Zulässigkeit weiterführender Relativsätze
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Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 291 - 294 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
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Genannte Bezugsinstanzen: | Hildebrand - Rudolf, Ebner-Eschenbach - Marie von, Alt, Gellert - Christian Fürchtegott, Goethe - Johann Wolfgang, Schiller - Friedrich, Zeitungssprache, Jensen - Wilhelm |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Sprachgelehrsamkeit, Zeitungssprache |
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Schreiber guten Stils, Meyer - Conrad Ferdinand, Ebner-Eschenbach - Marie von, Springer - Anton, Gegenwärtig, Keller - Gottfried, Gesprochene Sprache, Zeitungssprache, Fachsprache (Germanistik), Jensen - Wilhelm, Freytag - Gustav |
Text |
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Das auf einen ganzen Satz gehende was, zumal wenn es ihm nachfolgt, ist auch für einen weiterführenden Gedanken erträglicher als ein auf ein Hauptwort gehendes welcher und der; nur darf die Gleichwertigkeit der Gedanken nicht durch gleichsetzende Bindewörter zu deutlich hervorgehoben sein, als daß man ihren Ausdruck in verschiedenartigen Sätzen nicht übel empfinden müßte. Während also aus diesem Grunde der Satz: Das Modell in Chelsea usw. $Seite 292$ oben S. 291 getadelt werden mußte, liest man den anderen aus einer Zeitung ohne jedes Mißbehagen: Unfähig des Tumultes Herr zu werden, entschloß sich Biancheri, ... die Sitzung zu unterbrechen, was laut beklatscht wurde. Auch dem Satze Schillers steht nichts entgegen: Vieilleville kam ganz unversehens eines Morgens mit 70 Pferden vor den Toren von Metz an, welches (wir: was) die Schuldigen in großen Schrecken setzte. Warum sollte auch der Relativsatz nicht denselben Dienst leisten können wie beispielsweise der Umstand: zum großen Schrecken der Schuldigen? Überhaupt wird man alle die weiterführenden Relativsätze billigen können, welche lediglich dadurch weiterführen, daß sie einen besonderen Umstand oder eine unmittelbar sich ergebende Folge angeben; überdies ist es für deren Zulässigkeit ein ziemlich untrügliches Mittel, daß man sie bequem fast ohne jede Änderung durch einen Satz mit und zwar ersetzen könnte. So kann nur der Mückenseiger in die Verurteilung des Goethischen Satzes einstimmen: Unter mancherlei Gesprächen waren sie in den Wald gekommen, in welchen Wilhelm sehr verstimmt eintrat, da dieser Satz lediglich dem Umstande gleich kommt: und zwar Wilhelm in ziemlicher Verstimmung. Sodann eignet sich natürlich von zwei Handlungen, die an sich nicht bestimmend oder beschränkend aufeinander einwirken, für einen Relativsatz die am besten, welche für den Zusammenhang das geringere Gewicht hat. So wollte ein Reisender in der Tgl. R. die Zuvorkommenheit schildern, mit der er von einem indischen Rajah aufgenommen worden war: demgemäß drückte er dessen zuvorkommende Schritte in einem Hauptsatze und daß er der Einladung nachgekommen ist, in einem Nebensatze aus: Am folgenden Morgen erschien eine Art Hofmarschall in Begleitung eines herrlich aufgezäumten Pferdes, auf dem ich die wenigen Schritte zum Palaste zurücklegte. Oder man lese den Zeitungsbericht über eine Sitzung der römischen Akademie: Senator Br. verlas den Jahresbericht und teilte das Ergebnis der Preisbewerbung mit. Drei Preise waren von Sr. Majestät ausgesetzt, aber der historische keinem zuerkannt worden. Der Preis für Forschungen auf dem Gebiete der Morphologie wurde zwischen den Professoren Gr. in Catania und S. in Padua geteilt. Den Preis für Physik erhielt Professor R. in Bologna, der anwesend war und auf Befehl dem Könige vorgestellt wurde, welcher sich dann eingehend mit ihm unterhielt. Niemand kann verkennen, daß die relativische Satzform den beiden letzten Gedanken, obwohl sie Neues und Weiteres bringen, wohl ansteht, da diese Begegnung des Bolognesers mit dem Könige gegenüber dem Allgemeinen, die Akademie Betreffenden etwas Persönliches, Nebensächliches ist. Außerdem ist in dem letzten Satz das Wörtchen dann nicht ohne Bedeutung; denn ein solches, häufiger übrigens denn, sodann, auch, kurz lauter Wörtchen, die ausdrücklich auf den zeitlichen Fortschritt hinweisen, ebenso indes, aber u. ä., die einen Gegensatz andeuten, ermöglichen zwar durchaus nicht, jeden Hauptgedanken in einem Relativsatze auszudrücken, beugen wohl aber deutlich der Auffassung eines solchen Satzes als Attributsatz vor. Man höre nur noch einen Satz Jensens: Aus alter Überlieferung hat die Wirtschaftsführung noch einen gewissen Anstrich des Biedermännischen beibehalten, der ihr indes nicht mehr recht zu Gesichte steht, oder aus älterer Zeit den Gellerts: Den einen Brief hatte er an $Seite 293$ einen Geistlichen aus Livland adressiert, der aber nichts von meinem Aufenthalte erfahren können. Noch weniger steht der Fortspinnung des Gedankens durch Relativsätze im Wege, wenn sich diese nicht unmittelbar an einen Haupt-, sondern an einen Nebensatz anschließen, wodurch das Aneinanderstoßen zweier inhaltlich gleichwertigen, formell verschiedenen Sätze vermieden wird und der Rhythmus gewinnt. So in dem Zeitungssatze: Herr Ingenieur Koldewey schilderte die Bauart von Sindschirli, ohne indessen aus derselben weitere Schlüsse zu ziehn, die er vielmehr späteren Arbeiten überließ; oder: in dem eines Altmeisters der deutschen Sprachforschung (R. Hildebrand): In der Gudrun zeigt sich das halbgöttische Doppelwesen in christliche Fassung gesetzt, in den Nibelungen aber noch in altheidnischer. Und da wird die Schwanennatur deutlicher, indem Hagen ihnen die abgelegten Kleider nimmt, um sie zum Wahrsagen zu zwingen, was sie denn tun, nachdem sie die Kleider wiederhaben, während sie vorher, noch ohne ihr wunderliches Gewand, ihm Falsches verkündet hatten. Auch das ist nach dem unten § 327 ff. bes. gewürdigten Grundsatze der Abwechslung selbstverständlich, daß sogar der Rhythmus allein die relativische Satzform nicht nur erträglich und erklärlich, sondern erwünscht und schon machen kann; natürlich nur, wenn nicht die schwerwiegendsten Gedanken darin auftreten, sondern die, welche mehr oder minder als ein natürlicher Ausfluß der vorhergehenden erscheinen. Untadelig heißt es also bei Schiller: Den vierten Tag kam der König wieder zu sich und ließ die Königin rufen, der er auftrug, die Hochzeit doch sogleich vollführen zu lassen, und ebenso bei der Ebner-Eschenbach: Herr E. Plössl empfing die Schwestern in seinem Bureau und bot ihnen Sitze an, auf welche sie sich niederließen, während er den Brief seines Chefs aufmerksam durchstudierte; nach einer Weile sprach er. Am wenigsten regt sich das Gefühl, daß durch Relativsätze beschränkende und bestimmende Gedanken attributiv angeführt sein müßten, bei wobei, wodurch und ähnlichen Adverbien, wenn sie auf einen ganzen Satz gehen, oder gar bei weshalb, wogegen oder wie denn, wie ja auch. Das kann jeder beim Lesen der folgenden Sätze empfinden: Da man an Orten wie Alasca selten freiwillig lange zu bleiben pflegt, so hat man gar nicht Zeit, ihre Eigenheit mit Feinheit zu studieren, weshalb denn alle diese arktischen Landschaften gewöhnlich wie schlecht erfundene Tapeten aussehen (Tgl. R.). — Etymologisch wird der Name von Pforzheim gewöhnlich als porta Hercynia erklärt, wogegen wohl das einfache porta mit später angehängtem fränkischem heim näher liegt (Jensen). — Meistens enthält der Keller auch der ländlich einfachen Wirtschaften einen guten alten Tropfen, freilich auch für guten Entgelt, wie im allgemeinen gesagt werden muß, daß die selbstgezogenen Landesweine keineswegs billiger sind (Ders.). Solche Fügungen sind offenbar dem Zuge der Sprache entsprungen, die Ausdrucksmittel für gleiche Gedankenverbindungen zu vervielfältigen. Warum sollten auch nicht für die Verhältnisse des Gegensatzes, des Grundes und der Folge, sogut wie Hauptsätze mit aber, denn, daher oder wie Nebensätze mit während, weil, so daß, auch solche mit wogegen, weshalb usw. eintreten? Gerade diese Wörtchen sind auf dem Wege ihrer Entwicklung $Seite 294$ aus zurückbeziehenden Für- und Umstandswörtern zu Bindewörtern am weitesten vorgerückt, und zwar haben sie infolge ihrer Herkunft vom Relativum die Wortfolge des relativischen Nebensatzes beibehalten, ebenso aber infolge der Verblassung ihrer relativischen Kraft zugleich die Kraft straffer Gedankenunterordnung verloren. Dies letztere drückt sich am deutlichsten darin aus, daß heute schon öfter der relativisch angeknüpfte Gedanke von dem vorhergehenden durch einen Punkt geschieden wird. Ein Germanist läßt z. B. drucken: Nur bin ich der Meinung, daß bei der in ihr herrschenden Geistesströmung die metrische Behandlung nur noch bei dem historischen, romantischen, phantastischen und satirischen Lustspiel ... recht angemessen befunden werden dürfte. Wogegen dem das moderne Leben ... unmittelbar spiegelnden Konversationsstück die Prosarede angemessener zu sein scheint; und in den Grenzboten stand: Der Ehrenkodex der französischen Edelleute ward das Muster für die Statuten der ehrgeizigen Jünglinge auch an unsern Universitäten. Woher es denn kommt, daß so viele Ausdrücke bei den Korps in unserer Zeit noch französisch sind. Können die Bildner solcher Sätze, wie sie übrigens auch die lernende Jugend aus einer angeborenen Empfindung heraus oft bildet, durch irgend etwas besser dazu berechtigt erscheinen als dadurch, daß sie schon der junge Goethe kannte und der größte Dichter des letzten Geschlechts, G. Keller, sie sich vor anderen oft gegönnt hat? Bei jenem steht z. B.: Seine Schmerzen waren ... erneuerte Versuche, das Glück ... noch festzuhalten, die Möglichkeit desselben in der Vorstellung wieder zu erhaschen, seinen ... abgeschiedenen Freunden ein kurzes Nachleben zu verschaffen. Wie man einen Körper nicht ganz tot nennen kann, solange die Verwesung dauert. Bei diesem liest man z. B.: Der Arzt aber warf nur ein: „So will ich eine gute Wärterin ... gleich selbst aussuchen und hersenden.“ Worauf er sich in seiner Kutsche wieder entfernte; und ein andermal, wo das Relativum zugleich anknüpfend und bedingend ist: Der trägt gewiß keinen Spiegel in der Tasche, wie sonst die Herren aus der Stadt, denen man kaum den Rücken drehen darf, so holen sie den Spiegel hervor und beschauen sich schnell in einer Ecke. Natürlich kann dieses Mittel, die besinnliche, den Eindruck malende Art der mündlichen Rede anzudeuten, auch vor anderen Nebensätzen angewandt werden. Gustav Freytag hat drucken lassen: Doch wollte der Grund ihrer Bekümmernis nicht laut werden. Bis endlich der ehrwürdige Bischof zu den Bürgermeistern sandte und sich eine andere Herberge forderte. C. F. Meyer singt: Heut hat man mit Soldaten mir getischt. Ein ungebunden Volk. Mich hat’s erfrischt, und Anton Springer berichtet: So kam der sogenannte Nationalausschuß zustande, über dessen Tätigkeit ich zu berichten hatte. Anfangs unter erschwerenden Umständen. Ich mußte im Hintergrunde des Saales, mitten unter dem andrängenden Publikum stehn. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Hildebrand - Rudolf, alt, Gellert - Christian Fürchtegott, Ebner-Eschenbach - Marie von, Goethe - Johann Wolfgang, Zeitungssprache, Jensen - Wilhelm, Zeitungssprache, Schiller - Friedrich |
Bewertung |
Am wenigsten regt sich das Gefühl bei, aus einer angeborenen Empfindung heraus, berechtigt, darf nicht, erträglicher, Frequenz/oft, Frequenz/schon öfter, getadelt werden mußte, kann angewandt werden, kann nur der Mückenseiger in die Verurteilung einstimmen, liest man ohne jedes Mißbehagen, Mittel, die besinnliche, den Eindruck malende Art der mündlichen Rede anzudeuten, Noch weniger steht im Wege, Rhythmus gewinnt, sogar der Rhythmus allein die relativische Satzform nicht nur erträglich und erklärlich, sondern erwünscht und schön machen kann, sogut wie, steht nichts entgegen, übel empfinden müßte, Untadelig, Warum sollten auch nicht, wird man billigen können, wohl ansteht |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Springer - Anton, Meyer - Conrad Ferdinand, Ebner-Eschenbach - Marie von, Fachsprache (Germanistik), Schreiber guten Stils, Keller - Gottfried, Freytag - Gustav, Gegenwärtig, Jensen - Wilhelm, Gesprochene Sprache, Zeitungssprache |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Zeitungssprache, Sprachgelehrsamkeit |
Bewertung | |
Intertextueller Bezug |