Grundbegriff des zweiten Mittelwortes und beschränkte Möglichkeit, es zu bilden
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 110 - 115 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Alt, Behördensprache, Frenssen - Gustav, Keller - Gottfried, Goethe - Johann Wolfgang, Schriftsprache, Zeitungssprache, Jensen - Wilhelm, Umgangssprache, Breslau, Droste-Hülshoff - Annette von, Grimm - Hans, Saar - Ferdinand von, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Zahn - Ernst |
Text |
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Noch weniger als das erste Mittelwort auf die Gegenwart, ist das zweite, das sogenannte Participium praeteriti (oder perfecti, d. h. der Vergangenheit) auf die Vergangenheit beschränkt. Im Gegenteil überwiegt in der ursprünglich schlechthin adjektivischen Form der Begriff der Vollendung, der Fort- und Andauer den der Vergangenheit; denn wenn dieser z. B. auch in Fügungen wie: Dies vorausgeschickt, kann ich zu meiner eigentlichen Aufgabe übergehen; die erlittenen Verluste; der am 15. d. eröffnete Ausverkauf wird noch bis Ende des Monats fortgesetzt, das Übergewicht gewonnen hat, so wird in anderen und an Zahl überwiegenden die Vollendung in der Gegenwart empfunden: dies zugegeben, - angenommen, - vorausgesetzt//2 Die Sache liegt so: Drückt das Partizip Perf. einen aus einer passiven Handlung hervorgegangenen Zustand aus, so bezeichnet es immer Gegenwart oder Gleichzeitigkeit. Außerdem aber bezeichnet es unter der Nachwirkung des Dienstes, den es mit haben oder sein zur Bezeichnung der Vergangenheit leistet, auch eine ausgeführte Tätigkeit in ihrem vollen Begriffe, und zwar ebensowohl eine, die in der Vergangenheit nur einmal, als auch eine, die schon in der Vergangenheit wiederholt ausgeführt worden ist und es auch jetzt noch wird, wie endlich eine, die eben ausgeführt in ihrer Wirkung noch fortdauert. Es besteht also kein Recht, solche Ausdrücke bedenklich zu nennen: ein gern, viel gelesener Schriftsteller, die in der Schule gelehrten Sprachen, das in der Bedeutung des Gerundiums gebrauchte Partizip: auf bloßem Leibe getragene Kleider; Sätze wie: Wir besuchten die von Quäkern angelegte wie auch betriebene Messerfabrik und wohnten ihrem nahe bei Pyrmont gehaltenen Gottesdienste bei (Goethe), und: Vorbereitet wurde diese Unterbrechung durch einige aus leicht begreiflichen Gründen nicht genannte Universitätslehrer. Dieses Hinüberragen in die Gegenwart ist geradezu als uranfänglich vorhanden vorauszusetzen bei einer Form, welche in zahllosen Fällen zum Adjektiv, also zur festen Zustandsbezeichnung geworden ist: berüchtigt, ergeben, bekannt, vertraut, beliebt; die überlegte Ernestine (Polenz) usw.//kann man weiter folgern; der gelähmte Fuß; die versicherte Besitzung; der gerettete Knabe u. v. a. Der einheitliche Begriff für beide Fälle ist also der des Zustandes: in dem Zustande, daß das und das geschehen ist oder daß es nun so ist. Sonach ist es ganz sach- und naturgemäß, daß das zweite Mittelwort eines transitiven Zeitwortes passivische Bedeutung hat, das eines intransitiven intransitivische oder aktivische, das eines reflexiven aber überhaupt nicht möglich ist. Denn es ist die Aufgabe des transitiven Verbs, zu bezeichnen, daß durch die Tätigkeit des Subjekts ein Objekt durch die von jenem ausgeübte Handlung in den durch diese bezweckten Zustand versetzt wird; d. h. das Objekt, mit dem neben der aktiven Form: ich habe ihn erkannt, ursprünglich das Parti- $Seite111$ zip wirklich in vollständiger Fomengleichheit gebracht worden ist (habem inan irchantan), befindet sich in einem solchen Verhältnis stets in leidendem Zustande, und ein solcher Satz: der Vater liebt sein Kind (= Subj. + transit. Verb. + Obj.) löst sich auf in Subj. + 1. Partizip: der liebende Vater und Obj. + 2. Partizip: das geliebte Kind. Das intransitive Zeitwort dagegen bezeichnet so schon einen Zustand oder doch eine Tätigkeit, in der das Subjekt allein begriffen bleibt, ohne sie auf ein Objekt zu übertragen, und so ist ein Vater, der gealtert ist (oder: hat) ein gealterter Vater. Vom reflexiven aber ist das zweite Partizip nicht möglich, weil in einem in sich abgeschlossenen Begriffe, wie dieses ihn darstellt, ohne Subjekts- und Objektsbezeichnung das Verhältnis der Reflexion, die Beziehung der Tätigkeit des Subjekts von diesem auf sich selbst als das Objekt der eigenen Tätigkeit, gar nicht zum Ausdruck gebracht werden kann. Fügungen wie Curius Dentatus ist die erste wirklich erinnerte Persönlichkeit der älteren römischen Geschichte gründen sich auf Fügungen: wenn ich (mir) dies alles erinnere (Goethe); Mehr, sagte er, erinnerte er nicht (Frenssen); vgl. §223! 1. Der geliebte Bruder; die stattgefundene Aufführung. Also zuerst: das zweite Mittelwort transitiver Zeitwörter ist passivisch, und zwar ebenso wohl als Attribut neben dem Hauptworte als frei in Partizipialkonstruktionen: das zugerittene Pferd, der damals erlittene Verlust, das verschüchterte Kind. — Noch rechtzeitig von den Gefangenwärtern eingeholt, konnte der Verbrecher gleich wieder in Gewahrsam gebracht werden. Falsch ist es also, wenn wirklich noch als Verbalformen empfundene Partizipien transitiver Verben aktivisch verwendet und wohl gar wie irgendeine aktivische Form mit einem Akkusativ-Objekt verbunden werden, was nicht selten in Zeitungen geschieht, offenbar aus dem Bestreben, recht viel in einen Satz zu packen: die indes die Offensive ergriffene Reservearmee (statt die Reservearmee, die ... ergriffen hatte), bei dem uns betroffenen Verluste (statt bei dem Verluste, der uns betroffen hat) und aus der Kanzlei eines Bezirksschulinspektors: des am 1. Juli sein Amt angetretenen Herrn Kgl. Bezirksschulinspektors Dr. Wildfeuer. In den kaum in einer Zeitung fehlenden stattgehabten und stattgefundenen Vergnügungen, Zusammenkünften usw. steckt im Grunde derselbe Fehler und kann auch durch das Zusammenschreiben nicht vertuscht noch durch G. Kellers „nach stattgefundener Begrüßung" mustergültig gemacht werden; das bleibt so regelwidrig wie sein Satz: Einmal kaum im Jahre genießt er flüchtig ein gefehltes Törtchen, und es kann nicht genug empfohlen werden, sie durch reichlich vorhandene, auch versinnlichendere Wörter wie abgehalten, gegeben (z. B. Konzerte), veranstaltet, oder durch Relativsätze zu vermeiden. Eine ähnliche Mißbildung enthält Graf Hoensbroechs Wendung: auf dem vom Wittenberger Mönche grundgelegten religiösen Boden und die schon Umsturz grollende Zeitungswendung Vertreter des alten Schiffbruch erlittenen und schuldbeladenen Systems. Warum außerdem auch manches der Form nach richtig angewandte Mittelwort aktivischer Verben nicht anmutet, hat immer seine ganz besondern Gründe, die einzeln auszuführen unmöglich ist. Vor allem gilt es, Mittelwörter, die für sich allein zur Bezeichnung des Zustandes oder eines ganz bestimmten engen Begriffes geworden sind, nicht in weiterem Sinne oder in allen verschiedenen Bedeutungen des Zeitwortes zu gebrauchen, ohne daß die allgemeinere Anwendung durch einen $Seite112$ Zusatz klar wird. So wäre z. B. unmöglich zu ertragen, wenn Jensen nur geschrieben hätte: das Porträt seiner besessenen Frau; aber selbst; wie er geschrieben hat: das Porträt seiner kurz besessenen Frau; und auch der Satz: Ich habe mein seit zehn Jahren besessenes Haus verkauft, versetzt uns einen leichten Ruck, weil wir besitzen in diesem Sinne kaum noch im Passiv gewohnt sind. 2. Begegnet = als, wenn er begegnet ist; gealtert = der, welcher gealtert ist und als er gealtert war. Von intransitiven Verben ist das zweite Mittelwort, wie schon gesagt, aktivisch, oder wenn man lieber will, intransitiv. Aber es fehlt viel, daß es außerhalb des Konjugationssystems von allen gebräuchlich wäre. Im allgemeinen haben es nämlich nur diejenigen intransitiven Verben, deren zusammengesetzte Zeiten mit sein gebildet werden, dies ganz im Einklange mit unsrer Auffassung des zweiten Mittelwortes als einer Form, in welcher der Begriff der Vollendung und Zuständlichkeit überwiegt, wie mit dem, was § 121 zur Erklärung des Wechsels zwischen sein und haben bei manchen dieser Verben gesagt worden ist. In absoluter, nicht attributiver Verwendung kommt die Form von allen mit sein zusammengesetzten Verben vor: Mit der Regierung in Wien in Unterhandlungen getreten, wollen sich die deutschen Abgeordneten gern möglichst entgegenkommend zeigen. — Dem Prinzen von Preußen nur einmal flüchtig als Referendar begegnet, hatte der junge Diplomat (Bismarck) doch damals ... die Ehre, von jenem wiedererkannt zu werden. — Dem grauen Haar nach zu urteilen bedeutend gealtert, ist der Mann immerhin noch jugendfrisch. Zu attributivem Gebrauche eignen sich hingegen die Partizipien der beiden ersten Sätze, wie überhaupt die von Verben der Bewegung, leicht erklärlicherweise nicht, weil deren Partizip (trotz seiner Zusammensetzung mit sein) keinen Zustand bezeichnet, den zu bezeichnen aber gerade die Hauptaufgabe des Attributes ist. Desto geeigneter müssen demnach die Mittelwörter der andern mit sein verbundenen Klasse von Verben, derer, die den Übergang aus einem Zustande in den andern bezeichnen, zu attributiver Verwendung sein: der verblühte Baum, das erkaltete Zimmer, der umgeschlagene Wein; vergessene und abgelebte Ordnungen (G. Freytag) u. v. a. 3. Nicht: der mir begegnete Freund; noch weniger: das gefehlte Geld. Beispiele wie die folgenden sind durchaus zu beanstanden, da die in ihnen vorkommenden Mittelwörter nichts Zuständliches ausdrücken, sondern Adverbialien und Objekte den Begriff der Tätigkeit kenntlich machen: Der gestern abend in der Stadt eingetroffene und im Gasthofe zur Sonne abgestiegene General v. H. hat heute usw. — Wir liefen im Walde herum und kehrten nachmittags unter die angekommene Menge zurück. — Der in Utrecht mit ihm zusammengetroffene Dichter; mein spazierengegangener Bruder wird sogleich erscheinen; der den Tod für das Vaterland gestorbene Leutnant. Die in Frankfurt zusammengetretenen Fürsten; die neu ausgebrochene Fehde; die aufgetauchte Nachricht; die nachgefolgte Dienerschaft; eine Schar herbeigestrebter Gondeln (Frecksa, Univ. 26). Nur wenn in solchen Fügungen die Begriffe der Fortdauer und Zuständlichkeit überwiegen, werden sie einwandfrei wie etwa: das abermals eingefallene (= herrschende) kalte Wetter; die in Unterhandlung mit Dänemark getretene (= befindliche) Großmacht; die vorange- $Seite113$ gangenen Veränderungen, der in den Ruhestand getretene Oberlehrer, die eingerissene Unordnung, die durchgedrungene Kraft; und die der Verkehrssprache kaum mehr zu verübelnden gekündigten Arbeiter. Jensen konnte sehr wohl von einem verlaufenen Hunde reden, aber nicht davon, daß sich ein bisher südwärts verlaufener Bach nach Osten wende. Noch verwerflicher sind die Fälle, daß Mittelwörter haben zu sich nehmender Verben absolut oder attributiv in einem Gebrauche stehn, zu dem sie nach dem S. 110 f. Ausgeführten ungeeignet sind, so gut bei Ed. Heyck: der tragisch geendete Arminius, wie: das gefehlte Geld, die gegen die Dänen gekämpfte Brigade. Ähnlich sind der abgenommene Mond oder bei G. Keller: die so lange vorgeschwebten Stoffe, bei Riehl: die überhandgenommene Zersplitterung, bei v. Boyen: die früher unter dem Herzoge von Braunschweig gestandenen Truppen; die bestandenen//1) Bei bestehen wird die Fügung leichter erklärlich aus seiner früheren Verbindung mit sein. Selbst in der Bedeutung durchkommen sagt nicht bloß Luther: wodurch ist denn die Kirche auf den Conciliis bestanden, sondern noch Goethe: dieses Mädchen ist sehr wohl bestanden. Es ist auch noch besonders häufig, z. B. in der Z. des Alpenvereins: Wahrzeichen einst bestandener Gletscher. Vgl. auch Anm. 2.//europäischen Verhältnisse; aus dem wenig gelittenen benachbarten Polen, bei Avonianus: der so unglücklich geendete Direktor Alfred Meißner; unser zum Segen der Stadt gewirkter (!) Bürgermeister (Götting.-Ztg. 26). In den Tagesblättern kommt dieser Fehler, der leicht durch Relativsätze//2 Der papierne Stil zuerst der Kanzleien hat freilich noch ein anderes Aushilfsmittel, aber ein ganz unnatürliches und abscheuliches; er macht nämlich solche eine abgesoffene Handlung bezeichnende Mittelwörter zum Ausdrucke einer in der Vergangenheit sich vollziehenden Handlung geeignet, indem er habend hinzufügt: das gelitten habende Polen. Dieser Mißbrauch hat sogar zwei Mißbräuche seinesgleichen neben sich: die Einschiebung von gewesen hinter passivischen Partizipien und die Bildung des Plusquamperfekts derart: ich hatte gelesen gehabt; Simon Kooper habe die Mordpläne geheim gehalten, bis alles geschehen gewesen sei (Hans Grimm, D. A. Z. 4. 1. 29). Über den letzten Unfug braucht man kein Wort zu verlieren, und wenn ihn auch Jensen mitmacht.: Wo die Axt schon gelichtet gehabt (statt gelichtet hatte), schossen überall Tannen wieder auf. Der Schleier, der die Vogesen überfüllt (!) gehabt (statt überfüllt hat oder überfüllte), beginnt zu zerrinnen. — Mit gewesen verbreitert man oft auch bloß die Form in häßlicher Weise: heute, 40 Tage nach der sowieso schon mehrfach hinausgeschoben gewesenen Eröffung. — Manchmal vermeint man freilich dadurch einen Zustand genau als einen solchen bezeichnen zu müssen der vor einer vergangenen Handlung bestanden hatte: Aufschlüsse über eine alte bis dahin aller Kunde entzogen gewesene Zivilisation. Durchaus unnötig. Denn dasselbe Verhältnis drückt nach S. 110 Anm. 1 das einfache Partizip ebensogut aus: Schon wurden als Ergebnis der Expedition 22 einst an einem Torbogen angebrachte Skulpturen aufgestellt. Noch deutlicher bewies das ein Münchner Berichterstatter über das neue Stück „Unschuldig verurteilt" seinem Berliner Amtsbruder; denn während dieser in dem gleichen Berichte sagte: Das Stück schildert die Befreiung eines des Mordes fälschlich angeklagt und 15 Jahre eingesperrt gewesenen Mannes, kam jener ohne gewesen aus: das Stück schildert die Befreiung eines unschuldig des Mordes angeklagten Mannes, der .... Noch gründlicher ist das Breslauer Stadtgericht mit dem gleichen pedantischen Streben, alle möglichen Zeiten durch, besondere Formen bezeichnen zu wollen, durch eine — glücklich dreimal geschiedene Frau ad absurdum geführt worden: Jos. Joh. Sophie, geschiedene Storch, geschieden gewesene Jong, geschieden gewesene Krüger, geborene Leibmeier; so gut das zweite und dritte Mal nicht unterschieden werden konnte, war es auch beim ersten und zweiten nicht nötig. Freilich auch G. Keller bietet: Er hatte den Reisezug wieder erreicht gehabt gerade in der Nähe Zürichs; F. v. Saar: nachdem die verlassen gewesenen Sitzplätze wieder eingenommen waren; und E. Zahn: du hast wohl gar vergessen gehabt; und: Ein wenig hatte er über Geschäften ihrer vergessen gehabt. — So schwerfällig und steif$Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$papiern wie diese mit gewesen, gehabt und habend zusammengesetzten Vergangenheitsformen wirken auch die Partizipien aller andern Hilfszeitwörter, wenn sie Infinitive regieren, vollends passivische: Schon der mich besuchen wollende Freund traf mich nicht an, ist unschön, ganz entsetzlich aber solche: das morgen begangen (werden) werdende Fest. Untadelhaft ist der Gebrauch dieser Partizipien nur in einigen Formeln: nicht endenwollender Beifall; dann besonders wollend und sollend mit sein; ein sein wollender Gelehrter, ein sein sollender Witz//vermieden werden kann, $seite 114$ am häufigsten vor in den Mitteilungen über Verlegung von Truppen und Versetzungen ihrer Ober- und Unterführer; denn da wird von einem so und so lange dort gestandenen Offiziere gemeldet, was doch wahrlich keine Angabe eines Zustandes ist, oder von einem Jahre lang in der und der Stadt gelegenen Regimente; und doch kann es an keinem Worte so fühlbar werden als am letzten, daß allein der Begriff der Zuständlichkeit das Partizip zu attributivem Gebrauche geeignet macht, indem daselbe Wort zur Bezeichnung der Lage eines Ortes gar wohl tauglich ist: das zwei Meilen von Dresden stromauf gelegene Pirna. 4. Der unpräparierte Tertianer; ungewaschen..., ungefrühstückt aufbrechen u. ä. Der Begriff der Zuständlichkeit rechtfertigt sogar die eben deshalb nur scheinbaren Ausnahmen von der Regel, daß das zweite Mittelwort mit haben zusammengesetzter intransitiver Verben für sich allein nicht gebräuchlich und das transitiver Verben immer passivisch sei. Nur lassen die meisten in solcher Beziehung eine Ausnahme darstellenden Wörter nur einen Gebrauch zu, entweder nur den attributiven oder nur den prädi-kativen und absoluten. Jenen z. B. die fast zu Eigenschaftswörtern ge-wordenen Partizipien: geschworen, (aus)gelernt, erfahren, verdient, ver-schwiegen, ausgeruht, vergessen, studiert//1 Dem letzten Worte nachgebildet scheint die ganz junge Blüte des Kanzleistils und besonders des Gerichtssaales: der dort und dort domizilierte (statt domizilierende oder besser: bedienstete, dienende, aufhältliche) Knecht.//; denn man sagt wohl: die Armee sieht ihren Feldherrrn bei einer vergessenen Vorsicht ertappt (v. Boyen) oder: Ich bin sein geschworener Feind, aber nicht z. B.: Ihm Rache geschworen gingen sie gleich daran, sie auszuführen. In der zweiten Weise trifft mit einem heimischen Vorläufer, dem Chronisten Stumpf von Pfäfers (1540!): etliche, die ungebadet wiederum hinweggefahren sind, G. Keller zusammen: Sie ging ungegessen zu ihrem Lager, und: Das Kloster ist schon hergerichtet wie eine Mausefalle, nur daß man ungesündigt hineinspaziere. Überhaupt sind diese denkenswert knappen Wendungen recht beliebt geworden, wachsend auch ohne die Vorsilbe un-, die deutlichst den Übergang ins Zuständliche kennzeichnet (Vgl. § 34, 1): ungegessen, ungefragt (z. B. zu Bett gehn), ungespeist, ungefrühstückt, gefrühstückt, ungebeichtet, ungebetet. Heute früh kaum gefrühstückt, saß mir Karoly schon gegenüber, schreibt z. B. Bismarck, und Riehl: er zündete sich ungefragt eine Zigarre an. In beiden Weisen steht z. B. ausgeruht: unausgeruht im Joche ziehn (Uz) und: Ich bestieg mein ausgeruhtes Pferd wieder (Boyen), wozu sich noch G. Freytags Anwendung des einfachen Wortes gesellt: Morgen wird sie Augen brauchen, die fest im Kopfe stehn, und geruhte Glieder. Ebenso unpräpariert: unpräpariert zur Schule kommen; der unpräparierte Tertianer (Gutzkow). Jos. Ponten schreibt: Die ländlichen Arbeiter brachen eilig nach dem Bahnhof auf. ,,Ungezahlt!" rief einer, und sogar: die Gestalt des eben gut gespeisten Herrn, und: wie $Seite 115$ Brigitta den wohlgegessenen Herrn sich erheben sieht. Ad. Schopenhauer berichtet: Ich war gleich wieder die geschmeichelte (sich geschmeichelt fühlende) Mama; Ann. v. Droste-H. singt: Du liegst, ein armer kalter Rest, im Strahl verflattert und versungen bei deinem halbgebauten Nest. Ähnlich steht bei Trentini: Blutbetrüger, verfluchter, verspielter, und DAZ. 28: der überspielte Junge und: wir stehn verhorcht an gleichem Wort. Aber bedenklich bleiben die volkstümlichen gedienten wie ungedienten Hausmeister. Ganz allgemein verbindet sich das zweite Mittelwort eines beliebigen Zeitwortes mit einem Verbum der Bewegung, vor allem kommen, um den Zustand zu bezeichnen, in dem die Bewegung vor sich geht: Er kommt angefahren, ...getanzt; aber auch: Ich rutschte fort, mit dem kranken Bein auf einen Stuhl gekniet (v. Boyen). |
Zweifelsfall | |
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Beispiel |
vorrausgeschickt, erlittenen, eröffnete, zugegeben, angenommen, vorrausgesetzt, gelähmte, versicherte, gerettete, erkannt, gelesener, gelehrten, gebrauchte, angelegte, betriebene, gehaltenen, genannte, berüchtigt, ergeben, vertraut, überlegte, liebende, geliebte, zugerittene, erlittene, verschüchterte, eingeholt, gealterter, ergriffene, ergriffen, angetretenen, stattgehabten, stattgefundenen, stattgefundener, gefehltes, abgehalten, gegeben, veranstaltet, schuldbeladenen, besessenen, verkauft, entgegekommend, begegnet, gealtert, verblühte, erkaltete, umgeschlagene, vergessene, abgelebte, eingetroffene, abgestiegene, angekommene, zusammengetroffene, spazierengegangener, gestorbene, zusammengetretenen, ausgebrochene, aufgetauchte, nachgefolgte, herbeigestrebter, eingefallene, herrschende, befindliche, vorangegangenen, getretene, eingerissene, durchgedrungene, gekündigten, verlaufenen, verlaufener, gefehlte, gekämpfte, abgenommene, vorgeschwebten, überhandgenommene, gestandenen, bestandenen, geendete, gewirkter, bestehen, sein, durchkommen, bestandener, gelitten, gelesen, gehalten, gelichtet, überfüllt, überfüllte, gewesenen, angebrachte, eingesperrt, angeklagten, geschiedene, erreicht, gewesenen, vergessen, gelegene, geschworen, erfahren, verdient, verschwiegen, vergessen, studiert, vergessenen, geschworener, geschworen, ungebadet, ungegessen, hergerichtet, ungespeist, ungefrühstückt, gefrühstück, ungebeichtet, ungefragt, verspielter, unausgeruht, ausgeruhtes, geruhte, unpräpariert, unpräparierte, verfluchter, gespeisten, wohlgegessenen, geschmeichelte, geschmeichelt, halbgebauten, überspielte, verhorcht, gedienten, ungedienten, angefahren, getanzt, gekniet |
Bezugsinstanz | Kirchensprache, Avonianus, Zeitungssprache, Berlin, Schulsprache, Bismarck - Otto von, Boyen - Hermann von, Breslau, Behördensprache, Droste-Hülshoff - Annette von, Frenssen - Gustav, Freytag - Gustav, alt, Goethe - Johann Wolfgang, Hoensbroech - Paul Graf von, Grimm - Hans, Gutzkow - Karl, Heyck - Eduard, Jensen - Wilhelm, Keller - Gottfried, Luther - Martin, München, Schriftsprache, Polenz - Wilhelm von, Ponten - Josef, Riehl - Wilhelm Heinrich, Saar - Ferdinand von, Schopenhauer - Adele, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Stumpf - Johannes, Zeitungssprache, Trentini - Albert von, ursprünglich, Umgangssprache, Volk, Zahn - Ernst |
Bewertung |
abscheulich, bedenklich, deutlicher, einheitlich, einwandfreid, falsch, Fehler, Frequenz/beliebig, Frequenz/besonders häufig, Frequenz/gebräuchlich, Frequenz/manchmal, Frequenz/nicht gebräuchlich, Frequenz/oft, Frequenz/reichlich vorhanden, frequenz/selten, Frequenz/wachsend, Frequenz/zahllos, ganz unnatürlich, gründlicher, häßlich Weise, kaum zu verübelnden, knapp, leichter erklärlich, Mißbildung, Mißbrauch, mustergültig, nicht, pedantisches Streben, recht beliebt, regelwidrig, richtig, sach- und naturgemäß, schwerfällig, steif, Umsturz grollend, Unfug, unmöglich zu ertragen, unnötig, verwerflich, zu vermeiden |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Breslau, Behördensprache, Droste-Hülshoff - Annette von, Frenssen - Gustav, Alt, Goethe - Johann Wolfgang, Grimm - Hans, Jensen - Wilhelm, Keller - Gottfried, Schriftsprache, Saar - Ferdinand von, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Zahn - Ernst, Zeitungssprache, Umgangssprache |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |