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Aus Zweidat
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I
Auch in Adverbialsätzen der Absicht (nach ''daß'', seltner ''damit'') und in Begehrungssätzen mit ''daß'' nach Verben des Forderns, Bittens, Verlangens, Verbietens, macht sich der Indikativ schon breit. Immerhin mag er selbst hier noch erträglich und verständig erscheinen, wenn die Erfüllung eines Begehrens — vom Standpunkte der Gegenwart aus — ganz bestimmt erwartet und sicher vorausgesehn wird. So liest man überall angeschlagen: ''Es ist verboten'' (''untersagt''), ''daß dieser Weg von fremdem Fuhrwerke befahren wird''; und mancher hat schon die erregten und besonders scharfen Willensäußerungen vernommen und vielleicht selbst getan: ''Ich wünsche aber, daß du nicht länger bleibst; Ich gebiete dir aber, daß du pünktlich zurück bist!'' Auf dieser Bahn $Seite381$ geht auch Schiller mit dem Satze: ''Ich muß ihm einen schicken, daß er mir die Spanier und Mailänder nicht hineinläßt''. In dem Satze Goethes: ''Drum hebt dich der Tyrann, damit er jemand hat, dem er befehlen kann'', drückt der Indikativ dann vollends aus, daß die Absicht auch erreicht ist.
Ja, wenn man erwägt, ein wieviel breiteres Gebiet der Konjunktiv auf früheren Sprachstufen innehatte, so muß man geradezu zu dem Ergebnis kommen: die Entwicklung unserer Sprache neigt überhaupt dahin, den Indikativ überall da durchdringen zu lassen, wo der Konjunktiv für das Wesen und die Bedeutung des Satzes nicht das alleinige Kennzeichen ist. Immerhin aber sollte dieser hauptsächlich von Norddeutschland ausgehenden Bewegung wenigstens dann Halt geboten werden, wenn sie auch in Sätze eindringt, die nach ihrer Färbung die Frage, ob der Wunsch, die Absicht werde erreicht werden, gänzlich offen lassen oder gar die Unerfüllbarkeit aussprechen, also den Konjunktiv als Kennzeichen verlangen. Mustergültig also schreibt Jos. Ponten: ''Wir müssen glauben, daß es ist, wie wir wünschen, daß es sei''. Dagegen hätte Langbehn nicht schreiben sollen: ''Es kommt nur darauf an, daß diese Aufgabe inner- wie außerhalb Deutschlands verstanden wird'', wo er doch selbst gar nicht so fest von der Erfüllung seiner Forderungen überzeugt ist. Freilich ein Kritiker der Tgl. R. überbietet ihn noch: ''So hätte er doch besser auch einen Naturalisten in diesen Kreis — seiner schon herausgegebenen Novelle! — eingeführt, damit auch die gegnerische Meinung nicht unterdrückt wird'' (statt ''würde'')! Ebenso darf die Begünstigung des norddeutschen Indikativs nicht dazu führen, daß der Unterschied zwischen nahe verwandten Fügungen verwischt wird; bedeutet doch: ''es ziemt sich, gehört sich, gebührt sich, ist in der Ordnung, daß diese Frage dem Reichstage unterbreitet wird'', daß dies auch wirklich schon geschieht, womit also lediglich eine Tatsache als ''sich geziemend'' usw. beurteilt wird; nach: ''es ziemte sich, würde in der Ordnung sein'' u. ä. muß dagegen fortgefahren werden: ''daß ihm eine solche Frage unterbreitet werde'', da dann die Erfüllung einer Forderung noch als fraglich hingestellt wird.
Selbst zum Schlimmsten mußte diese Unaufmerksamkeit auf den Konjunktiv der Absichtssätze führen: selbst die Mitteilung einer ehemals gehegten, der Vergangenheit angehörigen Absicht wird im Indikativ — der Gegenwart gemacht. Noch dazu wird diese Unart gerade von Dichtern genährt, indem sie in ungebührlicher Weise, was sie zur realistischen Färbung der Reden ihrer Personen wohl anwenden mögen, eine mehr oder minder mundartlich und volkstümlich gefärbte Redeweise, auch in ihre eigne Erzählung einschwärzen. Diese sollte aber doch immer hochdeutsch lauten und niemals so: ''Dahinein legte er drei Ringe, damit ihm die alte Sodzu-Baba im Schattenreich nicht die Gewänder wegnimmt'' (DAZ. 28); oder: ''Die Buben werden mit der Mission betraut, den Boden auszuräumen, indes Lisi unten acht geben mußte, daß nichts von den Kostbarkeiten gestohlen wird'' (Chiavacci). Wenn sich eine derartige Gegenwart massenhaft bei Auerbach findet, ob man nicht daran vielleicht erkennt, daß die Entwicklung nahe daran ist, eine feine deutsche Eigenart aufzugeben? — Auch der Indikativ des Imperfekts wird in diesen Sätzen oft falsch angewandt. Dann allein ist er nämlich richtig und zulässig, wenn der Darsteller aus der Erfahrung die Möglichkeit gewonnen hat und durch den Zusammenhang genötigt ist, die Absicht von ehedem als jetzt tatsächlich erreicht hinzustellen. $Seite 382$ So darf ich von einer Handlung, für deren tatsächlichen Eintritt mein Wunsch maßgebend gewesen ist, wenn es darauf ankommt, dies letztere zu betonen, recht wohl sagen und sage heute sogar deutlicher: ''Ich habe selbst gewünscht, daß es geschah; ich verlangte selber, daß er mitging, daß sie mir meine Geschenke zurückgab''; denn bei der Form: ''daß sie mir... zurückgäbe'' würde nicht, wie bei jener, zugleich auch über den Erfolg meines Verlangens etwas ausgesagt sein. Trotzdem ist und bleibt es falsch, wenn man in der geschichtlichen Erzählung, natürlich auch im Roman, wo es auf Wiedergabe der bewegenden Gesichtspunkte, bestimmenden Zwecke u. ä. ankommt, demselben Indikative begegnet. Selbst G. Keller schreibt einmal: ''Sein verwitweter Vater wünschte, daß der einzige Sohn bei ihm lebte und die Verwaltung der Güter übernahm — und da weilt dieser Sohn noch in — Berlin''; und Galsworthys Übersetzer L. Schalit: ''Er hoffte nur, daß sie kein Veronal bei sich hatte''. Am öftesten begegnet die Unart in Vorlagen fürs Übersetzen in fremde Sprache; damit soll, o Jammer! — dem Übersetzer eine Falle gelegt werden, in Wirklichkeit aber wird darin das deutsche Sprachgefühl so vieler weggefangen, die einst gutes Deutsch zu schreiben berufen wären; und das nur, damit auf Kosten richtiger Vorstellungen von der Art der Muttersprache, die — einer fremden eingedrillt werde.
Sogar in Wunsch- und Absichtssätzen, wo man es kaum für möglich halten sollte, wird jetzt statt des Konjunktivs der Indikativ geschrieben! Da liest man: ''es ist zu wünschen, daß die Nation auch künstlerisch zusammensteht — wir wünschen von Herzen, daß das der letzte Fall eines solchen Verbrechens gewesen ist — es ist wünschenswert, daß die Rede vollständig gedruckt wird — wir bitten um Erneuerung des Abonnements, damit die Zusendung keine Unterbrechung erleidet — wir raten ihm, sich an deutsche Quellen zu halten, damit er das Deutsche nicht ganz verlernt''. Immerhin ist solche Nachlässigkeit noch verhältnismäßig selten. Die schlimmste Verwirrung des Indikativs und des Konjunktivs ist in den Subjekt- und Objektsätzen (Inhaltsätzen) und in den abhängigen Fragesätzen eingerissen. Und doch, wie leicht ist es, bei einigem guten Willen auch hier das Richtige zu treffen!
Man vergleiche einmal folgende beiden Sätze: ''Curtius zeigte seinen Fachgenossen, daß er ihnen auch auf dieses Gebiet zu folgen vermöchte'', und: ''Curtius zeigte seinen Fachgenossen, daß er ihnen auch auf dieses Gebiet zu folgen vermochte''. Was ist der Unterschied? In dem ersten Falle lehne ich, der Redende oder Schreibende, ein Urteil darüber ab, ob Curtius wirklich seinen Fachgenossen habe folgen können, ich gebe nur seine eigne Meinung wieder; im zweiten Falle gebe ich selbst ein Urteil ab, ich stimme ihm bei, stelle es als Tatsache hin, daß er ihnen habe folgen können. Ein andres Beispiel: ''die meisten Menschen trösten sich damit, daß es früher'' $Seite 140$ ''auch so war'', und: ''die meisten Menschen trösten sich damit, daß es früher auch so gewesen sei''. Was ist der Unterschied? In dem ersten Falle gebe ich über den Trostgrund der Menschen ein Urteil ab, ich stimme ihnen bei, ich stelle ihren Trostgrund als richtig, als Tatsache hin; in dem zweiten Falle enthalte ich mich jedes Urteils, ich gebe nur die Meinung der Menschen wieder. Noch ein Beispiel: ''ich kann doch nicht sagen, daß ich krank bin'', und: ''ich kann doch nicht sagen, daß ich krank sei''. Der erste Satz bedeutet: ich trage Bedenken, die Tatsache meiner Erkrankung einzugestehen; der zweite: ich trage Bedenken, eine Krankheit vorzuspiegeln. Da haben wir klar und deutlich den Sinn der beiden Modi.
Darnach ist es klar, weshalb nach Zeitwörtern wie ''wissen, beweisen, sehen, einsehen, begreifen, erkennen, entdecken'', ebenso wie nach den unpersönlichen Redensarten: ''es ist bekannt, es steht fest, es ist sicher, es ist klar, es ist kein Zweifel, es ist Tatsache, es läßt sich nicht leugnen'' usw. der Inhaltsatz stets im Indikativ steht. In allen diesen Fällen kann das Subjekt oder Objekt nur eine Tatsache sein; welchen Sinn hätte es da, ein Urteil darüber abzulehnen? Es ist also ganz richtig, zu sagen: ''kann es geleugnet werden, daß die Erziehung des gemeinen Volks eines der wichtigsten Mittel ist, unsre Person und unser Eigentum zu schützen?'' Dagegen spricht aus folgenden Sätzen eine völlig unverständliche Ängstlichkeit: ''Hamerling hat bewiesen, daß man als Atheist ein edler und tüchtiger Mensch sein könne — die Besichtigung der Leiche ergab, daß es sich um einen Raubmord handle — schon seit Jahren hatte sich herausgestellt, daß die Räume unzureichend seien — als man die Kopfhaut entfernte, sah man, daß die Schädeldecke vollständig entzwei geschnitten sei — zu meinem Schrecken entdeckte ich, daß der junge Graf nicht einmal orthographisch schreiben könne — die Sammlung tritt sehr bescheiden auf und läßt keinen Zweifel darüber, daß die Zeit des Sturms und Dranges vorüber sei''. Was ''bewiesen, gesehen, entdeckt worden ist, sich ergeben, sich herausgestellt hat, nicht bezweifelt'' werden kann, das müssen doch Tatsachen sein! $Seite 141$ Weshalb soll man sich scheuen, solche Tatsachen anzuerkennen?
Dieser Fehler kommt denn auch verhältnismäßig selten vor. Um so öfter wird der entgegengesetzte Fehler begangen, daß nach Zeitwörtern, die eine bloße Meinung oder Behauptung ausdrücken, der Indikativ gesetzt wird, obwohl der Redende oder Schreibende über die ausgesprochne Meinung oder Behauptung nicht das geringste Urteil abgeben, sondern sie als bloße Meinung oder Behauptung eines andern hinstellen will. Die Zeitwörter, hinter denen das geschieht, sind namentlich: ''glauben, meinen, fühlen, denken, annehmen, vermuten, überzeugt sein, hoffen, fürchten, schließen, folgern, behaupten, sagen, lehren, erklären, versichern, beteuern, bekennen, gestehen, bezweifeln, leugnen, antworten, erwidern, einwenden, berichten, erzählen, überliefern, erfahren, vernehmen, hören'' u. a. Stehen diese Verba in dem Tempus der Erzählung, so setzt jeder richtig den Konjunktiv dahinter. Aber wie, wenn sie im Präsens oder im Futurum stehen? Da wird geschrieben: ''der Ausschuß ist der Meinung, daß der Markt der geeignetste Platz für das Denkmal ist — der jugendliche Sinn wird zu der Meinung genötigt, daß alles Sprachwesen Willkür und Gedächtnissache ist — der Herausgeber ist zu der Ansicht gekommen, daß sich diese Rede Ciceros nicht für die Schule eignet — man nimmt an, daß er wahnsinnig ist — jeder wird von einer Privatsammlung, die in den fünfziger Jahren genannt wurde, annehmen, daß sie heute nicht mehr besteht — Lessing behauptet, daß sich das neue Wort schnell eingebürgert hat — man behauptet, daß das Lateinische zu schwer ist, als erste fremde Sprache gelernt zu werden — Marx sagt, daß keine neue Gesellschaft ohne die Geburtshilfe der Gewalt entsteht — der Fremde, der die Ausstellung besucht, wird sagen, daß es der Berliner Kunst an Schwung und Phantasie gebricht — von glaubwürdiger Seite wird uns versichert, daß die Stimmung sehr flau war — man glaubt, daß die Diebe während der Fahrt in den Zug stiegen — man'' $Seite 142$ ''sagt, daß er sich von einem Priester taufen ließ — die Legende erzählt, daß, als die Greisin noch ein schönes Mädchen war, sie eine tiefe Neigung zu einem jungen Krieger faßte — in Berliner Künstlerwerkstätten gilt noch heute die Überlieferung, daß Rauch nicht immer der große Mann gewesen ist, als den ihn die Nachwelt preist, daß Neid und Eifersucht ihm nicht fremd waren, und daß er, solange er Macht und Einfluß hatte, niemand neben sich aufkommen ließ''. In allen diesen Sätzen ist der Indikativ wahrhaft barbarisch. Doppelt beleidigend wirkt er, wenn in dem regierenden Satze die Meinung oder Behauptung, die im Nebensatze steht, ausdrücklich verneint wird, als falsch, als irrtümlich, als übertrieben, als unbewiesen bezeichnet wird. Und doch muß man täglich auch solche Sätze lesen, wie: ''es kann nicht zugegeben werden, daß der große Zuzug der Bevölkerung die Ursache der städtischen Wohnungsnot ist — wir sind nicht zu der Annahme berechtigt, daß er sich durch die Mitgift der Frau zu der Heirat bewegen ließ — aus dieser Tabelle läßt Sich keineswegs der Schluß ziehen, daß die Kost dürftig ist — daß der sozialistische Geschäftsbetrieb in diesen Industrien möglich ist, hat noch niemand bewiesen — ich kann nicht finden, daß Wagners Musik läutert — ich muß aufs entschiedenste bestreiten, daß es in einem unsrer Schutzgebiete Sklavenmärkte gibt — niemand wird behaupten, daß es dem Architekten gleichgiltig sein kann, ob sein Ornament langweilig oder geistreich ist — es wird schwerlich jemand dafür eintreten, daß die Ausführung dieses Planes möglich ist — es ist nicht wahr, daß man durch Arbeit und Sparen reich werden kann — unwahr ist, daß Herr B. eine Sühne von 500 Mark angeboten hat — die K. Zeitung geht zu weit mit der Behauptung, daß die beiden vorigen Sessionen des Landtags unfruchtbar gewesen sind — es liegt nicht der leiseste Anhalt vor, daß eine neue Revision des Gesetzes beabsichtigt ist — ich will damit nicht sagen, daß die Sittlichkeit darunter leidet — ich kann nicht sagen, daß ich diese Woche große Freude an der Arbeit hatte — damit soll nicht gesagt sein, daß es der'' $Seite 143$ ''Sammlung ganz an duftigen Liederblüten fehlt — es soll damit nicht gesagt sein, daß Beethoven je populär werden kann — es ist falsch, wenn der Verfasser behauptet, daß die Fehlerzahl den Ausschlag bei der Versetzung der Schüler gibt — wir glauben widerlegt zu haben, daß der Schule in diesem Kampfe ein Vorwurf zu machen ist — wer hat bewiesen, daß die sittliche Höhe eines Künstlers der künstlerischen seiner Werke gleichstehen muß?'' Welcher Unsinn, etwas in einem Atem zu leugnen oder zu bestreiten und zugleich als wirklich hinzustellen! Darauf laufen aber doch schließlich alle solche Sätze hinaus. Der Indikativ kann in solchen Fällen geradezu zu Mißverständnissen führen. Wenn einer schreibt: ''es ist nicht richtig, daß die Zollerhöhung das Leben der niedern Klassen verteuert'', so kann man das auch so verstehen: sie verteuert es, aber das ist nicht schön von ihr, sie sollte das lieber nicht tun. Will einer deutlich sagen: ''sie verteuert es nicht'', so muß er schreiben: ''es ist nicht richtig, daß die Zollerhöhung das Leben der niedern Klassen verteure.''
Gewiß gibt es zwischen den unbedingt nötigen Indikativen und den unbedingt nötigen Konjunktiven verschiedne Arten von zweifelhaften Fällen. Es gibt doppelsinnige Verba, wie z. B. ''finden, sehen, zeigen'', die ebensogut eine Erkenntnis wie eine Meinung ausdrücken können; darnach hat sich der Modus des Nebensatzes zu richten. ''Als der erfte Schrecken überwunden war, sahen die Römer, daß sich der Aufstand nicht bis zum Rhein ausdehne'' — man erwartet den Indikativ: ''ausdehnte''; aber der Schreibende hat mit sehen vielleicht mehr den Gedankengang, die Erwägung der Römer ausdrücken wollen. So ist auch ''beweisen wollen, zu beweisen suchen'' etwas andres als ''beweisen''; ''Hamerling hat beweisen wollen, daß man als Atheist auch ein edler und tüchtiger Mensch sein könne'' — das wäre richtig, ebenso wie: ''er will beweisen, daß weiß schwarz sei''. Ein Bigotter könnte aber auch sagen: ''Beweisen läßt sich alles mögliche''; ''hat nicht Hamerling sogar bewiesen, daß ein Atheist ein edler Mensch sein könne''? Dann wäre der Sinn: trotz seines Beweises glaube ich es nicht. $Seite 144$ Und anderseits kann man wieder sagen: ''Warum willst du erst noch beweisen, daß zwei mal zwei vier ist''? Man vergleiche noch folgende Sätze: ''darin geben wir dem Verfasser Recht, daß es unerklärlich ist, wie der gütige Gott eine mit Übeln erfüllte Welt schaffen konnte''; aber wir bestreiten, daß es deshalb logisch geboten sei, dem Wesen, daS die sittliche Norm in sich enthält, die Weltschöpfung abzusprechen. Auch in dem ersten Satze ist der Konjunktiv möglich, mancher würde ihn vielleicht auch dort vorziehen. Bei guten Schriftstellern, bei denen man das angenehme Gefühl hat, daß sie jedes Wort mit Bedacht hinsetzen, macht es Vergnügen, solchen Dingen nachzugehen. Aber wie oft hat man dieses Gefühl? Meist lohnt es nicht der Mühe, hinter plumpen Schnitzern nach besondern Feinheiten zu suchen.
Wenn das Verbum des Hauptsatzes im Präsens steht und das Subjekt die erste Person ist, so ist auch nach den Verben des Meinens und Sagens wohl allgemein der Indikativ üblich und auch durchaus am Platze. Wenn der Hauptsatz heißt: ''ich glaube'' oder ''wir behaupten'', so hätte es keinen Sinn, den Inhalt des Nebensatzes als bloße Vorstellung hinzustellen und ein Urteil über seine Wirklichkeit abzulehnen, denn ich und der Redende sind ja eine Person. Daher sagt man am liebsten: ''ich glaube, daß du Unrecht hast''. Und sogar wenn der Hauptsatz verneint ist: ''ich glaube nicht, daß sie bei so rauher Jahreszeit noch in Deutschland sind — ich glaube nicht, daß der freie Wille der Gesellschaft heute schon stark genug ist — wir sind nicht der Ansicht, daß man die bestehende Welt willkürlich ändern kann''. In den beiden letzten Sätzen würde vielleicht mancher den Konjunktiv vorziehen; aber schwerlich wird jemand sagen: ''ich glaube nicht, daß sie bei so rauher Jahreszeit noch in Deutschland seien''. Selbst in Wunsch- und Absichtssätzen steht in solchen Fällen der Indikativ, zumal in der Umgangssprache. Jedermann sagt: ''spann deinen Schirm auf, daß du nicht naß wirst!'' ''Werdest'' würde hier so geziert klingen, daß der andre mit Recht erwidern könnte: ''du sprichst ja wie ein Buch''. Wenn man aber einen Bibelspruch anführt, sollte man ihn $Seite 145$ nicht so anführen: ''Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst!''
Genau so wie mit den Objektsätzen, die mit dem Fügewort ''daß'' anfangen, verhält sichs mit denen, die die Form eines abhängigen Fragesatzes haben: sie müssen im Konjunktiv stehen, wenn der Redende oder Schreibende kein Urteil darüber abgeben kann, ob ihr Inhalt wirklich sei oder nicht, weil es sich um Dinge handelt, die eben in Frage stehen, sie können im Indikativ stehen, wenn der Redende ein solches Urteil abgeben kann und will, sie müssen im Indikativ stehen, wenn es gar keinen Sinn hätte, ein solches Urteil abzulehnen, weil es sich um eine einfache Tatsache handelt. Richtig sind folgende Sätze: ''man darf sich nicht damit begnügen, zu behaupten, etwas sei Recht, sondern man muß doch wenigstens angeben, weshalb es Recht sei, und welches Ziel ein solches Recht verfolge — nicht darum handelt sichs in der Politik, ob eine Bewegung revolutionär sei, sondern ob sie eine innere Berechtigung habe — die Frage, ob der Angeklagte den beleidigenden Sinn eines Schimpfwortes erkannt habe, wird meist leicht zu bejahen sein — man sollte sich fragen, ob man nicht selbst die Mißstände zum Teil verschuldet habe, die man beklagt — es sollte nicht gefragt werden, ob die Zölle überhaupt zweckmäßig seien, sondern ob im einzelnen Falle ein Zoll angebracht sei, und ob damit erreicht werde, was erstrebt wird.'' Liederlich ist es dagegen, zu schreiben: ''die Verhandlung hat keine Klarheit darüber gebracht, ob die Klagen berechtigt sind oder nicht''. Wie kann man etwas als gewiß hinstellen, wovon man eben gesagt hat, daß es noch unklar sei? Falsch sind aber auch — trotz ihres schönen Konjunktivs — folgende Sätze: ''wie weit das Gebiet sei, das K. bearbeitet, zeigen seine Bücher — ältere Zuhörer, die mehr oder weniger schon wissen, wovon die Rede sei — es ist vom Schüler zu verlangen, daß er wisse, was eine Metapher sei — es wäre interessant, zu wissen, was Goethe mit dieser Bezeichnung gemeint habe''.
Schuld an der traurigen Verrohung des Sprachgefühls, die sich in den falschen Indikativen kundgibt, $Seite 146$ ist zum Teil sicherlich die Unsitte, die Hilfszeitwörter in den Nebensätzen immer wegzulassen; das stumpft das Gefühl für die Bedeutung der Modi so ab, daß man sich schließlich auch dann nicht mehr zu helfen weiß, wenn das Verbum gesetzt werden muß. Daneben aber ist noch etwas andres Schuld, nämlich die unter dem verwirrenden Einflusse des Englischen immer ärger werdende Unkenntnis, welche Konjunktive und welche Indikative im Satzbau einander entsprechen, d. h. in welchen Konjunktiv im abhängigen Satze ein Indikativ des unabhängigen Satzes verwandelt werden muß; es scheint das geradezu nicht mehr gelernt zu werden. Man erinnert sich wohl dunkel einer Konjugationstabelle, worin die Indikative und Konjunktive einander so gegenübergestellt waren:
[linke Spalte]
''ich bin''
''ich war''
''ich bin gewesen''
''ich war gewesen''
[rechte Spalte]
''ich sei''
''ich wäre''
''ich sei gewesen''
''ich wäre gewesen''
oder:
[linke Spalte]
''ich nehme''
''ich nahm''
''ich habe genommen''
''ich hatte genommen''
[rechte Spalte]
''ich nehme''
''ich nähme''
''ich habe genommen''
''ich hätte genommen''
Aber daß einem diese Gegenüberstellung aus der Formenlehre für den Satzbau gar nichts helfen kann, das weiß man nicht. Die Gegenüberstellung der Modi für die Inhaltssätze sieht so aus:
[linke Spalte]
''er trägt''
''er trug''
''er hat getragen''
[rechte Spalte]
''daß er trage'' oder: ''daß er trüge''
''daß er getragen habe'' oder: ''daß er getragen hätte''
[linke Spalte]
''ich bin''
''ich war''
''ich bin gewesen''
[rechte Spalte]
''daß ich sei'' oder: ''daß ich wäre''
''daß ich gewesen sei'' oder: ''daß ich gewesen wäre''
Daß sich gerade der Indikativ des Imperfekts jetzt so oft findet, wo ein Konjunktiv des Perfekts oder des Plusquamperfekts hingehört (''Friedmann ist den Beweis dafür'' $Seite 147$ ''schuldig geblieben, daß dieser Verdacht haltlos und sinnwidrig war''), zeigt deutlich, daß man einen richtigen Konjunktiv in abhängigen Sätzen zu bilden vollständig verlernt hat.
Doch zum Schlusse eine Warnung. Mit dem Fortspinnen der Rede durch Relativsätze ist nur die Fortsetzung eines Haupt- oder eines anderen Nebensatzes durch einen Relativsatz gemeint; aber nimmer soll damit die allereintönigste und langweiligste Satzform empfohlen sein, die $Seite 295$ heute in Romanen und in Zeitungen noch mehr, aber auch bei Gelehrten infolge ihrer Bequemlichkeit recht zu Hause ist. Es ist die Einschachtelung und Aneinanderreihung von drei und mehr solchen Relativsätzen, die jeder zu einem andern Beziehungsworte gehören. Die Einschachtelung führt, ganz wie es oben § 267 von den ineinandergeschobenen präpositionalen Bestimmungen gezeigt ist, zu einem Zerplatzen des Tonbandes, das Anfang und Ende eines Satzes umspannen muß, und macht somit den Satz zerrissen und unübersichtlich. Jeder solche Satz bestätigt dies: ''Wir erinnern uns an das Zirkular, in welchem das Dekret der französischen Regierung vom 13. November, in welchem jedem Offizier, welcher desertiert, eine Prämie zugesichert wird, seine Beleuchtung erhält''. Wenn sich ein Relativsatz an den andern reiht, wirkt wieder das Einförmige der Sätze und die eintönige Wiederkehr des nämlichen Rhythmus geschmacklos. Man höre nur, um genug zu haben, den einzigen Satz aus einem neueren Romane: ''Er befand sich in einem höhlenartigen Gemache, in welchem'' (1.) ''eine schöne Frau stand, von deren'' (2.) ''Körper ein sanftes, weißes Licht ausströmte, das'' (3.) ''den Raum erhellte und eine verhüllte Gestalt beschien, welche'' (4.) auf einer Matte lag''. Vgl. § 403. +
Eine wirkliche Verletzung des Hauptgesetzes der eigentlichen Zusammensetzung liegt vor in den Formen ''Rechnenheft, Zeichnenstift, Trocknenplatz'' u. ä., die immer häufiger werden; in den richtigen Formen ''Zeichenkasten'' u. a. kommt nämlich nach Abfall der Infinitivendung ''-en'' der richtige Stamm zum Vorscheine: ''zeich[e]n-en''. Anderseits dienen in einigen solchen Zusammensetzungen des Stammes gar einzelne aus einer Redensart herausgehobene Verbalformen als Bestimmungswort, so in der ''Soll-Einnahme'' und ''Ist-Einnahme'' und dem ''Istmaß'' der Kaufleute, dem ''Willkünstler'', d. h. einem, der ein Künstler sein will, bei einem Kritiker der Tägl. Rundschau, und dem sinnverwandten ''Möchtegern'' verwandt ist der ''Gernegroß''; und selbstverständlich kann das Grundwort eine Zeitwortform sein, wenn sie auch allein hauptwörtlich gebraucht wird; vgl. das ''Einnahme-Soll'' und von seinem schweren ''Bildner-Muß'' (Gundolf 1916). +
Ein besonders verbreiteter Fehler ist die Wahl von ''durch'', auch ''vermittels'' statt ''infolge'' oder auch ''wegen''. ''Durch'' (''vermittels'') gibt nämlich die unmittelbare ursächliche Verknüpfung einer Erscheinung mit der anderen, namentlich auch einer Handlung mit ihrem Ergebnisse, ja oft geradezu das Mittel zu ihrer Ausführung an: ''Er ragt durch die Lauterkeit seiner Gesinnung hervor. Man will die Geschäftsleute oft durch Drohung mit dem Verruf zwingen''. Dagegen bezeichnet ''infolge'' (''wegen'') nur eine unmittelbare Verknüpfung zweier Erscheinungen, namentlich auch den zurückliegenden Umstand oder Anstoß, unter dessen Nachwirkung durch mancherlei — oft nicht genannte — Umstände ein Zustand herbeigeführt worden ist. ''Viele Verträge haben infolge des Ausstandes nicht innegehalten werden können''. Den Unterschied beider Ausdrucksweisen veranschaulicht besonders ein Satz wie der folgende: ''Infolge eines für einen etwaigen Rückzug gegebenen Befehles wurde die Brücke durch die angestrengtesten Bemühungen der Pioniere zum Einsturz gebracht''. Man kann nämlich nicht sagen: ''der Befehl hat die Brücke zum Einsturz gebracht'', wohl aber: ''die Bemühungen der Pioniere haben dies getan'', wie denn überhaupt ''durch'' immer anwendbar ist, wenn diese Erscheinung zum Subjekt des entsprechenden aktivischen Satzes gemacht $Seite 152$ werden kann. Junker hat denn z. B. falsch geschrieben: ''Der Inhalt der Kisten war vermittels des eindringenden Wassers'' (statt: ''infolge Eindringens von Wasser'') ''zu einem großen Eisklumpen gefroren''; denn nicht das Eindringen von Wasser macht gefrieren, sondern die Kälte, unter deren Wirkung jener Umstand erst solche Folgen hat. Ähnlich mußte es bei v. Boyen heißen: ''Infolge zweckmäßig gegebener Baugelder'' (nicht: ''durch ... gegebene Baugelder'') ''fand man an Stelle elender Hütten freundliche Häuser'', und: ''nach einem infolge oder bei der späten'' (nicht: ''durch die späte'') ''Jahreszeit anstrengenden Marsche'': denn nicht diese Jahreszeit an sich strengt an, sondern die in ihr gewöhnliche Ungangbarkeit der Wege u. ä. Von der unmittelbaren Folge eines Todesfalls heißt es: ''Durch den Tod des Archivrates Naumann ist eine behagliche Gelehrtenstelle erledigt worden''; aber man muß sagen: ''Infolge des Todes Archivrat Naumanns harrt eine Stelle von heut seltener Behaglichkeit ihrer Neubesetzung'', da der Tod nicht auch die unmittelbare Ursache zum Unterbleiben der Neubesetzung ist. Ursache und Mittel nebeneinander zeigt wieder der Satz: ''Alle Anschuldigungen gegen den Beamten haben sich infolge der Mutwilligkeit, mit der sie erfunden waren, durch die amtliche Untersuchung in ein reines Nichts aufgelöst''. Eigenartig, aber kaum zu beanstanden, steht durch in dem Satze P. Ernsts: ''Dann befiehlt Herkules, ihm ein Band um den Mund zu legen, damit er in seinem Schmerz durch das Gift nicht schreit, sondern freudig stirbt''. Vgl. Behaghel, Ztschr. des Allg. Deutschen Sprachvereins 1905 S. 342 ff.
Namenlich werden statt der uralten einfachen Adverbien ''hier, hierhin, dorthin, hinab, hinauf grob'' und ''breit'' noch Ruhe oder Bewegung bezeichnende Präpositionen mit folgendem Adverb gesetzt. So sagt der Kaufmann besonders ''inhier'' statt ''hier'', wohl durch sein nicht viel besseres ''abhier'' (statt ''von hier'') dazu verleitet. Gleicherweise möchte aus Reisebeschreibungen das aus Geschäftsbriefen eingeschmuggelte ''nach hier'' und ''nach dort'' (statt ''hierher, dorthin'') zur Bezeichnung eines vorher genannten Ortes verschwinden. In Erzählungen liest man gar schon ''nach oben gehn'', d. h. in ein oberes Stockwerk, wofür das Volk natürlich viel zu gemein und doch allein richtig sagt: ''hinauf gehn''. Gleich unbeholfen ist: ''nach unten statt hinunter, nach heim'' statt ''heimwärts'' oder bloß ''heim, nach draußen'' statt ''hinaus schauen, nach hüben'' statt ''herüber, nach drüben'' statt ''hinüber''. +
Auf alle Fälle klingen diese freien beisatzartigen Verbindungen, welche die Sache durch das erläuternd nachgestellte — ich möchte sagen — Stichwort deutlich bezeichnen, besser als etwa ''Schnäbele-Frage, Hartmannfall, Goetheenkel'' u. ä. Denn diese Zusammensetzungen würden, gleich manchen neuen und allerneusten, die Hauptbedingungen nicht erfüllen, daß die Zusammensetzung einen eigenartigen Begriff ergeben muß, der von dem des einfachen Grundworts der Art nach verschieden ist. Oder nicht so abgezogen, sondern mehr sprachgeschichtlich ausgedrückt: ehe eine syntaktische Verbindung, die jeder wirklichen Zusammensetzung vorausgeht, zu einer solchen werden kann, muß sie vielmal gemacht worden sein mit immer gleichen oder ähnlichen Worten, so daß damit zugleich die Vorstellung vieler mit der durch den Ausdruck bezeichneten Sache verbundenen Dinge und Vorgänge, ihrer gewöhnlichen Art, ihrer Gründe und Zwecke wieder in uns lebendig wird. Mit den Wörtern ''Kreuz-, Pilger-, Römerfahrt'' beispielsweise verbinden wir ganz bestimmte Vorstellungen, die deren Bestandteile, voneinander gelöst, nicht erregen würden; wenn aber einer von Erlebnissen auf seiner ''Rußlandfahrt'' berichtet, so entbehrt dieser Ausdruck eines ähnlichen Reichtums bestimmter begleitender Vorstellungen oder des Begriffes einer besonderen Art, und die Neubildung steht ungerechtfertigt neben dem richtigen Ausdrucke „''Fahrt nach Rußland''". Ähnlich verhalten sich ''Hochzeits-, Alpen-, Geschäftsreise'' zu ihren falschen Nachahmungen ''Schweiz- oder Turinreisen''. Die Nachtigal, Peters, Junker u. a. würden gar übel vermerken, wenn man jeden, der nach Afrika reist, einen ''Afrikareisenden'' nennen wollte, wie ja auch der ''Goethe-'' und ''der Weinkenner'', ''der Sprach- und Naturforscher'' einen ''Baselkenner'' und ''Arabienforscher'' nicht für gleichberechtigt ansehen lassen; vermag doch nicht die Beschäftigung mit einer beliebigen Stadt und Gegend auch die Vorstellung einer besonderen Art der Forschung und Kennerschaft $Seite 25$ zu erwecken. Kurz: ein Hauptwort mit einer genetivischen oder adverbialen Beifügung darf nur dann in eine Zusammensetzung zusammengezogen werden, wenn eine Klasse, eine ganze Art bezeichnet werden soll. Das wollte P. Ernst ausdrücken mit dem die ganze Unryhthmik des Riesenbaues malenden Satze: ''Versailles ist das erste Regierungsbaumeisterwerk''. Dagegen solchen Zeitungsgeschöpfen wird man den Garaus machen wie ''Zulucharakter; Zulubeziehungen''; ''Gutenberg, der Johannistäufer der Buchdruckerkunst''. Vollends in Ungetümen wie: ''Mordbrennereiaufwieglung, Eigentumsentäußerungsgesetz, Dombaugenossenschaftsfest, Dampfstraßenbahn-Aktiengesellschaft'' u. ä. vereinigt sich noch der schwerfällige Gang und häßliche Klang mit dem Fehler, daß die für den einzelnen Fall gemachte Sachverbindung nicht in der dazu geeigneten Weise auftritt: ''Fest der Dombaugenossenschaft, Gesetz über die Entäußerung des Eigentums''. Die Heimlichkeit der Sprache heißt selbst manches, was äußerlich nach den Gesetzen der Zusammensetzung und nach ähnlichen Fällen möglich erschiene, als unschön und ungebräuchlich meiden.
Zahlreiche Verstöße werden gegen den richtigen Gebrauch der Tempora begangen. Ganz undeutsch und nichts als eine gedankenlose Nachäfferei des Französischen, noch dazu eines falsch verstandnen Französisch, ist es, zu schreiben: ''die Mitglieder sind gebeten, pünktlich zu erscheinen''. In dem Augenblicke, wo jemand eine derartige Aufforderung erhält, ist er noch nicht gebeten, sondern er wird es erst. Man kann wohl sagen: ''du bist geladen'', d. h. ''betrachte dich hiermit als geladen''. Aber die Mitteilung einer Bitte, einer Einladung usw. kann doch nur durch das Präsens, nicht durch das Perfektum ausgedrückt werden. +
J
Nach dem eben Gesagten muß eine Stellung von ''ja'' gesucht anmuten, wie sie häufig in Zeitungen zu finden ist: ''Alle Ideen ja haben nur soviel Wert, als sie Kraft der Verwirklichung in sich haben''. Am öftesten wird jetzt das Bindewort ''daher'', auch ''also'' und andere sinnverwandte falsch gestellt, so nämlich, daß sie in den gewöhnlich an die Spitze gerücken Nebensatz vorgeschoben werden, der die Folgerung gar nicht enthält, statt daß man sie für den diese wirklich ziehenden Hauptsatz aufsparte, z. B.: ''Unsere einander bekämpfenden Heere werden unseren gemeinsamen Feinden ein Wohlgefallen sein, weil sie'' $Seite 270$ ''hoffen, dann den Sieger und den Besiegten gleich erschöpft überfallen zu können; wenn uns daher die Götter nicht verblenden, wollen wir einen friedlichen Weg suchen, unsern Streit auszutragen'' (statt: ''wenn uns die Götter nicht verblenden, wollen wir daher'' usw. +
Auch der umgekehrte Fall kommt vor, daß Bindewörter, die heute im allgemeinen als unterordnende empfunden werden, ihre ältere adverbiale oder den Hauptsatz anknüpfende Kraft wiedererlangen, sobald das Zeitwort neben ihnen nicht in der Stellung des Neben-, sondern des Hauptsatzes erscheint: so ''wiewohl, obzwar, obschon'' u. ä. ''Obgleich'' (= ''jedoch'') ''das Weißbrot schmeckt auch im Schlosse gut'', sagt z. B. Hebel. Ganz gewöhnlich ist ''je'' mit — ''noch'' — hinweisender Kraft (''ursprünglich'' = ''immer'') im zweiten Gliede neben einem rückbezüglichen ''je'' im ersten, freilich in der Hauptsache nur noch in zusammengezogenen oder doch kurzen Sätzen. Da das aber etwas Volkstümliches, Natürliches ist, wie jedem der Blumenname ''Jelängerjelieber'' sagt, mag man zusammengezogene Sätze nur auch immer möglichst nach dem Goethischen Muster bauen: ''Bis an die steilsten Höhen liegt roter Ton angeschwemmt, je höher, je röter'', und auch kurze selbständige nach dem Lessingschen: ''Ihr Gelehrten, je mehr ihr lernt, je mehr vergeßt ihr''. Nur bei $Seite 275$ längeren Sätzen verdient ''desto'' und ''umso'' im Nachsatze den Vorzug, weil da die größere Spannung des Tones zwischen der Einleitung des Neben- und der des Hauptsatzes in diesem ein Wort erwünscht macht, das eines größeren Nachdrucks fähig ist als das dürstige ''je''. Wieviel besser ein solches ''desto'' oder ''umso'' dann wirkt, wird jeder fühlen, der diese in dem folgenden Satze Karls von Francois für die zwei letzten ''je'' einsetzt: ''Jemehr ich mich der heimatlichen Gegend näherte, je wohlbekannter mir alles entgegenlachte, je'' (''desto, umso'') ''mächtiger hob sich meine Brust, je'' (''desto, umso'') ''lebhafter malte mir meine Phantasie die Freude des bevorstehenden Wiedersehens aus''. Geradezu ungefällig klingt ''umso'' auch im vorangestellten Nebensatze so gut bei Grabbe: ''Umso'' (statt ''je'') ''länger du die reinen menschlichen Gefühle niederringst, umso gewaltiger richten sie hernach sich auf'', wie bei einem Germanisten: ''Umso stärker die Veränderung des Sprachusus, umso mehr Gelegenheit ist zum Wachstum der dialektischen Verschiedenheit gegeben''. Dem ''je — je'' mit Komparativ entspricht ''genau so — so'' (''doch'') mit Positiv, womit bezeichnet wird, daß zwei Eigenschaften in gleichem Grade vorhanden sind. ''So glücklich Herr v. Caprivi bis jetzt immer gesprochen hat, so unglücklich fuhr er mit dieser unbegründeten Absage an die Liberalen''. Natürlich ist es wieder eine Unregelmäßigkeit, wenn im Nachsatz auf die durch ein erstes ''so'' begonnene Betonung des gleichen Grades verzichtet wird, wie etwa bei Jensen: ''Man hat den Versuch gemacht, den Feldberg als aus Viehberg entstanden herzuleiten; aber so richtig dies beim Hachberg zutrifft, ist die Erklärung eine'' (!) ''sehr unwahrscheinliche'' (statt ''so unwahrscheinlich ist die Erklärung hier'').
Zu den unbehaglichsten Kapiteln der deutschen Grammatik gehört die Deklination zweier miteinander verbundner Nomina, eines Substantivs und eines Adjektivs. Heißt es: ''jeden Zwanges'' oder ''jedes Zwanges''? ''sämtlicher deutscher Stämme'' oder ''sämtlicher deutschen Stämme''? ''großer Gelehrter'' oder großer ''Gelehrten''? ''ein schönes Ganzes'' oder ''ein schönes Ganze''? ''von hohem praktischen Werte'' oder ''von hohem praktischem Werte''? So unwichtig die Sache manchem vielleicht erscheint, so viel Verdruß oder Heiterkeit (je nachdem) bereitet sie dem Fremden, $Seite 25$ der Deutsch lernen möchte, und so beschämend ist es für uns Deutsche selbst, wenn wir dem Fremden sagen müssen: Wir wissen selber nicht, was richtig ist, sprich, wie du willst! Mit einigem guten Willen ist aber doch vielleicht zu klaren und festen Regeln zu gelangen.
Die Adjektiva können stark und auch schwach dekliniert werden. In der schwachen Deklination haben sie, wie die Hauptwörter, nur die Endung ''en'', in der starken haben sie die Endungen des hinweisenden Fürwortes: ''es, em, en''. Nach der starken Deklination gehen sie, wenn sie allein beim Substantiv stehen, wenn weder ein Artikel noch ein Pronomen vorhergeht (oder wenn das vorhergehende Pronomen selber unflektiert gebraucht wird, wie: ''welch vorzüglicher Wein, solch vorzüglicher Wein''); in allen andern Fällen gehn sie nach der schwachen Deklination. Es muß also heißen: ''gerades Wegs, guter Hoffnung, schwieriger Fragen'', dagegen ''des geraden Wegs, der guten Hoffnung, der schwierigen Fragen, dieser schwierigen Fragen, welcher schwierigen Fragen, solcher schwierigen Fragen'', auch ''derartiger'' und ''folgender schwierigen Fragen, beifolgendes kleine Buch'' (denn ''derartiger'' steht für ''solcher'', ''folgender'' und ''beifolgender'' für ''dieser'').
So ist auch die ältere Sprache überall verfahren; Luther kennt Genitive wie ''süßen Weines'' fast noch gar nicht. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert aber drang, obwohl Sprachkundige eifrig dagegen ankämpften, bei dem männlichen und dem sächlichen Geschlecht im Genitiv des Singulars immer mehr die schwache Form ein, und gegenwärtig hat sie sich fast überall festgesetzt; man sagt: ''frohen Sinnes, reichen Geistes, weiblichen Geschlechts, größten Formats''. Höchstens ''gutes Muts, reines Herzens, gerades Wegs'' wird bisweilen noch richtig gesagt. Bei den besitzanzeigenden Adjektiven (''mein, dein, sein, unser, euer, ihr'') hat sich die starke Form überall unangetastet erhalten (''meines Wissens, unsers Lebens''), dagegen ist es bei den Zahlbegriffen (''jeder, aller, vieler, keiner, mancher'') ins Schwanken gekommen, $Seite 26$ Wie man sagt: ''größtenteils'' und ''andernteils'', so sagt man auch ''jedenfalls'' und ''allenfalls'' neben ''keineswegs, keinesfalls, jedes Menschen, keines Worts, alles Lebens, alles Ernstes''. Nur wenige schreiben noch richtig: ''trotz alles Leugnens, trotz manches Erfolgs, trotz vieles Aufwands''; die meisten schreiben: ''trotz allen Leugnens'' usw.
Bei ''jeder'' erklärt sich das Schwanken vielleicht daraus, daß ''jeder'' wie ein Adjektiv auch mit dem unbestimmten Artikel versehen werden kann (''ein jeder Mensch''), eine Verbindung, die manche Schriftsteller bis zum Überdruß lieben, als ob sie das bloße ''jeder'' gar nicht mehr kennten.
Die Schule sollte sich auch hier bemühen, die alte, richtige Form, wo sie sich noch erhalten hat, sorgfältig zu schützen und zur Schärfung des Sprachgefühls zu benutzen. Und wo ein Schwanken besteht, wie bei ''jeder'', da sollte doch kein Zweifel sein, wie man sich zu entscheiden hat. Falsch ist: ''die Abwehr jeden Zwanges''; richtig ist nur: ''die Abwehr jedes Zwanges'' oder ''eines jeden Zwanges'' (wie ''die Bekämpfung solches Unsinns'' oder ''eines solchen Unsinns'').
Merkwürdig ist, daß sich nach ''solcher'' die schwache Deklination noch nicht so festgesetzt hat, wie nach ''welcher''. Während jeder ohne Besinnen sagt: ''welcher gute Mensch, welches guten Menschen, welche guten Menschen'', auch ''solcher vollkommnen Exemplare'', hört man im Nominativ und Akkusativ der Mehrzahl viel öfter ''solche vollkommne Exemplare''. Es kommt das wohl daher, daß auch ''solcher'' oft mehr etwas Adjektivisches hat. Ebenso ist es bei ''derartiger'' (für ''solcher'') und ''folgender'' (für ''dieser''). Jeder wird im Nominativ vorziehen: ''folgende schwierige Fragen'', dagegen im Genitiv wahrscheinlich ''folgender schwierigen Fragen'' (wie ''dieser schwierigen Fragen'').
Manche Leute glauben, daß Adjektiva, deren Stamm auf ''m'' endigt, nur einen schwachen Dativ bilden könnten, weil ''mem'' schlecht klinge, daß es also heißen müsse: ''mit warmem Herzen, mit geheimen Kummer, mit stummen Schmerz, mit grimmen Zorn, von vor-'' $Seite 27$ ''nehmen Sinn, bei angenehmen Wetter, bei gemeinsamen Lesen'' — ein ganz törichter Aberglaube.
Der gute Rat, bei den Adjektiven, deren Stamm auf ''er'' endigt, immer die schönen, kräftigen Formen: ''unsers, andern'' den weichlichen Formen: ''unsres, andren'' vorzuziehen (vgl. S. 27), erleidet eine Ausnahme bei dem Neutrum ''anders''. Unser heutiges Umstandswort ''anders'' (''ich hätte das anders gemacht'') ist ursprünglich nichts „andres" als das Neutrum von ''andrer, andre, andres'' (''ein andres Kleid''). Die Sprache hat sich hier des ganz äußerlichen Mittels bedient, das einemal den Vokal der Endung, das andremal den des Stammes auszuwerfen, um einen Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb zu schaffen. (Ebenso bei ''besondres'' und ''besonders''.) An diesem Unterschied ist natürlich nun festzuhalten, niemand wird schreiben ''ein anders Kleid''. Zum Glück hat sich aber in der lebendigen Sprache in den Verbindungen: ''wer anders, was anders, jemand anders, niemand anders'' die kräftigere Form erhalten; man sagt: ''wer anders sollte mir helfen? — das ist niemand anders gewesen als du'' — und die Schlußzeile einer bekannten Fabel: ''ja, Bauer,'' $Seite47$ ''das ist ganz was anders'' — ist durchaus nicht bloß wegen des Reims auf ''Alexanders'' so geschrieben. In allen diesen Verbindungen ist ''anders'' nicht etwa als Adverb aufzufassen, sondern es ist der Genitiv des geschlechtlosen Neutrums, das zur Bezeichnung beider Geschlechter dient, wie in ''jemand fremdes''. Darnach kann nun auch kein Zweifel sein, wie diese Verbindungen dekliniert werden müssen. Der Volksmund hat das richtige, wenn er sagt: ''von wem anders soll ich mir denn helfen lassen? — ich bin mit niemand anders in Berührung gekommen''. Mit ''niemand anderm'' ist falsch, freilich nicht viel falscher als: ''von was anderm, zu was besserm, zu nichts gutem'', wo auch das abhängige Wort, das eigentlich im Genitiv stehen müßte, die Kasusbezeichnung übernommen hat, die in ''was'' und ''nichts'' nicht zum Ausdrucke kommt. +
In ''jemand'' und ''niemand'' ist das ''d'' ein unorganisches Anhängsel. Die Wörter sind natürlich mit ''man'' (''Mann'') zusammengesetzt (''ieman, nieman''), im Mittelhochdeutschen heißen Dativ und Akkusativ noch ''iemanne, niemanne, ieman, nieman''. Da sich das Gefühl dafür durchaus noch nicht verloren hat, da es jedermann noch versteht, wenn man sagt: ''ich habe niemand gesehen, du kannst niemand einen Vorwurf machen'', so ist nicht einzusehen, weshalb die durch Mißverständnis entstandnen Formen ''jemandem, niemandem, jemanden, niemanden'' den Vorzug verdienen sollten. +
Nicht weniger falsch findet man jetzt oft ''jener'' statt ''der(jenige)'' angewendet, besonders in süddeutschen und österreichischen Zeitungen; konnte es doch Halatschka aus einer deutschen Grammatik für österreichische Mittelschulen! — elfmal nachweisen: Jene Substantiva, welche so und so ausgehen, deklinieren (!) nach der starken Deklination. Ein anderer Mißbrauch des nämlichen Fürwortes ist es, wenn es auf ein einfaches Substantiv eines vorhergehenden Satzes bezogen wird, der überhaupt nur ein mögliches Beziehungswort enthält: ''unsere Vorfahren werden mit Unrecht getadelt; obgleich jene'' (statt ''sie'') ''klüger gewesen sind als ihre Nachkommen.'' Oberdeutsche Sonderheit ist ''jener'' vor dem Relativ natürlich nur, wenn es, wie ''derjenige'', rein determinative, d. h. auf den Umfang der Aussage des Relativsatzes beschränkte Bedeutung, nicht, wenn es selbständige hinweiwende Kraft hat, neben einem Hauptwort zumal, wie bei Immermann: ''die Wiederholung jener Muskelbewegung im Antlitz, auf die wir schon hindeuteten''; oder wenn es eine weit abliegende, weit in die Vergangenheit, Ferne oder Ungewißheit reichende Beziehung andeuten oder auf schon Bekanntes und Anerkanntes hinweisen soll; ja die Dichtung bevorzugt das kürzere ''jene'', $Seite77$ von dem ''derjenige'' ja nur eine an sich schwerfällige Weiterbildung ist, oft des Wohlklangs wegen. +
Dieser Übergang verrät sich z. B. noch an jüngeren Umstands- und Verhältniswörtern wie ''jenseit, diesseit''; ursprünglich nur in dieser Form als diese wie jene Wortart verwendet, ist das dem Adverb eigentümliche ''s'' (§ 1) nicht nur in den Adverbien ''diesseits'' und ''jenseits'' herrschend, sondern auch an den ursprünglich besser nur ''jenseit'' und ''diesseit'' lautenden Verhältniswörtern nur zu sehr üblich geworden: z. B.: ''diesseits der Alpen'' (Scheffel) und: ''diesseits des Nils'' (Junker). Auch Fügungen wie: ''südwärts der Berge; südlich Berlin''(''s'') (neben: ''südlich von'' $Seite 140$ ''Berlin''), ''nördlich des Rheins'' sind zwar jüngere, aber nicht anzufechtende Beispiele solches Übergangs. +
Anders als ''Jetztzeit'' u. ä. Wörter müssen Verschmelzungen von Substantiv und vorgesetztem Adjektiv beurteilt werden, die sich jetzt wieder besonders von Süddeutschland her einbürgern. So das erst seit Bismarcks Entlassung von seinen süddeutschen Verehrern aufgebrachte ''Altreichskanzler'', dazu ''Höchstbedarf, Jüngstzeit, Mindestmaß, Fremdwendungen, Erstansprüche, Erstkommunikanten'' (Hansjakob), ''Hohlgesicht'' (Trentini), ''Hoch-und Steilweg, Hochziel'' und die auch in Berliner Zeitungen gar nicht mehr anders benannte ''Erstaufführung'' mit ''Erstaufführungsrecht''. Denn „diese Zusammenrückungen stehen längst eingebürgerten Wörtern wie ''Erstgeburt, Edelknabe, Weißhand'' ganz nahe, und es tut ihnen heut keinen Eintrag, daß die Vorstufe der älteren Bildungen dieser Art, auf der ein undefiniertes Adjektiv auch zwischen Geschlechts- und Hauptwort treten konnte, für sie gefehlt hat. +
Es kann keinem Vernünftigen einfallen, sich dem in § 210 verfolgten Zuge entgegenzustellen, der auch nur eine Seite in der allgemeinen Entwicklung darstellt, diesmal weniger vom Sinnlichen zum Abgezogenen als vom Sinnigen und Innerlichen zum Äußerlichen und Gröberen. Wer aber den Unterschied noch fühlt, z. B. zwischen: ''Ich vergesse dich nicht'' und ''Vergiß mein nicht, ich denke an dich'' und (''ge'')''denke dein'', wird auch zwischen der älteren und jüngeren, innerlichen und äußerlichen Weise zu wählen wissen, je nachdem er höher und gewählter oder gewöhnlicher und alltäglicher reden will. Nicht tadelns-, sondern lobenswert ist es also z. B., wenn zur Bezeichnung innerlicher Teilnahme geschrieben wird: ''Mir hat seine Darlegung den Eindruck gemacht'', was durchaus kein Gallizismus ist statt des freilich auch möglichen: ''Auf mich hat'' usw. Noch eigenartiger klingt: ''unerreichbar jeder Rechenschaft''. Ein Fehler wird die Vertauschung des Kasus- und des präpositionalen Objektes erst dann, wenn sich für beide eine verschiedene Bedeutung festgesetzt hat. So verbinden wir ''geben'' mit: ''an jemand'', wenn es sich um ein bloßes, uns kalt lassendes Befördern handelt: ''ich habe das Buch an ihn'' (''weiter'') ''gegeben''; aber wenn wir Rat erteilen, wobei wir innerlich beteiligt sind, ist dieses äußerliche an falsch, und die N. Fr. Pr. mußte schreiben: ''Wir geben Österreich keine Ratschläge'', statt: ''Wir geben an Österreich keine Ratschläge''.
Mundartlich wird das Verhältniswort in Böhmen, Österreich und
ganz Süddeutschland bei ''vergessen'' gebraucht; doch kann dadurch der Akkusativ der Schriftsprache nicht erschüttert werden, wenn auch Merck schon schreibt: ''auf etwas vergessen'', oder O. Schubin, wie die Süddeutschen meist: ''du hast an den Hochzeitstag vergessen, ich hatte daran vergessen wie an den Tod'', und die Wiener Zeitung gar auch: ''ich vergaß von jedem Gruß''. Bei dem Gegenteil ''erinnern'' ist dagegen nur ''an'' schriftgemäß, und nicht das süddeutsch-sächsische: ''sich auf etwas erinnern''. Die transitivische Fügungsweise Goethes: ''Ich erinnere mich keinen'' (statt ''keines''), ''der Nein gesagt hätte'', findet noch heut gern Nachfolge: ''Ich war daran, es Godeke erinnern zu helfen'' (H. Leip) und: ''Ich erinnere gern die gemeinsame Kna''- $Seite 194$ ''benzeit'' (DAZ. 27); ermöglicht sie doch die bequeme Bildung eines Mittelwortes der Vergangenheit: ''in einem völlig erinnerten patriotisch-ästhetischen Interesse'' (Gundolf); ''die Anerkennung der erinnerten vergangnen Bewußtseinsinhalte'' (R. Ellinger-Reichmann). Anders steht es bei ''denken''. Wenn einer sagt: ''ich habe gar nicht mehr auf die alte Sache gedacht'' und meint: ''ich habe sie so gut als vergessen'', so ist das allerdings mundartlich, da in der Bedeutung: ''berücksichtigen, sich erinnern'' üblich ist ''denken an etwas''. In der Schriftsprache bedeutet ''denken auf etwas'' so viel als ''bedacht sein, sich um die Erreichung eines Zieles sorgen'', das wie in perspektivischer Zeichnung noch hoch oben steht; ''Denk auf deine Rettung'' (Schiller). Der umgekehrte Fall, die Verwandlung eines ziellosen in ein zielendes Zeitwort, liegt in der Wendung Schäffles vor: ''kein Freund seiner den Reichsrat streikenden Landsleute''.
K
Tritt vollends der Herrschertitel dazu, so pflegt alle Weisheit zu Ende zu sein. Wie dekliniert man: ''Herzog Ernst der Fromme, Kaiser Friedrich der Dritte''? Bei einer vorangestellten Apposition wie ''Kaiser, König, Herzog, Prinz, Graf, Papst, Bischof, Bürgermeister, Stadtrat, Major, Professor, Doktor, Direktor'' usw. kommt es darauf an, ob die Apposition als bloßer Titel, oder ob sie wirklich als Amt, Beruf, Tätigkeit der Person aufgefaßt werden soll oder aufgefaßt wird. Im ersten Fall ist es das üblichste, nur den Eigennamen zu deklinieren, den Titel aber ohne Artikel und undekliniert zu lassen, also ''Kaiser Wilhelms, Papst Urbans, Doktor Fausts Höllenfahrt, Bürgermeister Müllers Haus''. Der Titel verwächst für das Sprachgefühl so mit dem Namen, daß beide wie eins erscheinen.//** Daher schreibt man auch auf Büchertiteln: ''Von Pfarrer Hansjakob, von Prof. A. Schneider'' (statt ''von dem Professor''), wo bloß der Titel gemeint ist.// Im achtzehnten Jahrhundert sagte man sogar: ''Herr Müllers, Herr Müllern'', nicht: ''Herrn Müller'' (Lessing: ''Mache er Herr Justen den Kopf nicht warm!''). Im zweiten Falle wird der Artikel zur Apposition gesetzt und die Apposition dekliniert, dagegen bleibt der Name undekliniert: ''des Kaisers Wilhelm, des Herzogs Albrecht, ein Bild des Ritters Georg''.
$Seite 14$ Freilich geht die Neigung vielfach dahin, auch hier die Apposition undekliniert zu lassen, z. B. ''des Doktor Müller, des Professor Albrecht''. Treten zwei Appositionen zu dem Namen, eine davor, die andre dahinter, so ist für die voranstehende nur die erste der eben besprochnen beiden Arten möglich, also: ''die Truppen Kaiser Heinrichs des Vierten, das Denkmal König Friedrichs des Ersten, eine Urkunde Markgraf Ottos des Reichen, die Bulle Papst Leos des Zehnten''. Beide Appositionen zu deklinieren und den Namen undekliniert zu lassen, z. B. ''Königs Christian des Ersten, des Kaisers Wilhelm des Siegreichen'', wirkt unangenehm wegen des Zickzackganges der beiden Kasus (Genitiv, Nominativ, Genitiv).//* Eine Geschmacklosigkeit ist es, vor derartige Appositionen, wo sie wirklich den Beruf, das Amt, die Tätigkeit bedeuten, noch das Wort ''Herr'' zu setzen: ''der Herr Reichskanzler, der Herr Erste'' (!) ''Staatsanwalt, der Herr Bürgermeister, der Herr Stadtverordnete, der Herr Vorsitzende, der Herr Direktor, der Herr Lehrer'' (''die Herren Lehrer sind während der Unterrichtsstunden nicht zu Sprechen''), ''der Herr Königliche Oberförster, der Herr Organist, der Herr Hilfsgeistliche'', sogar ''der Herr Aufseher, der Herr Expedient, die Herren Beamten'' usw. Wenn das ''Herr'' durchaus zur Erhöhung der Würde dabeistehen soll, so gehört es unmittelbar vor den Namen: ''der Abgeordnete Herr Götz, der Organist Herr Schneider, der Hilfsgeistliche Herr Richter'' usw. Fühlt man denn aber gar nicht, daß ''der Reichskanzler, der Bürgermeister'' und ''der Direktor'' viel vornehmere Leute sind als ''der Herr Reichskanzler, der Herr Bürgermeister'' und ''der Herr Direktor''? Wie vornehm klangen die Theaterzettel der Meininger, wie lächerlich klingt eine Liste der Prediger des nächsten Sonntags, wenn sie alle vom Superintendenten bis herab zum letzten Kandidaten als ''Herren'' aufgeführt sind! Das allerlächerlichste sind wohl ''die Herren Mitglieder''. Wie heißt denn davon die Einzahl? ''der Herr Mitglied''? oder ''das Herr Mitglied?''//
Durchaus frei steht die Wahl zwischen Einzahl und Mehrzahl der Aussage, die von mehreren ohne Bindewort oder durch und aneinandergereihten Subjekten gemacht wird, wenn nicht etwa die Stellung der Aussage ihre Zahl nach einer Seite hin bestimmt.
Zu mehreren selbst ausschließlich singularischen Subjekten kann das Prädikat natürlich in die Mehrzahl treten: ''Schlummernd lagen Wies' und Hain, jeder Pfad verlassen''. Sie muß eintreten, wenn eine sachliche Trennung ausgesagt wird; Fr. Neumann (DLZ. 28) fügt also richtig: ''Darin gründet, daß die Welt des Geistig-Seelischen und die Welt des Sinnlich- Seelischen auseinander treten'', dagegen falsch: ''So wird es Zeitstil, daß das Geistige und das Leibliche stark auseinandertritt''. Diese Mehrzahl hat man mit einer gewissen Freiheit, die niemand mitmachen muß, selbst auf eine Ausdrucksweise übertragen, die grammatisch verschieden, inhaltlich freilich gleich ist, auf den Fall nämlich, daß einem singularischen Subjekt durch ''mit'' oder ''samt'' noch eine Begleitung beigefügt ist. So fügte mit Recht schon Schiller „nach dem Sinn": ''Scherz mit Huld in anmutvollem Bunde'' $Seite 244$ ''entquollen dem beseelten Munde''; J. Grimm (Meine Entlassung): ''Es bedarf kaum gesagt zu werden, daß das ganze Gebiet der Theologie und selbst der Medizin, indem sie die Geheimnise der Religion und Natur zu enthüllen streben, dazu beitragen müssen, den Sinn und das Bedürfnis der Jugend für das Heilige, Einfache und Wahre zu stimmen und zu stärken; Der König mit seinem Sohne stiegen eiligst aus'' (L. Corinth). Dagegen fühlt sich feineres Stilempfinden verletzt, wenn ein gelehrter Baukünstler in der Tgl. R. schreibt: ''Wo einmal die Schaffenslust des Architekten mit derjenigen des Bauherrn ... sich zusammenfinden, da gibt es dann jenen unglaublichen Firlefanz'', oder ein Literaturhistoriker: ''wie sich in Strindbergs Leben das unbewußte Fühlen der frühen Jugend mit der Erkenntnis des Alters begegnen''; denn in diesen beiden Fällen handelt es sich auch „dem Sinne nach“ um das Zusammenfinden zur Einheit. — Nötig ist der Plural dann, wenn die Aussage von den verschiedenen Subjekten in ihrer gemeinsamen Betätigung und Wirkung gilt. Die Einzahl ''wimmelte'' wäre denn auch geradezu undenkbar in den bekannten Versen: ''Schwarz wimmelten da in grausem Gemisch der stachlichte Roche, der Klippenfisch, des Hammers greuliche Ungestalt''. Nur als Dichter hat Geibel wagen dürfen: ''das Antlitz, drin sich Ernst und Milde paart'', während für die Prosa richtig Langbehn geschrieben hat: ''Eiserne Entschlossenheit und goldene Bedachtsamkeit paaren sich in dieser Menschengattung''. Ebenso notwendig ist die Einzahl der Aussage, wenn die von mehreren Subjekten ausgesagten Tätigkeiten und Zustände als für jedes im besonderen zur Wirkung, Darstellung und Anschauung gelangend bezeichnet werden sollen. Daher singt der Preuße: ''Ein Wölkchen und ein Schauer kommt zur Zeit''; und noch notwendiger war die Einzahl bei Schiller: ''Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß, wenn anders uns nicht die Möglichkeit genommen werden sollte, selbst in der sprachlichen Form das allmähliche Auftauchen fast mitanzusehen''. Bei Personennamen ist freilich die Einzahl auch in solchem Falle nur möglich, wenn das Prädikat vorangeht: ''Wäre York und Somerset gekommen, traun! wir hätten einen blut'gen Tag zu schaun'' (H. Viehoff), aber: ''Der Niederdeutsche soll zugleich Märker und Holländer sein, wie es der große Kurfürst und sein Enkel waren'' (Langbehn). Nicht gut stand daher in der Tgl. R.: ''unter fortwährendem Feuer, dem ein junges Mädchen und ein alter Mann zum Opfer gefallen war'' (statt ''waren''). Etwas anderes ist es natürlich bei sachlichem Gegensatze, wofür dann der Satz von ebenda mustergültig ist: ''Der Thron, zu dessen Rechten der Raja, ihm gegenüber meine Wenigkeit Platz nahm''. Geboten ist die Einzahl auch noch in einem anderen Falle, freilich nicht der Trennung, sondern wenn verwandte oder sich ergänzende Begriffe zu einem Ganzen zusammengefaßt werden: ''Salz und Brot macht Wangen rot. Wenn um den Ofen Knecht und Herr die Hände reibt und zittert, wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht'' (E. M. Arndt) — ähnlich auch bei weniger formelhaft zusammengehörigen Wörtern, zumal wenn sich die Zusammenfassung in einem gemeinsamen Geschlechts- oder Beiworte kundgibt: ''Auf der anderen Seite schießt die Mißstimmung und Beunruhigung von neuem üppig empor''. Das Prädikat kann endlich sogar in die Einzahl treten, wenn im Subjekte Ein- und Mehrzahlen vereinigt sind, solange ihm nur die Mehrzahl nicht vorangeht und es der Einzahl $Seite 245$ möglichst nahe gerückt ist. Wir können also nicht mehr gut mit Luther sagen: ''Wolken und Dunkel ist um ihn her'', wohl aber: ''Das Meer gehorcht ihm und die Länder'' oder ''Ihm gehorcht das Meer und die Länder''. Doch muß dann zwischen den Subjekten auch eine gewisse sachliche Scheidung möglich sein; da diese am wenigsten bei artikel- und attributlosen Hauptwörtern angedeutet ist, herrscht denn neben diesen die Mehrzahl, und niemand möchte anders sagen als Goethe: ''Vom Eise befreit sind Strom und Bäche''. Vg1. auch § 311.
Die hierin die Erbin des Latein gewordenen Kanzleisprache und ihr nach Schriftführer, Berichterstatter und Kritiker haben sich für ihren Stil außerdem das Recht zugesprochen, in Beziehung auf den gleich eingangs namentlich aufgeführten ''Kläger''(''in''), ''Beklagten, Redner, Verfasser, Rezensenten'' und ''Referenten'' oder ''Berichterstatter'' diese Wörter ohne Artikel zu setzen, im allgemeinen nicht nachahmenswert, da der Gattungsname in Beziehung auf das Einzelwesen den Artikel erst recht benötigt und da durch die etwaige Bequemlichkeit die Unbequemlichkeit nicht aufgewogen werden kann, die in dem Einschmugeln dieser breiten Hauptwörter statt der meist völlig ausreichenden einfachsten Fürwörter liegt. Die gesprochene Sprache kennt die Unsitte nicht, und aus dem Reichstage lesen wir immer ähnlich: ''Ich muß dem Vorredner widersprechen. Der'' (''Herr'') ''Vorredner ist im Irrtum'', nie bloß ''Vorredner''. +
