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H
Daß wir Deutschen bei unsrer großen Gelehrsamkeit und Gewissenhaftigkeit die Bewohner fremder Länder und Städte mit einer wahren Musterkarte von Namenbildungen versehen, ist zwar sehr komisch, aber doch erträglich. Sprechen wir also in Zukunft getrost von ''Amerikanern, Mexikanern, Neapolitanern, Parmesanern'' und ''Venezolanern, Byzantinern, Florentinern und Tarentinern, Chinesen'' und ''Japanesen, Piemontesen, Albanesen, Genuesern, Bolognesern'' und ''Veronesern, Bethlehemiten'' und ''Sybariten'' (denen sich als neuste Errungenschaft die ''Sansibariten'' angereiht haben), ''Samaritern'' und ''Moskowitern, Asiaten'' und ''Ravennaten, Candioten'' und ''Hydrioten, Franzosen, Portugiesen, Provenzalen, Savoyarden'' usw. Daß wir aber an deutsche (!) Städtenamen noch immer lateinische Endungen hängen, ist doch ein Zopf, der endlich einmal abgeschnitten werden $Seite 85$ sollte. Die ''Athenienser'' und ''Carthaginienser'' sind wir aus den Geschichtsbüchern glücklich los,//* Die ''Kretenser'' freilich haben 1896 wieder in allen Zeitungen gewütet, obwohl Schiller schon vor hundert Jahren geschrieben hat: ''Die Kreter hat der Sturm zerstreuet''.// aber ''die Hallenser, die Jenenser'' und ''die Badenser, die Hannoveraner'' und ''die Weimaraner'' wollen nicht weichen, auch die ''Anhaltiner'' spuken noch gelegentlich, und neuerdings hat man sogar von ''Casselanern'' gehört! Und doch ist nicht einzusehen, weshalb man nicht ebenso gut soll ''Jenaer'' sagen können wie ''Gothaer, Geraer'' und ''Altonaer'',//** Freilich sind Formen wie ''Jenaer'' und ''Geraer'' auch nicht besonders schön, so wenig wie die in Sachsen in der Schriftsprache beliebten Adjektivbildungen auf ''aisch'': ''Grimmaisch, Tauchaisch, Bornaisch, Pirnaisch''. In diesen Bildungen ist eine deutsche Endung an eine ganz unvolkstümliche, künstlich gemachte lateinische Endung gehängt. Der Volksmund kennt noch heutigestags nur die Städte ''Grimme, Tauche, Borne, Pirne'' und so auch nur die Adjektivbildungen ''Grimmisch, Tauchisch, Bornisch, Pirnisch'', und es wäre zu wünschen, daß sich die amtliche Schreibung dem wieder anschlösse. So gut wie sich zu irgend einer Zeit das Falsche amtlich hat einführen lassen, ließe sich doch auch das Richtige amtlich wieder einführen. Man pflegt jetzt eifrig die „Volkskunde,“ sucht überall die Reste volkstümlicher alter Sitten und Gebräuche zu retten und zu erhalten. Gehört dazu nicht vor allem die Sprache des Volks?// ebenso gut ''Badner'' wie ''Münchner, Posner'' und ''Dresdner'', ebenso gut ''Haller'' wie ''Celler'', ''Stader'' und ''Klever'', ebenso gut ''Hannoverer'' und ''Weimarer'' wie ''Trierer, Speierer'' und ''Colmarer''. Freilich erstreckt sich die häßliche Sprachmengerei in unsrer Wortbildung nicht bloß auf geographische Namen, sie ist überhaupt in unsrer Sprache weit verbreitet; man denke nur an Bildungen wie ''buchstabieren, halbieren, hausieren, grundieren, schattieren, glasieren'' (im 16. Fahrhundert sprach man noch von ''geglästen Ziegeln und Kacheln''), ''amtieren, Hornist, Lagerist, Probist, Kursist, Wagnerianer, Börsianer, Goethiana, Beethoveniana, Lieferant, Stellage, Futteral, Stiefeletten, Glasur, schauderös, blumistisch, superklug, hypergeistreich, antideutsch'' usw. Manches davon stammt aus sehr $Seite 86$ früher Zeit und wird wohl nie wieder zu beseitigen sein; vieles aber ließe sich doch leicht vermeiden, und vor allem sollte es nicht vermehrt werden durch solchen Unsinn, wie daß ein Fabrikant ''zwei Hobler'' und ''einen Bohristen'' sucht; warum nicht lieber gleich auch ''zwei Hoblisten''? Eine eigne Bewandtnis hat es mit der Aussprache ''luthérisch'' (vom lateinischen ''Lutherus'' gebildet). Das Bestreben, sie ganz zu beseitigen und überall dafür ''lútherisch'' zu sagen, scheint auf den ersten Blick sehr berechtigt. Sagt doch auch niemand ''schillérisch''. Man hat aber doch neuerdings darauf aufmerksam gemacht, daß zwischen beiden Betonungen ein Unterschied sei: ''lútherisch'' bezeichne etwas Persönliches, man könne also wohl von ''der lútherischen Bibelübersetzung, dem lútherischen Katechismus, den lútherischen Predigten'' reden, auch von ''den Lútherischen'', wenn man Luthers Partei aus seiner Zeit meint; ''luthérisch'' dagegen bezeichne etwas Unpersönliches, Wissenschaftlich-Theologisches, und es habe daher seine gute sprach- und kultur- geschichtliche Berechtigung, von der ''evangelisch-luthérischen Landeskirche'' zu reden. Wie viele freilich imstande sein werden, diese Unterscheidung nachzufühlen?  
Das ganze Gesetz der deutschen Zeitfolge in Haupt- und Nebensatz ist im allgemeinen einfach und klar mit folgenden Bestimmungen erschöpft: Neben jedem Präteritum $Seite 361$ (Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt) bezeichnet das Imperfekt, neben einem Präsens oder Futur das Präsens die Gleichzeitigkeit; die Vorzeitigkeit dagegen wird ausgedrückt neben einem Präsens und Futur durch das Perfekt und neben jeder Vergangenheit durch das Plusquamperfekt, freilich nur in den Sätzen, in denen dieses Verhältnis auszudrücken überhaupt üblich ist, d. h. wie schon in §295 bemerkt ist: nach ''nachdem'' und außerdem in Relativ- und indirekten Fragesätzen. Es durfte also z. B. im Schwäb. Merkur nicht heißen: ''Kaum ist Don Michael von König Ferdinand anerkannt, so wendete sich jener schon an die spanische Regierung um Geld'', sondern entweder: ''Kaum ist er anerkannt, so wendet er sich'', oder: ''kaum war er anerkannt, so wendete er sich.'' In der Tgl. R. stand falsch: ''Der Bericht der Unterrichtskommission über die Schulreformpetition des Dr. Fr. Lange, den der Präsident ebenfalls auf die Tagesordnung setzte'' (statt ''gesetzt hatte''), ''wurde von einer aus der Rechten und dem Zentrum bestehenden Mehrheit von derselben entfernt''. Unrichtig ist eine Gegenwart zur Bezeichnung der Vergangenheit in folgender Weise, deren Häufigkeit sich wohl nur aus mundartlichen Einflüssen (§ 375, 3. Abs.) erklärt: ''Trotz des Mißlingens war Newton überzeugt, daß es nur der Verbesserung der Methoden bedarf, um auch Spiegel von sehr großem Durchmesser zu bauen''; in A. Stifters Alterswerk „Witiko“: ''Er erzählte'' (im J. 1158!) ''von dem Kriegszuge und wie es in Italien ist''. Zum Schlusse wieder einige Muster aus Goethe. Das Präsens zur Bezeichnung der Gleichzeitigkeit, das Perfekt der Vorzeitigkeit neben dem Futur weisen die Sätze auf: ''Ich will'' (= ''werde'') ''reden wie ein Buch, wenn ich mich vorbereitet habe, und wie ein Tor, wenn ich bei guter Laune bin''. Das Perfektum zum Ausdruck der Vorzeitigkeit neben einem Präsens kommt in diesem vor: ''Horatio kennt den alten König, denn er hat seinen letzten Schlachten beigewohnt, hat bei ihm in Gunst gestanden''. Endlich zwei Sätze mit dem Imperfekt der Gleichzeitigkeit neben Perfekt und Plusquamperfekt: ''Sie haben wohlgetan, meine Freunde, daß Sie unsern Mitarbeitern so ernstlich zusprachen.''//1 Sie lautet z. B. von ''lieben'' und ''laufen'' in der dritten Person der Einzahl: Aktiv: ''er liebe, er habe geliebt, er werde lieben, er werde geliebt haben, er laufe, er sei gelaufen, er werde laufen, er werde gelaufen sein''. Passiv: ''er werde geliebt, er sei geliebt worden, er werde geliebt werden, er werde geliebt worden sein''.// ''Keinem Menschen hatte ich jemals lieber zugehört als Lothario, wenn er von seinen Reisen, von seinen Feldzügen erzählte''. Vgl. S. 356.  
Die Endsilbe ''-ei'' ist trotz ihrer Entstehung aus dem romanischen -''ie'' durchaus berechtigt an allen den Wörtern, an denen sie Stand, Geschäft und Gewerbe und den zu diesen dienenden Ort ausdrückt (''Fischerei, Jägerei''). H. Stehr (1919) redet sogar vom ''Auszugsstübchen seiner Väterei''. Dagegen sollte man sie an denen etwas einschränken, in denen sie die häufige, meist tadelnswert häufige Wiederholung einer Handlung bezeichnet. Denn noch ist uns die Ausdrucksweise möglich, $Seite 14$ die ehemals dafür allein üblich war: Wörter auf ''-e'' mit der Vorsilbe ''ge''. also jage man lieber ''das Gewarte'' als ''Warterei'', ''Gestreite'' als ''Streiterei'', ''Kluggerede'' als ''Klugrederei'', ''das Gekose'', ''Genasche'', ''Geziere'' u. ä.  +
Bei ''heißen'' (= ''befehlen''), ''lassen'' (sowohl = ''nicht hindern'' als ''veranlassen''), ''sehen'' und ''machen'' ist der Akkusativ bedroht durch die Infinitive, die davon abhängen, und durch die von diesen wieder regierten Kasus. Alle diese transitiven Verben verlangen aber ihre Ergänzung im vierten Falle; nur ist neben ihnen je nachdem noch ein Akkusativ oder ein Dativ//3 Ja nach § 232 sogar ein Nominativ; dort ist auch die falsche Attraktion eines Prädikatsnomens an das Objekt der regierenden Verben besprochen.// möglich, aber so, daß diese zu dem abhängigen Infinitive gehören. Die herrschende große Verwirrung nötigt, zahlreichere Beispiele einzuführen: 1. solche mit nur einem zum regierenden Verbum gehörigen Akkusative: ''Er hieß mich freundlich trinken. Man sah sie erröten. Die gute Mahnung läßt'' (''macht'') ''mich mutiger gehn''. Es ist klar, wie grundlos es wäre, dieses Verhältnis zu ändern, wenn 2. auch das abhängige Verbum als Transitivum einen Akkusativ bei sich hat: ''Nein, Wurm, das macht er mich nimmer glauben. Laß die Toten'' $Seite 203$ ''ihre Toten begraben'' (Schiller). Die 3. Möglichkeit ist die, daß ein Dativ zum Infinitiv gehört, gleichviel ob außerdem auch noch ein Akkusativ dazugehört und ob das regierende Verb einen bei sich hat oder nicht: ''Der Papst ließ mir sagen, ich möchte den Kelch fertig machen. Sie machet mir mit ihrem Klagen die Augen übergehn''. Der Unterschied wird vielleicht am klarsten an einem Satzpaare wie diesem: ''Der Wirt heißt den Knecht'' (''ihn'') ''das Pferd bringen'', so, wenn die Person, für die es gebracht werden soll, gegeben ist; wenn diese dagegen nicht selbstverständlich ist, wohl aber die, welche es bringen soll, wird daraus: ''Der Wirt heißt dem Grafen das Pferd bringen'', wie bei O. Ludwig: ''Lassen Sie dem Boten das schnellste Pferd satteln''. Oder man vergleiche: ''Er ließ seinen Bruder alle möglichen Grobheiten hervorstoßen, woran er ihn hätte hindern sollen''; aber: ''er ließ seinem Bruder alle mögichen Grobheiten sagen'', h. h. in seinem Auftrage sagte sie einer dem Bruder. Man sieht, ein falscher Dativ kann sogar den Sinn ganz verschieben, und doch ist er häufig in dem oben mit 2 bezeichneten Falle, im allgemeinen aber ohne Berechtigung. Denn es sind drei ganz irreleitende Kräfte, die dazu verführt haben: der allgemeine Zug nach einem Dativ der Person neben dem Akkusativ der Sache; das schwächere Gefühl für den Unterschied der beiden Fälle in dem in Literatur und Grammatik überwiegenden Niederdeutschland und endlich die Nachäffung des französischen (''faire savoir qch. à qn''.), die unter solchen Umständen doppelt leicht fallen mußte. Denn man kann beobachten, wie diese französelnde Fügung seit reichlich hundertfünfzig Jahren fast plötzlich und wie eine Hochflut hereinbricht, von den Vorläufern der Klassiker und diesen selbst an, die ja die höhere Umgangssprache und ganze Entwicklung vielfach auf die französische Sprache und Literatur hinwies, bis herab auf das jüngste Deutschland. Französisch ist es also, wenn z. B. Hesekiel schreibt: ''Er sah der Prinzessin ihren Hut nehmen'', was jeder Deutsche eigentlich so verstehen muß, als würde er ihr weggenommen, während es bedeuten soll, daß sie ihn an sich nahm. Gleich entschieden muß dem dritten Falle bei heißen die Berechtigung abgesprochen werden, gleichviel, ob einfach ein Infinitiv dabei steht: ''Er hieß ihm zwei Pferde bereit halten'' (v. Bülow), was wieder mißverständlich ist gegenüber dem richtigen: ''er hieß ihn'' ..., oder ein Satz: ''er hieß ihn, er solle 2 Pferde bereithalten''. Endlich auch, wenn die geheißene Sache durch einen vierten Fall angedeutet wird, darf es nicht wie bei Schiller lauten: ''Der Herr hat es ihm geheißen'', sondern wie bei Luther: ''So höre, was ich dich heiße''. Bei ''lassen'' liegt die Sache im Grunde nicht anders. Am allerwenigsten hätte z. B. ein Lehrer in einer Zeitung schreiben sollen: ''Er hatte seinem Kinde'' (statt ''sein Kind'') ''nichts lernen lassen''. Freilich kann nicht immer die fremde Herkunft des Dativs so sicher festgestellt werden, wie beispielsweise bei dem Übersetzer der Schriften von Berlioz: ''Es beruhte darauf, jedem'' (statt ''jeden'') ''das ausführen zu lassen, was seiner Natur entsprach''; auch mag auf der andern Seite die Anlehnung an ''erlauben, überlassen'' oder auch an die nominale Fügung von ''lassen'' (''einem seinen Willen lassen'') verzeihlich erscheinen.  
Besonders die Norddeutschen scheinen zu den Verwechslungen verführt, und in niederdeutschen Schriften findet man oft sogar ''Einländer'', ''einländisch'', ''einwohnend'' u. ä.; hat man doch im Niederdeutschen statt der hoch- und gemeindeutschen Doppelformen ''hinein'' und ''herein'', ''hinaus'' und ''heraus'' nur ''rut'' und ''rin''. Damit wird aber ein Unterschied zwischen ''hin'' und ''her'' verwischt, den die Schriftsprache gewissenhaft aufrecht erhalten muß: ''her'' mit allen seinen Zusammensetzungen steht, wenn eine auf den Standpunkt des Darstellers oder des redend Eingeführten gerichtete Bewegung bezeichnet werden soll, ''hin'' aber, wenn eine davon sich entfernende. Regen und Schnee und aller Segen kommt vom Himmel auf die Erde, zu uns ''herab, hernieder, herunter''; aber wir blicken zu den Sternen und dem Gotte dort oben ''hinauf'', Beim Bergsteigen gehen Schneemassen unter unsern Füßen ''hinab'', und unter dem Ackersmann bricht das unterbaute Land ''hinunter''. Falsch also schrieb Cl. Ratzka (VK1. 26): ''Sie wendete sich um, während ihre Rechte zu uns hinüberwinkte''. Nur in einem Falle bleibt das mit ''her'' zusammengesetzte Adverb jetzt im allgemeinen unverändert, neben Verben nämlich, die entweder überhaupt oder in einer besonderen Anwendung gar keine wirkliche sinnliche Bewegung bezeichnen, wie ''herabwürdigen, herabkommen, ein Buch herausgeben''; auch ''hereinfallen''. Außerdem gibt es Fälle, in denen ein doppelter Standpunkt eingenommen werden kann. Wenn z. B. über den Schloßhof gehende Beobachter jenen Prinzen, der sich der Bestrafung durch die Drohung entzog, sich dann zum Fenster hinabzustürzen, bei einem solchen Auftritte beobachtet hätten, so könnten sie gleich gut sagen: ''er wird wieder einmal damit drohen, sich zum Fenster herauszustürzen'' als ''hinauszustürzen''; jenes von ihrem leibhaftigen Standpunkte aus, dieses, indem sie sich auf den des Prinzen stellen.  +
Auch ''herum'' und ''hinum'' sind in ihrer ursprünglichen Anwendung nach der Bedeutung von ''her'' und ''hin'' geschieden. Neben ''herum'', das eine bogen- oder kreisförmige Bewegung bezeichnet, also eine, die möglichst in ihren Ausgangspunkt zurückgeht, steht im edleren Stile auch die umgestellte Form ''umher'', dann nämlich, wenn nicht von einer Bewegung im Kreise, sondern mehr von einem Hin und her: die Kreuz und Quer die Rede ist. Man vergleiche: ''Der König (Friedrich Wilhelm IV.) zog an jenem wirren Tage wirklich mit um seine Hauptstadt herum'' und: d''er Schah läßt sich jetzt durch die Herren von der persischen Gesandtschaft oft in der Stadt umherführen''. Die Beschränkung von ''umher'' auf die edlere Schreibart erklärt es, wenn in vielen derberen, aus dem Leben und der Sprache des Volkes aufgegriffenen Ausdrücken ''herum'' überwiegt: ''sich herumtreiben, sich herumhauen, herumfuchteln''; dieselbe Form herrscht (aus der ursprünglichen Anschauung heraus) auch in den Ausdrücken der $Seite31$ Wechselbeziehung: ''sich mit jemand herumzanken, -streiten, -schlagen, -zausen''. Ähnlich ist auch ''hernach'' jetzt gewöhnlicher und dem Volke und volksmäßiger Darstellung eigener als das in der Schriftsprache und im Süden auch beim Volke üblichere ''nachher''. Auch zwischen ''hinterdrein'' und dem überhaupt schon selteneren ''hintendrein'' ist heute kein merklicher Unterschied mehr; der Form nach drückt jenes die Bewegung kräftiger aus, nämlich auch im ersten Teile hinter; man vgl. ''her-, darreichen''.  +
Die entsprechende Erscheinung im Gebiete der Zeitangaben ist es, wenn die zunächst nur von der Gegenwart des Sprechenden aus geltenden Wörter ''gestern, heute'' und ''morgen'' mit ihren Ableitungen auf einen beliebigen Tag der Vergangenheit bezogen werden; wie Junker sagt: ''Am 16. Februar 1877 sollten wir in der Zeriba Wandi ankommen. Die Richtung unseres heutigen Marsches war nicht eine rein westliche''. Der Sorgfältige vermeidet diesen Gebrauch der Zeitadverbien im allgemeinen und würde z. B. hier sagen: ''Unsere Marschrichtung an d''(''ies'')''em Tage''. Nur wenn es darauf ankommt, ein Ereignis recht lebhaft wie gegenwärtig oder eine nur ihrem Inhalte nach angedeutete Erwägung oder Äußerung der wörtlichen möglichst ähnlich erscheinen zu lassen, ist die Wahl dieser Formen ein dazu geeignetes Mittel: ''„Was war in diesen Verhältnissen überhaupt noch zu leisten? Heute waren sie alle erschöpft und morgen? würde sich da nicht die Zahl der Feinde vervielfacht haben?"'' — Gellert hat gedichtet: ''Umsonst! Zeus ließ sich nicht bewegen — denn stürmisch sollt es heute sein!''  +
Tatsächlich sind im Grunde von jeher//1 Vgl. darüber namentlich O. Behaghel, Über die Entstehung der abhängigen Rede und die Ausbildung der Zeitfolge im Ahd., 1878, besonders S. 22—30; und: Der Gebrauch der Zeitformen im konjunktivischen Nebensatz des Deutschen. Mit Bemerkungen zur lateinischen Zeitfolge und griechischen Modusverschiebung, 1899.//, besonders deutlich aber gerade jetzt die Gebiete, auf denen die Konjunktive des Präsens und des Imperfekts verwendet werden, in andrer Weise geschieden, wohlgemerkt immer in Nebensätzen — über ihre Verwendung in Hauptsätzen schwankt selten jemand. Die Konjunktive der Gegenwartreihe stehn in allen Arten von Nebensätzen, von den schon besprochenen finalen abgesehn, hauptsächlich in aussagenden und fragenden mit samt den davon wieder abhängigen Nebensätzen höherer Stufen, und zwar auch nach Zeitformen der Vergangenheit, wenn etwas nicht als Tatsache, als wirklich so seiend oder nicht seiend hingestellt werden soll, sondern als subjektive Auffassung des Subjekts im übergeordneten Satze, als Gedanke, Vorstellung oder Äußerung des Trägers der Handlung, kurz in der abhängigen Rede. Wie sich diese subjektive Auffassung zur Wirklichkeit verhält, bleibt dabei durchaus unangedeutet; ja die Kenntnis, die man davon vielleicht hat, anzudeuten, darauf wird oft geradezu verzichtet und so, was nach besserem Wissen vielleicht wirklich eingetreten ist, nur als möglich, als bloß gedacht oder gesagt hingestellt. Wenn ich mich z. B. so ausdrücke: ''Schiller sagt, der Übel größtes sei die Schuld'', so stelle ich den Gedanken lediglich als eine Meinung Schillers hin und enthalte mich selbst jedes Urteils über seine Richtigkeit, sein Verhältnis zur Wirklichkeit; wenn ich den Satz aber so wende: ''Schon Schiller sagt, der Übel größtes ist die Schuld'' oder ''daß der Übel größtes die Schuld ist'', so stelle ich damit zwei Tatsachen fest, daß Schiller den Ausspruch getan hat und daß dieser in den Tatsachen begründet ist. Über die an solcher Stelle ungebräuchliche Umschreibung mit ''würde''. (Vgl. S. 372 Anm. 1//1).  
Der Konjunktiv der Präterita dient gleichmäßig in Haupt- und Nebensatz dazu, eine bedingte und eine bescheidene oder vorsichtige Behauptung wiederzugeben: ''ich möchte fast glauben; es dürfte sich'' (''wohl'') ''anders verhalten''. So sieht er nach Formen der Gegenwart in dem Satze aus dem $Seite 364$ alltäglichen Leben: ''Das ist hier ein Mann, dem ich mich anvertrauen würde'', und bei Schiller wie oft in der unvollständigen Bedingungsperiode: ''Das ist der Kahn, der mich hinüber trüge''. Wie in diesen Beispielen die Präteritalform im abhängigen Sätze steht, weil sie auch im entsprechenden unabhängigen stehn würde, so zittert die ursprünglichste Bedeutung des Konjunktivs des Präteritums, von der seine Erscheinungsformen im Nebensatz doch alle nur Nachklänge sind, überhaupt im Nebensatze noch öfter nach. Jene Grundbedeutung ist die, etwas zu heischen, an dessen Erfüllung man nicht glaubt, so leidenschaftlich man sie herbeisehnt; und diese klingt nach, sooft eine gewisse Erregung, ein unerfüllbares Begehren gemalt werden soll, eine unbeantwortbare Frage gestellt wird oder doch ein Wunsch nicht schnell genug erfüllt, eine Frage nicht schnell genug beantwortet wird, als daß man sich nicht schon darüber erregen sollte, daß es gar nicht geschehn, also — unmöglich sein konnte. So erklärt sich bei G. Keller inmitten lauter präsentischer Konjunktive einer abhängigen Rede ein einziger des Präteritums: ''Darum wünsche der Vater, daß Brandolf sich entschließen könnte'' - ''„könnte er sich doch nur entschließen"'', sagt er schon in unabhängiger Form - ''den Sprung zu wagen''. So auch in dem folgenden Satze des nämlichen, wo die Parallele des selbständigen Satzes nichts hilft: ''Sie schlug die Augen nieder, mit einer innern Neugierde, was das wohl sein möchte, das besser als Schönheit sei und doch im Spiegel gesehen werden könne''. Kurz, dem Konjunktiv der Präterita ist, und zwar heut in weiterm Umfange als früher, die Aufgabe zugefallen, das Gegenteil zum Wirklichen und Tatsächlichen wie zum Möglichen auszudrücken: das Nichtwirkliche und zwar in Nebensätzen auch nach einem Haupttempus.  
Die Stimmung der Nichtwirklichkeit wirkt manchmal aus dem Hauptsatz auf den Nebensatz, aus einem Nebensatze auf einen Nebensatz erhöhten Abhängigkeitsgrades nach, der an sich Mögliches oder gar Tatsächliches enthält. Zumal ein wünschender Konjunktiv des Imperfekts zieht gern, wenn auch nicht notwendig, den Konjunktiv auch im abhängigen Satze nach sich, wie in dem Satze des Grimmschen Märchens: ''Ich möchte gern einen Geldbeutel haben, der nie leer würde''. Fühlbarer wird es, daß der Konjunktiv bloß auf solcher Einwirkung und Angleichung beruht, in anderen als Wunschsätzen; so wenn es wieder in den Märchen heißt: ''Hätte er mir nicht selbst das Gold geben können, da wüßte ich, was ich hätte'' (auch möglich: ''habe''), oder bei Schiller: ''Hätt’ ich den kriegerischen Talbot nicht fallen sehn, so sagt' ich, du wärst'' (statt ''bist'' oder ''seist'') ''Talbot''.//1 Auch auf der Gegenwartreihe wirkt diese Anziehung in Einräumungssätzen heute gewöhnlich noch in der Weise, daß ihr eigner alter Konjunktiv auch im Nebensatz häufiger den älteren Konjunktiv erhält. Wie es schon im Jahre 1376 in d. D. R.-A. I, 1, 39 heißt: ''er sij wer er sij'', und bei Niclas v. Wyle öfter ähnlich: ''dem syg wi im wöll; sin wille syg wier wöll'', so ist auch heute empfehlenswerter: ''es sei, wer es wolle, es komme, behaupte es, wer wolle als wer will; das sei, wie es wolle'' (P. Ernst); ''Sei es aber, wie es sein möge'' (L. Corinth). Dagegen geht es nach dem Ersatz des ersten Konjunktivs durch mag indikativisch weiter: ''mag es sein, wer will''.// Auch wenn das Zeitwort, an dem eigentlich eine solche Stimmung dargestellt werden müßte, in eine Form zu stehn kommt, in der überhaupt kein Modusverhältnis dargestellt werden kann, dann tritt ein solcher Konjunktiv zur Vertretung gelegentlich in einem von ihr abhängigen Satze auf, wie wieder bei G. Keller: ''Sie zog den Brief aus der Tasche, den sie ihm mit der ge-'' $Seite 365$ ''flüsterten Bitte überreichte, das Schreiben, das einen Gruß und wichtigen Auftrag enthielte, doch Ja an eine Freundin zu bestellen, die unweit von seinem Reisepfade wohne''.  
Aus dem über ''hin'' und ''her'' Gesagten ergibt sich auch, daß sich eigentlich nur das eine, ''her'', mit ''hier'' verträgt und ''hin'' ihm geradezu widerspricht, wie denn auch Schiller in der „Schlacht" gewissenhaft schreibt: ''Hierher, dorthin schwankt die Schlacht''. Wenn ''hierhin'' jetzt oft zur Einordnung eines Teilbegriffes oder Einzelwesens unter einen allgemeineren verwendet wird, so ist das sicher tadelnswert, schon weil da noch dazu ziemlich grob ein Ortsbegriff statt eines abstrakteren eintritt: man höre nur: ''Der Redner sprach zuerst von den Segnungen des Sozialistengesetzes; hierin'' (statt ''dazu, darunter'') ''rechnet er besonders die Hintanhaltung öffentlicher Unruhen und eine gewisse Mäßigung in der Sprache der sozialistischen Schriften'' (Z). Anderseits darf man sich nicht wundern, daß der stete Wechsel von ''dahin'' und ''dorthin'' auch ein ''hierhin'' hervorgeufen hat. Wird doch auch der Unterschied der Grundwörter ''hier'' und ''dort'' nicht immer beachtet, von denen sich jenes streng genommen nur auf den Ort des Darstellers, dieses auf einen anderen, ferneren bezieht. Der Unterschied und die Notwendigkeit, ihn festzuhalten, erhellt am besten aus dem folgenden Zeitungssatze: ''Berlin, den 28.: Die Unterhändler in Sachen des allgemeinen Friedenskongresses sind heute nach Paris abgereist; hier haben sie von der Möglichkeit ihrer Bestrebungen wenige überzeugt; dort werden sie kaum mehr Erfolg haben''. Fortwährend verrückt wird der Standpunkt in Reisebeschreibungen, indem ein später erreichter Punkt im Geiste immer als der (neue) Standpunkt des Darstellers erscheint; z. B.: ''Wir rückten früh von St. Michele ab und erreichten ... unser nächstes Ziel, den See von Molveno, in den spätern Nachmittagsstunden''; ''hier (= Molveno) schien unser Eintreffen ein Ereignis''.  +
Die Schule allein ist außerstande, jedem Deutschen ein fehlerloses Deutsch und einen guten Stil auf den Lebensweg mitzugeben; das bringen auch die Schulen des Auslands allein für ihre Sprachen nicht fertig, sondern überall kommt die Fortbildungschule des Lebens mit Büchern und Zeitungen hinzu. In Deutschland ist der nach musterhaftem Deutsch und gutem Stil Strebende weit mehr als in andern Ländern auf seine ergänzende Selbstfortbildung durch Hilfsbücher und auf Fingerzeige zu den besten Stilquellen angewiesen, und dieser Führer wäre unvollständig, wenn er über sich hinaus dem Leser nicht einigen Rat erteilte, wie er das hier Gelehrte befestigen und erweitern könne. Kein gebildeter Schreiber sollte ohne eine gute deutsche Sprachlehre und ein wissenschaftliches deutsches Wörterbuch sein. Ich empfehle von Sprachlehren: W. Wilmanns: Deutsche Grammatik; H. Paul: Deutsche Grammatik; O. Lyon: Handbuch der deutschen Sprache; H. Werth: Deutsche Grammatik; Duden: Rechtschreibung (zugleich Wörterbuch); —von Wörterbüchern: Friedrich Kluges ausgezeichnetes Etymologisches (Ursprungs-)Wörterbuch der deutschen Sprache; Weigands und Hirts Deutsches Wörterbuch. Ferner seien warm empfohlen: W. Fischer: Die deutsche Sprache von heute; O. Behaghel: Geschichte der deutschen Sprache; O. Weise: Unsere Muttersprache; O. Weise; Ästhetik der deutschen Sprache; Th. Matthias: Sprachleben und Sprachschäden; L. Sütterlin: Die deutsche Sprache der Gegenwart; R. Hildebrand: Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule; E. Schill: Hundert Fehler des Amtsstils; W. von Ünger: Vom militärischen Stil; A. Engels und Eitzen: Kaufmannsdeutsch; Bruno Betcke: Der kaufmännische Stil. 3. verm. Aufl. 1921 (das beste über den Gegenstand). Für die Selbstausbildung im Stil weiß ich kein bessres Mittel als das Lesen der besten deutschen Bücher, aber keineswegs nur der in Prosa. Das beste Deutsch schreiben unsre großen Dichter, und kein Geringerer als Gottfried Keller hatte erkannt, daß dies sich nicht auf die Versdichtung beschränke: ,Es hat sich neuerdings herausgestellt, daß fast nur noch die verpönten Versemacher eine ordentliche Prosa schreiben können.' In der Tat gibt es kaum einen Prosaschreiber höchsten Ranges, Moltke eingeschlossen, der sich nicht auch irgendwie dichterisch versucht hätte. Ob Bismarck eine ganz vereinzelte Ausnahme sei, mag dahingestellt bleiben; Luther, Arndt, Gregorovius, Treitschke, Strauß, Vischer, Nietzsche waren keine. Die Dichtersprache ist für die kleinen Zweifel der Beugung und Fügung kein immer zuständiger Richter; für die großen Fragen der Sprache und des Stils halte man sich zunächst an die Art, wie unsre Dichter ihre Gedanken zu höchster Wirkung formen, und schöpfe daraus für die Prosa, was für deren bescheidnere Zwecke aus den höchsten Vorbildern zu gewinnen ist. Wer in Sprache und Stil so sicher gegen Verführung geworden zu sein glaubt, daß ihm auch die Berühmtheit des Wertlosen, ja des Gefährlichen nichts anhaben kann, der versuche es mit dem von Schopenhauer empfohlenen Lehrmittel: ,Stilfehler soll man in fremden Schriften entdecken, um sie in den eigenen zu vermeiden.' Wie das zu machen sei, habe ich in meiner ,Deutschen Stilkunst' auf 500 Seiten zu lehren versucht, wie denn in jenem umfangreicheren Buche vieles steht, was in diesem nur angedeutet werden konnte. Der Leser wird erkennen, daß beide Bücher sich ergänzen, indem Gutes Deutsch den Unterbau zur Deutschen Stilkunst bildet.  
Auch für den Unterschied von ''hin'' und ''her'' scheinen nur wenig Menschen noch ein Gefühl zu haben; daß ''hin'' die Richtung, die Bewegung von mir weg nach einem andern Orte, ''her'' die Richtung, die Bewegung von einem andern Orte auf mich zu bedeutet — man vergleiche ''geh hin''! mit ''komm her''! —, wie wenige $Seite 342$ wissen das noch! In ihrem Sprachgebrauch wenigstens, dem mündlichen wie dem schriftlichen, wird ''hinein'' und ''herein, hinaus'' und ''heraus, hinan'' und ''heran, hinauf'' und ''herauf'' fortwährend zusammengeworfen. Ein klassisches Beispiel dieser Verwirrung ist die gemeine Redensart: ''er ist reingefallen''. Daß jemand ''in eine Grube hereingefallen sei'', kann man doch nur sagen, wenn man selber schon drinliegt. Die aber, die mit Vorliebe diese Redensart im Munde führen, fühlen sich doch stolz als draußen stehend, sie stehen oben am Rande der Grube und blicken schadenfroh auf das Opfer, das unten liegt. Das Opfer ist also ''hineingefallen'' oder ''neingefallen''. Wer auf der Straße bleibt, kann nur sagen: ''Geh hinauf und wirf mir den Schlüssel herunter''! Wer oben am Fenster steht, kann nur fragen: ''Willst du heraufkommen, oder soll ich dir den Schlüssel hinunterwerfen''? Aber der Volksmund, auch der der Gebildeten, drückt jetzt beides durch ''rauf'' und ''runter'' aus, es gilt das offenbar jetzt für feiner als ''nauf'' und ''nunter''. ''Wenn auch niemand drin ist, ich will doch einmal reinsehen'' — so sagen auch gebildete Leute. Wenn zwei an einem Graben stehen, der eine hüben, der andre drüben, so kann jeder von beiden fragen: ''Willst du herüberspringen, oder soll ich hinüberspringen''? Heute springen beide nur noch ''rüber'': ''Willst du rüberspringen, oder soll ich rüberspringen''? Die Herren von der Feder aber machens nicht um ein Haar besser, auch sie verwechseln ''hin'' und ''her''. Nicht bloß der Zeitungschreiber schreibt: ''bis in die jüngste Zeit hinein'', auch der Historiker: ''auf die Sturm- und Drangzeit folgte die klassische Periode, die in unser Jahrhundert hineinragt''. Jeder ist aber doch drin in seinem Jahrhundert! In einen Raum oder Zeitraum, worin wir uns befinden, kann doch etwas nur ''hereinragen''. Etwas andres ist es, wenn von einer Erscheinung des sechzehnten Jahrhunderts gesagt wird, sie ''lasse sich bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein verfolgen''; das ist richtig, denn wir sind nicht drin im siebzehnten Jahrhundert. Umgekehrt aber wird geschrieben: ''wir fragen nicht, was in das Bild alles hereingeheimnist ist'' (''hinein''!) — ''über das'' $Seite 343$ ''Zellensystem kommt der Architekt nun einmal nicht heraus'' (''hinaus''!). Nun ist es freilich eine merkwürdige Erscheinung, daß bei allen Zeitwörtern mit übertragner Bedeutung, bei denen man die Vorstellung einer äußern Richtung nur noch undeutlich oder gar nicht mehr hat, ''hin'' durch ''her'' vollständig verdrängt worden ist; man sagt z. B.: ''sich herablassen, mit Verachtung herabblicken, den Preis herabsetzen, ein Buch herausgeben, in seinen Vermögensverhältnissen herunterkommen'' u. a. Die Neigung, ''her'' dem ''hin'' vorzuziehen, ist also augenscheinlich in der Sprache vorhanden. Man sollte aber doch meinen, daß überall da, wo noch deutlich eine äußere Richtung ausgedrückt wird, eine Verwechslung unmöglich sei. Wie kann man also sagen, daß ''die Steuern heraufgeschraubt werden''? Wir stehen doch unten und möchten auch gern unten bleiben; also werden ''die Steuern hinaufgeschraubt. Wir erhielten Befehl, an den Feind heranzureiten'' — wer kann so schreiben? Der Feind kann wohl ''an uns heranreiten'', wir aber an den Feind doch nur ''hinan''. ''Eine bittre Pille'' oder ''einen Vorwurf'' — schluckt man sie ''herunter'' oder ''hinunter''? Da man sein Ich lieber im Kopfe denkt als im Magen, so kann man sie doch nur ''hinunterschlucken''. Auch sonst, nicht bloß bei ''hin'' und ''her'', wird der örtliche Gegensatz jetzt oft verwischt. ''Hüben'' und ''drüben'' wird allenfalls noch unterschieden, aber ''haußen'' und ''hinnen'' getraut sich kaum noch jemand zu schreiben; jetzt heißt es: ''sie holen von draußen, was drinnen fehlt''. Aber wo bin ich denn, der Schreibende? Irgendwo muß ich mich doch denken.  
Von manchen wird ein lebhafter Kampf gegen die Wörter auf ''ung'' geführt. Sie klängen häßlich, heißt es, ja sie seien geradezu eine Verunstaltung unsrer Sprache. Im Unterricht wird gelehrt, man solle sie möglichst vermeiden. Irgend jemand hat sogar die witzige Bemerkung gemacht, unsre Sprache mit ihren vielen ''ung-ung-ung'' klinge wie lauter Unkenrufe. Das ist zunächst eine Übertreibung. Die Endung ''ung'' ist tonlos und fällt nicht so ins Gehör, daß sie, in kurzen Zwischenräumen wiederholt, stören könnte. Wenn in unsrer heutigen Sprache das Ohr durch nichts schlimmeres verletzt würde als durch die Endung ''ung'', so wäre es gut. Ein Satz wie folgender: ''über die Voraussetzungen zu einer Schließung des Reichstags enthält die Verfassung keine ausdrückliche Bestimmung'' — hat gar nichts anstößiges. In lebendiger Rede hört man es kaum, daß hier kurz hintereinander vier Wörter auf ''ung'' stehen. Hebt man freilich die Endung auffällig hervor, so kann es wohl lächerlich klingen: aber auf diese Weise kann man auch hundert andre Spracherscheinungen lächerlich machen. Nicht die Wörter auf ''ung'' muß man bekämpfen, sondern eine immer mehr um sich greifende garstige Gewohnheit, die dazu verleitet, eine Menge wirklich häßlicher Wörter auf ''ung'' zu bilden, darunter Ungetüme, wie: ''Inbetriebsetzung, Außerachtlassung, Inwegfallbringung, Zurdispositionstellung, Außerdienststellung'' u. a., die Gewohnheit nämlich, eine Handlung oder einen Vorgang nicht durch ein Zeitwort auszudrücken, sondern durch ein Substantiv in Verbindung mit irgend einem farblosen Zeitwort des Geschehens (mit Vorliebe ''stattfinden'' oder ''erfolgen''). Da ist es aber nicht die Endung ''ung'', die stört, sondern das schleppende Wortungetüm, das damit gebildet ist, und der ganze unlebendige Gedankenausdruck (vgl. S. 321). Wir haben vielmehr allen Anlaß, die Endung ''ung'' zu schützen, ja zu verteidigen gegen törichte Neubildungen, die sich ihr an die Seite drängen wollen. $Seite 335$ Die Wörter auf ''ung'' bezeichnen zunächst eine Handlung, einen Vorgang; ''Bildung, Erziehung, Aufklärung, Einrichtung'' bedeuten zunächst die Handlung, die Tätigkeit des Bildens, des Erziehens, des Aufklärens, des Einrichtens. Aus dieser Bedeutung entwickelt sich aber eine weitere, nämlich die des Ergebnisses, das die Handlung hat, des Zustandes, der durch sie herbeigeführt worden ist; ''Bildung, Erziehung, Aufklärung'' bedeuten auch den Zustand des Gebildetseins, des Erzogenseins, des Aufgeklärtseins, ''Einrichtung'' auch das Eingerichtete selbst, ''Teuerung'' sogar ausschließlich den Zustand, wo das Brot teuer ist. Vielfach hat nun die Sprache, um den Unterschied zwischen der Handlung und ihrem Ergebnis zu bezeichnen, neben dem Wort auf ''ung'' noch ein kürzeres, meist mit Ablaut, unmittelbar aus dem Stamme geschaffen, also eine starke Bildung neben der schwachen. So haben wir ''Anlage'' neben ''Anlegung, Vorlage'' neben ''Vorlegung'' und können geradezu reden von der ''Anlegung von Gas- und Wasseranlagen, der Vorlegung von Zeichenvorlagen''. Da besteht aber nun schon seit alter Zeit die Neigung, die Bildung auf ''ung'' ganz zu beseitigen und ihre Aufgabe der kürzern Form mit zu übertragen. So sind die Wörter ''Kaufung'' und ''Verkaufung'' ganz verschwunden; heute bedeutet ''Kauf'' und ''Verkauf'' auch die Handlung des Kaufens und Verkaufens. Und diese Neigung ist gegenwärtig besonders stark verbreitet: obwohl die Sprache eine Unterscheidung an die Hand gibt, es ermöglicht, einen Unterschied zu machen (wieder ein Beispiel: ''Unterscheidung'' und ''Unterschied''!), verschmäht man ihn und redet von ''Hingabe, Freigabe'' (''die Freigabe von Heyses Maria von Magdala''), ''Erwerb'' (''in jedem Bande stand auf dem Titelblatte das Datum des Erwerbs''!), ''Gewinn, Bezug, Vollzug, Entscheid, Entsatz, Ersatz, Vergleich, Ausgleich, Aufgebot, Freispruch'' (''des Angeklagten''), ''Zusammenschluß'', wo ''Hingebung, Freigebung'' (''der Sonntagsarbeit''), ''Erwerbung'' (''eines Grundstücks'' oder ''der Staatsangehörigkeit''), ''Gewinnung'' (''Schlesiens''), ''Beziehung, Vollziehung, Entscheidung, Ent-'' $Seite 336$ ''setzung'' (''Emin Paschas''), ''Ersetzung, Vergleichung, Aufbietung'' (''aller Kräfte''), ''Zusammenschließung'' das Richtige wäre, weil eine Handlung gemeint ist. Vor dem letzten Einzug des Königs in Leipzig fiel es einem Zeitungschreiber ein, davon zu reden, wieviel ''fleißige Hände mit dem Ausschmuck der Straßen beschäftigt wären''. In den nächsten Tagen plapperten das dumme Wort alle Leipziger Zeitungen nach!//* Im Friseurladen redet man jetzt von ''amerikanischer Kopfwäsche''. Wenn jemand im Neuen Testament von ''Jesu Fußwäsche'' reden wollte!// Andrerseits: da, wo die Sprache wirklich beides, Handlung und Zustand, mit demselben Worte, und zwar auf ''ung'', ausgedrückt hat, schafft man künstlich einen Unterschied durch häßliche Neubildungen auf ''heit'' (sie schießen wie Pilze aus der Erde!) und läßt die Menschen aus ''Geneigtheit'' oder ''Abgeneigtheit, in der Zerstreutheit, in der Verzücktheit, in der Verstimmtheit, in der Aufgeregtheit, in der ersten Überraschtheit, mit Gefaßtheit, unter Merkmalen von Geistesgestörtheit'' oder gar ''geistiger Gestörtheit'' tun, was sie früher aus ''Neigung'' oder ''Abneigung, in der Zerstreuung, in der Verzückung, in der Verstimmung, in der Aufregung, in der ersten Überraschung, mit Fassung, in einem Anfalle von Geistesstörung'' taten. Ja man redet sogar von ''künstlerischer Abgeklärtheit'', von ''religiöser Aufgeklärtheit'', von ''der Isoliertheit eines Gebäudes'', von ''der Vertiertheit des Proletariats'' und ''sieht mit Gespanntheit den kommenden Ereignissen entgegen''. Hier überall gilt es, die Bildung auf ''ung'' zu schützen und das einschlummernde Sprachgefühl wieder zu wecken. Der ''Strafvollung'', von dem die Juristen immer reden, ist geradezu ein Greuel; er müßte doch aus unsrer Sprache wieder hinauszubringen sein: ebenso die ''innige Hingabe''.//** Im sechzehnten Jahrhundert sprach man noch von ''Unterrichtung''. Als dafür ''Unterricht'' aufkam (anfangs gewiß auf der letzten Silbe betont), muß sprachfühlenden Leuten ähnlich zumute gewesen sein, wie uns heute beim ''Vollzug'' und beim ''Entscheid''.// Wird jemand ''Anziehung'' und ''Anzug'' $Seite37$ verwechseln, oder ''Eingebung'' und ''Eingabe'', und sagen: ''er tat das aus göttlicher Eingabe''? Das fürchterlichste ist wohl der ''Bezug''. Früher kannte man ''Bezüge'' nur an Bettkissen, Stuhlpolstern und Regenschirmen. Jetzt steht ''Bezug'' überall für ''Beziehung'', und da nun die, die das Wort so gebrauchen, die Bedeutung der Handlung dabei doch nicht recht fühlen, was haben sie gemacht? Sie haben das herrliche Wort ''Bezugnahme'' erfunden. Das kann man aber doch bequemer haben: was mühselig durch das zusammengesetzte Wort ''Bezugnahme'' ausgedrückt werden soll, das liegt ja eben in dem einfachen Worte ''Beziehung''.  
Innerhalb ein und desselben Satzes ist es eine ähnliche tadelnswerte Abweichung von der strengen Regel, wenn neben zwei engverbundenen Hauptwörtern ein von beiden abhängiges Satzglied nur hinter dem letzten in der nur zu einem passenden Fügung auftritt; so wenn P. Heyse verbindet: ''Liebe und Verehrung zu Euch'' (statt, wie zu beiden gepaßt hätte: ''für Euch'') oder Eltze: ''Sie rechneten auf Anerkennung und Alliance mit England'' (statt: ''Anerkennung durch England und Alliance mit ihm'')//1 Der Satz der Nat.-Ztg.: ''Man kann zufrieden sein und sich Glück wünschen zu den gestrigen Abstimmungen'', verdient den Tadel, dem er begegnet ist, nicht; denn man kann da das erste Glied selbständig fassen. Jedenfalls ist es aber keine Verbesserung vorzuschlagen: ''Man kann zufrieden sein mit und sich Glück wünschen zu den gestrigen Abstimmungen''; denn solche Gegenüberstellung und Betonung widerspricht dem Wesen der Verhältniswörter. Viel natürlicher ist: ''Man kann mit den ... Abstimmungen zufrieden sein und sich dazu Glück wünschen'', wie überhaupt außer in Beziehung auf Personen diese Adverbien die beste Aushilfe sind, viel besser auch als Schlimmbesserungen mit ''derselbe''; statt ''der Wunsch und die Hoffnung des Kranken auf Genesung'' sage man also nicht: ''der Wunsch des Kranken nach Genesung und seine Hoffnung auf dieselbe'', sondern: ... ''und seine Hoffnung darauf''.//.  +
Leipziger Geburtsanzeigen werden nie anders gedruckt als: ''Durch die glückliche Geburt eines Knaben wurden hocherfreut'' usw. — auch Zeitungen schreiben: ''das gesamte Personal der Firma ist durch Jubelgaben hocherfreut worden — Gutenberg ist dieses Jahr in vielen deutschen Städten hochgefeiert worden'' — und auf $Seite 167$ Buchtiteln liest man: ''in dritter Auflage neubearbeitet von'' usw. Welche Verirrung! Ein Partizip kann Verbalform sein, es kann auch Nomen sein.//* Daher hat es ja seinen Namen. ''Partizipium'' kommt her von ''particeps'', d. h. ''Anteil habend''; es ist davon genannt, daß es zugleich am Verbum und am Nomen Anteil hat, zwischen beiden ein Mittelding ist. Darum hat mans ja auch in der Volksschulgrammatik durch ''Mittelwort'' übersetzt.// Aber doch nur dann, wenn es Nomen, also Adjektiv ist, kann ein hinzugefügtes Adverb damit zu einem Worte verwachsen: wie man von ''hochadligen Eltern'' reden kann, so auch von ''hocherfreuten Eltern''. Wie soll aber ein Adverb mit dem Partizip zusammenwachsen, wenn das Partizip Verbalform ist? ''Wir sind hocherfreut worden'' — so könnte man doch nur schreiben, wenn es ein Zeitwort ''hocherfreuen'' gäbe: ''ich hocherfreue, du hocherfreust'' usw. Dasselbe gilt natürlich vom Infinitiv; es ist entsetzlich, daß man in Zeitungen jetzt lesen muß: ''der Vortrag wird hochbefriedigen'', denn es gibt kein Zeitwort: ''ich hochbefriedige''. Ebenso wie mit den Adverbien ist es auch mit den Objekten. Man kann wohl schreiben: ''die notleidende Landwirtschaft'', aber ein Unsinn ist es, im Infinitiv zu schreiben: ''notleiden''; denn es gibt kein Zeitwort: ''ich notleide''. Es handelt sich hier durchaus nicht bloß um einen „orthographischen" Fehler oder gar bloß um eine gleichgiltige orthographische Abweichung. Nein, in der falschen Schreibung verrät sich ein grober Denkfehler.  +
Hoch genug hinaus kann heut auch niemand mehr, und so wird jede Eigenschaft bis in die Höhe gehoben, auf welcher alle sein möchten, indem ihrer Bezeichnung ein hoch vorgehängt wird, auch dann, wenn sich die Ausdehnung der Eigenschaft weder sinnlich //1 Wohl aber rechtfertigt sich das ''hoch'' in ''hochtragend'' (z. B. von einer Kuh) oder in dem von der künstlichen Gangart der Pferde entlehnten ''hochtrabend''. Ebenso bei Farben und Tönen, auch beim Alter: ''hochrot, hoher Tenor, hochbetagt''. Auch die heut weniger als je benötigten Anreden ''Hoch(wohl)geboren, hochansehnliche Versammlung'', wie alles, was mit ''Hoheit'' zusammenhangt, rechtfertigt sich sprachlich, indem sich damit bildlich eine Höhenvorstellung verbindet; Leute die hohes Ansehn genießen, stehn dem Betrachter gleichsam in Achtung gebietender Höhe.// noch bildlich nach der Höhe hin vollzieht. Über die hochunterrichtende Klarlegung einer hochinteressanten Frage durch einen hochberühmten Fachmann kann man daher heute so manchen hochbeglückt und hochentzückt reden hören. Aber ihr Jäger nach der Höhe, wenn ihr auch noch so hochschön auf hochfeinem Schuhwerk und in hochelegantem Anzug einhergeht, ein derartiges Sprachgewand ist wohl für die Gasse hochmodern. Wer Geschmack hat, macht dies euer Hochgestelze nicht mit; ebensowenig die hochmodische Hochgradigkeit, die heute nicht bloß nach Graden Meßbarem beigelegt wird wie dem Bier, dem Spiritus, dem Fieber, obwohl auch hohes Fieber ausreichte, sondern auch allerhand Eigenschaften wie Empfindlichkeit und Gereiztheit, Erregtheit und Betroffenheit! Unschuldiger scheinbar und doch noch sinnloser ist das Wort ''ungleich'' statt ''viel'' oder ''weit'' neben der zweiten Steigerungsstufe: ''eine ungleich höhere Besoldung. Der Weg ist im Sommer ungleich gangbarer als in der ungünstigen Jahreszeit'' (Jensen). Als ob es nicht selbstverständlich wäre, daß eine höhere Stufe der niedern ungleich ist //2 Auch ''unvergleichlich schlechter'' ist oft nichts als ein modischer Ersatz statt des gewöhnlichen ''viel schlechter''; immerhin hat es aber mehr Sinn, insofern es ein kürzester Ausdruck für einen Vergleichsatz ist; schlechter, als daß ein Vergleich möglich wäre.//. $Seite 442$ So weist die Betrachtung dieser modischen Redeweise auf die Grenze hin, jenseis deren die Abstumpfung des Sprachgefühls nicht bloß zu so breiter und unnütz schwerfälliger Ausdrucksweise führt, sondern geradezu einen Widerspruch zwischen der Sache und ihrem Sprachbilde hervorruft. Auf diesem Widerspruche beruht aber in der Hauptsache der größte Fehler, der unser heutiges Schrifttum entstellt:  
Doch liegt in Wirklichkeit die Sache unserer Sprache noch nicht so verzweifelt. Klagen vollends und Gehenlassen, die Mittel, auf die heute in andern Dingen gerade die Besten verfallen, sind hier am wenigsten geeignet, die vorhandenen Schäden abzustellen. Drum frisch weiter gekämpft den Kampf für ein sauberes Gewand an immer mehr, an möglichst vielen, auch den alltäglichen Gestaltungen deutschen Geistes. Wer dazu außer dem im Guten der Sache selbst liegenden Triebe noch andere, von außen kommende Ermutigung bedarf, dem fehlt überdies auch solche nicht. Gerade in den letzten Jahrzehnten sind die Werke über Sprachrichtigkeit in größerer Anzahl als je vorher nicht nur erschienen, sondern auch gekauft worden. Der Deutsche Sprachverein, dessen Bestrebungen oft genug verkannt und in einem kleinlichen und unverständigen Kampfe gegen Fremdwörter gesucht worden sind, hat kraftvoll dazu beigetragen, das deutsche Sprachgewissen aufzurütteln. Alle Arten von Tagesblättern und Monatsschriften halten ihre Spalten immer öfter für Auseinandersetzungen über Fragen deutscher Wort- und Satzfügung offen und tun es damit ihren Lesern zu Dank. Möchten deren doch viele, nun sie schon in Amt und Würden sind, wenigstens nachträglich und dosenweise den richtigen Gebrauch der Muttersprache lernen, über den genügenden Aufschluß zu geben der tastende, unsichere und unklare Deutschunterricht auch der höheren Schulen meist immer noch versäumt. Glücklicherweise dürfen diese Nachlernenden wenigstens hoffen, daß ihre Kinder die nötige Einsicht auch hierin zu günstigerer Zeit erhalten werden; denn immer häufiger werden an zuständigen Stellen dahingehende Forderungen erhoben. Prüfungskommissionen der Hochschulen und andere ähnliche Körperschaften haben schon oft das mangelhafte Ausdrucksvermögen ihrer Prüflinge beklagt. Prüfungskommissare für Mittelschulen haben sich erfreulicherweise nicht damit begnügt, in diese Klage einzustimmen und den Rückschritt in den Leistungen des deutschen Aufsatzes während der letzten Jahrzehnte zu bestätigen, sondern haben auch begonnen, auf Mittel zur Besserung hinzuweisen. Berufene Wegweiser auf dem Gebiete des deutschen Unterrichts dringen die einen darauf, daß gerade dieser wichtigste und nationalste Bildungszweig in anschaulichster und naturgemäßester Weise gepflegt werde, und andre eifern mit gleichem Rechte dagegen, daß noch länger alle Übungen in deutscher Wort- und $Seite 459$ Gebrauche der Muttersprache anzuleiten; und am Ende desselben Jahres erhob er an vernehmbarerer Stelle seine Klage über das Mißverhältnis in der Wertschätzung des lateinischen und des deutschen Aufsatzes. Im „freien" Reiche hat der Kultusminister des größten Gliedstaates, Konrad Hänisch, in seiner Rede über „Kulturpolitische Aufgaben" am 3. Februar 1919 Wunsch und Hoffnung ausgesprochen, daß künftig der Deutsche in allen Schulen des Volkes seine Muttersprache ebenso hegen, pflegen und beherzigen möge, wie der Franzose seine Sprache liebt, beherrscht und pflegt. In allen deutschen Ländern sind ansprechende Hilfsmittel geschaffen worden, die der Erfüllung solcher Erwartungen zu dienen vermögen, zeitlich und im Bekenntnis zu reinem Deutsch allen voran Kl. Bojungas wegweisendes Heft „Der Deutschunterricht auf höheren Schulen"; und wie dieses nicht nur auf Verständnis und Kenntnisse, sondern auf eigene Rede- und Schreibtüchtigkeit abzielt, so haben es auch in der „Zeitschrift für Deutschkunde" wie in der „Zeitschrift für Deutsche Bildung" immer häufigere Würdigungen namentlich neuerer und neuster Stilmeister weniger auf stoffliche Zergliederung als vielmehr auf Einleben in alle Ausdrucksmittel deutscher Wortkunst abgesehen. Noch tut auch solcher Dienst an unserm Schrifttum bitter not. Was Goethe über die jungen Schriftsteller seiner Zeit urteilte, daß sie infolge des Wirkens der Klassiker vor und neben ihm an deren Lektüre wie „in einer Art von unsichtbarer Schule früher als ihre Vorgänger zu einem reinen, dem Gegenstand angemessenen Stile gelangen konnten“, das hat unter der Wirksamkeit des fremdsüchtigen „Jungen Deutschland“ und einer in dessen Bahnen überstürzt entwickelten Presse nicht Bestand gehabt. Gar was vor vier Jahrzehnten der Kanzler der Universität Tübingen, G. Rümelin, für weitere Kreise, für alle geistigen Führer des Volkes, besonders auch die Gelehrten, Kritiker und Redner unter ihnen behauptete, daß sie dank unserm auf die Lektüre fremder Klassiker gegegründeten höhern Unterrichte die von unsern Klassikern eingeleitete neue Epoche deutscher Bildung erfreulich und würdig weitergeführt hätten, das bleibt um so anfechtbarer, je mehr sich gerade unter den von ihm gerühmten Kritikern und Gelehrten viele dessen gleichzeitige Schutzschrift für die Fremdwörter zunutze gemacht haben und bis heute ein Kauderwelsch schreiben, hinter dessen schwer durchdringbarem Nebel der Laie oft zu Unrecht besondere oder gar neue Erkenntnis vermutet. Sicher und maßvoll führt der Deutsche Sprachverein den Kampf für die Reinheit und Richtigkeit, die Klarheit und Schönheit der Muttersprache, und im höheren Schrifttum unsers Volkes haben ja jüngere und jüngste Meister des Erbes der Klassiker trefflich gewaltet und es in immer klarerer Gestaltung fortgebildet, und günstige Zeichen sprechen dafür, daß es die Expressionisten, die es durch Sprachgliederverrenkungen und Bildervermalungen wieder zu verderben drohen, nicht lange mehr in der Hand haben werden.  
Zugleich gegen die auf Abwechslung beruhende Schönheit der Darstellung und gegen das ganze deutsche Wesen verstößt eine Häufung der Mittelwörter, wie sie hauptsächlich dem Einflusse des Lateinischen entspringt. Suchen wir einfach an einem Beispiele mit zuvielen Mittelwörtern zu zeigen, wie aus latinisierenden Sätzen deutsche werden können. Ein Schulmann schreibt: ''Livius Andronicus aus Tarent, nach der Eroberung seiner Vaterstadt als Kriegsgefangener nach Rom geführt, Sklave des M. Livius Salinator und von diesem später freigelassen, führte 514 in dem nach eingetretener Waffenruhe sich der Segnungen des Friedens freuenden Rom das erste, nach einem griechischen Originale gedichtete Drama auf und gab dadurch den Anstoß zu der sich nun in dieser Richtung rasch entwickelnden dramatischen Literatur''. Außer der durch die beiden Hauptverben angegebenen Zeitstufe werden nicht weniger als acht andere in Mittelwörtern angedeutet, die zu sieben jener vorangehn, während eine ihr nachfolgt. Das ist gewiß würdig eines Livius, aber keines Bildners einer Jugend, die deutsch zu reden gebildet werden soll und in deren Schulbuche man dafür etwa solche Sätze lesen sollte: ''Den Anstoß zur dramatischen Literatur der Römer hat ein unteritalischer, in Tarent geborner Grieche, Livius Andronicus, gegeben, der nach der Eroberung seiner Vaterstadt als Kriegsgefangener nach Rom gekommen war, in das Haus ihres Eroberers M. Livius Salinator, aber später von diesem freigelassen wurde. Wie er für den Unterricht adliger Jünglinge die Odyssee lateinisch bearbeitete, übersetzte er auch griechische Dramen; und i. J. 514 d. St., als sich Rom nach dem Schlusse des langen Krieges mit Karthago wieder des Friedens erfreute, bildete die Aufführung des ersten solchen Stückes einen Glanzpukt der Friedensfeier. Von da an hat sich die dramatische Kunstdichtung rasch entwickelt, wie sie begonnen, fast ausschließlich in den Bahnen der Nachahmung griechischer Muster''.  +
Auf der Vereinigung von Stumpfheit und Flüchtigkeit beruht es, wenn bei Zerdehnungen des einfachen Begriffs (vgl. § 262 f.) der nämliche Begriff zweimal, durch ein Haupt- und Zeitwort desselben Stammes oder auch Sinnes ausgedrückt wird. Nicht nur ein kleines Blatt bietet: ''Die Eröffnung im Schutzhause wird mit dem heutigen Tage eröffnet'', und ein großes: ''Der Schluß des Reichstages ist heute durch den Minister von B. — geschlossen worden'', sondern selbst in einem Schulbuche wie Andräs Atlas las man: ''Die Durchführung der Vereinigung des kroatisch-slavonischen Grenzgebietes mit Kroatien-'' $Seite 431$ ''Slavonien ist noch nicht ganz durchgeführt''. Ein Magistrat macht bekannt: ''Der Verkauf des Strohs wird an den Meistbietenden verkauft'', ein Gelehrter schreibt: ''Eine Richtung, die mehr auf das Geistige gerichtet ist'', und ein Jurist: ''Grundgedanke liegt zugrunde'', und Jensen mit einem anderen Worte: ''Der Namensursprung entstammt zweifellos von cella''. Nicht besser ist die häufige Wendung: ''die Todesnachricht vom Hinscheiden jemandes''//1 Etwas anders müssen solche Ausdrücke beurteilt werden: ''Wir melden den Tod unsers in Essen verstorbnen alten Haus-'' oder: ''das Hinscheiden des in Ägypten an der Cholera verstorbenen Arztes N.'', wo die Absicht, Ort oder Art des Todes einzufügen, zur Wahl eines solchen Partizips drängt, wenn einmal die substantivische Wendung beliebt wurde. Vollständig kann, wie in solchen Fällen immer, nur ein Satz helfen!//.  +