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Aus Zweidat
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K
Ungerechtfertigtigter Umlaut macht sich an einigen Wörtern, die ihn allgemein noch nicht haben, bemerklich, so in ''klärer, ründer, der brävste'' (Scheffel!), ''öberst'' und ''vörderste'' (während in der Sonderbedeutung die Form ''zuvörderst'' durchgedrungen ist). Auch ''knapper, knappste, blank, blankste'' verdienen vor den umgelauteten Formen den Vorzug, während gegen ''bänger, blässer, gesünder, glätter, kärger'' nichts mehr einzuwenden ist. Bei ''schmal'' steht unter Anlehnung an ''schmälern'' der Komparativ ''schmäler'' neben dem Superlativ ''schmälste''.
Unter den Adverbien wird ''gern'' gesteigert: ''lieber, am liebsten'', während ''ungern'' zu steigern am besten vermieden wird, und in einem Satze wie bei Vischer: ''„Der Geschlechtsgenuß kommt Goethen so ungemein vergnüglich vor, daß er gern, gar gern, gerner als der Zusammenhang erlaubt, darauf zukommt,"'' wird man nur ein neckisches Spiel mit den Formen erblicken dürfen. Von ''oft'' kommt neben der regelmäßigen Steigerung ''öfter'', ''am öftesten'' auch ein Komparativ mit doppeltem Zeichen vor: ''öft''(''e'')''rer'', wohl veranlagt dadurch, daß die Form ''öfters oft'' kaum noch als Komparativ empfunden wird, und ein vom Komparativ gebildeter Superlativ: ''am öftersten'', die beide keine Sprachsünden sind, da es viel mehr solche Bildungen mit doppeltem Suffixe gibt, als manchem bewußt wird; es sei nur erinnert an ''erste, vorderste, zuvorderst'' (örtlich) oder: ''zuvörderst'' (mehr zeitlich oder der Reihenfolge nach). +
Damit, daß sich der Berichterstatter über die Vergangenheit in die Zeit der von ihm dargestellten Personen und in ihre Denkweise versetzt, hängt es gewiß zusammen, daß in vielen Satzarten, für die auf der Stufe der Gegenwart längst der Indikativ überwiegt, für $Seite 379$ die Stufe der Vergangenheit noch der Konjunktiv erhalten ist, zumal der Konjunktiv des Imperfekts. So in den Absichtssätzen und ausnehmenden Einräumungssätzen (vgl. oben § 360, 2). Sodann gilt dies von den Aussagesätzen, in denen die Erwartung oder Zusicherung des Eintritts eines bevorstehenden Ereignisses ausgesprochen wird (nach ''erwarten, versprechen, versichern, auch befürchten, hoffen'' u. ä.). Denn während man vom Standpunkte der Gegenwart heute natürlicher sagt: ''Ich hoffe'', (''daß'') ''er kommt, daß er kommen wird, er wird kommen'' als ''er werde kommen'', läßt sich von dem der Vergangenheit nur sagen: ''Ich hoffte, er käme'', oder ''er werde'' (''würde'') ''kommen''. Ähnlich liegt die Sache jetzt bei den abhängigen Fragen. In diesen herrscht auf der Präsensstufe durchaus der Indikativ, wenn sie mit einem Frage-, Für- oder Umstandsworte wie ''wer? was? wie?'' u. ä. anfangen, jedoch noch nicht ausschließlich in gewählter Sprache auch nach ''ob'': ''er weiß nicht mehr, was er gesagt hat'', aber: ''ob er wirklich so gesagt habe'' oder ''hat''. Aus der Präteritalstufe sind dagegen solche Indikative wenigstens nach der dritten Person kaum zulässig; denn nur ausnahmsweise finden sich Sätze wie der Goethische: ''Wilhelm war wieder auf seiner Stube, ehe er wußte, wo er sich befand'', wo der Indikativ noch durch das überwiegend mit ihm stehende wissen erleichtert wird. Gewöhnlich heißt es: ''Er erzählte, wie es ihm ergangen sei'' (älter: ''wäre''); ''er berichtete, was er gesehen habe, wie es in der belagerten Stadt aussehe''; dagegen: ''ich wußte nicht, — du wußtest nicht, was ich —, was er gesagt hatte''. +
Groß ist die Unsicherheit auch in Bezug auf die Formen des ja auch seiner Bedeutung nach immer weniger verstandenen Konjunktivs (der abhängigen, unbestimmten oder bedingten Redeweise). Der der Gegenwart, der nie einen Umlaut hat, unterscheidet sich vom Indikativus (der bestimmten Redeweise) besonders durch die stete Beibehaltung des ''e'' nach dem Stamme. Dem Indikativ: ''Ich tu''//1)Die ursprüngliche, allein mustergültige einsilbige Form bietet das Sprichwort: ''was ich denk und tu, trau ich andern zu''; ''tuen'' ist papierne Anlehnung. Auch von ''steh[e]n, geh[e]n'' gestattet das neueste preußische Regelheft die einsilbige Form, und von ''sein'' gehört das ''e'' ja nur an die Konjunktivformen: ''wir, sie seien, ihr seiet''. Aber außerdem darf es in der Nennform wegfallen von allen auf ''h'' oder Selbstlaut ausgehenden Stämmen, also ebensogut heißen ''fliehn, bereun'' und zwar ohne Apostroph, als ''fliehen, bereuen'', letzteres wieder nur etwas breiter und förmlicher. (Vgl. § 110 über ''du sitzest'' und ''du sitzt''.)//, ''du tust, er, ihr tut, wir, sie tun'' steht z. B. der Konjunktiv: ''ich, er tue, du tuest, ihr tuet, wir, sie tuen'' gegenüber. Das geht soweit, daß bei den abgeleiteten Verben auf ''-eln'' und ''-ern'' im Konjunktiv, wenn nicht beide ''e'' beibehalten werden, das zweite ''e'' bleibt, während dies in allen anderen Formen ein norddeutscher Provinzialismus ist. Vgl. § 762). Es heißt also ''mauern'', nicht ''mauren'', ''erleichtern'', nicht ''erleichtren'', ''heucheln'', nicht ''heuchlen'', und davon ''geheuchelt, ich heuchelte'', und im Indikativ der Gegenwart: ''ich heuchle, du heuchelst, er, ihr heuchelt, wir, sie heucheln'', aber im Konjunktiv: ''ich, er heuch(e)le, du heuch(e)lest, ihr heuch(e)let, wir, sie heuch(e)len.'' Durchgängig dagegen wird das erste ''e'' ausgeworfen bei den Verben auf ''-nen'', deren Nennform: ''bezeichnen, trocknen'' durchaus maßgebend ist: Formen wie ''er bezeichent, er ist bezeichent worden'' (statt ''bezeichnet''), die wohl der gewöhnliche Mann spricht, befremden uns daher in der Schriftsprache //1 Die ursprüngliche, allein mustergültige einsilbige Form bietet das Sprichwort: ''was ich denk und tu, trau ich andern zu''; ''tuen'' ist papierne Anlehnung. Auch von ''steh[e]n, geh[e]n'' gestattet das neueste preußische Regelheft die einsilbige Form, und von ''sein'' gehört das ''e'' ja nur an die Konjunktivformen: ''wir, sie seien, ihr seiet''. Aber außerdem darf es in der Nennform wegfallen von allen auf ''h'' oder Selbstlaut ausgehenden Stämmen, also ebensogut heißen ''fliehn, bereun'' und zwar ohne Apostroph, als ''fliehen, bereuen'', letzteres wieder nur etwas breiter und förmlicher. (Vgl. § 110 über ''du sitzest und du sitzt''.)// .
Der Konjunktiv der Vergangenheit, der bei schwachen Zeitwörtern dem Indikativ ganz gleich ist, wird bei starken bekanntlich durch Umlaut, wo dieser möglich ist, aus dem Indikativ gebildet: ''ich bot, ich böte; ich war, ich wäre''. Nur wissen die meisten nicht, daß bei den Verben, welche im Präsensstamm ''i'' + ''nn'' oder ''mm'' und welche ''e'' und in der 2. und 3. Person damit abwechselnd ''i'' vor ''l'' + Mitlaut oder ''r'' + Mitlaut haben //2 Das trifft auch für ''be-'' und ''empfehlen'' zu, da sie für -''felhen'', ursprünglich ''-filhan'', gesprochen: ''filchan'' stehn.// , dem Umlaute nicht die jetzige Vergangenheit mit ''a'' (''begann; warf'') zugrunde gelegt wird, sondern eine ältere, tiefere Pluralstufe, die teils ''o'', teils ''u'' hatte. Es sind einmal ''befehlen, empfehlen, bersten, gelten, schelten, beginnen, gewinnen, rinnen, schwimmen, spinnen'', deren Konjunktiv nicht auf ''ä'', sondern ''ö'' gebildet wird: ''ich börste, gewönne''; sodann ''helfen, sterben, verderben, werben, werden, werfen'', bei denen er auf ''ü'' gebildet wird: ''ich hülfe, ich stürbe'', sowie auch zu ''schand'': ''schünde'' //3 Die Sprache hat hier wieder deutlich und feinfühlig eine ältere Stufe festge-$Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$halten, um Konjunktiv der Vergangenheit und Gegenwart oder auch sonst verwandte und ähnlich klingende Wörter deutlich zu scheiden, und zwar nicht bloß für das Auge, für das auch ''gälte'' von ''gelte'' verschieden wäre, sondern auch für das für die Sprache wichtigere Ohr: Vgl. Paul, Prinzip. (S. 174). ''Schünde'', das seinem Stammauslaute nach von den andern Verben mit ''ü'' im Konjunktiv absteht, hat z. B. dadurch von ''schänden, ich schände'' abgerückt werden können; umgekehrt ist allein ''ich bärge, verbärge'' von ''(ver)bergen ''herrschend geworden (gegenüber ''verbürge'' noch bei Klopstock), so daß das Wort besser geschieden ist von ''bürgen, verbürgen = Bürge sein''. Von ''bersten'' steht z. B. bei Schiller richtig: ''börste'', Endlich sollte man hierzu auch fest rechnen ''schwöre'' = ''eidlich bekräftigen'': ''ich schwur, ich schwüre''; dann wäre eine feste Unterscheidung von ''schwäre'' (''es schwiert'' besser als ''schwärt''), ''es schwor, es schwöre'' gegeben. Die Trennung entspräche wieder der mhd., wo jenes gehn konnte: ''ich swuor, geswarn'' und dieses ging: ''ich swor, gesworn''; denn nur beider ''a'' sind gleichmäßig unter dem Einflusse bei trübenden ''w'' zu ''o'' geworden. Auch der Gebrauch entspricht dieser Trennung noch überwiegend: vom zweiten kann man es freilich hauptsächlich nur im Volksmunde beobachten, von ''schwören = bekräftigen'' aber bietet allein Sanders gr. Wörterbuch für ''schwur'', das auch bei Goethe häufiger ist als ''schwor'', 14, für dies nur einzelne Belege, und als Konjunktiv fünfmal allein ''schwüre''. Von ''beschwören'', das keine andersdeutige Form neben sich hat, herrscht allein: ''er beschwor'', von ''verschwären'' anderseits bildet Heer Wieber mit ''verschwärtem Rücken'' zur Ausweichung gegenüber den ''Verschworenen''.// und freilich nicht gleich notwendig und überwiegend $Seite 96$ zu ''stand'': ''stünde'', überhaupt läßt sich nicht leugnen, daß diese aus dem Lautsystem der Verben heraustretenden einzelnen abweichenden Formen immer seltener und meist durch Umschreibungen mit ''würde, möchte, wollte'' ersetzt oder von den Formen mit ''ä'' überwuchert werden.
Eine in Bayern auch im Munde Hochgebildeter zu hörende Unform ist: ''wenn ich nicht bräuchte'', aber unberechtigt ist auch der Umlaut im Konjunktiv der durchaus schwachen Formen ''brannte, kannte, nannte, rannte'', der nur ''daß es brennte, er kennte, nennte, rennte'', nicht ''brännte'' lauten darf. Dagegen ist es heute falsch, dieses ''e'' mit dem Volke und älteren Schriftstellern auch im zweiten Mittelworte beizubehalten und z. B. wie Boyen zu schreiben: ''Magdeburg war nur auf einer Seite von den Franzosen berennt'' (statt ''berannt'') //1 Ebenso hieß ehemals das zweite Mittelwort von ''stellen'': ''gestalt'', und zwar auch in dem Sinne von ''gemacht, gestaltet'', welche Form erst aus einer Weiterbildung von jenem ''gestalt, gestalten'', gebildet ist. Die ältere, kürzere Form ist auch in den älteren jetzt adjektivisch angewandten Prägungen ''wohl-, un-, mißgestalt'', auch in ''schöngestalt'' durchaus zu wahren und nicht zu dem jüngeren ''wohl-, ungestaltet'' zu verbreitern.// ''a''. — Von ''senden'' und ''wenden'' heißt das Imperfekt ''sendete'' oder ''sandte, wendete'' oder ''wandte'', der Konjunktiv dazu aber nur ''sendete, wendete''. Die 2. Mittelwörter dazu heißen ''gesendet'' oder ''gesandt, gewendet'' oder ''gewandt'', daher auch ''der Gesandte'' (aber ''der Versand, die Versandliste''). — ''Er überwandt'' (statt: ''überwand'') ''den Eifer seiner Landsleute'' (Osk. Schmitz) ist eine — auch nicht mehr seltene — Vermengung von ''winden'' und ''wenden''!
Vielmehr jedoch als durch solch seltenere Fälle und durch jene äußere Ähnlichkeit der Formen kann das Gefühl für die eigentliche Bedeutung des Konditionals abgeschwächt und unsicher gemacht werden durch die Gleichheit der Form mit der Präteritalstufe des Konjunktivs der Zukunft: ''er würde gehn'' neben ''er werde gehn''. Denn zwei Umstände haben hier zusammengewirkt, grade diese Präteritalform des Konjunktivs auch für viele Fälle zu erhalten, in denen für andere Konjunktive bereits die Präsensstufe herrschend geworden ist. Das ist neben dem hier besonders einflußreichen Zusammenfallen der Formen der Indikativ- und Konjunktivreihe der Umstand, daß die Konjunktivform des Futurums nach dem innersten Wesen des Konjunktivs und des Futurums die darin gemachte Aussage als doppelt bedingt erscheinen läßt, als abhängig von allerhand noch möglichen Umständen, ohne daß diese angedeutet zu sein brauchten. Kein Wunder also, daß bei Goethe mit Abwechslung der Zeitstufe steht: ''Die Anstalten ließen keinen Zweifel mehr übrig, daß die Armeen bald vorwärts rücken und der Prinz zugleich sein Hauptquartier verändern würde''; ja es hieß, daß ''der Graf auch zugleich das Gut verlassen und wieder nach der Stadt zurückkehren werde'', und sogar im Bedingungssatze: ''Dieser ließ sich das wunderliche Begehren insofern gefallen, als es möglich sein würde'' (direkt: ''sein wird''). Den Futurbegriff glaubte Gellert besonders ausdrücken zu müssen, wenn er schrieb: ''Er gab mir allerhand Regeln, wie ich meine Kinder ziehen sollte, wenn unsere Ehe fruchtbar sein würde'', und ähnlich G. Freytag: ''Das Weib wünschte uns Unheil, wenn wir auf unserm Wege den Kriegern ihres Volkes begegnen würden''. Trotzdem heißt es nicht, der Sprache Gewalt antun, sondern nur, die natürliche Entwicklung fordern, wenn man zwischen ''ich werde'' und ''ich würde tun'' in der indireken Rede nach denselben Grundsätzen wählt wie zwischen allen andern Konjunktiv- Formen der Präsens- und Präteritalreihe. G. Keller hat denn auch nicht nur geschrieben: ''Sie glaubte, daß es sich bald verziehen werde'', sondern sogar: ''Als ich damals mit dem Messer nach ihrer Sohle stach, sagte sie, dachte ich nicht, daß ich einst so Ihnen gegenüber sitzen werde'', wo nur der Zusammenhang die Auffassung als Indikativ ausschließt. Vollends dann aber wird man zwischen beiden Formen gewissenhaft wählen, wenn man dadurch dem geforderten Sinne gerechter werden kann. Die Deutsche Ztg. hatte z. B. geschrieben: ''Es gewinnt den Anschein, als ob sich im Schoße der Fortschrittspartei eine Spaltung vorbereite'' (schon jetzt) ''und die Partei in zwei Fraktionen zerfallen würde'', und dazu hat ein Sprachmeister bemerkt, es müsse heißen: ''zerfiele''. Die gebotene wie die geforderte Form trifft den Sinn nicht genau. Diese schiebt dem Schreiber die Ansicht unter, daß die Partei, noch während er so urteilt, zerfalle; jene läßt uns nach irgend einer Bedingung umblicken, unter der der Zerfall eintreten solle; beide Irrtümer sind ausgeschlossen durch die Form: ''es gewinnt den'' $Seite 376$ ''Anschein, als ob die — Partei zerfallen werde''; das ist die Form für eine zwar subjektive, doch unbedingte Behauptung eines zukünftigen Ereignisses. Musterhaft ist dagegen das würde in der Stelle aus dem Tell: ''Sie entließen mich mit leidgem Trost, der Kaiser habe diesmal keine Zeit .... Er würde sonst wohl einmal an uns denken''.
Neben den Verwendungen des Konjunktivs der Vergangenheitsreihe, die deutlich und innerlich alle mit seiner Grundbedeutung zusammenhängen, geht nun aber eine andre, rein äußerliche her: er tritt überall da als Ersatz für den durch den Inhalt geforderten Konjunktiv des Präsens ein, wo dessen Formen sich nicht von den entsprechenden indikativischen unterscheiden. Die Sprache wählt also in ihrem Drange nach Deutlichkeit und Unterscheidung lieber die Konjunktivstufe, die den Gegensatz zur Tatsächlichkeit stärker bezeichnet, als daß sie das Subjektive ganz unbezeichnet ließe. Sie läßt sich an der Durchführung dieses Mittels selbst dadurch nicht beirren, daß sie dabei in den präteritalen Konjunktiven schwacher Verben Formen anwenden muß, die von den indikativischen des Imperfekts nicht unterschieden sind; nur mit Recht. Denn Zusammenhang und Erfahrung klären uns nicht einer präsentischen, aber wohl einer präteritalen Form gegenüber sofort darüber auf, ob sie eine Tatsache der Vergangenheit, die wir als solche ja kannten, oder bloß den Inhalt einer Vorstellung oder Mitteilung ausdrücken kann. Deshalb also und nicht aus Willkür wechseln die beiden Konjunktive z. B. in dem Satze von E. T. A. Hoffmann: ''Mir ist, als würd’ ich von dunkler Nacht umfangen und kein Hoffnungsstern leuchte''; oder bei Gregorovius: ''Man sagt von diesem lebendigsten Bach''(''e'') (Elbas nämlich), ''daß er nicht auf der Insel entspringe, sondern von der Insel'' $Seite 367$ ''Korsika komme'' ... (der Konjunktiv, weil das Ganze als Sage hingestellt werden soll); ''Kastanienblätter und Zweige, die das Wasser mit sich führt'' (das geschieht wirklich!), ''zeigten wirklich seine korsische Herkunft'': bei ''„zeigen“'' könnte die Begründung als eine tatsächlich berechtigte erscheinen; der präteritale Konjunktiv, der eine Mitteilung einer vergangnen Tatsache nicht enthalten kann, dient also deutlich dazu, auch für die Begründung der Sage deren Erzählern die Verantwortung zu überlassen.
Man wird also gut tun, mit diesem Aushilfsmittel, das das Sprachgefühl mit sicherm Takt und, wie gezeigt, durchaus in berechtigter Weise gewählt hat, nicht zu geizen, zumal auf Kosten der Deutlichkeit. Schiller und Hauff haben sich freilich noch gar manchmal, auch in größerem Umfange, derartiges gestattet: ''Er glaubt zu fühlen, es haben'' (statt ''hatten'') ''diese Leute als Menschen mehr innern Gehalt als die, die er in seinen Gauen kennen gelernt hatte''. Unter den Neueren hält G. Keller wohl einzelne mit dem Indikativ zusammenfallende Formen des Konjunktivs der Gegenwart doch für verständlich; C. F. Meyer hat sogar ganze lange indirekte Reden, in denen kaum eine Form deutlich als Konjunktiv erkennbar ist, namentlich in dem ihrem Stoffe nach in alte Zeiten gehörigen Erzählungen. In der gewöhnlichen verstandesmäßigen Schriftsprache, deren erstes Ziel Deutlichkeit ist, darf das deswegen nicht gestattet werden. Wohl aber mag solch ein unerkennbarer Konjunktiv weniger stören, wenn er innerhalb vieler kenntlichen Konjunktive mit unterläuft oder seine Auffassung als Indikativ durch den Zusammenhang ganz ausgeschlossen ist. So bei E. T. A. Hoffmann: ''Es war mir, als müsse ich ihm erzählen, daß ich wieder recht albern gewesen sei und mich habe schrecken lassen von dem tollen Hermogen''; und: ''Die hl. Rosalia sollte nur mal mein sein; denn dafür wäre ich Mönch und habe die Weihe erhalten''; bei A. Stifter: ''Die Mutter war sehr erfreut, daß der Aufenthalt in der freien Luft für den Vater von so wohltätigen Folgen sei; seine Wangen haben sich nicht nur schön rot gefärbt, sie seien auch locker geworden''; bei G. Keller: außer in seinem Beispiel zu § 366 auch: ''Schon waren die Kleinen fort, als der Mann mir mürrisch anzeigte, ich habe mir eine andere Unterkunft zu suchen, da er selbst ... ausziehe''; und bei W. Raabe: ''Nun ist es mir gewesen, als sei diese Stimme schon ganz lange Zeit in mein Ohr geklungen und ich habe nur nicht darauf geachtet''. Das sind gewiß maßgebende Muster für den Satz der Tgl. R.: ''Mr. Fendall meinte, der Raja habe durchaus gewollt, er solle mir seinen Besuch mit hohem schwarzem Hute machen, und lediglich dem Mangel eines solchen habe'' (statt ''hätte'') ''ich es zuzuschreiben, daß dieses nicht geschehen sei''. Unerträglich aber wird es, wenn mehr solche Formen den Hörer in der Auffassung als Indikativ bestärken und eine Unsicherheit hervorrufen, ob denn wörtliche oder abhängige Rede vorliege, wie in dem andern Zeitungssatze: ''Wenn ich ihnen vorhielt, daß sie einem Staate, dessen Schutz sie so lange genossen haben'' (statt ''hätten''), ''nun doch auch zu jedem rechtmäßigen Dienste verpflichtet seien, so hielten sie mir entgegen, sie seien gute Untertanen des Kaisers, das haben'' (statt ''hätten'') ''sie im Krimkriege bewiesen, indem sie sich persönlichen Gefahren ausgesetzt haben'' (statt ''hätten'')//1 Mit vollem Recht zog also Wustmann in dem Abschnitte vom unverkennbaren Konjunktiv gegen diesen und gegen solches Schwanken zwischen Konjunktiven und $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ scheinbaren Indikativen los. Nur schoß er zweimal übers Ziel, wenn er auch in manchen Sätzen, deren Indikativ die Zustimmung ihres Schreibers zu dem mitgeteilten Gedanken ausdrücken soll, einen solchen undeutlichen Konjunktiv erkennen wollte und dafür den deutlichen des Imperfekts verlangte, und ebenso damit, daß er sich gegen die in Zeitungsberichten und Protokollen herrschenden präsentischen Konjunktive schlechthin ereiferte statt nur die zu tadeln, deren Form unkenntlich ist. Einige Lektüre der Lehrjahre Goethes und der historischen Schriften Schillers hätte ihn von dem Wahne heilen müssen, daß die Vorherrschaft des präsentischen Konjunktivs nur etwas „hochmodernes" sei. Vielmehr ist die heute in der Schriftsprache ziemlich herrschende Form nichts als die schon alte, jetzt aber allgemein durchgedrungene süddeutsche Art und setzt schon bei Grimmelshausen ein. — Eine eigenartige Erklärung der präsentischen Konjunktive gibt Wunderlich, Satzb., Bd. 1 (2. Aufl. S. 343 ff.).//. Umgekehrt ist dagegen beobachtet worden, daß die in der $Seite 368$ gesprochenen Rede kaum noch zu hörende Form ''ihr seiet'' auch in der abhängigen Rede kaum vorkommt, vielmehr in dieser Person durchweg ''ihr wäret'', wie überhaupt der imperfektische Konjunktiv ''wäre'' und ''hätte'' noch ziemlich üblich ist (§ 360, 1); desgleichen, daß die Vergangenheitsformen: ''er könnte, dürfte, sollte, wollte'' noch überwiegen gegenüber den nach der neuen Regelung zu erwartenden Gegenwartsformen ''könne, dürfe, solle, wolle''. Vgl. noch bei E. T. A. Hoffmann: ''Er äußerte, daß nichts leichter sei als dieses, da jeder gebildete Fremde im Zirkel des Hofes willkommen wäre, er dürfe nur dem Hofmarschall einen Besuch machen''; und allerjüngst bei G. Hauptmann: ''ohne zu fragen, — wer Quint wäre und aus welchem Grunde er gekommen sei, fing sie sogleich an''.
Die Hauptaufgabe, die dem Konjunktiv des Imperfekts im Nebensatze zugefallen ist, besteht darin, schlechthin die Nichtwirklichkeit zu bezeichnen. Diesem Zwecke dient er in Nebensätzen, voran relativischen, die sich an einen wirklich oder dem Sinne nach, besonders durch Frageform verneinten Hauptsatz anschließen; denn dessen Verneinung spricht auch der Aussage des Nebensatzes die Wirklichkeit ab: ''Ich habe niemand von dieser Profession gesehn, der mir besser gefallen hätte und der mehr verdiente'' (''noch jetzt'') ''belohnt zu werden'' (Goethe). ''Ist denn'' (''wo ist denn'') ''auch nur ein einziger, der die niederträchtige Beschuldigung mir ins Gesicht zu wiederholen wagte'' (''wagen möchte'' oder ''wollte'')''? Ich weiß nichts davon, daß ich mich geändert hätte'' (C. F. Meyer). ''Weit entfernt, daß dieses Geständnis den Kardinal beruhigt hätte, blies es vielmehr anfachend in die Glut seiner Eifersucht'' (Ders.).
Die gleiche Wirkung wie verneinte Sätze hat auch eine Angabe des höheren oder zu hohen Grades, auf den ein Satz mit ''als daß'' folgt, ebenso bei ''ohne daß'' die in ohne liegende Verneinung. ''Die Materialien sind wohlgeordnet, ohne daß darum ihre Ursprünglichkeit litte'' (Varnhagen). ''Nur zu beschäftigt sind ich ihn, als daß er Zeit und Muße könnte haben, an unser Glück zu denken'' (Schiller). Auch die Verben des Hinderns, überhaupt die verneinenden Sinnes und dazu die Redensart ''es fehlt'' (''viel'') ''daran, daß'' werden im wesentlichen nach folgender Regel gefügt: gleichgültig, in welcher Zeit sie selber stehn, folgt zur Bezeichnung eines gleichzeitigen Ereignisses der Konjunktiv des Imperfekts, eines vorhergegangenen oder abgeschlossenen der des Plusquamperfekts: ''Wir können'' (''konnten'') ''es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten'' (''nicht redeten''). ''Es fehlt''(''e'') ''nur noch, daß ich darob auch noch der Widersetzlichkeit gegen die Staatsgewalt beschuldigt worden wäre.'' +
Im allgemeinen ist die Grenzfrage für Indikativ und Konjunktiv noch wohl geregelt, und zwar für die Fälle, in denen es zwischen beiden Aussageweisen zu wählen gilt, folgendermaßen: Weder allein das regierende Zeitwort noch gar die Konjunktion, sondern mehr als alles die subjektive oder objektive Färbung des Gedankens entscheidet für Indikativ oder Konjunktiv. (Vgl. S. 3911) und § 370 und 372). Somit wird der Indikativ — heute — unbedingt erfordert durch Wendungen, unpersönliche zumal, die einfach den Eintritt eines Ereignisses feststellen, wie es geschieht, ereignet sich und die zugehörigen Aktiven: ''bewirken, durchsetzen'' u. ä., nicht minder durch solche, die das Bestehn einer Sitte, eines Zustandes oder gar ausdrücklich die Tatsächlichkeit eines Vorganges, das Zusammentreffen des allgemeinen Urteils mit der Wirklichkeit ausdrücken: ''es ist Sitte, Gewohnheit, Recht, Tatsache, es ist'' (''allgemein'') ''bekannt, steht fest, ist gut, wer wüßte nicht? alle Welt weiß'' u. ä. Eben deshalb ist der Satz Behaghels: ''Daß, formal betrachtet, dieser Modus im Deutschen der Optativ sei, ist bekannte Tat-'' $Seite 377$ ''sache'', so wenig mustergültig wie der Herders: ''Man weiß — allgemeine Wahrheit — daß, wenn man am emsigsten sucht, man oft am wenigsten finde'' (statt: ''findet''). Auch W. Helpach durfte nicht schreiben: ''Es ist heute schon Erfahrung, es ist Tatbestand, daß innerhalb derselben Rasse der Schmaling psychologisch wesensanders sei als der Dralling und daß über Rassen- und Völker-, über Alters- und Standesgrenzen hinweg der Schmaling dem Schmaling, der Dralling dem Dralling wesensverwandt sei''; und K. Hildebrand in der Deutschen Rundschau nicht: ''In diesem Sinne bleiben noch heute neun Zehntel der Menschen Kinder; und es ist gut, daß dem so sei'' (statt ''ist'')//1 Es muß betont werden, nicht das regierende Verb bloß, sondern der ganze regierende Satz entscheidet: sonst geht es einem wie Andresen, der mit dem obigen Satze Herders den Goethischen gleichsetzt: ''Ich bin gewiß, daß dieser Druck ... Folgen haben werde'', und nach dem Vorgange Adelungs auch den Gellertschen: ''Wisse, daß Gelehrsamkeit ohne Tugend weder für dich noch die Welt Glück sei''. Aber trotz des Wortes gewiß kann mit der Formel: ''Ich bin gewiß besonders stark das Subjektive einer persönlichen Überzeugung hingestellt werden, und noch deutlicher drückte die Heischeform wisse aus, daß die Überzeugung des Redenden noch nicht auch die des Angeredeten ist, also nicht als allgemein oder im vorliegenden Fall anerkannte Wahrheit hingestellt werden kann!''//. Bloßer Mischmasch zwischen Bedingungs- und Wunschform ist vollends die Wendung: ''In natürlicher Pose — wenn mir diese Contradictio erlaubt sei — steht der jugendliche Siebzigjährige da'' (DAZ.28).
Der gewöhnliche Mann in Mitteldeutschland setzt, wo er in Mitteilungen über vergangene Erlebnisse nach seinem Sprachgefühl überhaupt noch den Konjunktiv zu benötigen glaubt, fast durchgehend noch die Konjunktive der Präterita: ''Mein Freund klagte mir, daß er die Stelle nicht bekommen hätte, worauf ich ihm entgegnete, da sie wenig einbrächte und mit vieler Mühe verbunden wäre, müßte er sich zu trösten wissen.'' Ebendaher rühren denn auch die Formen ''hätte'' und ''wäre'', die inmitten sonst ganz anderer Konjunktive der abhängigen Rede (vgl. § 361 ff.) noch vielfach erscheinen. Denselben Stand weist die naive Erzählung, zumal der dem Volksmunde abgelauschte Ton der Grimmschen Märchen auf. Wie in dem Satze: ''Die sagten, sie sollte ihnen ihr Rätsel vorlegen; es wären die rechten Leute gekommen, die hätten einen so feinen Verstand, daß man ihn wohl in eine Nadel fädeln könnte'', sind dort die Zeiten des Konjunktivs hundert- und tausendmal gebraucht. Ebenso regelmäßig ist dort in den freilich seltneren Fällen, wo im Hauptsatze die Gegenwart steht, gewöhnlich die präsentische Form des Konjunktivs gewahrt: ''Es wird auch erzählt, daß, als Rotkäppchen der alten Großmutter wieder Gebacknes brachte, ein andrer Wolf ihm zugesprochen und es vom Wege habe ableiten wollen.'' +
Die Satzarten zweitens, in denen die alte konjunktivische Zeitfolge im allgemeinen gewahrt geblieben ist, sind die eine nachträgliche Ausnahme bringenden Konjunktivsätze mit ''denn'' und alle Absichtssätze; und zwar ist sie strenger gewahrt in finalen Adverbialsätzen (mit ''auf daß, damit'' oder bloßem mit jenen Bindewörtern vertauschbarem ''daß'') als in finalen Objektssätzen, die nur die Ergänzung zu einem Zeitworte enthalten, das eine Absicht, Erlaubnis oder Vorschrift, ein Streben, einen Willen, Entschluß, Rat oder Befehl ausdrückt. So ist denn noch heute G. Keller mit vielen Stellen bei Luther im Einklang, wenn er schreibt: ''Sie bat R., daß er ihren Eltern und niemand'' $Seite 363$ ''etwas davon sagen möchte, da es ihr für lange Zeit .... zur Lächerlichkeit gereichen würde'', oder: ''Sie verlangte, die Kerle sollten schweigen'', aber: ''Ich habe einige Zeilen in meine Gedenkblätter geschrieben, damit uns ihre Begegnung so recht frisch im Gedächtnis bleibe''. — Bei den ausnehmenden Sätzen mit ''denn'' würde übrigens neben einem Präsens der Konjunktiv des Imperfekts wenigstens von allen schwachen Verben die Auffassung ermöglichen, als ob eine bereits vollzogene Tatsache ausgenommen würde, weil er ja da dem Indikativ gleich ist; nicht so der der Gegenwart: ''Niemand wird gekrönt, er kämpfe denn recht''. In der Vergangenheit gibt es dies Bedenken nicht, weil da die Aussage vom Vollzuge der Haupthandlung zugleich auch den Eintritt der gestatteten Ausnahme angibt und so auch den Indikativ ermöglicht. Die kürzere indikativische Form des Goethischen Satzes: ''Er entfernte sich niemals weit, er sagt' es ihr denn'', ist also für diese Zeitstufe sehr wohl möglich neben der in Prosa üblicheren: ''er hätte es ihr denn gesagt''. +
Der Konjunktiv gehört in Nebensätze, die sich an einen Imperativ anschließen und selber noch zur Willensäußerung gehören. Musterhaft steht also in Schillers Turandot: ''Teile sie mit einem würd'gen Gatten, der klug sei und den Mächtigen'' $Seite 380$ ''nicht reize''; denn ein solcher Gatte soll erst gesucht werden. Nur einer Frau gegenüber, die einen solchen Gatten schon besitzt, dürfte es heißen: ''Teile sie mit deinem'' (''dem'') ''liebenswürdigen Gatten, der klug ist und den Mächtigen nicht reizt''. Gleichwohl erscheinen gerade nach Imperativen und andern Äußerungen der Willensmeinung Sätze, die inhaltlich durchaus noch zu dieser gehören, heute gern im Indikativ, und es wird lieber nicht wie im Grimmschen Märchen gesagt: ''Nur wollte ich, daß einer da wäre, der mir den Wagen nachbrächte'', sondern ''nachbringt''. Das hängt mit einer großen Abneigung des Volkes gegen den Konjunktiv zusammen, dessen Feinheiten es oft nicht versteht; zum Teil freilich auch mit einer natürlichen Entwicklung, die viele der einst für jeden abhängigen Gedanken angewandten Konjunktive hat verschwinden lassen, zum großen Teile in einer Weise, die unsrer verstandesmäßigern Auffassung der Sprache wohlbehagt. So ist der Konjunktiv nach Komparativen geschwunden bis auf den oben § 361, 4 erwähnten Rest, den Konjunktiv des Imperfekts in Sätzen mit ''als daß''; dem entsprechend natürlich auch nach ''ehe'' und ''bevor'', wenn sie nicht gerade nur vorgestellte Ereignisse einführen. +
In einräumenden Sätzen hat sich der Konjunktiv nur in bestimmten Fällen erhalten: auf der Präsensstufe, um die Annahme bloß möglicher Fälle stärker zu betonen, namentlich aber auf der präteritalen für solche Fälle, deren Verwirklichung fernerliegt. Daher die dreifache Form: ''Krachts gleich — so, wenn das z. B. beim Gehn über eine Eisdecke gehört wird —, brichts doch nicht. Er falle gleich — was möglich ist —, so preiset ihn mein Lied. — Und käm' die Hölle selber in die Schranken — was nicht zu verwirklichen ist —, mir soll der Mut nicht weichen und nicht wanken''. Auch neben ''wer auch, wie auch'' stand zunächst der Konjunktiv der Gegenwart: ''Wie sehr auch immer der Sinn alles Lebens ein Hinaufsteigen zu höheren Formen sei, der letzte Sinn aller Formen ist, daß sie leben'' (Korff); ''Was es auch sei, dein Leben sichr' ich dir'', (Schiller), immer häufiger ist auch hier der Indikativ eingedrungen: ''Was Ihr auch zu bereuen habt, in England seid Ihr nicht schuldig'' (Ders.); ''Für jede Seelenwunde, wie tief sie auch brennt, hat Zeit, die große Trösterin, den wahren Balsam'' (Curme). Ja für vergangne Ereignisse ist in Sätzen der letzten Art — neben der Umschreibung mit ''mögen'' — nur der Indikativ möglich: ''Wie strafbar auch des Fürsten Zwecke waren, die Schritte, die er öffentlich getan, verstatteten noch eine milde Deutung'' (Schiller). +
Wenn es ein erfreuliches Ergebnis ist, daß wir grade jetzt und unter dem Einfluß bedeutender Erzähler wieder zu einer sichern und geregelten Anwendung der beiden Konjuktivreihen gelangt sind, allerdings auf einer andern, aber am Ende sogar berechtigteren Auffassung vom Wesen des Konjunktives als früher, so steht daneben leider eine Reihe von Erscheinungen, die laut und deutlich von einer schlimmen Abstumpfung des heutigen Sprachgefühls für die Eigenart des Konjunktivs überhaupt zeugen. Diese verrät sich darin, daß Hilfszeitwörter des Modus angewendet werden, wo sie überflüssig sind, daß die futurischen und konditionalen Formen in ihnen zu verschließende Nebensätze eindringen, endlich (§ 367 f.) darin, daß sich der Indikativ, ohne eine feste Grenze anzuererkennen, auf Kosten des Konjunktivs immer weiter ausbreitet. +
Ganz unbezweifelt ist bei ''kosten'' (= ''zu stehn kommen'') die Gleichberechtigung des dritten Falles, der auch hier schon mhd. belegt ist, mit dem vierten, wenn dieser auch, wie bei allen kausativen, so auch bei diesen nach seiner Bedeutung ''„aufwenden machen“'' ursprünglich allein berechtigt, auch noch etwas vorherrschend ist, zumal bei eigentlichen Preisangaben//1 Also gewöhnlicher: ''Das Einbinden kostet mich 1,20 M''., dagegen auch gewöhnlicher: ''Die Behauptung Siziliens kostet den Karthagern viel Blut'' — oder mit Bismarck: ''Das erste Mal, daß mir ein Abschied Tränen kostete''. Vgl. § 212.//. Schon in der Zeit, wo dieser Akkusativ noch mehr vorherrschte, ist er auch in die dem Sinne nach gleichbedeutende Wendung zu stehen kommen und bei dem freilich nur in gewöhnlicherer Rede stehenden bloßen ''kommen'' eingedrungen, wohl ohne heute noch beanstandet werden zu können, wenn auch der Dativ hier berechtigter ist; und Hildebrand im Wb. V, 1639 stellt sogar das Muster so aus: ''Wie hoch kommt dich'' (''dir'') ''das zu stehn?'' +
Abgesehen von alten, einst lebensvolleren Formeln wie ''Fug und Recht, Grund und Boden, Haus und Hof, Mann und Maus'' bleibt es eine fehlerhafte Überfülle des Ausdrucks, wenn derselbe Begriff durch zwei sinnverwandte Ausdrücke wiedergegeben wird, wie es besonders in Fremdwörtern schwelgende Schriftsteller treiben, sei es mit schon im Begriff liegenden Beiwort vor dem fremden Hauptworte wie: ''ganze Totalität, mögliche Eventualität, jährliche Annuitäten, Unantastbarkeit der Integrität'' oder mit gleichbedeutenden deutschen und fremden Ausdrücken nebeneinander, wie ''Basis und Wurzel'' (!) ''der Sitte, dieses besondere und partikuläre Vorgehn, Kultur und Bildung, die grandiose gewaltige Rundschau, ein faszinierender überwältigender Eindruck''. Ob sie durch solche Doppelung sich selber den Ausfall des unmittelbaren Gefühls ersetzen oder dem Verständnis ihrer Leser zu Hilfe kommen wollen? Jedenfalls rechtfertigt eins so wenig als das andere diese Unsitte, die sie am besten loswerden, wenn sie ganz deutsch reden. +
Ein Irrtum ist es, wenn man glaubt, aus dem Indikativ ''kannte'' einen Konjunktiv ''kännte'' bilden zu dürfen. Die sechs schwachen Zeitwörter: ''brennen, kennen, nennen, rennen, senden'' und ''wenden'' haben eigentlich ein ''a'' im Stamm, sind also schon im Präsens umgelautet. Ihr Imperfekt bilden sie ebenso wie das Partizip der Vergangenheit (durch den sogenannten Rückumlaut) mit ''a'': ''brannte, gebrannt, sandte, gesandt'', und da der Konjunktiv bei schwachen Verben nicht umlautet, so sollte er eigentlich ebenfalls ''brannte, sandte'' heißen. Zur Unterscheidung hat man aber (und zwar ursprünglich nur im Mitteldeutschen) einen Konjunktiv ''brennete, kennete, nennete, rennete, sendete'' und ''wendete'' gebildet. Das ''e'' dieser Formen ist nicht etwa ein jüngerer Umlaut zu dem ''a'' des Indikativs, sondern es ist das alte Umlauts-''e'', das durch das Präsens dieser Zeitwörter geht. Wirft man nun, wie es jetzt geschieht, aus ''brennete'', ''kennete'' das mittlere ''e'' aus, das in ''sendete'' und ''wendete'' beibehalten wird, so bleibt ''brennte, kennte'' übrig. In früherer Zeit gehörten noch andre Verba zu dieser Reihe, z. B. ''setzen'' und ''stellen''; der Konjunktiv des Imperfekts heißt da ''setzte, stellte'', der Indikativ und das Partizipium aber hießen früher: ''sazte, stalte, sesazt, gestalt'' (das noch in ''wohlgestalt, mißgestalt, ungestalt'' erhalten ist). +
L
Schlechthin fügungswidrig wirkt die Vermischung des durchgehends mit dem Dativ verbundenen ''nach'' mit dem bloßen Genetiv. Gleich gut schrieben Grimm: ''nach meinem unmaßgeblichen Erachten'', und Wieland: ''Meines Erachtens würde ihre'' $Seite 142$ ''Erzählung sehr dabei gewonnen haben''; aber falsch ist die Fügung: ''Goethe ist seines ursprünglichen Berufs nach kein dramatischer Dichter'' bei Platen, ebenso heute häufige Verbindungen wie: ''seines Standes nach, seines Erachtens nach, meines Wissens nach''.
''Nach'' ist seinerseits wieder für das ihm gleichwertige ''laut''//1 Ursprünglich: ''nach Laut'', d. i. Wortlaut, Inhalt. Die folgende Auffassung stimmt zu dem allgemein als notwendig erkannten Verzichte auf die Kasusbezeichnung an bloßen Substantiven nach ''voll'' und überhaupt Quantitätsbegriffen (vgl. mehr in § 186 f.).// verderblich geworden, indem sich von jenem aus der Dativ an dieses geheftet hat statt des Genetivs, den es als ein aus einem Substantive hervorgegangenes Verhältniswort wie die meisten derartigen (z. B. ''kraft, mittels, statt, vermöge'') durchaus fordert; jetzt freilich bei der herrschenden Bequemlichkeit schon vergebens von bloßen, d. h. selbst ohne Artikel stehenden Hauptwörtern. Also mag man hinnehmen: ''laut Bericht''(''en''), - ''Gesetz'' (statt: ''laut Berichtes, - Gesetzes''), ''laut Übereinkommen'' (statt: ''laut Ubereinkommens''); aber nie sollte man sagen: ''laut amtlichen Nachweis des amerikanischen Konsulates'' (statt: ''laut amtlichen Nachweises''), und lieber auch nicht: ''laut dem Abkommen'' (statt ''laut des'' (''jenes'') ''Abkommens''); ''laut ärztlichem Gutachten''. +
Den vorigen Fällen nahe verwandt//1 Die Verwandtschaft tritt am deutlichsten hervor in Sätzen wie: ''Ich träumte mich ein Held'', oder: ''Sie sehen mich ein Raub der Wellen'' (Lessing). Es steht der erste Fall wie er zu dem mitgehörten und gedachten Begriffe des Seins gehört, wenn dieser auch nicht ausgedrückt ist, so gut er auch z. B. im zweiten Satze stehen könnte.// sind die anderen, in denen sich die Aussage neben den Infinitiven ''sein, werden, bleiben, scheinen'' u. ä. auf ein Wort bezieht, welches das Objekt der diese Infinitive regierenden Zeitwörter ''lassen, heißen, lehren'' u. ä. ist. Wenn nämlich das Gefühl überwiegt, daß eine Aussage neben jenen abhängigen Verben sonst im ersten Fall steht, wird auch in ihrer Abhängigkeit von andern Zeitwörtern, deren Objekt durch das Subjekt der Infinitive gebildet wird, der erste Fall erhalten bleiben, nach dem Beispiele Wielands: ''Laß mich immer ein Schwärmer sein''; oder dem G. Kellers: ''Es zeigte sich die Aussicht auf einen neuen Siegeslauf, den als ein bewährter und geprüfter Mann anzutreten ihn gelüstete''. Wird aber die Identität der Satzaussage mit dem Objekte des regierenden Verbums empfunden, so drückt sich das durch deren Übereinstimmung in der Form, also durch den vierten Fall aus, wie in der Redensart: ''den lieben Gott einen guten Mann sein lassen'' oder in dem bekannten Verse Uhlands: ''Laß du mich deinen Gesellen sein''//2 Das Schwanken ist alt und wird durch nichts deutlicher erwiesen als durch das Nebeneinander der Akkusative und Nominative in Handschriften mittelhochdeutscher Dichter wie noch in den Drucken Lessings, der den Akkusativ sogar als undeutsch bezeichnete.//. Heute ist auch hier, dem Zuge, und zwar dem berechtigten Zuge der Sprache gemäß, der erste Fall daran, das Übergewicht zu gewinnen. Wie M. Hartmann: ''Laß mich dein treuer Herold sein'', sagt auch Träger: ''Mich laß ein wilder Jäger durch den Nebel fahren'', und Ring: ''Lassen Sie mich in Ihrem Tempel weilen als ein frommer Beter, als ein ergebener Verehrer''. Die zwei letzten Sätze zeigen zugleich, daß die Fügung nicht auf die eigentlichen Zeitwörter des Seins beschränkt, sondern schließlich bei jedem die Zuständigkeit bezeichnenden möglich ist. Alfred Bock (Albertine Grün) wagt sogar: ''Mich als armer Teufel über die Achsel ansehen lassen, das verträgt mein Stolz nicht'', und mit Recht in Beziehung auf das formell unterdrückte, aber gedanklich stark vorragende ''Ich''!
Frühere Grammatiker waren geneigt, ''lehren'' einen persönlichen Dativ zuzugestehn, und die Forderung des Französischen hat auch die Klassiker oft zu solcher Fügung verleitet; aber dem Wesen dieses Wortes wird man gerechter, wenn man es mit dem doppelten Akkusativ verbindet, da es als kausatives Verbum ''wissen machen'' bedeutet und diese beiden Begriffe jeder ein Objekt erheischen. Also nehme man sich hierin wieder Luther zum Muster, der immer also fügt: ''Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige''. Aus der Grundbedeutung von ''lehren'' = ''wissen machen'' geht auch hervor, daß der von dem ganzen kausativen Begriffe abhängige persönliche Akkusativ den sachlichen, der nur von dem seiner Selbständigkeit verlustig gegangenen Stammbegriffe abhängt, überwiegen und somit derjenige sein muß, welcher bei der Verwandlung ins Passiv Subjekt wird//1 Nur dann ist ein Sachsubjekt neben dem Passiv berechtigt, wenn keine belehrte Person genannt ist: ''In den humanistischen Anstalten werden namentlich Sprachen, in den realistischen exakte Wissenschaften gelehrt''.//. Es heißt also weder: ''mich noch mir ist eine Sache gelehrt worden'', welche zweite Fügung ja der falschen aktivischen: ''einem etwas lehren'' entspräche, sondern nur: ''du bist die Sache gelehrt worden''. Freilich ist diese richtige Fügung heute nur noch üblich, wenn die Sachergänzung in einem Eigenschafts- oder Fürworte sächlichen Geschlechtes//2 Substantivische Sachergänzungen, wie in dem Satze Wielands: ''Den Tanz wurde ich von der Natur selbst gelehrt'', sind heute deshalb selten, weil dafür ''etwas lernen'' oder ''in etwas unterwiesen -, unterrichtet werden'' eintritt.//, in einer Nennform oder einem Satze gegeben wird. ''Das Schlimmste, was uns widerfährt, das werden wir vom Tag gelehrt. Ich bin empfindlich genug gelehrt worden, wie ich mich verhalten soll; vor allem bin ich durch solche Erfahrungen gelehrt, nur zu reden, wenn ich gefragt werde'' (Goethe). Durchaus muß der Schriftsprache ''lernen'' im aktivischen Sinne = ''lehren'' ferngehalten werden, wenn auch selbst ein Sütterlin mit der Mundart schreibt: ''Die Eigenschaften der Dinge lernt den noch sprachlosen Menschen eine weitere Betrachtung kennen''. Bei den Klassikern findet es sich nur sehr vereinzelt oder mit Absicht so, daß es die Art des Volkes kennzeichnen soll, wie wenn Georg im Götz sagt: ''Dafür pfeif ich ihnen auch allerlei Weisen und lerne sie'' (!) ''allerlei lustige Lieder''.
Wie würde man wohl über jemand urteilen, der ''ein Fremdenbuch'' nicht von ''einem fremden Buch, einen kranken Wärter'' nicht von ''einem Krankenwärter, eine Gelehrtenfrau'' nicht von ''einer gelehrten Frau, Bekanntenkreise'' nicht von ''bekannten Kreisen, ein liebes Lied'' nicht von ''einem Liebeslied, eine Hoferstraße'' (nach ''Andreas Hofer'' genannt) nicht von ''einer Hofer Straße'' (nach der Stadt ''Hof'' in Bayern genannt) unterscheiden könnte? Genau dieselbe Dummheit ist es, wenn jemand ''Leipzigerstraße'' schreibt statt ''Leipziger Straße''.
Die von Ortsnamen (Länder- und Städtenamen) abgeleiteten Bildungen auf ''er'' sind unzweifelhaft Substantiva. ''Österreicher'' und ''Passauer'' bedeutet ursprünglich einen Mann aus Österreich oder aus Passau. Als Adjektiva hat die ältere Sprache solche Bildungen nicht gebraucht, die Adjektiva bildete sie von Länder- und Städtenamen auf ''isch'': ''meißnisch'' (''meißnische Gulden''), ''torgisch'' (von ''Torgau, torgisches Bier''), ''lündisch'' (von ''London, lündisches Tuch''), ''parisisch'' (''parisische Schuhe'' schreibt noch der junge Goethe statt ''Pariser Fuß''). Nun ist freilich zwischen diesen beiden Bildungen schon längst Verwirrung eingerissen: die Formen auf ''er'' sind schon frühzeitig auch im adjektivischen Sinne gebraucht worden. Lessing schrieb noch 1768 ''eine Hamburgische Dramaturgie'', Goethe aber schon 1772 Rezensionen für ''die Frankfurter Gelehrten Anzeigen''. Natürlich sind die Bildungen auf ''er'' dadurch, daß sie adjektivisch gebraucht werden, nicht etwa zu Adjektiven geworden (vgl. S. 37); sie können aber doch vor andern Substantiven wie Adjektiva gefühlt werden, wie am besten daraus hervorgeht, daß Abverbia dazu gesetzt werden können, wie ''echt Münchner Löwenbräu'', statt ''echtes Münchner'' oder ''echt Münchnisches Löwenbräu''.//* In Leipzig empfiehlt man freilich auch ''echt Gose'' und ''echt Madeirahandarbeiten''!// Dennoch haben sich $Seite 175$ im Laufe der Zeit zwischen den Bildungen auf ''er'' und denen auf ''isch'' auch wieder gewisse Grenzen festgesetzt. Von manchen Länder- und Städtenamen gebrauchen wir noch heute ausschließlich die echt adjektivische Form auf ''isch'', von andern ebenso ausschließlich die Bildung auf ''er'', wieder von andern beide friedlich nebeneinander. Niemand sagt: ''der Österreicher Finanzminister, der Römer Papst'', aber auch niemand mehr ''das Leipzigische Theater, die Berlinischen Bauten''. Dagegen sprechen alle Gebildeten noch von ''Kölnischem Wasser, holländischem Käse, italienischen Strohhüten, amerikanischen Äpfeln''. Warum von dem einen Namen die Form auf ''isch'', von dem andern die auf ''er'' bevorzugt wird, kann niemand sagen; der Sprachgebrauch hat sich dafür entschieden, und dabei muß man sich beruhigen.//* Drollig ist es, wie bisweilen beide Formen in ganz bestimmter Anwendung nebeneinander gebraucht werden. In Leipzig geht, wer mit der ''Thüringischen Bahn'' fahren will, auf den ''Thüringer Bahnhof''; aber niemand geht auf den ''Thüringischen Bahnhof'', um mit der ''Thüringer Bahn'' zu fahren.//
Nur in gewissen Kreisen, die von dem wirklichen Verhältnis der beiden Bildungen zueinander und von der Berechtigung des Sprachgebrauchs keine Ahnung haben, besteht die Neigung, das Gebiet der Bildungen auf ''er'' mehr und mehr zum Nachteil derer auf ''isch'' zu erweitern. So empfiehlt mancher Geschäftsmann beharrlich seine ''Amerikaner Öfen'', obwohl alle Gebildeten, die in seinen Laden kommen, seine ''amerikanischen Öfen'' zu sehen wünschen. An einer alten Leipziger Weinhandlung konnte man vor kurzem ein Schild am Schaufenster liegen sehen: ''Italiener Weine!'' Aber auch ''Holländer Austern'' werden schon empfohlen, ja sogar ''Kölner Wasser'', und der ''Kölnischen Zeitung'' hat man schon mehr als einmal zugemutet, sich in ''Kölner Zeitung'' umzutaufen — ein törichtes Ansinnen, dem sie mit Recht nicht nachgegeben hat und hoffentlich nie nachgeben wird. Auf den echten Adjektivbildungen auf ''isch'' liegt ein feiner Hauch des Altertümlichen und — des Vornehmen, manche sind wie Stücke schönen alten Haus- $Seite 176$ rats; die unechten auf ''er'', namentlich die neugeprägten, sind so gemein wie Waren aus dem Fünfzigpfennigbasar. Unbegreiflich ist es, wie sich gebildete, namentlich wissenschaftlich gebildete Leute solchen unnötigen Neuerungen, die gewöhnlich aus den Kreisen der Geschäftsleute kommen, gedankenlos fügen können. Ein deutscher Buchhändler in Athen hat vor kurzem ein Werk über das ''Athener Nationalmuseum'' herausgegeben! Grauenvoll! Auf der Leipziger Stadtbibliothek gibt es eine berühmte Handschrift aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts: ''den Pirnischen Mönch'', genannt nach der Stadt ''Pirna'' (eigentlich ''Pirn'') an der Elbe in Sachsen. Den fangen sogar Historiker jetzt an ''den Pirnaer Mönch'' zu nennen! Und in neuern Werken über die Befreiungskriege wird in den Schilderungen der Schlacht bei Leipzig gar von der Erstürmung des ''Grimmaer Tores'' geredet (statt ''des Grimmischen'')!//* Wie gut es wäre, wenn man die Bildungen auf ''er'' nicht so einseitig bevorzugte, sondern gelegentlich auch noch von denen auf ''isch'' Gebrauch machte, hat das Gastspiel des ''Schliersee'r Bauerntheaters'' gezeigt. Der Apostroph ist natürlich ganz einfältig, man könnte ebenso gut vom ''Ob'ramm'rgau'r Passionsspiel'' schreiben. Man nimmt auch bloß seine Zuflucht dazu, weil man eine kindische Angst vor den drei ''e'' in ''Schlierseeer'' hat: Warum spricht man aber nicht vom ''Schlierseeischen Bauerntheater''?// Einem Leipziger kehrt sich der Magen um, wenn er so etwas liest.
Nun ist aber doch so viel klar, daß, wenn ein Wort wie ''Dresdner'' in zwei verschiednen Bedeutungen gebraucht wird, als Hauptwort und auch als Eigenschaftswort, es nur in seiner Bedeutung als Hauptwort mit einem andern Hauptwort zusammengesetzt werden kann. Wenn nun eine Straße in Leipzig die ''Dresdner Straße'' genannt wird, ist da ''Dresdner'' als Substantiv oder als Adjektiv aufzufassen? Ohne Zweifel als Adjektiv. Es soll damit dasselbe bezeichnet sein, was durch ''Dresdnische Straße'' bezeichnet sein würde: ''die Straße, die von Dresden kommt'' oder ''nach Dresden führt''. Sowie man den Bindestrich dazwischensetzt und schreibt: ''Dresdner-Straße'' oder auch in einem Worte: ''DresdnerStraße'', so kann ''Dresdner'' nichts andres $Seite 177$ bedeuten, als ''Leute aus Dresden'', es wird Substantiv, oder vielmehr es bleibt Substantiv, und die Zusammensetzung rückt auf eine Stufe mit Bildungen wie ''Fleischergasse, Gerbergasse, Böttchergasse'' und andern Gassennamen, die in alter Zeit nach den Handwerkern genannt worden sind, die auf den Gassen angesessen waren. Eine ''Dresdnerstraße'' kann also nichts andres bezeichnen, als eine Straße, auf der ''Dresdner'', womöglich lauter ''Dresdner'' wohnen. Wir haben in Leipzig eine ''Paulinerkirche'' und eine ''Wettinerstraße''. Das sind richtige Zusammensetzungen, denn die ''Paulinerkirche'' war wirklich die Kirche der ''Pauliner'', der ehemaligen Dominikaner Leipzigs, und die ''Wettinerstraße'' ist nicht nach dem Städtchen ''Wettin'' genannt, wie die ''Berliner Straße'' nach der Stadt ''Berlin'', sondern nach den ''Wettinern'', dem sächsischen Herrschergeschlecht.//* Über die Bedeutung mancher von unsern Straßennamen herrscht ohnehin in den Köpfen der Masse eine solche Unklarheit, daß man sie nicht noch durch fehlerhafte Schreibung zu steigern braucht. Unter den Straßen Leipzigs, die nach den Helden der Befreiungskriege genannt sind, ist auch eine ''Lützowstraße, eine Schenkendorfstraße, eine Gneisenaustraße''. Was machen die Kinder daraus, die kleinen wie die großen Kinder? ''Eine Lützower Straße, eine Schenkendorfer Straße, eine Gneisenauer Straße!'' Wir haben ferner eine ''Senefelderstraße''. Auch die wird im Volksmunde als ''Senefelder Straße'' verstanden. Freilich gibt es bei Leipzig kein ''Senefeld'', kein ''Schenkendorf'', kein ''Gneisenau'', kein ''Lützow''. Aber das Volk, namentlich das ewig zu- und abfließende niedrige Volk, weiß doch von der Umgebung Leipzigs ebensowenig etwas, wie von dem Erfinder der Lithographie und den großen Männern der Befreiungskriege. Wurde doch auch die ''Fichtestraße'', als sie neu war, sofort als ''Fichtenstraße'' verstanden, und ein unternehmender Schenkwirt eröffnete darin schleunigst ein ''„Restaurant zur Fichte"''!// Eine ''Berliner Versammlung'' ist eine Versammlung, die in Berlin stattfindet, eine ''Berlinerversammlung'' eine Versammlung, zu der lauter Berliner kommen. Die ''Herrnhuter Gemeinde'' ist die Gemeinde der Stadt ''Herrnhut'', eine ''Herrnhutergemeinde'' kann in jeder beliebigen andern Stadt sein.
Die Verwechslung der adjektivischen und der substantivischen Bedeutung der von Ortsnamen abgeleiteten Bildungen auf ''er'' grassiert gegenwärtig in ganz Deutsch- $Seite 178$ land und wird von Tag zu Tag ärger. Sie beschränkt sich keineswegs, wie man wohl gemeint hat, auf die Gassen- und Straßennamen, sie geht weiter. Schenkwirte, Kaufleute, Buchhändler, sogar Gelehrte schreiben: ''Wienerschnitzel, Berlinerblau, Solenhoferplatten, Schweizerfabrikanten, Tirolerführer'', obwohl hier überall der Ortsname als Adjektiv verstanden werden soll; denn nicht die Tiroler sollen geführt werden, sondern die Fremden durch Tirol. Ein ''Wienerschnitzel'' aber — entsetzliche Vorstellung! — kann doch nur ein Stück Fleisch bedeuten, das man von einem Wiener heruntergeschnitten hat.
Ganz ähnlich wie mit den Bildungen ''Leipziger, Dresdner'' verhält sichs mit den von Zahlwörtern abgeleiteten Bildungen auf ''er'': ''Dreißiger, Vierziger, Achtziger''. Auch das sind natürlich zunächst Hauptwörter; wir reden von einem ''hohen Dreißiger, einem angehenden Vierziger'' (vgl. S. 65). Aber auch sie können als Adjektiva gefühlt werden; wir sagen: ''das war in den vierziger Jahren, in den achtziger Jahren''. Auch da aber druckt man neuerdings ''in den Vierzigerjahren, in den Achtzigerjahren, ein Ölgemälde aus den Neunzigerjahren'', als ob von menschlichen Lebensaltern und nicht von dem Jahrzehnt eines Jahrhunderts die Rede wäre!
Eine andre Spielart der hier behandelten Verwirrung tritt uns in Ausdrücken entgegen wie: ''Gabelsberger Stenographenverein, Meggendorfer Blätter, Nordheimer Schuhwaren'' (der Geschäftsinhaber heißt ''Nordheimer!''), ''Pilsner'' und ''Tucher Bier''. Hier werden umgekehrt wirkliche Substantiva auf ''er'', und zwar Personennamen, wie Adjektiva behandelt. ''Ein Gabelsberger Stenographenverein'' — das klingt doch wie ein ''Verein aus Gabelsberg''; natürlich soll es ''ein Gabelsbergerscher'' sein. ''Die Meggendorfer Blätter'' — das klingt doch, als erschienen sie in ''Meggendorf''; natürlich sollen es ''Meggendorfers'' oder ''Meggendorfersche Blätter'' sein.
Aber die Verwirrung geht noch weiter. Wie jede Sprachdummheit, wenn sie einmal losgelassen ist, wie $Seite 179$ Feuer um sich frißt, so auch die, kein Gefühl für den adjektivischen Sinn der Bildungen auf ''er'' zu haben. Nachdem unsre Geschäftsleute aus der ''Dresdner Straße'' eine ''Dresdnerstraße'' gemacht haben, schrecken sie auch vor dem weitern Unsinn nicht zurück, die Bildungen auf ''isch'', über deren adjektivische Natur doch wahrhaftig kein Zweifel sein kann, mit ''Straße'' zu einem Worte zusammenzusetzen; immer häufiger schreiben sie ''Grimmaischestraße, Hallischestraße'' (oder vielmehr ''Halleschestraße''!), und um das Maß des Unsinns voll zu machen, nun auch ''Langestraße, Hohestraße'' und ''Kurzegasse'', und wer in einer solchen Gasse wohnt, der wohnt natürlich nun in der ''Langestraße, in der Hohestraße, in der Kurzegasse''. In frühern Jahrhunderten war die Sprache unsers Volks so voll überquellenden Lebens, daß sich in den Ortsbezeichnungen die casus obliqui in den Nominativ drängten; daher die zahllosen Ortsnamen, die eigentlich Dative sind (''Altenburg, Weißenfels, Hohenstein, Breitenfeld''). Heute ist sie so tot und starr, daß der Nominativ, dieser langweilige, nichtssagende Geselle, die casus obliqui verdrängt. Man wohnt in der ''Breite Gasse'',//* Freilich findet sich auch schon in Leipziger Urkunden des fünfzehnten Jahrhunderts: ''uf der nuwestrasse'' (''auf der Neuen Straße'').// und Sommerwohnungen sind ''auf Weißer Hirsch'' bei Dresden zu vermieten!
Aber selbst damit ist die Verwirrung noch nicht erschöpft. In Leipzig gibt es auch Ortsbezeichnungen, bei denen einer Örtlichkeit einfach der Name des Erbauers oder Besitzers im Genitiv vorangestellt ist, wie ''Auerbachs Keller, Hohmanns Hof, Löhrs Platz, Tscharmanns Haus, Czermaks Garten''. Bis vor wenig Jahren hat niemand daran gezweifelt, daß alle diese Bezeichnungen je aus zwei getrennten Wörtern bestehen, so gut wie ''Luthers Werke, Goethes Mutter, Schillers Tell''. Jetzt fängt man an, auch hier den Bindestrich dazwischenzuschieben, den Artikel davorzusetzen und zu schreiben: ''im Auerbachs-Keller, am Löhrs-Platz, im Czermaks-Garten''. Man denke sich, daß $Seite 180$ jemand schreiben wollte: ''in den Luthers-Schriften, bei der Goethes-Mutter, im Schillers-Tell!''
Zum guten Teil tragen die Schuld an der grauenvollen Verwirrung, die hier herrscht, die Firmenschreiber und die Accidenzdrucker, die ganz vernarrt in den Bindestrich sind, aber nie wissen, wo er hingehört, und wo er nicht hingehört, nie wissen, ob sie ein zusammengesetztes Wort oder zwei Wörter vor sich haben.//* Auf der einen Seite schreiben sie ''Kaiser Park, Hôtel Eingang, hier werden Kinder und Damenschuhe'gemacht'', auf der andern Seite: ''Grüne-Waren, Täglich-frei-Konzert'' u. ähnl.// Aber nicht sie allein. Warum lassen sich die Besteller, Behörden wie Privatleute, den Unsinn gefallen?
