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Aus Zweidat
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E
Nicht ganz so lächerlich ist der Streit, ob es heißen müsse: ''er hat mir'' oder ''er hat mich auf den Fuß getreten''. Jeder verbindet ohne Besinnen mit dem Akkusativ der Person: ''in den Finger schneiden, ins Bein beißen, aufs Maul schlagen, auf die Stirn küssen''. Jeder verbindet eben so sicher mit dem Dativ der Person: ''unter die Arme greifen, auf die Finger sehen, auf den Zahn fühlen, auf die Schleppe treten''. Warum dort der Akkusativ und hier der Dativ? Welches ist der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Redensarten?
Zunächst ist klar, daß, wenn die Person im Akkusativ steht, zuerst die Person im ganzen als von einer Tätigkeit betroffen hingestellt wird, und dann noch nachträglich der einzelne betroffne Körperteil hinzugefügt wird. Steht die Person im Dativ, so wird der betroffne Körperteil in den Vordergrund gerückt und die Person mehr als beteiligt, in Mitleidenschaft gezogen, nicht als unmittelbar betroffen hingestellt. Das paßt nun zu den mitgeteilten Beispielen vortrefflich. Wird jemand nur auf ein Kleidungsstück getreten, so wird sein Körper gar nicht davon berührt; alle andern Redensarten der zweiten Gruppe aber $Seite 238$ sind bildliche Wendungen, bei denen ebenfalls kein wirkliches, leibliches Angreifen, Ansehen, Anfühlen gemeint ist. So wird es nun auch leicht verständlich, warum man wohl sagt: ''er hat mich ins Gesicht geschlagen'', aber; ''das schlägt der Wahrheit ins Gesicht — der Mörder hatte ihn mitten ins Herz gestochen'', aber: ''deine Klagen schneiden mir ins Herz — der Schmied hat das Pferd auf den Schenkel gebrannt'', aber: ''solange nicht dem deutschen Michel die Not auf die Nägel brennt — du hast mich mit deinem Stock ins Auge gestochen'', aber: ''am Schaufenster stach mir ein schöner Brillantschmuck ins Auge''. Erschöpft wird die Sache mit dieser Unterscheidung freilich nicht, aber man kann sich, wenn man sie sich klar vor Augen hält, auch in andern Fällen leicht klar machen, weshalb die Sprache hier den Dativ, dort den Akkusativ vorzieht oder vorziehen — sollte, weshalb man also z. B. sagt: ''seinem Freund auf die Schulter klopfen'' (obwohl das doch wirklich und nicht bildlich geschieht). Bisweilen bedeutet der Akkusativ der Person mehr das Absichtliche: ''weshalb trittst du mich denn auf den Fuß?'' der Dativ mehr das Unabsichtliche: ''mir hat vorhin einer auf den Fuß getreten, das tut mir jetzt noch weh.''
Er hat und wird die Stadt verlassen. Du bist damals geächtet worden und noch heut ein Feind des Reiches +
Die Grammatiker sind auch zu engherzig, wenn sie die einmalige Setzung ein und derselben Form für mehrere Sätze nur bei völlig gleicher Bedeutung gestatten wollen. Zwar wenn sie für die Zeitwörter, deren Nennform und zweites Mittelwort formell gleich sind, wie ''vergessen, vergeben, verraten'' u. s. v. a., nicht zugeben wollen, daß diese Form neben verschiedenen Hilfsverben nur einmal und in verschiedener Bedeutung gesetzt werde, so sind sie dazu nach § 310 berechtigt. Die Köln. Ztg. hätte also gewiß nicht schreiben sollen: $Seite 304$ ''Der Präsident hat die Stadt oder wird sie verlassen. Er hat sich oder wird sich nach Ems und wird sich von da nach Kissingen begeben'', sondern: ''Der Präsident hat die Stadt schon verlassen oder wird es noch'' (''tun''). ''Er hat sich nach Ems begeben und wird von da nach Kissingen gehen''//1 Die Hilfszeitwörter rücken durch solche Gegenüberstellung aus der ihnen geziemenden unbedeutsamen Stellung in ihnen nicht gebührende Tonstärke ein. Auch ist es doch etwas anderes, ob eine und dieselbe Form mehrfach in gleichem Sinne zu ergänzen ist oder ob in einer Form zwei sachlich von Anfang an verschiedene Formen lautlich zusammengefallen sind wie bei diesen Verben, so daß das Sprachgefühl, wenn auch noch so schwach, einen Nachklang des Unterschiedes empfindet, ''der obwaltet zwischen er habêt die burc farlazzana'' und: ''er wili'' (= ''wird'') ''farlazzan die burc''. Umgekehrt ist tatsächlich eine Verschiedenheit der Form ''hat'' in der Verbindung: ''er hat einen Freund'' und in der anderen: ''er hat einen Freund verloren'' ebensowenig jemals vorhanden gewesen als ein Unterschied der Bedeutung; und darin liegt der Hauptgrund, daß Schriftsteller vor Grammatikern im Rechte sind, wenn sie Formen von ''haben'', ebenso von ''sein'' und ''werden'' nur einmal sehen, mögen jene nun das eine Mal Hilfszeitwörter, das andere ein selbständiges transitives, oder das Verbum des Seins, mag dieses nun einmal Hilfszeitwort für das Futurum und das andere Mal für das Passivum sein. Nicht anders steht es im Grunde, wenn — natürlich ohne Zweideutigkeit — uns und euch einmal zugleich als Dativ und Akkusativ gesetzt werden, da die jetzige Dativform ja nichts als der auch für den alten Dativ eingetretene Akkusativ ist: ''Die Sternenkunst sollte dasjenige dolmetschen, womit uns für die Zukunft der Himmel schmeicheln oder bedrohen möchte'' (Goethe). Ähnlich ist es mit ''einander'', das so gut sein kann ''einer den andern'' als ''einer dem andern'', wie wieder Goethe bezeugen mag: ''ein gewisser Kitzel, einander etwas aufzubinden und wechselweise zu mystifizieren''. Daß selbst Substantive, von denen Akkusativ und Dativ ganz gleich geworden sind, bisweilen im doppelten Sinne nur einmal stehn, mag endlich noch der Satz: ''Will halten und glauben an Gott fromm und frei aus Maßmanns Gelübde'' zeigen.//. Dagegen dürfen Sätze nicht beanstandet werden, in denen werden nur einmal und doch zugleich zur Umschreibung des Futurs und des Passivs steht: ''Canovas wird hier in Paris erwartet und dann nach Berlin gehen''. Auch eine Form von ''haben'' mag man ruhig zugleich als Hilfszeitwort des Perfektes, als transitives Verb oder mit dem Infinitive und ''zu'' als Ausdruck der Notwendigkeit oder Möglichkeit gebrauchen, immer natürlich vorausgesetzt, daß dadurch keine Unklarheit und gewaltsame Fügung entsteht. Also geht wohl an: ''Ich habe jetzt viel zu tun und deshalb nicht kommen können. Mit seinen Truppen, die den größten Teil ihrer Artillerie und Bagage verloren, den kurzen Rock in der rauhen Jahreszeit zur Decke und den Himmel zum Zelt hatten'' (Archenholtz). Aber ebenso sicher hätte in dem folgenden Satze der Tgl. R. das zweite hatten nicht fehlen dürfen, wenn nicht der zweite der verbundenen Sätze gar zu schwach werden sollte. ''St. und S. hatten in ihrem Versteck die Unterredung des Polizeibeamten mit der alten J. von Anfang bis zu Ende gehört und hatten Mühe, ihr Lachen zu verbeißen''. Ebenso darf ''sein'' als verbum essentiae und Hilfszeitwort in einer Form dienen. Schon vom Jahre 1465 steht in der deutschen Reichskorrespondenz: ''daß ich frisch gesandt zu der Nuwenstad komen und noch bin'', und ein Neuerer schrieb: ''Die Kirchen sind mit großen Kosten aufgeführt, wenn möglich aus behauenen Steinen, und dann der Stolz der Umgegend''. Im folgenden Satze würde durch Wiederholung von war geradezu die Geschlossenheit und die Beziehung des an der Spitze stehenden Adverbiales auf beide Sätze gestört werden: ''Zu Chr. Wolffs Zeit war für die Naturwissenschaften in Deutschland ihre Zeit noch nicht gekommen'' $Seite 305$ ''und sie auf deutschem Boden mehr oder weniger eine exotische Pflanze''.
Dieselbe Möglichkeit für ''werden'' zeigt der Satz in Sybels Weltgeschichte der Kunst: ''Philipp von Mazedonien, welcher 382 geboren, 356 König, 338 Herr über Griechenland und 336, erst 46 Jahre alt, ermordet wurde''.
Nicht unähnlich sind zweitens die Fälle, in denen sich ein solcher Nominativ nicht an ein gleiches Substantiv des Satzes, sondern an den ganzen Satz selbst anlehnt. Nur darf das nicht so geschehen, daß die Apposition, dann von ''als'' abhängig, mitten in den Satz eingeschoben oder ihm vorangestellt, daß also etwas erläutert wird, was selbst noch gar nicht da, eigentlich noch nicht fertig ist: ''Die Malerin Rosa Bonheur ist von der Kaiserin als letzte Amtshandlung mit dem Orden der Ehrenlegion dekoriert worden''//1 Zur Abhilfe möchte ich Umstandsangaben empfehlen, also z. B. ''aus Vorsicht, zur Vorsicht wurden 2 Kompanien'' (nicht ''als Vorsicht'') ''unter Gewehr behalten'', oder Erhebung der Apposition zum Verbum und folgenden Satz mit ''indem'' oder ''daß: Ihre letzte Amtshandlung übte die Kaiserin aus, indem sie..., übte sie dadurch aus, daß sie ... R. Bonheur ... dekorierte''.//. Die Erläuterung muß sich vielmehr an den ganzen Satz nachträglich anschließen; dann ist es aber auch gleichgültig, ob ihr ein Relativsatz folgt oder nicht. In jener Weise stand z. B. neuerdings in einer Zeitung: ''Der Mann'' (Sarasate) ''erfüllt, was das Wunderkind versprochen — ein Fall, der sich bei wahrhaften Künstlernaturen übrigens häufiger zuträgt, als man gemeinhin glaubt''. In der anderen Weise steht z. B. bei Bornhak: ''Der Herzog von Mecklenburg, der Vater der Königin, erwartete diese mit den Ihrigen an der Tür ihres Palastes, nach so langer Trennung ein glückliches Wiedersehn''//2 Solche Fügungen ganz zu verpönen sollte schon ihr häufiges Vorkommen bedenklich machen; sie sind sehr bequem und durchsichtig und sicher schöner als ein immer wiederkehrender schleppender Satz mit ''was'', wie er zu ihrer Vermeidung empfohlen worden ist: ''was nach so langer Trennung ein glückliches Wiedersehen war''.//.
In diesen Fällen ist es gewiß die Natur des Nominativs als absoluten Falles, in welcher er zur Beziehung auf einen Satz oder Satzteil, mit denen sich ein anderer in der grammatischen Kategorie erst recht nicht decken konnte, vor andern geeignet erscheint. Man vgl. die beiden Sätze aus Germanistenfedern: ''Durch die humanistische Bildung konnte man damals allein das werden, was wir einen gebildeten Menschen nennen, auch ein exklusiver Begriff, ohne den es aber keine Bildung geben würde''; und: ''in seiner'' (Schillers) ''Antrittsrede als Professor an der Universität Jena, nach Fritz Strich die erste akademische Rede Deutschlands, die in das allgemeine Geistesleben der Nation eingriff'' (Hagen-München).
Zweifelsohne sind manche Zeitwörter schon lange mit und ohne rückbezügliches Fürwort üblich, und zwar manchmal ohne Abtönung der Bedeutung, so ''wagen'' und ''sich wagen'', (''sich'') ''ausruhn'', (''sich'') ''flüchten'', (''sich'') ''irren'', (''sich'') ''nahen'', auch ''sich knien'' neben ''knien''; manchmal mit feinem Bedeutungsunterschiede, der freilich leichter gefühlt als begrifflich bestimmt werden kann, so ''eignen'' (''eigen''[''tümlich sein'']) und ''sich eignen'' (passen, geschickt sein); ''verweilen'' (infolge der Umstände) und ''sich verweilen'' (durch eigene Schuld und mit eigenem Willen), ''eilen'' (die natürliche schnelle Bewegung) und ''sich eilen'' (sich absichtlich dazuhalten). Aber erst die jüngste Zeit spiegelt es, wenn ein Würdiger H. Heines, Max Fischer, auf zehn Seiten neben dem üblichen ''Er sehnte sich nach einem juristischen Amt'' zweimal sagt: ''er sehnte nach der engen Heimat; die vollgültige Leistung, nach der er sehnte'', und sogar: ''Er sehnte einen Boden''; ähnlich Th. Wundt: ''die Reise, die ihn erholen sollte'' ... Ebenso, wenn Bonfels schreibt: ''Die unbarmherzige Sonne spiegelte im Marmor'', und: ''sumpfige Einöden, auf denen böse stille Lachen spiegelten'', sowie im Einklang mit ''„Er entflammte in Enthusiasmus“'' bei G. Keller: ''indem dadurch der Eifer für das Gesetz entflammte''. Sehr beliebt ist ''gründen'' statt ''sich gründen, begründet sein: In der Erfassung des Einmaligen gründet der Selbst''(!)''wert der Geschichtsschreibung'', und: ''Rechtssätze, die in der menschlichen Natur gründen'' (DAZ. 27); ebenso: ''heimfinden'' und ''finden'' statt ''sich'' (''heim'')''finden: Das Kind, das schlafend ins Wunderland fand'' (Al. Berend). Ähnlich steht in DAZ. 28: ''Soll ich gar noch vor ihm ducken?'' In eine Reihe mit ''finden'' (statt ''sich'' oder: ''den Weg f''.) gehört: ''Irmgard erwartet zu Ostern'' (nämlich: ''ein Kleines'') bei Trentini und: ''„Natürlich haben sie schon eifrig Musik getrieben“, nahm Agnes auf'' bei Kohlenegg. Dann hat lediglich bloß französischer Einfluß im Oberrheinisch-Schwäbischen ''sich erstaunen'' (statt bloß ''erstaunen'') heimisch gemacht und mochte das allgemein mit ''sich verderben'' (''die Sitten verderben sich mehr und mehr'') und ''sich erschrecken'' tun; hoffentlich ohne Erfolg, da die Sprache hier in den starken und den schwachen Formen ein viel schöneres Mittel hat, die transitive und intransitive Fügung zu unterscheiden. (Vg1. § 112).
Die Umstandswörter der Weise beantworten meist die untergeordnete Frage, wie etwas geschieht: ''er fängt es verständig an''. Ganz anders in folgendem Satze: ''Die Ankunft unsers Freundes behandeln wir billig als ein Fest''. Des großen Unterschiedes der beiden Sätze wird man sich am besten bewußt, wenn man sie in Haupt- und Nebensatz zu zerlegen sucht. Bei dem ersten mit eigentlichem Adverb der Weise läßt sich das ungezwungen nicht ausführen. Wohl aber kann man, oft sogar verdeutlichend, sagen: ''es ist billig, daß wir die Ankunft als ein Fest behandeln''. Sätze dieser zweiten Art aber enthalten nicht nur eine Aussage, sondern auch ein Urteil über das Ausgesagte, und zwar kann dies so gut auf die Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit
als auf die Art und Weise eines Vorgangs gehn. Beide Arten der Adverbien zu unterscheiden ist aber umso nötiger, als die Bildung, die
sich die Schriftsprache nur für die zweite Art bewahrt hat, anfängt, sich auch für das einfache eigentliche Adverb der Weise auszubreiten: die Zusammensetzung des Wortes ''Weise'' mit einem Adjektiv. Der Ausgangspunkt ist Oberdeutschland, in dessen Mundarten diese ehedem für Adverb wie Prädikativ sehr verbreitete Fügung mit ''Weise'' nach Weglassung dieses Hauptwortes noch in so merkwürdigen Formen auf -''er'' fortbesteht: ''er hat es wirklicher'' (d. h. ''tatsächlich'') ''gesagt — Sie möchte die Hand abgehauter sehn'' (Abraham a. St. Cl.). In der Schriftsprache ist es also falsch, zu sagen: ''Ich gebe mein Geschäft gänzlicherweise'' (statt ''gänzlich'') ''auf; er erschrak fürchterlicherweise'' (statt ''fürchterlich''). Wohl aber ist die Form beurteilend möglich: ''Wir feiern die Ankunft des Freundes billigerweise als ein Fest''. Deshalb soll nicht empfohlen werden, die für sich allein zum Ersatze eines Urteilsatzes hinreichenden einfachen Ausdrücke, wie ''billig, offenbar, bekanntlich, fälschlich, gefällig, gütig'', durch die schwerfälligeren Bildungen ''offenbarerweise, bekannterweise'' usw. zu verdrängen, wenn anders jene nur deutlich in solcher Anwendung üblich sind. Dies ist aber z. B. nicht der Fall in dem Satze P. Richters: ''ein Aventurier, der den Namen Torsacker und die Seraphinenkette diebisch führte, und deshalb erwartet man dort diebischer Weise''.
Wenn aus einem Begriffe, der in dem einen, meist dem ersten Satze steht, für den anderen Satz der gegenteilige Begriff zu ergänzen ist, so wird das gleich $Seite 307$ unbequem, ob er durch ein völlig anderes Wort wiedergegeben sein müßte oder durch die bloße Veränderung oder Entfernung einer Vorsilbe gewonnen werden kann. So heißt es in Anlehnung an das Lateinische, das für beide Begriffe das eine Gerundivum hat, auf einen Reichtum des Deutschen verzichten, wenn man einem negativen ''nicht dürfen, nicht brauchen'' positiv kein ''müssen'' oder ''sollen'' entgegenstellt, sondern diese aus jenen herausgehört haben will: ''Man darf darin keine pragmatische Entwicklung suchen, sondern'' (fehlt ''muß'') ''sich begnügen'' (Goethe). Statt: ''Sie verbot herrisch jedes weitere Wort und ungesäumte Entfernung'' in der Volkszeitung konnte es etwa heißen: ''sie verbot jedes weitere Wort und verlangte ungesäumte Entfernung'', und statt: ''eine Seite des Königs, welche bisher nur ganz im allgemeinen, im einzelnen sogut wie unbekannt war'' in der Natur vielmehr: ''im einzelnen sogut wie gar nicht bekannt war''. Auch darf das zweite Glied, wenn darin die Verneinung des ersten nicht mehr wirken soll, nicht mit ''und'' beginnen, da dieses Bindewort immer der Anknüpfung des Gleichartigen dient und somit die weitere Geltung auch der Verneinung annehmen läßt. In einem Telegramm: ''Wenn England nicht beabsichtigt, aus der Rolle des Verteidigers seiner berechtigten Interessen herauszutreten und die Stellung des Sultans unangetastet zu lassen'', mußte deshalb wenigstens ''sondern'' statt ''und'' stehn. Denn sobald das folgende durch eine entgengensetzende Konjunktion: ''aber, sondern, vielmehr, bloß, nur'', ja sogar durch eine bloße Pause, also Verbindungslosigkeit vom vorhergehenden getrennt wird, ergänzt man einen gegenteiligen Begriff ohne jegliche Mühe: ''Es will niemand dienen, nicht einmal sich selbst'' (Goethe). Man kann nicht sagen, daß eine der vier althochdeutschen Formen vor der andern etwas Altertümliches voraushabe, bloß daß ''ur'' unter allen die seltenste ist.
Unzulässig ist es, daß in zusammengesetzten Zeiten mehrerer Verben, die verschiedene Hilfszeitwörter erfordern, nur das eine erscheint: ''Soviele jemals aufgetreten'' (fehlt ''sind'') ''und erklärt haben, daß das allgemein Gültige ein Irrtum sei, hat man erst steinigen wollen''. Jedes Verbum muß vielmehr sein Hilfsverbum erhalten, wenn nicht ausnahmsweise einmal beide weggelassen werden, wie z. B. von Goethe: ''weder wer sie verfügt'' (''hat''), ''noch wie sie geschehen'' (''ist''). Auch dann ist die Ungebühr auf Seiten der Schriftsteller, wenn sie verlangen, daß man aus einer Verbalform eine ganz andere, z. B. aus dem Infinitiv ein Partizip, aus einer modal bestimmten, von einem Hilfsverbum des Modus abhängigen eine unabhängige indikativische oder aus einer indikativischen eine konjunktivische ergänzen soll. Falsch war also der Satz der Nat.-Ztg.: ''Die Römer sind den Germanen'' (fehlt ''unterlegen''), ''die Osmanen werden den Russen unterliegen''; ebenso der andere auch dorther: ''Dies widerspricht dem Charakter des Dichters nicht, den der Rezensent selbst ehrgeizig'' (fehlt ''nennt''), ''den ich eingebildet und anspruchsvoll, bisweilen klein nennen möchte''. Auch in Hansjakobs Sätzen: ''Darum wird fortgepfiffen, wie der Vater einst'' $Seite 303$ ''im Vaterhaus'', und: ''Mit gleichen Hochgefühlen, wie gekommen, wurden Palmen heimgetragen'', fehlt im ersten: ''gepfiffen hatte'', im zweiten gar: (''wie'') ''man gekommen'' (''war''). Vollends gewalttätig ist der Ausdruck R. Hayms: ''Mit und ohne es zu wissen, borgt er von sich selbst''; denn zu ''mit'' kann nur der substantivierte Infinitiv ergänzt werden, während der bei ''ohne'' noch reines Verb mit Akkusativobjekt ist. +
Leicht ergänzt man aus einer Einzahl die Mehrzahl und umgekehrt. Zahlreich sind denn auch Beispiele wie diese bei v. Boyen: ''Es war dort von den Russen die alte bekannte Brücke wiederhergestellt, ebenso einige in dem Flusse liegende Inseln von ihnen besetzt'', und in einer Novelle: ''Die Kinder liebten die Mutter und die Mutter die Kinder''. Auch im Nebensatz wohllautend nur: ''Als die Feinde geschlagen und ihr Führer getötet war'', ... Wenn trotzdem ein Satz wie der Grimms auffällt: ''Jene werden gebeten, diesen geboten'', so liegt der Grund dafür nicht in irgend einer Regel, nach welcher nur die Auslassung bis auf den Buchstaben gleicher Formen gestattet wäre, sondern in der Täuschung der Erwartung, daß zum Ausdruck des scharfen Gegensatzes besser alle Mittel, also auch das ''wird'' neben ''werden'' benutzt würden, wie denn überhaupt die Ergänzung auch einer etwas anderen Form um so leichter fällt, je ähnlicher sie der vorausgehenden oder je vollständiger sie in dieser enthalten ist. Auch das Folgende ist keine Forderung willkürlicher Sprachregelung, sondern entspricht nur unseren Denkgesetzen, daß sich eine gleiche oder auch eine nur ähnliche Form leichter aus einem früheren Gliede für ein späteres als aus dem späteren für ein früheres ergänzen läßt. Man wird also lieber sagen: ''Nicht ich gehe'' oder ''Ich gehe nicht'', sondern ''du'' als: ''Nicht ich, sondern du gehst''. Auf alle Fälle kann man, wie dies Beispiel und etwa noch das Goethische zeigt: ''Ihr werdet nicht die Schwester vermissen noch eure Eltern die Tochter'', auch zur Bezeichnung verschiedener grammatischer Personen mit einer Verbalform auskommen; und wenn an den Versen von B. Thiersch Anstoß genommen worden ist: ''Immer wirst du ein Freund uns sein und nimmer der Heimat. Noch der vielen Gemächer dich zarte Sehnsucht ergreifen'', so beruht das wieder nicht auf der Verletzung einer Sprachregel, sondern auf einer Täuschung unsers Bewußtseins, in welchem das alte Subjekt und Prädikat fortschwingen muß, bis es ganz hinten durch ein verspätetes neues überrascht und umgestellt wird. Weil dieser Übelstand nicht vorhanden ist, wird dagegen an dem sonst ganz gleichgearteten Satze Jensens niemand eine Härte empfinden: ''Vielleicht wirst du als hoher Schiffsmast über die weite See ziehen, ein freudiger Wimpel an deiner Spitze flattern und die Hoffnung unter dir nach einer leuchtenden Küste ausschauen''.
Eine ähnliche Sprachzerrüttung wie in den zuletzt angeführten Beispielen findet sich nur noch in den Namen neuer Schiffe, von denen man jetzt öfter in den Zeitungen liest: ''Ersatz Preußen, Ersatz Leipzig, Ersatz Deutschland''. Was in aller Welt soll das heißen? Man kann es wohl ungefähr ahnen, aber ausgesprochen ist es nicht. Soll ''Ersatz Preußen'' aufzufassen sein wie ''Ersatztruppen, Ersatzknopf, Ersatzgarnitur'', so müßte es natürlich als zusammengesetztes Wort geschrieben werden: ''Ersatz-Preußen''. Soll es aber, was das wahrscheinlichere ist, heißen: ''Ersatz der'' (!) ''Preußen''//* Unsre Schiffe werden bekanntlich, wenn sie einen Länder- oder
Städtenamen tragen, als Weiber betrachtet: ''die''.// oder ''Ersatz für Preußen'', so läge in dem Weglassen des Artikels oder der Präposition eine beispiellose Stammelei. Man könnte dann eben so gut sagen: ''Stellvertreter Direktor'' und sich einbilden, das hieße: ''Stellvertretender Direktor'' oder ''Stellvertreter des Direktors''. Das mag Chinesisch sein oder Negersprache, Deutsch ist es nicht. Wahrscheinlich ist es aber — Englisch. Englisch ist ja jetzt Trumpf, zumal wenn es die Marine betrifft. +
Ganz ohne Hilfsverben des Modus, namentlich ''sollen, mögen'' und auch ''wollen'', auskommen zu wollen, wäre freilich vom Standpunkte unsrer Sprache von je vergebliches Bemühen gewesen. Um z. B. die Absicht auszudrücken, die einer im Auftrage eines dritten ausführen soll, können wir der Formen von ''sollen'' kaum entraten, vor allem nie, wenn das regierende Verb die Natur des $Seite 370$ abhängigen Satzes nicht ohne weiteres klarstellt und in diesem eine nich ausschließlich zum Ausdrucke der Absicht dienende Form steht. So kann ich wohl sagen und sage am besten: ''Sie verlangte, daß die Kerle schwiegen'', wenn auch die Fassung ''daß die Kerle schweigen sollten'' als deutlicher nimmer beanstandet werden kann. Wäre das regierende Zeitwort ''sagen'', neben dem auch eine bloße Mitteilung im Konjunktiv stehen kann, so müßte diese letzte Form sogar gewählt werden, wie es auch ohne daß nur lauten kann: ''sie sollten schweigen''. Auch im Relativsatze ist der bloße Konjunktiv zum Ausdruck der Absicht mehr der lateinischen Sprache angemessen: ''Er schickte eine Kompanie zur Unglücksstelle, die die Verschütteten ausgrüben'', als der deutschen, in der man lieber sagt: ''ausgraben sollten''. Ähnlich wird man den Entschluß oft kaum ohne ''wollen'' und den Wunsch, den einem ein andrer erfüllen soll, ohne mögen wiedergeben können: ''Sie bat, daß er niemand etwas sagte und sagen möchte'' (''solle''), aber nur: ''Sie bat, er möchte'' (''soll''[''t'']''e'') ''nichts sagen''. Im übrigen sollte man sich freuen, daß der Gebrauch der Hilfszeitwörter in gewissem Sinne selbst gegen das Mittelhochdeutsche eingeschränkt und zum Segen des Fortbestandes der alten einfachen und so schönen Konjunktivformen und gemäß deren heute empfundener Grundbedeutung geregelt ist. Wer auf sich achtet, wird daher mit diesem Sprachmittel gebührend haushälterisch umgehn und sich, wo es möglich fällt, mit dem einfachen Konjunktive begnügen//1 Man kann daher O. Erdmann durchaus nicht zustimmen, wenn er in seinen Grundzügen (S. 131) ganz allgemein angibt, ein Beispiel: ''wie niemand lebt, der das besser verstünde'', könne gleichmäßig umschrieben werden: ... ''verstehen könnte, möchte, sollte''. Diese Auffassung kann freilich kaum wundernehmen, da er auch von der Umschreibung mit ''würde'', d. h. dem eigentlichen Konditional, ebendort sagt, daß er ohne Anstoß in bedingenden und einräumenden Nebensätzen gebraucht werden könne, ähnlich einem österreichischen Lehrer, der in der Ztschr. f. d. Deutsch. Unterr. 1891 die Beschränkung des Konditionals auf den Bedingungshauptsatz als eine Forderung des grammatischen Idealismus hinstellt. — Der innere Grund für die Unzulässigkeit des Konditionals im bedingenden Vordersatze wird aus der Art und Entstehung der Bedingungs- und verwandten Sätze § 365, 4 dargelegt werden. Ein andrer Grund liegt in der Bedeutung des Wortes ''werden'', die wohl geeignet ist, das Bedingte zu umschreiben, das dann eintritt, wird, wenn eine vorhergesetzte Bedingung eingetreten ist, also ein Folgendes, nicht ein Vorhergehendes, das deshalb noch lange nicht der Zukunft angehört, weil es ein für die Gegenwart als nichtwirklich Vorgestelles ist. Als freilich die Umschreibungen mit ''werden'' sich bildeten, zahlreicher erst seit dem 14./15. Jahrh., da ist auch die mit ''würde'' von der tastenden Sprache ebensogut in Nebensätzen angewendet worden (vgl. Nicl. v. Wyle, Translationes. Stuttgart, S. 287, 35. 312, 25. 314, 24). Aber wie die Indikativumschreibung: ''da ward er lachen'' = ''alsbald lachte er so gut wie ausgestorben ist'', so hat auch die Konjunktivumschreibung mit ''würde'' lediglich auf die Bedeutung des Konditionalis eingeschränkt werden können. Die gute Schriftsprache wenigstens hat bis auf verschwindende Ausnahmen diese Beschränkung herausgearbeitet und festgehalten; warum soll da mundartlichen Ausbreitungen des Mißbrauchs der Konditionalformen zuliebe das Richtige aufgeopfert und ein feiner Unterschied zertrümmert werden, den wir beim Übersetzen ins — Französische beachten müssen? Weiter ist die Scheidung der Sätze, in denen der Konditional ''soll'' vorkommen dürfen (Bedingungs- und alle Arten einräumender Nebensätze) und in denen nicht (außer Absichtssätzen vergleichende mit ''als ob, als wenn''), ganz willkürlich; tatsächlich hat sich ja der Mißbrauch auch in die letzten Satzarten eingeschwärzt. Dazu kommt, daß die einräumenden Sätze in bezug auf den Modus nicht in einen Topf geworfen werden dürfen, insofern Sätze mit ''wiewohl, obwohl, -gleich, -schon'' auf einer andern Hauptsatzform beruhn als die mit ''wenn''(''auch, -schon''). Jene nämlich auf einem Fragesatze, also daß in ihnen sogut wie in diesen der Konditional möglich ist; diese auf Bedingungssätzen mit ''wenn'', also daß ihnen so gut wie diesen und ihrer gemeinsamen $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ Grundlage, den Wunschsätzen, der Konditional nicht zukommt. Auf alle Fälle sollte nicht ein Brauch in einem wissenschaftlichen Buche wie Erdmanns erst (S. 131) als ohne allen Anstoß befolgbar hingestellt werden, wenn durch gelegentliche Bemerkungen (S. 127: „seltner in bedingenden Nebensätzen", S. 131: „obwohl hier der ein-fache Konjunktiv Präteriti vorgezogen wird") gleichzeitig bestätigt werden muß, daß die Waage noch lange nicht zu gunsten des — Unrichtigen steht. — Ein falsches ''würde'', sogar im Hauptsatz, enthält die Erzählung bei H. Mann: ''Als die Bande wieder hinaus-stürmte, würde sie den Karl Balsich überrannt haben'' (statt: ''hätte sie ihn beinahe überrannt''). ''Er stand auf dem Treppenabsatz''.//.
$Seite 371$ Welcher noch nicht alles Sprachgefühls bare Leser empfände nicht die unnötige Häufung der Moduszeichen in Sätzen wie den folgenden überaus lästig? ''Du möchtest, daß ich dir mit jeder Post lange Briefe aus der belagerten Stadt schreiben solle'' (statt ''schriebe''), schreibt Eltze, und ein andermal: ''Die Gewißheit, daß, wenn auch das Schlachtenglück ebben und fluten möge, der Zweck des Krieges doch endlich erreicht werden muß'', gar mit dreifacher Bezeichnung der Einräumung und einer Vermischung mehrerer Fügungen, die nur jede für sich berechtigt sind: ''wenn auch das Kriegsglück ebbt und flutet oder ebbe und flute oder ebben und fluten sollte, allenfalls auch ebben und fluten mag'', oder endlich: ''mag'' (nicht ''möge''!) ''auch das Kriegsglück ebben und fluten''. Nicht nachahmenswert schreibt auch Th. Mann: ''Um die Schuld Englands möge es wie immer stehen: die menschliche Freundlichkeit derer, die es im Juli 1914 zu regieren glaubten, ist ein sehr schwacher Beweis gegen sie''; und ebenso H. A. Korff: ''Möge auch Goethe in vielen Einzelheiten übertroffen sein, von der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges überzeugt uns immer noch am tiefsten Goethe selbst''.
Zugleich liegt in dem letzten Satze ein zweiter Fehler vor, daß nämlich
für ein Fürwort, das noch dazu der Form nach auf ein anderes vorausgehendes Wort statt auf sein richtiges Beziehungswort bezogen werden kann, die Möglichkeit der (richtigen) Beziehung durch nachträgliche Einführung des zugehörigen Hauptwortes erst verspätet geboten wird. Deshalb ist so gut der kurze Satz Lessings zu tadeln: ''Appiani kommt näher, ohne sie zu erblicken, bis Emilie ihm entgegenspringt'', wie die zwei län- $Seite 402$ geren aus einer Weihnachts- und einer Kunstplauderei: ''Gerade der Umstand, daß dasselbe'' (statt: ''das Glück'') ''am liebsten dann verschwindet, wenn man es sicher zu haben glaubt, läßt das Glück'' (statt: ''dieses'') ''so rätselhaft erscheinen'', und: ''Eben deshalb, weil es den Charakter deutscher Art aufs entschiedenste aussprechen soll, hätte man auch bei dem Bilderschmuck, den unser Reichstagsgebäude hoffentlich in reichstem Maße erhalten wird, vor allem nur solche Künstler zu wählen''. — Nur bei geringem Abstand zwischen Für- und Beziehungswort und wenn Sinn und Tonspannung auch die kürzeste Unsicherheit über die Beziehung ausschließt, mag das Fürwort einmal vorangehen: ''Wenn es auf Irrtum beruht, wird jedes Urteil kassiert'' hat bessern Rhythmus als die Folge: ''Jedes Urteil wird, wenn es ... beruht, kassiert'' oder ''... wird kassiert, wenn es'' usw. Vgl. zum ersten Beispiel in § 390. +
Ein Gegenstück zu dem fachlichen Unterricht bilden die schönen neumodischen Zusammensetzungen, mit denen man sich jetzt spreizt, wie: ''Fremdsprache, Fremdkörper, Falschstück'' (ein gefälschtes Geldstück!) und ''Falschmeldung, Neuauflage, Neuerscheinung'' und ''Neuerwerbung'' (''die Neuerscheinungen des Buchhandels'' und ''die Neuerwerbungen der Berliner Galerie''), ''Neuerkrankung'' und ''Leichtverwundung, Deutschunterricht, Deutschbewußtsein'' und ''Deutschgefühl, Erstaufführung'' und ''Erstausgabe, Jüngstvergangenheit, Einzelfall, Einzelpersönlichkeit'' und ''Allgemeingesang, Mindererlös, Minderausfuhr, Mindestmaß, Mindestpreis und Mindestgehalt, Höchstmaß, Höchstpreis, Höchstgehalt, Höchstarbeitszeit'' und — ''Höchststundenzahl''! Hier leimt man also einen Adjektivstamm vor das Hauptwort, statt einfach zu sagen: ''fremder Körper, neue Auflage, einzelner Fall, erste Aufführung, allgemeiner Gesang, höchste Stundenzahl'' usw.
Worin liegt das Abgeschmackte solcher Zusammensetzungen? gibt es nicht längst, ja zum Teil schon seit sehr alter Zeit ähnliche Wörter, an denen niemand Anstoß $Seite 186$ nimmt? Gewiß gibt es die, sogar in großer Fülle. Man denke nur an: ''Fremdwort, Edelstein, Schwerspat, Braunkohle, Neumond, Weißwein, Kaltschale, Süßwasser, Sauerkraut, Buntfeuer, Kurzwaren, Hohlspiegel, Hartgummi, Trockenplatte, Schnellzug, Glatteis, Rotkehlchen, Grünschnabel, Freischule, Vollmacht, Hochverrat, Eigennutz, Halbbruder, Breitkopf, Rothschild, Warmbrunn'' und viele andre. Was ist aber das Eigentümliche solcher Zusammensetzungen? Es sind meist Fachausdrücke oder Kunstausdrücke aus irgend einem Gebiete des geistigen Lebens, aus dem Handel, aus irgend einem Gewerbe, einer Kunst, einer Wissenschaft, aus der Rechtspflege, oder es sind — Eigennamen.//* Auch sie hat es übrigens nicht immer gegeben. Noch im siebzehnten Jahrhundert erteilte, wer mit seinem halben Bruder im Streite lag, einem Anwalt ''volle Macht'', den Prozeß zu führen, noch 1820 wurde auf der Leipziger Messe von ''kurzen Waren'' gesprochen.// Nun stecken aber dem Deutschen zwei Narrheiten tief im Blute: erstens, sich womöglich immer auf irgend ein Fach hinauszuspielen, mit Fachausdrücken um sich zu werfen, jeden Quark anscheinend zum Fachausdruck zu stempeln; zweitens, sich immer den Anschein zu geben, als ob man die Fachausdrücke aller Fächer und folglich die Fächer auch selbst verstünde. Wenn es ein paar Buchhändlern beliebt, plötzlich von ''Neuauflagen'' zu reden, so denkt der junge Privatdozent: aha! ''Neuauflage'' — schöner neuer terminus des Buchhandels, will ich mir merken und bei der nächsten Gelegenheit anbringen. Der Professor der Augenheilkunde nennt wahrscheinlich ein Eisensplitterchen, das einem ins Auge geflogen ist, einen ''Fremdkörper''. Da läßt es dem Geschichtsprofessor keine Ruhe, er muß doch zeigen, daß er das auch weiß, und so erzählt er denn bei der nächsten Gelegenheit: ''die Germanen waren ein Fremdkörper im römischen Reiche''. Und wenn er Wirtschaftsgeschichte schreibt, dann redet er nicht von ''den fremden Kaufleuten'', die ins Land gekommen seien, sondern von ''den Fremdkaufleuten''! Wie gelehrt das klingt! Der gewöhnliche Mensch lernt in der Schule, ''Evangelium'' heiße auf deutsch: ''frohe Bot-'' $Seite 187$ ''schaft''. Der Theolog aber sagt dafür neuerdings ''Frohbotschaft''! Wie gelehrt das klingt! Der gewöhnliche Mensch sehnt sich nach frischer Luft. Wenn aber ein Techniker eine Ventilationsanlage macht, so beseitigt er die ''Abluft'' (!) und sorgt für ''Frischluft''! Im gewöhnlichen Leben spricht man von einem großen Feuer. Das kann aber doch die Feuerwehr nicht tun; so gut wie sie ihre Äxte und ihre Helme hat, muß sie auch ihre Wörter haben. Der „Branddirektor" kennt also nur ''Großfeuer''. Sobald das aber der Philister weggekriegt hat, sagt er natürlich auch am Biertisch: ''Bitte, meine Herren, sehen Sie mal hinaus, da muß ein Großfeuer sein'', und der Zeitungschreiber berichtet: ''Diese Nacht wurde das Gut des Gutsbesitzers Sch. durch ein Großfeuer eingeäschert''. So bilden sich denn auch die gewerbsmäßigen Theaterschreiber ein, mit ''Erstaufführung'' den Begriff der ersten Aufführung aus der gewöhnlichen Alltagssprache in die vornehme Region der Fachbegriffe gehoben zu haben. In Wahrheit ist es weiter nichts als eine schlechte Übersetzung von ''Premiere'', wie alle die wahrhaft greulichen Zusammensetzungen mit ''Höchst'' und ''Mindest'' nichts als schlechte Übersetzungen von Wörtern mit ''Maximal'' und ''Minimal'' sind. Für solches Deutsch doch lieber keins! Wenn aber bei einer Epidemie Ärzte und Zeitungen berichten, daß an einem Tage hundert ''Neuerkrankungen'' vorgekommen seien, so kann das geradezu zu Mißverständnissen führen. Eine ''Neuerkrankung'' würde ich es nennen, wenn jemand, der krank gewesen und wieder gesund geworden ist, von neuem erkrankt, ebenso wie eine ''Neuordnung'' voraussetzt, daß die Dinge schon vorher geordnet gewesen sind.
Besonders beliebt ist jetzt der ''Altmeister'', und eine Zeit lang war es auch der ''Altreichskanzler''. Hier ist aber zweierlei zu unterscheiden. Der ''Altreichskanzler'' stammte aus Süddeutschland und der Schweiz, wo man den ''alten'', d. h. den ehemaligen, aus dem Amte geschiednen (''ancien'') so bezeichnete, und wo man z. B. auch vom ''Altbürgermeister'' spricht (bei Schiller: ''Altlandammann''). ''Altmeister'' dagegen bedeutet wie ''Altgesell'' nicht den ehemaligen, sondern den ''ältesten'', d. h. $Seite 188$ bejahrtesten unter den vorhandnen Meistern und Gesellen. Man konnte also wohl Franz Liszt, solange er lebte, den ''Altmeister der deutschen Musik'' nennen, aber Johann Sebastian Bach einen ''Altmeister'' zu nennen, wie es unter den Musikschwätzern jetzt Mode ist, ist Unsinn. Bach ist ein ''Meister der alten Zeit'', der Vergangenheit; das ist aber ein ''alter Meister'', kein ''Altmeister''.
Zwar heißt es einwandfrei: ''er ist leidend, mitteilend; es ist erhebend, unterhaltend, reizend, entzückend; grauen-, furcht-, entsetzenerregend''; denn diese Mittelwörter sind wirklich gleich Eigenschaftswörtern zu Bezeichnungen der Zuständlichkeit geworden, überdies meist in einer vom Zeitwort abweichenden, übertragenen Bedeutung. Wo diese Bedingung unerfüllt bleibt, ist eine derartige Satzaussage falsch, weil dann allein das einfache Zeitwort am Platze ist, auch wenn die fortwährende Beschäftigung oder die Fortdauer und Gleichzeitigkeit einer Tätigkeit mit einer anderen ausgedrückt werden soll; höchstens können wir dem Zeitworte in diesem Falle mit Wörtchen wie ''noch'', eben zu Hilfe kommen, aber nimmermehr durch wörtliche Überlegung der schwerfälligen englischen Form ''he was writing'', der vielmehr entspricht: ''er schrieb eben''. Goethe hat freilich manche Prädikate gebildet nach dem Muster der wörtlichen Übersetzung: ''er war schreibend''; aber es ist so wenig Zufall, daß dies nur seinen späteren alternden, erwägenden und betrachtenden Stil trifft, als es von einem blinden Ohngefähr kommt, daß derselbe neuere Erzähler, den wir auch als krankhaften Liebhaber substantivierter Infinitive kennen lernen werden, Jensen, ebenfalls in solchen partizipialen Satzaussagen schwelgt: ''Die Luft war unfraglich Gesundheit erhaltend. Der Zuname war das innere Wesen nicht berührend. Fr. meinte, daß für einen Geistlichen ein lateinischer Name am besten klingend sei. So blieb sie, unsre Freude und unsern Kummer stets teilend, stets helfend''. Die echt verbale Natur der Mittelwörter kann sich aber wahrlich nicht deutlicher geltend machen, als wenn sie, wie in allen diesen Beispielen, Ergänzungen und Umstände zu sich nehmen. Aber auch ohne dies erkennt man, daß solche Wendungen wie ''naheliegend, andauernd sein; der Fall ist nicht einzelstehend keine Verbesserungen sind'' statt der auskömmlichen einfachen Verben ''andauern, naheliegen, einzeln stehen''. Nur das Ebenmaß kann diese Form der Aussage einmal entschuldigen in Fällen wie diesem: ''Leute, die sich freundlich benehmen und so gut gekleidet, so gut erzogen, so gut aussehend sind'' (Eltze).
1) ''fahrende Habe'' u.ä.
Nachdem Grimm überzeugend dargetan hat, daß das erste Mittelwort
(auf -''end'') allen germanischen Sprachen auch in passivischer Bedeutung eigen sei, kann es jetzt keinem Grammatiker mehr einfallen, alle Verbindungen, in denen es auftritt, als falsch bezeichnen zu wollen. Man mag daher ruhig die klassischen ''wohl schlafenden Nächte'' mit samt der ''nachtschlafenden Zeit''//1 G. Hauptmann (E. Quint) sagt ''bei nachtschlafener'' (!) ''Zeit''.// weiter brauchen; kein Verständiger wird auch an so schönen, lebensvollen Ausdrücken rütteln, wie ''fahrende Habe, fahrende'' und ''reitende Post'' samt ihrer Ablösung, wenigstens was die Häufigkeit anlangt, durch ''die fahrende'' und ''reitende Artillerie'' oder ''Batterie''; und ''die melkende Kuh'' wird nicht verschwinden, solange es welche gibt. Jos. Ponten (Der babylon. Turm 1919) schreibt: ''der löschende Kalk rauchte'', gerechtfertigt durch das intransitive Zeitwort: ''er erlischt''. Auch G. Kellers Ausdruck: ''Sie würde die Eltern zur gutfindenden Zeit besucht haben'', muß man treffend und glücklich nennen//2 Einen anderen ähnlichen Ausdruck, auch im Salander, bezeichnet er freilich selbst als mundartlich: ''wünschendenfalls'', wie sie in Münsterlingen sagen.//. Der Zugriff eines Genies ist Beethovens kühne Wendung: ''Blicke in die Natur und beruhige dein Gemüt über das Müssende''. Im allgemeinen aber ist der passivische Gebrauch des ersten Mittelwortes aktiver Verben abgestorben; und niemand soll heute: ''seine dabei hegende Absicht, das nie leerende Krüglein, kraft meines tragenden Amtes'' nachmachen. Den allerschlimmsten Tadel verdienen die Fügungen mit passivischem ''habend'', die nur eine Aufwärmung einer alten, hauptsächlich den Kanzleien angehörigen Formel sind, und das in einer Zeit, wo haben auch in anderen Formen nur noch selten passivisch angewendet wird. So stehen ''die in der Hand habende Orgel'' und ''die vorhabende Reise'' bei Goethe für uns jetzt auf gleicher, nicht mustergültiger Sprachstufe mit Ausdrücken wie: ''die unterhabenden Truppen, die im Besitz habenden inneren Operationslinien, die Stärke des vor sich habenden Feindes'' bis zu den ''innehabenden Geschäften, Geschäftszweigen'' und ''Räumen der Zeitungen'' und ''ihrer Anzeigeteile''. Hier müssen heute Sätze eintreten: ''Die Räume, welche ich bisher innegehabt habe'', allenfalls auch: ''der bisher von mir innegehabte Laden'', oder andere Wörter: ''der vorliegende Fall'' u. ä.
2) ''Sinnende Runzeln, zeichnende Künste'' u. ä.
Anderer Art sind folgende Wendungen, die längst gang und gäbe sind und überaus treffend in ihrer Kürze: ''sitzende Lebensweise, reißender Absatz, fallende Sucht, stillschweigende Voraussetzung, schwindelnde Höhe''. Dasselbe gilt, von den folgenden nicht gleich geläufigen: ''eine lobsingende Sphäre, die schaudernde Stille, staunendes Ergötzen, schlenderndes Leben, eine weit umschauende Stelle, lächelnde Antwort, rasselnde'', heute lieber ''rasende Eile, knieende Abbitte, schweigendes Beisammensitzen, halsbrechende Gefahr, den schachernden Tag über''. In keinem dieser Fälle wird wie in den unter 1) behandelten Fällen von dem Hauptworte, zu dem diese Parti- $Seite 109$ zipien grammatisch die Beifügung sind, ausgesagt, daß es desgleichen erleide; wahrhaft malerisch, versinnlichender Weise wird vielmehr in knappster und daher bester grammatischer Fügung angedeutet, wie die durch das Hauptwort angedeuteten Tätigkeiten, Zustände und Vorgänge sich abspielen, seltener auch, was sie wirken. Und so dürfen diese Ausdrücke, die fast alle von sprachschöpferischen Dichtern herrühren, ohne Bedenken weitererben, wenn auch wenige berufen sein werden, sie selbstbildend zu vermehren. Daß übrigens solch knappe Fügungen auch mit dem zweiten Mittelworte möglich sind, mag hier nur durch einen alten Satz bei Th. Platter angedeutet werden: ''So fresse ich Fleisch an verbotenen Tagen''.
Daher ist es nicht wünschenswert, daß ein süddeutschen Mundarten eigentümlicher Gebrauch in die Schriftsprache eindringe, alle Erzählungen im Perfekt zu geben, wovon selbst in Uhlands Gedichten manches nachklingt. Wohl aber muß mau den Unterschied zwischen einer Erzählung im Imperfekt und einer im Perfekt aufrecht erhalten wünschen, wie er, freilich nicht überall mehr verstanden, jedoch ausnahmslos z. B. in der Lausitz beobachtet wird. Danach wird eine kürzere Erzählung von Erlebnissen nur dann im Imperfekt gegeben, wenn der Sprechende damit ausdrücken kann und will, daß er sie selbst erlebt, angehört oder angesehen hat; dagegen wählt er das auf eine bloße Mitteilung gehende, jenen Zusammenhang ablehnende Perfekt, wenn er sich als nicht dabei gewesen hinstellen will und muß. Der Leiter einer Zeitung meldet z. B., wenn ihm im Herbst eine frische Apfelblüte auf die Amtsstube gebracht worden ist: ''Gestern wurde uns vom Gärtner N. ein Zweig mit frischen Apfelblüten überbracht; er wird sich nur freuen, wenn man sich den blühenden Baum ansieht, Hältergasse 27''. Seine Frau dagegen, die bei dem Überbringen nicht zugegen gewesen ist, sondern nur durch ihren Mann davon erfahren hat, kann es einer Freundin nur also weiter melden: ''Denke, gestern hat einer meinem Manne einen blühenden Apfelzweig auf die Expedition gebracht''. +
Wer eine Geschichte erzählt, bedient sich des Imperfekts; alle Ereignisse, die vor der Geschichte liegen, die erzählt wird, also zu der sogenannten Vorfabel gehören, müssen im Plusquamperfekt mitgeteilt werden. Imperfekt und Plusquamperfekt sind die beiden einzigen Tempora, die in den erzählenden Abschnitten einer Novelle oder eines Romans vorkommen können. Die Vorfabel braucht nicht am Anfang der Novelle zu stehen, sie kann mitten in der Novelle nachgetragen, ja selbst auf mehrere Stellen der Novelle verteilt werden. Immer aber muß das sofort durch den Tempuswechsel kenntlich gemacht werden. Zieht sich nun die Vorfabel in die Länge, so wird der Leser bald des Plusquamperfekts überdrüssig, und der Erzähler muß dann auch die Vorfabel in das Imperfekt zu lenken suchen. Das geschickt und fein und an der richtigen Stelle zu machen ist eine Aufgabe, an der viele Erzähler scheitern.
Noch schwieriger freilich scheint eine andre Aufgabe zu sein: wenn Rezensenten den Inhalt eines Romans, eines erzählenden Gedichts, eines Dramas angeben, so zeigen sie nicht selten eine klägliche Hilflosigkeit in der Anwendung der Tempora. Man kann Inhaltsangaben lesen, deren Darstellung zwischen Präsens und Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt nur immer so hin- und hertaumelt. Und doch ist auch diese Aufgabe eigentlich nicht schwieriger als die andre. Ein Buch, das besprochen wird, liegt vor. Da hat kein andres Tempus etwas zu suchen, als das Präsens und das Perfektum, das Präsens für die Geschichte selbst, das Perfektum für die Vorgeschichte. Wer den Inhalt wissen will, fragt nicht: ''wie war denn die Geschichte''? sondern: ''wie ist denn die Geschichte''? Und anders kann auch der nicht antworten, der den Inhalt des Buches angibt; er kann nur sagen: ''die Geschichte ist so'', und nun fängt er im Präsens an: ''Auf einem Gut in der Nähe von Danzig lebt ein alter Rittmeister; er hat früher eine zahlreiche Familie gehabt, steht aber nun allein da'' usw. Auch wer in der Unterhaltung den Inhalt eines Schauspiels angibt, das $Seite109$ er am Abend zuvor im Theater gesehen hat, bedient sich keines andern Tempus und kann sich keines andern bedienen. Nur manche Zeitungschreiber scheinen das nicht begreifen zu können.//* Den Inhalt eines Dramas kurz anzugeben, gehört zu den beliebtesten Aufgaben für deutsche Aufsätze in den obern Gymnasialklassen. Es kann auch viel dabei gelernt werden. Wie viel ärgerliche Korrektur aber könnte sich der Lehrer ersparen, wenn er bei der Vorbesprechung immer auch diese Tempusfrage mit den Jungen gründlich erörterte!//
Nicht ganz leicht dagegen ist es wieder, in der Erzählung das sogenannte Praesens historicum, das Präsens der lebhaften, anschaulichen Schilderung richtig anzuwenden. Genau an der richtigen Stelle in dieses Präsens einzufallen, genau an der richtigen Stelle sich wieder ins Imperfekt zurückzuziehen, das glückt nur wenigen. Die meisten machen es recht täppisch.
''Wenn'' hat sich um die Weiterbildung der Sprache verdient gemacht, indem es anstatt ''daß'' auch in Subjekts- und Objektssätze eindrang, namentlich nach Ausdrücken, mit denen eine Gemütsäußerung oder ein Urteil ausgesprochen wird. Oder wer fühlte nicht, daß es etwas anderes besagt, wenn in der Fr. Pr. zu lesen war: ''Man wird es den Examinatoren nur danken, wenn sie Unbildung und Unfähigkeit von den Hörsälen der Hochschule fernhalten'', als wenn dastünde ''daß sie ... fernhalten''. Die zweite Fügung ist nötig, wenn das tatsächliche Vorkommen dieses Verfahrens betont werden soll; die erste zulässig, wenn der gleiche Dank für alle Fälle, auch die etwa noch vorkommenden und die nicht beobachteten, zugesichert werden soll. In diesem Sinne ist die Fügung mit ''wenn'' sogar eine schöne Kürze statt der längeren: ''man wird ihnen Dank wissen, wenn sie ... fernhalten, daß sie so handeln''. Freilich muß auch wirklich eine derartige Unbestimmtheit, die Möglichkeit einer nur bedingten Annahme, ein leiser Zweifel durchklingen können, wenn ein solches ''wenn'' zulässig sein soll; so noch in dem Zeitungssatze: ''So wichtig es ist, wenn im Kreise der Fachmänner die Frage möglichst intensiv diskutiert'' (''eingehend erörtert'') ''wird, ebensowenig gut zu heißen ist es'' ... Dagegen ist ungehörig der des Höllenbreughel: ''Es wäre ein Vorschlag, der die Beachtung aller verdiente, wenn die Mimen und die Universitätsprofessoren einmal versuchsweise die Rollen tauschten''. +
Der seltnere Fall, daß ein ursprünglicher Dativ durch den Akkusativ bedroht wird, liegt bei den Verben des Affektes, des leiblichen wie geistigen, vor: ''es ekelt, graut, graust, schaudert, schauert''; und nur schweizerisch ist noch: ''es fürchtet einem''. Die Beteiligung an dem Gefühle, das Ergriffenwerden durch dieses zu bezeichnen ist der dritte Fall unbedingt treffender; man braucht nur an Gretchens Worte zu denken: ''Heinrich, mir graut vor dir''. Der vierte Fall scheint bloß auf dem äußerlichen Umstande zu beruhen, daß er bei den meisten unpersönlichen Verben steht. Regel ist der Akkusativ der Person heute nur bei ''ekeln'', wenn dies persönlich oder reflexiv gebraucht ist: ''Ich ekle mich, wenn ich den Menschen sehe. — Mich ekeln diejenigen unserer Politiker, die ihre Staatsheilungen mit Schminke und Frisur treiben'' (Niebuhr). Doch schreibt F. Hildebrand (1918) auch: ''Vor äußerlichen Ehren graut sie'' (Geibel und E. Curtius). +
Auch den Übertritt transitiver Verben in transitiven Gebrauch wird die Sprachlehre in wach- $Seite 220$ sendem Umfange zugestehn müssen, und es ist müßig z. B. über die Zeitungswendung: ''Diese Handlung kann nicht erstaunen'' (= in Erstaunen setzen), zu spotten, zumal damit nur die alte transitivische Bedeutung des Wortes wieder belebt ist. Ebenso wird Älteres wieder zu Ehren gebracht, wenn ''beteiligen'', das bisher überwiegend rückbezüglich oder in dem Mittelwort beteiligt mit oder ohne ''sein'' zuständlich gebraucht wurde, wie schon von Grimm, so z. B. auch in der Tgl. R. wieder aktivisch angewandt wird: ''Um den gemeinsamen Unterbau zu bekämpfen, hatte man ... Uhlig an der Konferenz beteiligt''. Natürlich können in ähnlicher Weise auch bisher nur intransitiv verwendete Verben transitiv und damit fruchtbarer werden: ''das Unglück das meine Feinde ratschlagten'' (H. Hoffmann); ''Es ist bekannt, daß General Scott große Entwürfe gereift hat'' (Eltze); ''Die acht Hauptteile wirken gestelzt'' (Schliepmann); ''Der feine Schneestaub erstarrt'' (= macht starr) ''alle Glieder'' (v. Hörmann). Gundolf fügt: ''das Gesetz, das jeden Förderer schweigen'' (= schw. machen) ''und beschämen muß'', und: ''indem Goethe Gottes gesetzliches'' (in etwas anderm Sinne als ''gesetzlichem'') ''Verfahren nachsann'', und mit noch aktiverem Sinne von ''schweigen'' Morgenstern: ''Schweig diese Stirn Gelübde in die Sphären!'' Überhaupt nützt voran die dichterische Sprache solche Möglichkeiten: ''das Räuspern, das sie in ein verstohlenes Kußhändchen auszumünden wußte'' (Spitteler); ''Eine Quelle murmelte ihr leis, des Mondes blasse Scheibe widerscheinend'', und: ''Mir blieb ein Hort, den rosten nicht Wetter und Wogen'' (Ann. v. Droste-H.); ''Ein Leib, verhungert, krank und dürr, flucht alle Küsse fern'' (Jak. Haringer); ''Ich lebe Werden unter Steinen und Leichen'' (Trentini); ''wenn meine Uhr die Stunde über sie hinklang; Jede Welle glänzte deinen Namen in mein Herz; Fata Morgana der Seele, die ihre Innenbilder der Sehnsucht herauffunkelt in die dunkle Bewußtheit des Daseins; Ich sehne nichts als dich'' (vgl. § 225 M. Fischer), und: ''hättest du ein Recht dich zu verarmen'' (sämtl. bei H. Chr. Ade); ''ihre Welt in den andern hineinrufend, die Ströme ihres Innern in den andern hineinfiebernd'' (Ad. Gerhard); ''Sein Auge tränte Entzücken'' (Kohlenegg); ''Die riesigen Schilde schrillen die heilige Stille zu Schemen'' (B. v. Münchhausen); ''der Himmel, den rasch dahinziehende Wolken fleckten'' (Galsworthy, deutsch); und mit ähnlichem Prädikativ: ''Gottes Sohn, dir blüht mein Nöten gelb zu Mohn und harft mich wanderfroh'', sowie: ''Es schien mein Frankreich grün, kein Sternlein schien mich rein'' (J. Haringer). Indes auch die Prosa, und zwar des Lebens wie des Stiles, ist an solchen Rektionsverschiebungen beteiligt: ''einen Junker fliegen'' und: ''Weiß, der die besten Kampfeinsitzer der deutschen Armee eingeflogen hat'', stand in Zeitungen und mit gleich glücklicher Kühnheit sagt die Heilkunst: ''Der Patient wurde während der Operation künstlich geatmet''. So praktisch als kurz ist ''einen knipsen'' (photographieren), und mehr gegen die Sache als ihren sprachlichen Ausdruck ist auch zu folgenden Wendungen zu sagen: ''einen raubrittern'' und: ''eine Dame zahlte dem Manne, der sie erpressen kam'' (Univ. 25). In dem Satze: ''Der Arme an Leben verarmt es noch, der Reiche, Starke bereichert es'', wird der transitive Gebrauch des ersten Zeitwortes durch die Parallele mit dem zweiten klar; doch auch ohne solche Hilfe spricht Alice Berend ganz verständlich von ''einer Uniform, die alle Prügelnden auseinanderstob''.
Ein eigenartiges Gegenstück zu den konjunktivisch-negativen Sätzen mit ''daß unter'' 1) nach den genannten Zeitwörtern sind die Sätze mit ''als daß'', dem ein Begriff des Mangels oder Entbehrens mit ''nichts'' als Subjekt oder Objekt vorausgeht. In ihnen ist nämlich die Verneinung auch für unser Sprachgefühl sogar noch notwendig: ''Der Blinde entbehrt gewöhnlich nichts, als daß er keinen Lichteindruck empfindet — und das ist ein schlimmer Verlust; auch dem Tauben fehlt nichts, als daß er keine Schalleindrücke empfindet — und das ist eine viel größere Armut.'' Die Verneinung kann hier nur dann wegfallen, wenn zwischen den Zeilen ein Wunsch nach der Abstellung des Mangels zu lesen ist und infolgedessen der Unterschied zwischen der Wirklichkeit und dem gewünschten Zustande statt durch die Negation durch den Konjunktiv ausgedrückt wird: ''dem Weine fehlt nichts, als daß er nicht völlig geklärt ist'', oder: ''als daß er völlig geklärt wäre!'' +