren, um Bedeutungsunterschiede auszudrücken. Im eigentlichen Sinne heißt es: ''Er war dem Bruder in den Garten, in der Regierung gefolgt'', aber übertragen: ''Warum hat man damals dem Haugwitz nicht gefolgt'' (''auf ihn gehört'') (Molo)? ''Gelegen sein'' ist zur adjektivischen Bezeichnung der Lage einer Örtlichkeit geworden, wie ''verkehrt sein'' im Sinne von ''verdreht, falsch sein'' und ''überlegen sein'' im Sinne von ''siegreich sein'' heute wesentlich Zustandsangabe ist. In allgemeiner Bedeutung dagegen lautet die 2. Vergangenheit von ''liegen: gelegen haben''; ebenso sagt man in der Bedeutung ''„Umgang gehabt haben"'' heut vorherrschend: ''mit -, bei jemand verkehrt haben; unterlegen haben'' heißt soviel wie ''unter etwas'' (''einen Zoll'' u. ä.) ''gefallen sein, einer behördlichen Maßnahme unterstanden haben'', und in der ganz eigentlichen Bedeutung ''untergeschoben gewesen sein'' sagt man sogar: ''der Klotz hatte meist untergelegen'', wie es von einem Verband, einem geschäfteten Kameraden heißt: ''er hat so und so lange übergelegen''. Allerdings mehr süddeutsch sagt man: ''wir sind zum Tanze angestanden'' (= ''getreten''), aber: ''ihm hat nichts angestanden'' (= ''zugesagt''); ''Deutschland hat nicht angestanden'' (= ''gezaudert''), ''Hakon VII. von Dänemark anzuerkennen''. Auch mehr süddeutsch sagt man: ''Sie war auf den Stein'' (''nieder'')''gesessen'', aber: ''sie hatte auf dem Steine gesessen''. Die Art der Bewegungsbezeichnungen ist maßgebend, wenn wir im eigentlichen Sinne sagen: ''Der Freund ist wieder fortgefahren'' (= ''abgereist''), und auch in bildlichem: ''er ist immer im selben Tone fortgefahren''; doch sagt G. Hauptmann (E. Quint): ''und er hatte in folgender Weise fortgefahren: ,Mit diesem Gebet'' ...; und durchaus hat die imperfektivische Art Geltung behalten in der Nennformfügung: ''er hat fortgefahren zu arbeiten''. Überwiegend erzählt man heut, ''man sei geschwommen'', aber mit Subjektsverschiebung: ''der Fußboden hat von Blut geschwommen'', und ebenso übertragen: ''mir hat's vor den Augen geschwommen''. Der Beamte, ''der Uhrzeiger ist gerückt'', aber ''der Schachspieler hat gerückt, der Verlierer hat mit dem Gelde herausgerückt''. Vom Feinde, vom Bettler heißt es: ''er ist durchs Land gestrichen'', aber von den laichenden Fischen und springenden Zwei- und Vierfüßlern: ''sie haben gestrichen''; ähnlich: ''die Polizei hat auch in der Nachbarschaft gestreift'' (''eine Streifung gemacht''), aber: ''der Feind ist bis in die Nachbarschaft gestreift''. Neben: ''er hat geirrt'', jetzt meist: ''er hat sich geirrt steht: er ist umhergeirrt'', neben: ''er hat geeilt'' (= ''sich beeifert''), ''er ist zu Hilfe -, ist fortgeeilt''. Von den Fleischern sagt man: ''sie haben'', von ihren Preisen: ''sie sind'' (auch: ''haben'') ''wieder aufgeschlagen''. Im eigentlichen Sinne sagt man: ''die Karten haben fehlgeschlagen'', aber übertragen vorherrschend: ''alle Berechnungen, Hoffnungen sind fehlgeschlagen''. Man bereut, ''einen auf die große Zehe getreten'' (= ''verletzt'') ''zu haben'', und bedauert, ''jemand auf den Leib getreten'' (''einen Tritt versetzt'') ''zu haben'', aber $Seite107$ vom Jongleur heißt es, ''er ist dem Kraftmenschen auf den Leib getreten'' (= ''er hat sich darauf gestellt''). Ähnlich steht von einem absichtlich ausgeführten Stoße ''haben: der Wächter hat ins Horn gestoßen, wir haben auf sein Wohl angestoßen, der Falke hat auf die Taube'' (''herab'')''gestoßen''; dagegen steht ''sein'', wenn ''stoßen'' so viel ist wie: ''zufällig auf etwas geraten: er ist auf Fehler, auf Schwierigkeiten gestoßen; ich bin im Finstern angestoßen''. Im Sinne von ''Anstoß nehmen'' oder -''geben'' hat dasselbe Wort wieder ''haben: er hat bei seinem Vorgesetzten angestoßen, er hat beim Lesen angestoßen'', wie es auch immer lautet: ''gegen die Regel verstoßen haben''. Von ''langen'' (= ''ausreichen'', [''sich''] ''strecken'') heißt es: ''der Stoff hat gelangt'', wie auch: ''er hat nach ihm'' (''aus'')''gelangt'', aber von ''gelangen: er ist ans Ziel gelangt''. Bei Zeitwörtern, die im eigentlichen Sinne von einer Flüssigkeit als Subjekt ausgesagt werden, steht gewöhnlich ''sein''; dagegen ''haben'', wenn infolge einer Subjektsverschiebung die Stelle, aus der die Flüssigkeit kommt, zum Subjekt wird. Also zwar: ''das Wasser ist vom Berge geronnen, Tränen sind ihm aus den Augen geflossen, das Blut war in großen Massen auf die Strohmatte gerieselt, der Schweiß ist ihm von der Stirn getrieft, getropft'', aber: ''das Faß hat den ganzen Tag geronnen, das Auge hat geflossen'' (''getränt''), ''der Bach hat laut gerieselt, die Stirn hat von Schweiß getrieft''. Dem entspricht auch der Wechsel zwischen: ''der Stein hat geschwitzt, die Röhre hat gespritzt, er hat nur so von Witzen gesprudelt, der Ofen hat gesprüht'', und: ''Blut ist aus dem Herzen des Heiligenbildes geschwitzt, das Blut ist aus der Wunde gespritzt, die Witze sind ihm nur so aus dem Munde gesprudelt, Feuer ist ihm aus den Augen gesprüht''. Oft hat jetzt freilich für die Schriftsprache ein vollständiger Ausgleich stattgefunden, so daß ''haben'' oder ''sein'' allein üblich geworden sind. Wo das nicht geschehen ist, sondern die Bildungen mit ''haben'' und ''sein'' ohne Bedeutungsunterschiede nebeneinander vorkommen, halten einander mundartliche Gewohnheiten noch die Waage oder doch Winderpart, und zwar ist dann die Bildung mit ''sein'' süddeutsche, die mit ''haben'' norddeutsche Art. Allein in Frenssens ,,Jörn Uhl" stehn die drei Sätze: ''So hat er jahrelang durch die Dörfer getrabt. Das tut sie immer, aus Spaß, wenn ich so toll gelaufen habe. Er griff in den Kopf der Garbe, die gereift hatte''. In Süddeutschland herrscht noch vor: ''sie waren gestanden, - gesessen; er war bei der Prüfung wohl -, auf seinem Recht bestanden'', in Norddeutschland: ''er hatte gesessen, bestanden''. In jener Art sagt Volkelt: ''In allen wesentlichen Richtungen ist meine philosophische Entwicklung nie stillgestanden''; in dieser heißt es: ''die Mühle hat Sonntags immer stillgestanden''. Weil Goethe in süddeutscher Weise sagte: ''die Figuren, die daneben gestanden waren'', fügte er auch noch: ''die daneben gestandenen Figuren'', wie wir in der überwiegend norddeutsch geregelten Schriftsprache nicht mehr sagen, weil es in dieser heißt: ''die Figuren, die daneben gestanden hatten''. Umgekehrt ist nicht Lessings, Kants und Schillers Fügung: ''mit jemand so und so verfahren haben'' durchgedrungen, auch nicht Goethes Wechsel zwischen ''verfahren haben'' und -''sein'' dauernd geblieben, sondern das süddeutsche: ''mit jemand verfahren sein'' hat die Herrschaft gewonnen. Der Süddeutsche spricht von ''Bürgern, die ihrem Herrscher treu angehangen waren'', der Mittel- und Norddeutsche von ''solchen, die ihm treu ange''- $Seite 108$ ''hangen hatten''. L. Thoma schreibt noch: ''Ich war tief im Milieu gesteckt'', wie schon Wieland: ''ich bin zu Hause gesteckt'', wir Heutigen sagen in norddeutscher Art: ''wir haben zu Hause gesteckt''.  
Ehedem gab es ein Gesetz der Zeitfolge auch für den Konunktiv in der Weise, daß nach einem Präsens, Perfekt und Futur des Hauptsatzes eine Konjunktivform der Präsensgruppe//1 Sie lautet z. B. von ''lieben'' und ''laufen'' in der dritten Person der Einzahl: Aktiv: ''er liebe, er habe geliebt, er werde lieben, er werde geliebt haben, er laufe, er sei gelaufen, er werde laufen, er werde gelaufen sein''. Passiv: ''er werde geliebt, er sei geliebt worden, er werde geliebt werden, er werde geliebt worden sein''.// und auf ein Präteritum (Imperfekt und Plusquamperfekt) im Hauptsatze eine Konjunktiv- $Seite 362$ form der Präteritalgruppe//1 Diese lautet: Aktiv: ''er liebte, er hätte geliebt, er liefe, er wäre gelaufen''. Nur für den Nachsatz vollständiger und unvollständiger Bedingungssätze (conditionalis). Passiv: ''er würde geliebt, er wäre geliebt worden''. Aktiv: ''er würde lieben, er würde geliebt haben, er würde laufen, er würde gelaufen sein''. Passiv: ''er würde geliebt werden, er würde geliebt worden sein''.// folgte, und während es verkehrt wäre, auf dem Stande des heutigen Neuhochdeutschen von einem solchen Gesetze zu reden, galt es auf einer früheren Entwicklungsstufe unserer Sprache sogar kaum minder streng als etwa im Lateinischen. Einige Trümmer des alten Bestandes treten denn auch heute noch zutage, teils in bestimmten Gattungen der Darstellung, teils in allen Gattungen der Darstellung innerhalb einzelner Satzarten//2 Während O. Erdmann in seinen Grundzügen der deutschen Syntax an dem alten Gesetz noch immer festhält, trotz der vielen Ausnahmen, die er § 204, S. 177 ff zugestehen muß, von Andresen und Wustmann zu schweigen, wurde der neuen Entwickelung schon Heyse-Lyon 28, S. 369 ff. gerecht und zuletzt ebenso George O. Curm, A Grammar of the German Language, New York 1922, p. 237 ff.//.  +
Ein Modewort, mit dem ein ganz unsinniger Mißbrauch getrieben wird, der zu einer Masse von Bildervermengungen führt, ist ''Gesichtspunkt''. Das Wort bedeutet den Punkt, von dem aus man etwas ansieht, wie ''Standpunkt'' den Punkt, auf den man sich gestellt hat, um etwas anzusehen. Beides ist so ziemlich dasselbe. Man sollte doch nun meinen, das Bild, das in diesen Ausdrücken liegt, wäre so klar und deutlich, daß es gar nicht vergessen werden könnte: ''Standpunkt'' und ''Gesichtspunkt'' bedeuten durchaus etwas Räumliches, einen Punkt im Raume. Da ist es nun schon verkehrt, wie es manche sehr lieben, von ''großen'' oder ''allgemeinen'' $Seite 376$ ''Gesichtspunkten'' zu reden. Man kann sich weder unter einem ''großen'' noch unter einem ''allgemeinen Punkt'' etwas denken. Offenbar wird hier der ''Gesichtspunkt'' mit dem ''Gesichtskreise'' verwechselt. Wenn ich mich hoch aufstelle und die Dinge von oben betrachte, so überblicke ich mehr, als wenn ich unten mitten unter den Dingen stehe. Es ändert sich dann auch der Maßstab der Betrachtung; was mir unten groß, im übertragnen Sinne: wichtig, bedeutend erschien, schrumpft zusammen, ja verschwindet vielleicht ganz, wenn ich es von oben betrachte. Man kann also wohl von ''hohen'' und ''niedrigen Gesichtspunkten'' reden, aber nicht von ''großen'' und ''kleinen''. Der ''Geist'' ist ''klein'', der sich nicht zu ''höhern Gesichtspunkten'' aufschwingen kann, auch der ''Gesichtskreis eines solchen Geistes ist klein'', aber ein Punkt ist und bleibt ein Punkt, er kann weder ''klein'' noch ''groß'' sein. Was muß sich aber der ''Gesichtspunkt'' sonst noch alles gefallen lassen! Er wird nicht nur ''berührt, dargelegt, ausgeführt'', er wird auch ''beachtet, ins Auge gefaßt, betont, hervorgehoben, geltend gemacht, aufgestellt, herausgestellt, in den Vordergrund gestellt, zur Diskussion gestellt, verworfen'', er wird ''eröffnet, zu Grunde gelegt, gewonnen'', er wird ''in die Wagschale geworfen'', und zwar so, daß er ''ins Gewicht fällt'', er ist ''maßgebend'', er ''berührt sich mit etwas, man tut etwas unter ihm, es wird etwas von ihm abgeleitet, es entspringt ihm etwas'' usw. Der Leser schüttelt den Kopf? Hier sind die Beispiele: ''zum Schluß möchte ich noch zwei Gesichtspunkte berühren — er legte die Gesichtspunkte dar, die den Ausschuß veranlaßt hätten, die Versammlung zu berufen — es würde mich zu weit führen, wenn ich den angedeuteten Gesichtspunkt näher ausführen wollte — die Prügelstrafe ist nicht nur brutal, sie ist auch ehrenrührig, und diesen wichtigen Gesichtspunkt muß man vor allen Dingen beachten — diesen Gesichtspunkt faßte Kurfürst August jetzt ins Auge — als der Redner diesen Gesichtspunkt scharf betonte — erfreulich ist es, daß der Herzog für das Gefühl vaterländischer Ehre empfänglich ist und bei der Berück- ''$Seite 377$'' sichtigung der Muttersprache diesen Gesichtspunkt besonders hervorhebt — neue Gesichtspunkte wurden in der Debatte nicht geltend gemacht — es sind hier Gesichtspunkte aufgestellt, die in der Tat zur Diskussion gestellt werden müssen — er wußte immer sofort die höhern Gesichtspunkte herauszustellen — man kann den Mittelstand sehr verschieden abgrenzen, je nach den Gesichtspunkten, die man in den Vordergrund stellt — auch der Gesichtspunkt, daß'' (!) ''man mit einer stattlichen Schrift dem Auslande imponieren müsse, ist nicht zu verwerfen — diese Bestimmung eröffnet für die Geschichte der Innung einen neuen Gesichtspunkt — überhaupt möchten wir auf den Gesichtspunkt hinweisen, den alle Gerichte ihren Rechtsprechungen auf diesem Gebiete zugrunde zu legen haben — ich hoffe, daß sich aus meiner Darlegung gesunde''(!) ''Gesichtspunkte werden gewinnen lassen — hier fallen finanzielle'' (!) ''Gesichtspunkte schwer ins Gewicht — diese Frage bildet den maßgebenden Gesichtspunkt, von dem aus wir dem Problem näher treten — dieser Gesichtspunkt der Theaterdirektion berührt sich in mannigfacher Beziehung mit dem Interesse des Publikums — der Theologie wandte er nur unter dem Gesichtspunkte, jederzeit brauchbare Kirchendiener zu haben, seine Fürsorge zu — die allgemeinen Gesichtspunkte, aus denen sich der kritische Vorrang der Originaldrucke lutherischer Schriften ableiten läßt, sind folgende — eine innere Kolonisation, die den oben gekennzeichneten Gesichtspunkten entspringt'' usw. In allen diesen Sätzen ist von dem Bilde, das in dem Worte ''Gesichtspunkt'' liegt, keine Spur mehr zu finden. Es bedeutet etwas ganz andres, es steht für ''Umstand, Tatsache, Grund, Ansicht, Gedanke'', ja bisweilen steht es für gar nichts, es wird als bloßes Klingklangwort gebraucht. Oder bedeutet der Satz: ''neue Gesichtspunkte wurden nicht geltend gemacht'' — irgend etwas andres als: ''neue Gedanken wurden nicht vorgebracht''? der Satz: ''zum Schluß möchte ich noch zwei Gesichtspunkte berühren'' — irgend etwas andres als: ''zum Schluß möchte ich noch zweierlei berühren''? ''Das'' $Seite 378$ ''völkerpsychologische Moment'' (!) ''ist für ihn der maßgebende Gesichtspunkt'' — kann man einen ganz einfachen und einfach auszudrückenden Gedanken in einen unsinnigern Wortschwall einhüllen? Von solchen Sätzen wimmelt es aber jetzt in Büchern, Broschüren und Aufsätzen; Tausende lesen darüber weg, haben das dumpfe Gefühl, irgend etwas gelesen zu haben, aber denken können sie sich gar nichts dabei. Infolge des fortwährenden Mißbrauchs ist es geradezu dahin gekommen, daß dieses gute Wort, das ein so klares und deutliches Bild enthält, und das bisweilen gar nicht zu entbehren ist, einen lächerlichen Beigeschmack angenommen hat, sodaß man es in der Unterhaltung kaum noch anders als spöttisch gebrauchen kann. Eine weitere Folge ist, daß nun gewisse Leute, um das Wort zu vermeiden, es neuerdings durch ''Gesichtswinkel'' ersetzt haben, das freilich gleich von vornherein mit Recht dem Spott verfallen ist. Wie es scheint, wird übrigens bald derselbe Unfug wie mit dem ''Gesichtspunkt'' auch mit dem ''Standpunkt'' getrieben werden. Schon fängt man an, Wörter wie ''Annahme, Ansicht, Meinung, Überzeugung'' alle durch ''Standpunkt'' zu ersetzen und zu schreiben: ''ich stehe auf dem Standpunkte, daß man dieses Verbot wieder aufheben sollte — ich stehe auf dem Standpunkte, daß man zwischen Berlin und Leipzig ohne Umsteigen fahren können müßte — der Standpunkt, daß ein Reisender, der auf derselben Linie zurückfährt, durch eine Preisermäßigung belohnt werden müsse, ist ein'' (!) ''völlig antiquierter''.