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M
Dies eine Einzelheit. Da aber nach § 332 eine hackebrettartige Darstellung in lauter holpernden, polternden, stoßenden Einzelsätzen nicht viel besser ist als die § 402 ff. gerügten unrythmischen Verschlingungen, so kann uns im allgemeinen von dem letzten verbreiterten Übel nur ein Mittel retten, das bisher freilich auf der Schule, selbst der Hochschule wenig oder gar nicht angeregt wird: wir müssen uns in den Satzbau namentlich älterer Stilmeister versenken, auch oder vielmehr gerade mittelhochdeutscher, denen die Schule der Lateiner noch nicht den eigentümlich deutschen, fortspinnenden Satzbau verdorben hatte. So mögen hier wenigstens einige solcher Mustersätze folgen, gelegentlich mit Andeutungen der Schachteleien, die zum Ausdruck der gleichen Gedanken heute würden beliebt worden sein. ''Nun ward der Abt mit den zweien einig über eine kluge Maßregel, der arme Mann sollte sich das Kind annehmen und es in der Nähe des Klosters erziehen und die Leute also belügen, wer ihn etwa fragen wollte, woher er das Kind genommen hatte, daß es ihm gekommen wäre von seines Bruders Tochter — er konnte gar keine schlauere List erdenken; und sie sollten es später darbringen, wenn sie bis zur Messezeit gewartet hätten, und den Abt bitten, daß er so gütig wäre und selber das Kind taufte und ihm dadurch Gottesgemeinschaft und gottergebenen Sinn gewönne'', steht bis auf einige orthographische Abweichungen bei Hartmann v. Aue: heute würde wenigstens in der Mitte geschachtelt worden sein; ''und die Leute, wenn ihn jemand fragen sollte, woher er das Kind ... hatte, also belügen''. — Noch sichrer wäre desselben nächster Satz der beigefügten Umformung: ''Gehabe dich als ein man, lâ dîn wîplich weinen stân'' (''ez’n mac uns leider niht vervân'') ''und vint uns etlîchen rât, ob wir durch unser missetât ân gotes hulde müezen sîn, daz doch unser kindelîn mit uns iht verlorn sî, daz der valle iht werden drî: Laß dein Weinen, das uns doch nichts nützt, sein und schaff uns einen Rat, daß''//1 Es ist ein besonderer Vorteil etwas ungezwungener Stellung, daß dadurch die immer häßlich abgehackt klingende Fügung vermieden wird, bei der von einem Konjunktionalsatze (wohlgemerkt, nicht auch Relativsatze!) durch einen Zwischensatz allein das Bindewort abgetrennt wird.//, ''wenn wir auch die Gnade Gottes verloren haben, doch nicht auch, sodaß gar drei Fälle wären, unser Kindlein mit uns verloren sei''. — Dieselbe häßliche Zerstücklung vermeidet derselbe auch sonst durch gleich ungezwungene Satzfolge: ''Ich fürhte, unde würde ich alt, daz mich der werlte süeze zuhte under füeze, als sî vil manegen hat gezogen, den ouch ir süeze betrogen.''
Dem Meister der mittelhochdeutschen Dichtung mag sich auch Luther, der erste künstlerische Gestalter neuhochdeutscher Prosa, gesellen mit einem Satze seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation: ''Darum wie es die Not fordert und der Papst ärgerlich der Christenheit ist, soll dazu tun, wer am ersten kann, als ein treu Glied des ganzen'' $Seite 419$ ''Körpers, daß ein recht frei Concilium werde, was niemand so wohl vermag, als das weltliche Schwert, sonderlich dieweil sie nun auch Mitchristen sind, Mitpriester, Mitgeistliche, mitmächtig in allen Dingen.''
Auf demselben Wege geht Goethe mit unzähligen Sätzen der herrlichen Prosa seiner Lehrjahre, von denen auch nur einer dastehn mag: ''Da nun glücklicherweise Regentage einfielen und eine Reise zu Pferd in diesen Gegenden mit unerträglichen Beschwerden verknüpft war, so dankte er dem Himmel, als er sich dem flachen Lande wieder näherte und am Fuße des Gebirges in einer schönen und fruchtbaren Ebene an einem sanften Flusse im Sonnenschein ein heiteres Landstädtchen liegen sah, in welchem er zwar keine Geschäfte hatte, aber eben deswegen sich entschloß, daselbst zu verweilen, um sich und seinem Pferde, das von dem schlechten Wege sehr gelitten hatte, einige Erholung zu verschaffen''. Unter den Neueren gibt es hierin keine maßgebenderen Lehrmeister als R. Hildebrand und G. Keller. Ein Beispiel von diesem steht § 421, 3 a. E., und über seinen ausgesprochenen Grundsatz berichtet Adolf Frey: „Da er die Poesie gradezu als die mit größerer Fülle vorgetragene Wirklichkeit definierte, so erscheint es begreiflich, daß er durchschnittlich auch vom einzelnen Satz eine gewisse Rundung und Ausdehnung forderte und nicht häufig kurze Perioden und Sätze bildete, es sei denn, daß er einem andern das Wort ließ. Dabei, erklärte er, ist mir weit weniger das Ohr maßgebend als das Auge des Malers, der nach einer gewissen Rundung strebt." Unter den Völkern aber, mit denen wir im geistigen Austauschverkehre stehn, ist keins, das dem deutschen verwandter wäre als das englische, von dessen Schriftstellern wir uns gar manchen, selbst heutigen, viel besser zum Muster nehmen würden als die Franzosen, die ewig nachgeäfft werden, und das meist mit gleichem Unheil für Form und Inhalt. Es sei nur beispielsweise auf Kingsley hingewiesen, dessen echt germanischer Satzfügung in der trefflichen Übersetzung des Fräuleins von Spangenberg klüglich nichts von ihrer Eigenart benommen ist. Zunächst ein Satz von ihm, dessen fortgesponnene Relativsätze (§ 308, 5) gleich gut von Goethe oder einem mittelhochdeutschen Dichter herkommen könnten: ''Es sind nur zwei von den Fünfhundert, deren moralische Selbstmorde und Untertauchungen in den römischen Avernus ein sogenanntes protestantisches Publikum mit einer heidenmäßigen Schadenfreude betrachtet und nun schreit: Haben wirs nicht gesagt? und stark hofft, daß sie nicht wieder auftauchen, weil man sonst entdecken könnte, daß sie während des Druntenseins doch einiges gelernt hätten''. Dann ein einfacherer: ''Es sollte mich wundern, wenn jemand dem Crassus, als er heranwuchs, diesen Acker geschenkt und ihm befohlen hätte, ihn bei Strafe des Hängens zu bearbeiten, ob er es nicht für eine ihm vorteilhafte Anlage gehalten hätte''. Kingsley rühmt in seinem Werke Yeast, dem diese Sätze entnommen sind, wahrlich nicht umsonst die Lektüre Goethes! Aber schon Gellert hat so gestellt: ''Ich fürchte, wenn ich meine Tugenden und Schwachheiten noch so aufrichtig bestimmte, daß ich doch dem Verdachte der Eigenliebe nicht entgehen würde'', und ebenso wieder G. Freytag: ''Wisset, da ihr mich für einen Soldaten haltet, daß der Kriegsmann sich noch mehr freut als ein anderer, wenn er irgendwo freundliche Gesinnung erkennt''.
Mit dieser Empfehlung der deutschen anreihenden und fortspinnenden $Seite 420$ Satzverknüpfung sollen nimmermehr jene Ungeheuer empfohlen werden, die in Verordnungen, in Amts- und Gerichtsstuben und von dort her bei Berichterstattern, denen über Heimatliches zumal, noch immer ihr Leben fristen. Ich meine jene häßlichen Sätze, in denen sich an einen Hauptsatz ein Nebensatz (erster Stufe), an diesen wieder ein von ihm abhängiger zweiter Nebensatz (zweiter Stufe), an diesen einer der dritten und so fort Nebensatz an Nebensatz anschließen, einer um den andern immer mit schwächerem Tone. In den oben angeführten Mustersätzen ist dies einförmige herabsinken des Tones durchaus vermieden. Entweder sind, wie in den drei ersten Beispielen aus H. v. Aue oder dem zweiten Kingsleys//1 Solche Freiheiten sind also noch heute möglich, wenn schon im allgemeinen an einem Satz unmittelbar der andere angeschlossen werden muß, der eine daran anknüpfende, daraus folgende oder jenem widersprechende Tatsache meldet; und es käme z. B. Unsinn mit der Stellung heraus: ''Weil heller Mondschein war, obgleich kein Licht brannte, war in dem Raume alles zu erkennen''. Eine Abweichung ist besonders in der Weise gestattet, daß der Hauptsatz mit einem Zeitwort des Sagens, Begehrens oder Meinens zwischen zwei davon abhängige Nebensätze erster und zweiter Stufe tritt. Bei Goethe steht z. B. hart hintereinander: ''Da der Kaiser alle Tage Geld von uns nimmt, so sehe ich nicht ein, warum ich mich schämen sollte, Geld von ihm anzunehmen''; und: ''Wenn du ja in Ahndung wunderbarer ... Vorbedeutungen lebst, so sage ich dir ...: geselle dich zu meinem Glücke''; bei Raabe: ''Jungferchen, wenn du meine Flügel hättest, so wüßte ich wohl, wohin du den Flug richten würdest''; bei Bismarck: ''Sehr wenig Bajonette reichen hin, um diese Furcht zu erwecken; fallen sie aber weg, so zweifle ich nicht, daß es ungesäumt losgehen würde''; bei Lorenz sogar: ''Während man eigentlich nur von den Überresten des vormärzlichen Österreich zehrte, ist es charakteristisch, daß der alte Metternich in seinem Exil einen Warnruf nach dem andern ergehen ließ und bemerkte, daß sein Schüler zuviel täte''. Auch die Sätze mit ''was — betrifft'' gehören hierher: ''Was den Stand betrifft, so weißt du, wie ich von jeher drüber gedacht habe'' (Goethe). Der Tiefton des eingeschobenen regierenden Satzes verwandelt die kleine Unregelmäßigkeit in Wohllaut. Offenbar ist die Grundstufe der Zwischensatz: ''Wenn du das Geld jetzt nicht beisammen hättest, so — sagte er —, könntest du es lassen'' (1); natürlich und bequemlich wurde das ''so'' dann gleich zum Zwischensatz gezogen, dieser so formell zum Nachsatze erhoben und infolgedessen die Möglichkeit geboten, auf die Nachsatzstellung zu verzichten; ''so sagte er, du könntest es lassen'' (2); auch daß dann hier, wie sonst immer, mit dieser Form der ''daß''-Satz wechselt, ist nur natürlich; ''so sagte er, daß du es lassen könntest'' (3), wenn auch selbstverständlich von diesen drei Satzformen die zweite die glätteste ist.//, dem Nebensatze der ersten Stufe einer oder mehrere höherer Stufe voraufgeschickt und so die schwächeren Tonstärken von den beherrschenden in die Mitte genommen. Dazu noch ein Beispiel aus Goethe: ''Es ist erstaunlich, wenn unsre Einbildungskraft einmal auf etwas heftig gespannt ist, was man stufenweise zu tun fähig wird''. Oder es enthält ein Vergleichs- oder Relativsatz, wie in dem ersten Lutherschen, Bedeutung und Tonstärke eines selbständigen Satzes. Auch Subjektssätze, die für gewöhnlich vorangehen, werden nachgestellt und allein deshalb stärker betont; sodann, weil die Objektssätze gewöhnlich die Hauptangabe enthalten, die wichtiger und umfänglicher war, als daß sie hätte mit einem einzelnen Worte gemacht werden können, erhalten auch diese einen stärkeren Ton als der grammatisch übergeordnete Satz und bringen dadurch Abwechslung in den Tonfall. Wenn solche Gründe für den höheren Ton eines der spätern Nebensätze fehlen, wächst mit jedem Nebensatze der höheren Stufe das Unschöne seiner Wirkung, und nicht etwa in dem einfachen arithmetischen Verhältnisse seiner Stufe, sondern im geometrischen//2 Abschreckende Beispiele stehn S. 295 a. E. (vier Relativsätze hintereinander), § 306, 1 a. E. und § 402 f.//.
In der fortlaufenden Erzählung von „Wilhelm Meisters Lehrjahren" kommt kaum ein Perfekt vor; sobald aber eine Rede eingeflochten wird, erscheint es auch, so gut wie in Reden und Gesprächen, soweit sie keine Erzählung enthalten, in Anzeigen und Fragen des täglichen Lebens der Perfekte kein Ende wird, oft natürlich, dem Sinne entsprechend, in buntem Wechsel mit dem Imperfekt. Man mache sich einige solche Stellen des Meisterwerks klar: ''Daß ich dies mit einem Worte sage, mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht'' — hier steht das Imperfekt, weil sich Wilhelm mit einer gewissen Erregung jene alten Wünsche wieder gegenwärtig macht; auch ist durch die Worte: ''„von Jugend auf“'', die Gleichzeitigkeit angedeutet. Wenn es aber weiter heißt: ''Ich habe mehr Welt gesehn, als du glaubst, und sie besser benutzt, als du denkst'', so versenkt sich Wilhelm dabei nicht mehr in den damaligen Zusammenhang der Umstände, sondern stellt nur den für jetzt aus jenen erwachsenen Zustand dar. Ähnlich läßt in dem nächsten Satze das Perfekt die in ihm ausgedrückte Tatsache als jetzt vorüber erscheinen, während das Imperfekt die Aufgabe hat, den Hörer in die Dauer eines Zustandes zurückzuversetzen: ''Meister, wir sind einer großen Gefahr entronnen; denn Felix war am Tode''. Besonders fein ist der Wechsel der beiden Zeiten auch in den folgenden Worten Aureliens zu Wilhelm: ''Vergeben Sie, rief sie ihm entgegen; das Zutrauen, das Sie mir einflößten, hat mich'' $Seite 357$ ''schwach gemacht''; — mit dem Imperfekt einflößten will sie diesen Vorgang nicht als etwas in einem Zeitpunkte, jetzt etwa Abgetanes, sondern vielmehr das allmähliche Werden dieses Verhältnisses bezeichnen, während in dem Perfekt hat schwach gemacht nur die soeben hervorgetretene Folge dargelegt wird. Sich in die vergangenen Zustände versetzend und versenkend fährt sie dann wieder im Imperfekt fort: ''Bisher konnte ich mich mit meinen Schmerzen im stillen unterhalten, ja sie gaben mir Stärke und Trost'', bis sie wieder das Perfekt gebraucht, um den in der Gegenwart abgeschlossenen Umschwung ihres Verhältnisses zu bezeichnen, dessen Verlauf sie sich nicht zu erklären vermag: ''Nun haben Sie, ich weiß nicht, wie es zugegangen ist, die Bande der Verschwiegenheit gelöst''. Es ist klar, wenn sich durch den Wechsel der beiden Zeiten so feine und bedeutsame Unterschiede ausdrücken lassen, dann dürfen sie nicht in demselben Satze so willkürlich durcheinander gewürfelt werden wie in den § 352 gerügten Sätzen. Jedoch auch im Einzelsatze kann man die Beachtung des Unterschiedes beider Zeitformen nur rühmen, wo sie noch stattfindet, und sie denen angelegentlichst empfehlen, die sie in Geschäfts- und Zeitungsmitteilungen gern vernachlässigen.
Die Anfechtung der letzten beiden Dichterstellen weist darauf hin, daß hier ein Tummelplatz engherziger Grammatiker vor uns liegt, indem sie für jede Redensart, zumal wenn die Präposition darin mehr oder weniger übertragen gebraucht ist, nur einem Falle die Daseinsberechtigung zuerkennen möchten; und doch sollte man sich vielmehr freuen, statt Formeln noch flüssiges Leben zu fühlen, statt erstarrter Wendungen noch freie Wahl zwischen verschiedenen sinnlichen Auffassungen zu beobachten. Gleichmöglich ist z. B. ''die Unterbringung in ein''[''em''] ''Krankenhaus''[''e''] ''bewirken''; und ganz grundlos ist der Tadel, den die Sätze zweier Zeitungen gefunden haben: ''die wahnsinnige Königin in ihrem Schmerz verloren'', der übrigens in dem Goethischen ein Vorbild hatte: ''so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken''; und: ''Die Kirche Christi ist auf der Liebe gegründet''. Das Verwandte ''fußen auf'' hat ja auch neben dem überwiegenden 4. noch den 3. Fall, diesen mehr in dem Sinne: ''seine Grundlage haben in etwas'', jenen in dem anderen: ''sich stützen-, sich berufen auf''. Selbst bei ''bauen'' ist der in übertragener Bedeutung (''rechnen, sich verlassen auf'') freilich allein übliche Akkusativ sonst nicht allein herrschend, und der Wechsel in dem Satze W. Müllers beruht auf überaus feiner Empfindung: ''Verhältnisse, die nicht auf dem Grunde des Herzens, sondern auf äußere Dinge gebaut waren; der Grund des Herzens'' ist da rein sinnlich als Baugrund gedacht, während es freilich nur heißen könnte: ''auf das Herz gebaut'', wenn ''Grund'' gar nicht dastünde. Auch Riehl durfte sehr wohl sagen: ''dies faßte Goethe sehr schön in den Worten zusammen'' (statt des allerdings gewöhnlicheren: ''in die Worte''), und Schiller: ''Tugenden, die du in ihm gepflanzt'', und: ''Darum verschloß der Gott die unsichtbaren himmlischen Geschenke in einem unsichtbaren Leib''. Statt sich zu freuen, daß z. B. ein Schriftsteller wie Gutzkow ausdrücklich das sinnlichere ''sich in die Seele schämen'' verlangte, übrigens darin mit dem Lessingschen Gebrauch im Einklange, hat man ihm vielmehr auch das Recht $Seite 146$ versagen wollen, statt des gewöhnlicheren: ''es tut mir in der Seele, im Herzen wehe'' kräftiger zu sagen: ''es tut mir in die Seele, ins Herze wehe''.
Ebenso ist es gleich gut möglich zu sagen: ''Wir wollen ihn in unsern Kreis'' als ... ''in unserm Kreis einführen'', je nachdem das Mitbringen dahin oder die herzliche Aufnahme darin gemeint ist; ''so war er denn in die Familie eingeführt'' bezeichnet den vergangenen Vorgang der Einführung, ''er war in der Familie eingeführt'' dagegen den daraus erwachsenen Zustand seines Vertrautseins darin, ähnlich war ursprünglich der Unterschied zwischen ''bestehen auf eine Sache'' (die man erst erstrebt) und ''bestehen auf einer Sache'' (wenn man auf dem alten Rechte, in dem alten Zustande verharren will); heute ist freilich auch in der ersteren Bedeutung der Dativ nicht mehr selten: ''Die Gemüter wurden verhetzt, auf eigenen Kirchen zu bestehn'' (sie zu fordern) neben: ''Ich bestehe auf mein Recht'' (CI. Viebig) und: ''M. bemühte sich, bezüglich des Zeitpunktes der allgemeinen Wahlen keine feste Verpflichtung einzugehen''; ''aber die Bezirksmänner'', fügte er hinzu, ''bestehen auf augenblickliche Wahl'' (Übersetz. von Paléologue). Dagegen ist es noch heute gar nicht ungewöhnlich zu sagen: ''In ein Gasthaus einkehren'', neben überwiegendem Dativ bei Benennung des Wirtshauses: ''in der Krone, im Stern einkehren''. wenn ein Bildhauer nach dem Platze gefragt wird, wo eine noch unter seinen Händen befindliche Gestalt aufgestellt werden soll, kann er so gut antworten: ''sie kommt auf der neuen Marienbrücke'', als auch: ''auf die neue Marienbrücke zu stehen'', wenn auch die zweite Weise jetzt üblicher ist. Auch Schiller sagt: ''Wir kamen vor eine Bude zu stehen''; und Manöverberichte pflegten zu lauten: ''die Truppen kamen in die und die Ortschaften, nach Flöha und in seine Nachbarorte zu liegen''. An den Stellen, wo in solchen Wendungen der 3. Fall steht, gehört er zu dem (ihm dann gewöhnlich auch äußerlich näher gerückten) Verbum, das von ''kommen'' abhängt: ''Meine Tür, an der du müde, durstig von der Jagd, zu klopfen kamst'' (Goethe); ''Geliebter Schlaf, komm über mir zu schweben'' (Haug), und: ''Die Päpste strebten nach dem Besitz von Avignon, nachdem sie dort zu wohnen gekommen'' (Augsb. Allg. Z.).
Die Umwandlung ist denn ganz unmöglich bei einem Satze wie oben dem 3., dessen ''gebühren'' schon in der aktivischen Form einen vom eigentlichen Passivum wie Aktivum gleichweit entfernten Begriff enthält oder, wie man sagt, ein neutrales Verbum ist. — Ebenso unmöglich ist die Umwandlung für den 1. Satz wegen des rückbezüglichen Verbums (reflexivum) ''sich getrösten''; denn das Wesen der schon oben § 124 f. berührten rückbezüglichen Zeitwörter, eigentlicher wie uneigentlicher//1 Eigentliche sind solche, welche in der betreffenden Bedeutung überhaupt nur rückbezüglich verkommen, z. B. ''sich schämen, sich verhalten''; uneigentliche solche, deren Subjekt nur gelegentlich als auf sich selbst zurückwirkend dargestellt wird: ''damit schädigt'' (''schadet'') ''er sich selbst''.//, liegt darin, daß ihr Dativ- wie Akkusativobjekt nur eine Wiedersetzung, eine Rückstrahlung des Subjektes ist; und die ist beim Passiv, bei dem das alte Subjekt, also das Ausstrahlende, verschwindet, so unmöglich wie ein Brennpunkt in der Glaslinse, sobald die Licht- und Wärmequelle fehlt. Die Umwandlung ist weiter nur teilweise möglich, aber auch nicht gut für einen Satz wie der 2.: ''Von den Juden wird noch immer auf den Messias geharrt''. Möglich ist sie, weil ''harren'' den Begriff einer Tätigkeit enthält, der in sein Gegenteil umschlagen kann, aber doch unschön, weil die unpersönliche Ausdrucksweise (''es wird geharrt'') mit dem persönlichen Gedankensubjekte (''Juden'') in Wider- $Seite 216$ streit gerät//1 Ein ähnlicher Widerstreit muß auch bei den unpersönlichen Verben mit logischem Subjekte im vierten, auch dritten Falle (''mich friert, - hungert, - dauert: mir träumt'') vermieden werden, indem diese unpersönliche Fügung nur für den zufälligen, auf äußeren Umständen beruhenden Zustand verwendet wird, während einer beabsichtigten, gewollten und bewußten Übernahme und Ertragung desselben allein die persönliche Fügung entspricht. Deshalb sagt man, um einem sein Bedauern auszudrücken, höflicherweise: ''Ich bedaure'', nicht ''mich dauert, daß Sie mich verfehlt haben''. Die Mutter kann nicht befehlen, daß ''die Kinder nicht friert'': aber sie kann ihnen wohl befehlen, daß ''sie nicht frieren sollen'', d. h. trotz des Gefühls der Kälte doch noch es absichtlich aushalten, länger zu frieren. ''Nach einem langen Marsche hungert einen, aber die entlarvten geschäftsmäßigen Hungerleider hungerten so und so viele Tage. Im Schlafe träumt einem'' (doch auch ''träumt man'') ''von dem und dem'': aber in übertragener Bedeutung heißt es nur: ''Er träumt von leichtem Siege''.//; endlich nur teilweise kann sie durchgeführt werden, weil ein Objekt im vierten Fall fehlt, dessen Widerspiel in passiver Fügung gleich gut in der ersten, zweiten und dritten Person erscheinen könnte, weil somit nur eine dritte Person mit dem unpersönlichen Subjekte ''es'' möglich ist. Die volle Wechselwirkung können Subjekt, Prädikat und Objekt nur bei den Verben aufeinander ausüben, bei denen das letzte im vierten Fall steht und den Gegenstand bezeichnet, auf den die Tätigkeit des Subjektes unmittelbar als auf ihr Ziel übergeht; man hat sie deshalb auch zielende oder transitive Verben genannt und sie damit zugleich den als ziellose oder intransitive bezeichneten Verben mit genetivischem, dativischem oder präpositionalem Objekt und den reflexiven und neutralen entgegengestellt.
Wunderbarer ist das darum, weil neben dem leisen Bedeutungsunterschiede bei ''fürchten'' vor allem der Grund vorhanden wäre, der in fast allen folgenden Fällen für eine zweite Verneinung ins Gewicht fällt: daß nämlich die Selbständigkeit der Sätze nicht nur früher größer war, sondern noch immer gefühlt wird. Denn deren Kraft ist noch heute so groß, daß selbst bei Wörtern wie ''verbieten, zweifeln'' u. a. im Nebensatz, sobald er ohne Bindewort und in der Stellung des Hauptsatzes erscheint, eine Verneinung sogar nötig ist: ''Ich zweifle, er wird wohl nicht kommen'', neben: ''Ich bezweifle, daß er kommt'', oder: ''Ich fürchte, er wird sich doch nicht rächen'', neben: ''Ich fürchte, daß er sich räche''. Man kann daher auch für die ''daß''-Sätze und selbst für die Infinitiv-Konstruktionen die Regel so fassen. $Seite 411$ sobald sie als eng angeschlossene Objekts- oder Subjektssätze empfunden werden, kommt ihnen eine pleonastische — Negation nicht zu; wohl aber mag die Verneinung getrost noch einmal im Nebensatze wiederholt werden, sobald der Zusammenhang locker ist und sich die Nebensätze auch als Umstands-, namentlich als Absichtssätze auffassen lassen. Das letztere trifft vor anderen die Zeitwörter ''hindern, im Wege stehn, sich hüten, sich in acht nehmen'' u. a. Denn wenn auch eine geschichtliche Betrachtung ergibt, daß die Klassiker die darauffolgenden Sätze noch überwiegend als Adverbialsätze auffaßten und demgemäß mit ''nicht'' ausstatteten, daß jetzt aber ebensosehr die Auffassung als Objektssätze vorherrscht, so wäre doch nichts verkehrter, als einer nüchternen Glätte und Einförmigkeit zuliebe auch aus diesen Sätzen die Verneinung gänzlich verbannen zu wollen. Nur den einen Fingerzeig sollte man beherzigen: nach transitiven Zeitwörtern ohne ein anderes Objekt als das im folgenden Satze liegende sowie bei Hinweisung auf diesen durch ein Demonstrativum wie ''das, es, davor, davon'' u. dgl. ist es richtiger, den Satz als Objektssatz zu fassen und ihn von dem überflüssigen ''nicht'' freizuhalten; dagegen ist es bei intransitiven und reflexiven Zeitwörtern, vorausgesetzt, daß ein solcher Hinweis fehlt, noch jetzt sehr wohl möglich, den Satz als loser angefügten Adverbialsatz zu fassen und darin die Verneinung zu wiederholen. Die entscheidende Kraft solcher Adverbien lernt man am deutlichsten z. B. bei ''warnen'' kennen, das an sich sowohl bedeutet: mit Besorgnis vor den aus dem gegenteiligen Verhalten entstehenden Folgen zu etwas raten (''Er warnte mich, vor seinem Bruder geheim zu sein'' (= ''ich sollte es sein'': Goethe), als auch ''abraten etwas zu tun'' (''Doch warn ich dich dem Glück zu traun'': Schiller). G. Freytag fügt im ersten Sinne: ''Den Herrn Amtsschreiber warne ich, daß er sich selbst in acht nehme''; im zweiten: ''Ich warne euch, daß ihr zu niemandem redet''. ''Vor'' und ''davor'' können sich nur in der zweiten Bedeutung mit dem Worte verbinden; und da heute in beiden Bedeutungen die Nennform ohne ''nicht'' vorherrscht, kann man durch ihre Vorsetzung von vornherein die richtige Auffassung an die Hand geben. Mit andern Zeitwörtern befremden uns nach den oben angegebenen Merkmalen heute Beispiele wie die nächstfolgenden: ''Alles, was ich zu tun habe, ist zu verhindern, daß sie nicht gestört werden''; und: ''Haben Sie die Güte zu verhindern, daß der Lakai nicht zusieht'' (Freytag). ''Verhüt es Gott, daß ich nicht Hilfe brauche'' (Schiller). Umgekehrt würde, wer auch für die feineren Sprachmittel Verständnis hat, an den folgenden Sätzen etwas vermissen, sobald die von ihren Verfassern tatsächlich eingefügte Verneinung fehlte: ''Hüte dich, daß du mit Jakob nicht anders redest denn freundlich'' (Luther). ''Wir konnten sie nicht mehr zurückhalten, daß sie nicht nachsprang'' (Schiller). Selbst bei Nennformen, die gleich einem Satze mit ''damit nicht, um nicht zu'' aufgefaßt werden können, fügt z. B. Goethe: ''Man kann sich nicht genug in acht nehmen, aus Versuchen nicht zu geschwinde zu folgen''; während es mit ''davor'' wieder nur heißen könnte: ''man kann sich nicht genug davor hüten, aus Versuchen zu geschwinde zu folgern.''
Übrigens ist nicht zu verkennen, daß noch etwas mitwirkt, um diese überfüllende Verneinung festzuhalten; dies ist das Gefühl, dadurch die allem Verneinten anhaftende größere Unbestimmtheit malen zu können, wie sich das deutlichst in dem Konjunktive verrät, der im Nebensatze ohne Ver- $Seite 412$ neinung oft nicht mehr, mit derselben noch sehr häufig erscheint. So bei Ranke: ''Er konnte nicht verhindern, daß nicht noch Hilfe hineingekommen wäre'', woneben heut nach § 375 gleich gut steht: ''daß noch Hilfe hineinkam''. Ähnlich heißt es entweder trotz des § 400, 3 Bemerkten mit Grimm: ''Es kann nicht fehlen, daß die geheimnisvolle Sprache nicht zugleich Aufschlüsse des Gedankenganges der Begriffe gewährte oder daß sie Aufschlüsse gewährt.''
Wie es dann aber für die letzte Form richtig heißen soll? So fragt mit Recht, wer die widersprechenden Auskünfte der Sprachlehrer darüber kennt. ''Möglichst gut'' oder ''so gut als möglich'' //1 Also ist auch ''möglichst bald'' natürlicher und empfehlenswerter als das seit Goethe freilich nicht seltene ''baldmöglichst'' oder ''ehemöglichst'', mit sonst nie nachgestelltem ''möglichst'' und gar ''ehebaldigst''.//, und zwar stehen beide als Adverb und Prädikat: ''geh-, sei möglichst schnell'' oder ''so schnell als möglich'', jenes auch als Attribut mit unbestimmtem Artikel: ''ein möglichst großes Stück''. Mit bestimmtem Artikel steht, wenn der allerhöchste Grad, der möglich ist, bezeichnet werden soll, auch umgekehrt: ''mit den wenigstmöglichen Schranken'' (Schiller), ''mit dem kleinstmöglichen Aufwande''. Schön sind freilich, besonders attributiv, alle diese Verdichtungen eines Vergleichsatzes zu einem Worte nicht, und man versteht Grimms Seufzer nach der alten natürlichen Form: ''als ich beste kann''. Bequem helfen auch Eigenschaftswörter mit der Endung ''-bar'' aus, die ja das Tragbare, Mögliche bezeichnet: ''die kleinsten Teile, die noch erreichbar, erkennbar sind'' oder: ''die erkennbar, erreichbar kleinsten Teile.'' +
N
Auch partizipiale Attribute vor selber von Verhältniswörtern abhängigen Hauptwörtern entraten des Artikels: ''nach beendigter Besichtigung, nach aufgehobener Tafel, nach bestandener Prüfung, bei grauendem Morgen, bei eintretender Dunkelheit, bei aufgelöster Polizeiordnung, bei'' (''hinter'') ''verschlossener Tür sitzen''. Wenn man auch die Anwendung dieser Redeweise nicht in dem Umfange empfehlen kann, in dem sie heute beliebt ist, und vor allem dann am besten meidet, wenn der kurze Artikel dasselbe sagt wie die lange Mittelwortfügung (''nach der Tafel'' = ''nach beendigter Tafel''), so wird doch das Vorurteil, sie sei ein bloßer Latinismus, dadurch widerlegt, daß sie auch dem Volke vertraut ist, wie seine Sprichwörter beweisen, z. B. ''Nach getaner Arbeit ist gut ruhn. Reu und guter Rat ist unnütz nach geschehner Tat''. Auch liegt in dem Mittelwort mehr Anschaulichkeit als im Artikel, und indem dieser wegfällt und Verhältnis- wie Hauptwort schwächer betont werden als ein solches Partizip, ist auch der angeblich in solchen Wendungen zu rügende Übelstand gehoben, daß der Hauptbegriff in untergeordneter Stellung erscheine. (Vgl. mehr § 349). +
Statt ''hin'' und ''her'' schreiben unsre Kaufleute jetzt in ihren Geschäftsbriefen ''nach dort'' und ''nach hier; kommen Sie nicht in den nächsten Wochen einmal nach hier? Wenn nicht, so komme ich vielleicht einmal nach dort.'' Auch die Zeitungen berichten: ''Herr M. ist als Bauinspektor nach hier versetzt worden.'' Und wenn ein paar Handlungsreisende bei kühlem Wetter in einem Biergarten sitzen, fragen sie sich sogar: ''Wollen wir uns nicht lieber nach drin setzen?'' Diese neumodische schöne Ortsbestimmung ist freilich nicht ohne Beispiel: schon längst hat man zur Bezeichnung einer Richtung, statt ''die'' auf die Frage ''wohin?'' antwortenden Ortsadverbien zu gebrauchen, die Präposition nach mit Ortsadverbien verbunden, die auf die Frage ''wo?'' antworten, z. B. ''nach vorn, nach hinten, nach oben, nach unten,'' statt: ''vor, hinter, hinauf, herunter.'' Auch Schiller sagt im Taucher: ''Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben.'' Und ebenso hat man auf die Frage ''woher?'' geantwortet: ''von vorn, von hinten, von oben, von unten,'' sogar ''von hier, von dort''. Nur ''nach hier, nach dort'' und ''nach drin'' hatte noch niemand zu sagen gewagt. Aber warum eigentlich nicht? Offenbar aus $Seite 252$ reiner Feigheit. Wir können also dem kaufmännischen Geschäftsstil für seinen sprachschöpferischen Mut nur dankbar sein. Schade, daß Goethe das Lied der Mignon nicht mehr ändern kann: das müßte doch nun auch am Schlusse heißen: ''nach dort, nach dort möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!''//* Ein gemeiner Provinzialismus (aus Berlin?), der aber neuerdings rasch Fortschritte macht, ist der Gebrauch von ''hoch'' für ''oben'' und zugleich für ''hinauf, empor, in die Höhe'', z. B. ''hoch kommen, hoch gehen; wenn ich einmal hoch bin, dann geh ich nicht gleich wieder runter''; ein edenso gemeiner (aus Wien?) der Gebrauch von ''oben'' für ''hinauf'', z. B. ''oben gehen''. In anständigem Deutsch geht man weder ''hoch'' noch ''oben'', sondern ''hinauf''.// +
Nach gelesenem Briefe u. ä. attributive Mittelwörter (und Eigenschaftswörter) statt Hauptwörter und Sätze +
Noch heute schießt eine völlig fremde Pflanze auf deutschem Boden empor, genährt von der Erinnerung an die lateinische Lektüre und ein Ableger noch von jener Art, wie ein seiner selbst noch nicht bewußtes deutsches Sprachgefühl die lateinischen Schriftsteller und ihre Nachahmer bis auf die Urkundenleimer verdeutschte oder richtiger — verundeutschte. Das sind hauptsächlich zweite, gelegentlich auch erste Partizipien oder gar Adjektive, die attributiv bei einem Hauptworte stehn, obwohl sie das für den Zusammenhang Wichtigste enthalten, so daß sie nach der Forderung deutschen Gedankenausdrucks vielmehr durch selbständige, ihrerseits tragende Satzteile, Hauptwörter oder Sätze, wiederzugeben wären. Dieser Fehler ist deutlicher als jeder andre nichts als Nachäffung des Lateinischen, das bei seiner Unfähigkeit, für Handlungen und Zustände die genügende Zahl bezeichnender Hauptwörter zu bilden, seine Zuflucht dazu nehmen mußte, das logisch Wichtigere, die Mitteilung über den Eintritt einer Tatsache und eines Zustandes, in einem grammatisch untergeordneten Satzgliede, dem Attribute, auszudrücken. Hier bedeutet doch wahrlich unser stolzer Reichtum an Hauptwörtern einen großen Vorteil, da er uns der logischen Form des Gedankens gerechter werden läßt. Wer müßte auch nicht unwillkürlich lachen, wenn er sich einmal genau überlegt, was denn für sein deutsches Sprachgefühl solche Ausdrücke wie die folgenden eigentlich besagen? ''Mit weggelassener Überschrift ungenau abgedruckt'' (Grimm) und ''wegen unterlassenen Gebrauchs des aufregenden Mineralwassers'' (Goethe). Doch nichts anderes als: ''ein Werk ist gedruckt mit einer Überschrift, aber — einer weggelassenen. Der Grund war der Gebrauch des Mineralwassers, aber der unterlassene''! Goethe mit Fügungen wie: ''Nachrichten von meinem gefeierten Geburtsfeste'' (statt: ''von der Feier des Festes''), oder gar: ''nach gelesenem diesem Blatte'' steckt ebenso gut in Latinismen als Schiller mit der gleich schlimmen: ''nach'' $Seite 352$ ''aufgelöstem Band der bürgerlichen Ordnung''. In lauter stärker betonte Wörter ist der wichtigste Begriff im folgenden Satze eingewickelt: ''Der dem Publikum durch Revuen und Spazierfahrten verheimlichte bedenkliche Gesundheitszustand des Kaisers Napoleon hat die Blicke der Eingeweihten nicht ohne Besorgnis auf die Zukunft Frankreichs gelenkt''; der Herr Diplomat hätte besser etwa geschrieben: ''Durch das Bedenkliche im Gesundheitszustände des Kaisers waren, wenn es auch ... verheimlicht wurde, die Blicke der Eingeweihten'' usw. Wenn dazu in einem Ortsblättchen steht: ''Im Tännicht wurde schon einmal, im Jahre 1648, ein Dankgottesdienst anläßlich'' (!) ''des beendigten Dreißigjährigen Krieges abgehalten'', und bei dem Reiseschriftsteller v. Proskowetz: ''Man ist trotz der seltenen Eßstationen dem Hungertode nicht preisgegeben'' (statt: ''trotz ihrer Seltenheit'' oder besser: ''obgleich sie selten sind''), so steht das im Grunde alles auf gleicher Stufe mit solchen Anzeigen: ''Falsch gebildete, durch Tremolieren stark gelittene Stimmen'' (statt: ''Verbildungen und durch Tremolieren hervorgerufene starke Schwächen der Stimme'') ''werden gründlich beseitigt''. Selbst statt der überaus üblichen Wendung: ''Der Arzt konnte nur den eingetretenen Tod bestätigen'', müßte es genau genommen lauten: ... ''bestätigen, daß der Tod bereits, schon soundso lange eingetreten sei''.
Auch zu den Zusammensetzungen mit -''wärts'' gehört die Präposition ''nach'' ursprünglich nicht, freilich noch weniger ''von'', da diese Endung die Richtung auf ein Ziel hin bezeichnet. Soweit es besondere
Bezeichnungen für das entsprechende Ruheverhältnis gibt, wie ''unten'' neben ''abwärts'' oder ''niederwärts, oben'' neben ''aufwärts, vorn'' neben ''vorwärts, hinten'' neben ''rückwärts, innen'' neben ''einwärts, abseits'' neben ''seitwärts'', darf denn auch der Unterschied zwischen diesen beiden Formen nicht dadurch verwischt werden, daß man den Bildungen auf -''wärts'' durch Vorsetzung von ''nach'' und ''von'' die Kraft nimmt, von selber die Dichtung anzuzeigen. So unnötig breit schreiben besonders süddeutsche Bergbesteiger, wie ''heroben'' statt ''oben'', auch oft: ''so wandten wir uns nach seitwärts'' (statt nur: ''seitwärts''), ''wir stiegen noch 100 m nach aufwärts''. Immerhin ist, was die Sprachform als ein Nichtungsverhältnis darstellt, oft sehr leicht als eins der Ruhe aufzufassen: ''Sarmatien, welches ostwärts'' (''nach Osten hin'' und doch auch ''im Osten'') ''das Kaspische Meer zur Grenze hat'' (Lohenstein), und bei einigen Bildungen mangelt für den heutigen Sprachstand überhaupt ein entsprechendes Adverb, das die Ruhe bezeichnete, so bei ''ost-, süd-, west-, nordwärts''; oder sie sind in besonderer Bedeutung $Seite 34$ üblich, wie ''auswärts'' = ''in der Umgegend eines Ortes'' oder ''im Auslande''. Dann ist es nur ein natürlicher Ersatz, den sich die Sprache geschaffen hat, wenn sie diese fünf Bildungen auch auf die Frage ''wo?'' antworten läßt und vor ''auswärts'' sowohl ''nach'' als ''von'' und vor jene vier gelegentlich ''von'' setzt; ''Zum Frankfuße geprägt, wäre unser ganzes Gold nach auswärts abgeflossen — von auswärts bezogene Waren''. Die Weserzeitung durfte so gut schreiben: ''von nordwärts'', als G. Freytag: ''du kamst von ostwärts aus der Fremde'' oder ''es sind Wenden von ostwärts''. +
Nach verschiedenen Meldungen oder: wie verschiedene Blätter melden, wäre der Papst bedenklich erkrankt +
Da läßt sich wahrlich eine andere Verwendung, die die richtige Form der abhängigen Rede jetzt öfter findet, eher hören, wenn schon sie noch von den meisten Sprachmeistern verurteilt wird. Es ist das die täglich in den Zeitungen anzutreffende Art, Nachrichten, die sie nicht als von ihnen selbst ermittelt oder gemeidet oder als von ihnen gar verbürgt verbreiten wollen, in abhängiger Rede anzuführen, deren regierendes Zeitwort in einem Zwischensatze oder gar einem vorausgeschickten Satze mit ''wie'' steht oder durch eine substantivische Fügung mit ''gemäß, nach'' oder dem freilich falschen ''zufolge'' (§ 156, 4) vertreten wird: ''Einer Petersburger Mitteilung zufolge'' (!) ''wäre es richtig, daß der russische Finanzminister seine Entlassung beim Zaren eingereicht habe; dieselbe sei aber von diesem, der auf die Mitwirkumg W.'s bei der Ausarbeitung eines neuen Zolltarifs nicht verzichen wolle, nicht genehmigt worden (Nat.-Z.). — Ein Anhänger Parnells griff den Deputierten T. Healy tätlich an und zertrümmerte das von Healy getragene Augenglas. Wie es heißt, wären die Augen verletzt und die Sehkraft gefährdet''.
Früher war die Fügung mit dem Indikativ üblicher, und diese entspricht zugleich der Forderung der Grammatiker: ''Nach einer Mitteilung des Rappel'' (''wie der Rappel mitteilt''), ''beabsichtigen die absoluten Schutzzöllner''. Man sollte sich auch heute unbedingt mit der älteren Form begnügen, wenn es nur gilt, eine kurze Meldung unter Angabe der fremden Urheberschaft zu bringen, ohne daß man ihre Richtigkeit beurteilt. Schwerer ist schon damit auszukommen, wenn die Meldung länger ist, weil da die späteren Sätze durch nichts mehr als nur aus dem Sinne des bloß beim ersten Satz angeführten Gewährsmannes kommend bezeichnet wären; andrerseits aber erst im zweiten Satze dann plötzlich den Konjunktiv anzuwenden, wirkt unvermittelt und uneben; man höre nur den Zeitungssatz: ''Wie Pariser Blätter mitteilen, hielt sich der Prinz v. Orleans mehrere Tage in Paris auf; die Regierung, welche davon unterrichtet war, hätte sich mit der bloßen Überwachung des Prinzen begnügt'', sowie den G. Hauptmanns: ''Nach seiner Behauptung hatte Schubert zunächst kein Glied zu rühren vermocht und sei geraume Zeitweile wie festgewurzelt stillgestanden''.
$Seite 384$ Gewöhnlich ist es so, daß an der Spitze der Konjunktiv des Imperfekts steht, dann aber die indirekte Rede ganz in der § 363 f. dargelegten Form weiter geführt wird; und warum soll das ein so verwerfliches Mittel sein, von vornherein deutlichst jede Gewähr für die Richtigkeit der Meldung abzulehnen? Jedenfalls läßt sich nichts gegen diesen Konjunktiv sagen, wenn ein richtiger Zwischensatz (ohne ''wie'' !) vorhanden ist: ''Der neue König, hieß es, würde abwarten, würde die alten Minister entlassen''. Ebenso gerechtfertigt scheint es, wenn eine präpositionale Fügung mit ''nach'' oder ''gemäß'', wodurch das immer fehlerhafte ''zufolge'' stets zu ersetzen ist, vorangeht; denn diese kann ganz wohl als Ersatz für einen Bedingungsvordersatz gelten, zu dem die erste konjunktivische Aussage den Nachsatz bildet. So hat offenbar auch Jensen empfunden, wenn er schrieb: ''Genannt wird der Kandel zuerst im 12. Jahrhundert bei Anlaß einer Grenzbeschreibung a platano in monte Kanden. Danach'' (= ''wenn das richtig wäre'') ''hätte damals auf ihm eine Platane gestanden''.
Immerhin ist es in andern Fällen möglich, auch ohne diese „Neuheit" auszukommen, wenn der Zweifel an der Richtigkeit der Meldung statt in den Modus selbst in das modale Hilfszeitwort ''sollen'' gelegt wird, in der Art Junkers: ''Ich erfuhr, daß heute Nachricht aus Dâr-Fôr gekommen war. Danach soll es Gordon Pascha gelungen sein, die aufständischen Stämme zur friedlichen Unterwerfung zu bewegen; dagegen aber'' (!) ''wolle sich der Sohn Zibers noch immer nicht fügen''. In dieser Art würde es z. B. oben in dem einen Beispiele heißen: ''Wie es heißt'' oder ''nach weiteren Berichten sollen die Augen verletzt sein''. Am wenigsten verdient der Konjunktiv nach den sowieso unschönen Sätzen mit ''wie'' eine glimpfliche Ausnahme; und vor allem möchte diese doppelte Ablehnung der Gewährschaft, sowohl durch Nennung der Quelle als auch durch den Konjunktiv oder ''sollen'', für solche Fälle aufgespart werden, wo die Meldung als bedenklich zu kennzeichnen wirklich und besonders am Platze ist oder eine längere Ausführung in abhängiger Rede folgt. Innerhalb solcher Grenzen dagegen kann die Fügung als eine gesunde Weiterentwicklung in der Anwendung des Konjunktivs des Imperfekts//1 Schlechthin falsch ist der — auch nur seltner begegnende — Konjunktiv der Gegenwart (''dem Globe zufolge'' (!) ''habe die Regierung Genugtuung gefordert''); denn als Zeichen einfach der abhängigen Rede reicht er nicht hin, Zweifel an der Wahrheit und Wirklichkeit des Behaupteten auszudrücken. Ebenso ist jeder Konjunktiv natürlich dann falsch, wenn der Satz mit ''wie'' oder ein anderer Zwischensatz einen Begriff der Gewißheit enthält: ''Wie später sich herausstellte, hätten'' (muß heißen ''hatten'') ''die Veranstalter des Staatsstreiches damals keine Auskunft darüber geben können''.// gelten.
Der Unterschied zwischen ''nachahmen'' mit dem 3. und mit dem 4. Falle ist nicht leicht faßbar. Wenn Person und Sache zugleich genannt sind, ist nach § 209 die Fügung klar: ''Er denkt es den Menschen nachzuahmen''; doch ist dafür jetzt ''nachmachen'' häufiger, und zwar nicht nur in der Umgangssprache. Falls nur eine einzelne Ergänzung genannt ist, befremdet uns heute der bloße Dativ der Sache, selbst wenn die Sache persönlich gedacht werden kann und etwas Hochstehendes, Vorbildliches bezeichnet; ''Der Landbebauer'' (!) ''ahmte ihrem Vorbilde nach'' (Jensen); und musterhaft ist vielmehr Goethes Satz: ''Jeder ahmt die Natur in seiner Weise nach''. Ein feiner Unterschied wird zwischen dem Dativ und dem Akkusativ der Person gemacht, wie er wohl seit Herder immer schärfer beobachtet und jetzt durchaus gewahrt wird, so nämlich, daß ''nachahmen'' mit dem Dativ der Person gleich ''nachstreben, -eifern'' ist, ''nachahmen'' mit dem Akkusativ aber gleich ''nachbilden, kopieren. Fast alle Dichter ahmen jetzt dem Norweger Ibsen nach'', d. h. so lange er nur ihr Muster und sie selbständigen Geistes sind; sonst ''ahmen sie ihn nach, wie Hagedorn den Horaz oder der König des Wäschervolkes in Paris an Mitfasten 1891'' nach der Tägl. R. ''Carnot den Präsidenten der Republik, nachgeahmt hat''. Im allgemeinen muß man jedoch sagen, daß ''nachahmen'' mit Dativ der Person immer seltener wird gegenüber Wörtern wie ''nacheifern, -streben'' und gegenüber seiner Verbindung mit dem Akkusativ. Vor allem darf man den Akkusativ nicht von den Fällen ausschließen wollen, wo nur die Nachahmung einer Person in einem besonders genannten Stücke gemeint ist. Wie z. B. P. Richter geschrieben hat: ''So ahme die Mutter darin die Altmutter nach'', so auch Goethe: ''So möcht ich doch auch darin meinen König nachahmen und euer Sachwalter sein''. Trotzdem bleibt aber die neue Formel des Kanzleistils (vgl. oben § 141 Anm.) häßlich: ''Ein Kommunist, der ...... im April 1871 in Nachahmung vieler seiner Kameraden dem Kriegsminister der Kommune seine Dienste anbot''. Von ''nachäffen'' steht in der Jug. 26: ''Wenn der Alte ohnmächtige Worte der Wut hervorstieß, äffte sie ihm nach''.
Verhältnismäßig wenig Fehler kommen in den Nebensätzen vor, die eine Zeitbestimmung, einen Grund oder ein Zugeständnis enthalten (Temporalsätze, Kausalsätze, Konzessivsätze). In den Kausalsätzen ist vor allem vor einem Mißbrauch des Fügewortes ''nachdem'' zu warnen. ''Nachdem'' kann nur Temporalsätze anfangen. Es ist allerdings schon früh auch auf das kausale Gebiet übertragen worden (wie ''weil'' und ''da'', die ja auch ursprünglich temporal und lokal sind); aber heute ist das nur noch in Österreich üblich. ''Nachdem der Kaiser keine weitere'' $Seite 131$ ''Verwendung für seine Dienste hat — nachdem für die Anschaffung nur unbedeutende Kosten erwachsen — nachdem bei günstigem Wasserstande sich die Verladungen lebhaft entwickeln werden'' — solche Sätze erscheinen als Provinzialismen. Falsch ist es aber auch, ''nachdem'' in Temporalsätzen mit dem Imperfekt zu verbinden, z. B. ''der Grund, warum Lassalle, nachdem seine Lebensarbeit zerbrach, doch immer deutlicher als historische Persönlichkeit hervortritt''. ''Nachdem'' kann nur mit dem Perfekt oder dem Plusquamperfekt verbunden werden.
Ein andrer Fehler, der jetzt in Kausalsätzen fort und fort begangen wird, ist der, hinter ''zumal'' das Fügewort ''da'' wegzulassen, als ob ''zumal'' selber das Fügewort wäre, z. B.: ''der Zuziehung von Fachmännern wird es nicht bedürfen, zumal in der Literatur einschlägige Werke genug vorhanden sind''. ''Zumal'' ist kein Fügewort, sondern ein Adverb, es bedeutet ungefähr dasselbe wie ''besonders, namentlich, hauptsächlich'', hat aber noch eine feine Nebenfarbe, insofern es, ähnlich wie ''vollends'', nicht bloß die Hervorhebung aus dem allgemeinen, sondern zugleich eine Steigerung ausdrückt; der Inhalt des Hauptsatzes wird, wenn sich ein Nebensatz mit ''zumal'' anschließt, beinahe als etwas selbstverständliches hingestellt. Soll nun, wie es sehr oft geschieht, der in einem Nebensatz ausgedrückte Gedanke in dieser Weise hervorgehoben werden, so muß ''zumal'' einfach davortreten, sodaß der Nebensatz nun beginnt: ''zumal wer, zumal wo, zumal als, zumal wenn, zumal weil, zumal da'', je nachdem es ein Relativsatz, ein Temporalsatz, ein Bedingungssatz oder ein Kausalsatz ist, z. B.: ''das wäre die heilige Aufgabe der Kunst, zumal seit sie bei den Gebildeten zugleich die Religion vertreten soll''. So wenig nun jemand hinter ''zumal'' das ''wer, wo, wann'' oder ''als'' weggelassen wird, so wenig hat es eine Berechtigung, das ''da'' oder ''weil'' wegzulassen, und es ist eine Nachlässigkeit, zu schreiben: ''diese Maßregel erbitterte die Evangelischen, zumal sie hörten — schließlich ließ sich die Angelegenheit nicht länger aufschieben, zumal sich die Aussicht eröffnete'' usw. Leider ist die Nachlässigkeit schon so beliebt geworden, daß man bald wird lehren $Seite 132$ müssen: ''zumal'' ist ein Adverb, aber zugleich ist es ein Fügewort, das Kausalsätze anfängt.
Ähnlich wie mit ''zumal'' verhält sichs mit ''trotzdem''; auch das möchte man jetzt mit aller Gewalt zum Fügewort pressen. Aber auch das hat keine Berechtigung. Auch ''trotzdem'' ist ein Adverbium, es bedeutet dasselbe wie ''dennoch''; soll es zur Bildung eines Konzessivsatzes dienen, so muß es mit ''daß'' verbunden werden. Zu schreiben, wie es jetzt geschieht: ''trotzdem Camerarius den Aufgeklärten spielte — trotzdem die Arbeiten im Innern des Hauses noch nicht beendigt sind — trotzdem es an Festlichkeiten nicht mangelte'' — ist ebenfalls eine Nachlässigkeit. Wir haben zur Bildung von Konzessivsätzen eine Fülle von Fügewörtern: ''obgleich, obwohl, obschon, wenngleich, wenn auch''. Kennt man die gar nicht mehr, daß man sie jetzt alle dem fehlerhaften ''trotzdem'' zuliebe verschmäht? Sie sind wohl zu weich, zu geschmeidig, zu verbindlich, nicht wahr? ''Trotzdem'' ist gröber, „schneidiger," trotziger, darum gefällts den Leuten.
Freilich sind alle unsre Fügewörter früher einmal Adverbia gewesen. Auch ''indem, seitdem, nachdem, solange, sooft, nun'' (''nun die schreckliche Seuche glücklich erloschen ist'') wurden zur Bildung von Nebensätzen anfangs gewöhnlich mit Fügewort gebraucht (''indem daß, solange als''). Aber warum soll man nicht einen Unterschied bewahren, wenn das Bedürfnis von vielen noch empfunden wird? Wer sorgfältig schreiben will, wird sich auch nicht mit ''insofern'' begnügen, wenn er ''insofern als'' meint.
Eine österreichische Eigentümlichkeit ist es, Konzessivsätze mit ''obzwar'' anzufangen. In der guten Schriftsprache ist das, wie alle Austriazismen, unausstehlich.
Unter den Zeitsätze einleitenden Bindewörtern muß vor anderen ''nachdem'' mannigfache Unbill erleiden. Man braucht nur ein österreichisches Blatt zur Hand zu nehmen, und man trifft jedesmal auf Sätze wie diesen: ''Nachdem das Protokoll der Generalversammlung mit Rücksicht auf den Umstand, daß dasselbe von den Verifikatoren beglaubigt werden muß, erst später veröffentlicht werden kann, teilen wir kurz die gefaßten Beschlüsse mit''. Kein Wunder, wenn da auch der überhaupt nicht so seltene Fehler dort doppelt häufig ist, daß $Seite 281$ es selbst in zeitlicher Bedeutung mit dem Imperfekt verbunden wird. Wie das Wort selbst wahrlich noch deutlich genug ankündigt, führt es aber doch Handlungen an, nach deren Verlauf erst eine andre eintritt, und so gehört zu ihm nach einem Präteritum das Plusquamperfekt, nach einem Präsens oder Futurum das Perfekt//1 Es ist ein unnötiges Zugeständnis, das Imperfekt gelten zu lassen, wenn es seiner Bedeutung nach einem entsprechenden Plusquamperfekt gleichkommt: ''Nachdem das feststand'' (= ''festgestellt war''), ''ließ sich der Verbannte in England nieder''. Denn in solchen Fällen ist für die Zukunft ''dann wenn'' angebracht; und bei Beziehungen zwischen einem vergangenen Zustande und einer gegenwärtigen oder vergangenen Handlung tritt entweder die Angabe der zeitlichen Aufeinanderfolge zurück vor der des Grundes und es ist ''da'' und ''nun'' am Platze, oder in anderem Sinne (vgl oben) ''seit''(''dem'').//. E. Förster durfte also so wenig schreiben: ''Nachdem ich Beethoven durch dich so genau kennen lernte'' (statt ''gelernt habe, bin ich schwer zu befriedigen'', als Bornhak: ''Die sterbliche Hülle wurde einstweilen in der Sakristei des Domes beigesetzt, nachdem drei Tage Tausende ... im Thronsaale des Schlosses dem ... Sarge einen Abschiedsgruß zusenden durften''. Endlich breitet sich ''nachdem'' auch auf Kosten von ''seitdem'' aus, das besonderen Schuß verdient als ein Bindewort, das sich das Deutsche vor manchen anderen Sprachen zu dem Zwecke geschaffen hat, die Dauer eines mit dem Abschluß einer vergangenen Handlung eingetretenen Zustandes zu bezeichnen. Der Fehler findet sich z. B. bei dem Übersetzer der Briefe Motleys (Eltze): ''Wir waren in unserer Jugend sehr intim und haben immer Beziehungen unterhalten, nachdem'' (besser ''seitdem'') ''wir vor sechs Jahren unsre alte Freundschaft erneuert'', und bei Osk. A. H. Schmitz (Menschheitsdämmerung): ''Erst nachdem'' (statt ''seitdem'') ''er die Künste der Hirten, Jäger und Fischer und das Waffenhandwerk genau kannte, lehrte ihn der Vater selbst die Schrift und die Ruhmestaten der Vorzeit kennen''.
Viel Kopfzerbrechen hat schon manchem die Frage gemacht, ob man auf Wörter wie ''Weib, Mädchen, Fräulein, Mütterchen'' mit ''es, das'' und ''sein'' zurückweisen müsse, oder auch mit ''sie, die'' und ''ihr'' zurückweisen dürfe, mit andern Worten: ob bei solchen Wörtern das grammatische oder das natürliche Geschlecht vorgehe. Auch bei ''Backfisch'' kann die Frage entstehen. Nun, über das ''Ob'' braucht man sich den Kopf nicht zu zerbrechen, es ist eins so richtig wie das andre; die Schwierigkeit liegt nur in dem Wo und Wie, und hierüber läßt sich keine allgemeine Regel geben, es muß das dem natürlichen Gefühl des Schreibenden überlassen bleiben. Klar ist, daß das grammatische Subjekt solcher Wörter um so eher festgehalten werden darf, je dichter das Fürwort auf das Hauptwort folgt, also besonders bei dem relativen Fürwort, das sich unmittelbar an das Hauptwort anschließt, ebenso, wenn beide sonst nahe beieinander in demselben Satze stehen, z. B.: ''das Mädchen hatte frühzeitig seine Eltern verloren.'' Es ist aber auch nicht das geringste dagegen einzuwenden, wenn jemand schreibt: ''die Dekoration stand dem Mütterchen Moskau gut zu ihrem alten Gesicht.'' Auch bei Goethe heißt es: ''dienen lerne das Weib, denn das ist ihre Bestimmung.'' Je später das Fürwort auf das Hauptwort folgt, desto mehr schwächt sich die Kraft des grammatischen Geschlechts ab, und die Vorstellung des natürlichen Geschlechts verstärkt sich. Namentlich in einer längern Reihe von Sätzen hintereinander das grammatische Geschlecht solcher Wörter $Seite 271$ pedantisch festzuhalten, kann unerträglich werden. Man denke, daß es in ''Schillers Mädchen aus der Fremde'' hieße: ''Es war nicht in dem Tal geboren, man wußte nicht, woher es kam, doch schnell war seine Spur verloren'' usw.
Dagegen ist die Frage, ob es heißen müsse: ''Ihr Fräulein Tochter'' (''Schwester, Braut'') oder ''Ihre Fräulein Tochter'', sehr leicht zu beantworten. Das besitzanzeigende Adjektivum gehört in diesen Verbindungen nicht zu ''Fräulein'', sondern natürlich zu ''Tochter, Schwester, Braut'', wozu ''Fräulein'', gleichsam in Klammern, als bloßer Höflichkeitszusatz tritt (vgl. ''die Herren Mitglieder''). Es darf also nur heißen: ''Ihre'' [''Fräulein''] ''Braut — empfehlen Sie mich Ihrer'' [''Fräulein''] ''Tochter!''
Seitdem die Universitäten den Titel ''Doktor'' (als ob er eine Versteinerung wäre, von der kein Femininum gebildet werden könnte!) an Damen verleihen, liest man auf Büchertiteln: ''Dr. Hedwig Michaelson''. Setzt man davor noch ''Fräulein'', so hat man glücklich drei Geschlechter nebeneinander: ''Fräulein'' (sächlich) ''Doktor'' (männlich) ''Hedwig'' (weiblich). Dabei ist aber eigentlich gar nichts Verwunderliches. Die Verschrobenheit der Sprache ist ja nur das Abbild von der Verschrobenheit der Sache. Vielleicht druckt man auch noch: ''Fräulein Studiosus medicinae Klara Schulze''.
Neben der Rücksicht auf die Gattung des Stiles und auf die Wichtigkeit eines Gedankens für den Zusammenhang sind noch zwei andre Gesichtspunkte wichtig: die doppelte Rücksicht auf die Entwicklung und auf die Schönheit der Sprache. Jene, die von einem Zustande aus, wo ausschließlich Hauptsätze nebeneinander rückten, zu einem Neben- und Durcheinander von Haupt- und Nebensätzen fortschritt, lieferte dadurch dem bewußten Sprachbildner die Möglichkeit, für die gleichen Gedanken zwischen der nachdrücklicheren Haupt- und der abgedämpfteren Nebensatzform zu wählen; denn der unbewußt schaffende, zäh erhaltende Sprachgeist stellt infolge jener Entwicklung immer auch die noch einfachere $Seite 320$ Fügung des Hauptsatzes, wenn auch mit der Tonstärke des Nebensatzes, zur Verfügung, sooft das alte bequeme Nebeneinander besser anmutet als die für den scharf sondernden Verstand heute auch gebotene straffe Unterordnung. In dem Streben nach Schönheit der Sprache wird diese Entwicklung, die nach dem oben Bemerkten zunächst der Scheidung von Haupt- und Nebensachen diente, daneben auch wieder als ein Mittel benutzt, die Abwechslung und Mannigfaltigkeit der Sprache in Rhythmus und Tonfall zu erhöhen. Anstatt daß lauter Sätze mit gleichem Tonfall und gleicher Stellung ihrer Glieder aneinander treten, wird nun bald ein Nebensatz mit steigendem Tone, dem Hauptsatze vorangeschickt, bald folgt einem Hauptsatze mit dem Zeitwort an zweiter Stelle ein Nebensatz mit dem seinigen an späterer u. dgl. mehr. Welchen Reichtum an Mitteln und eine wie mannigfaltige Möglichkeit, jedem Gedanken die seiner Wichtigkeit entsprechende Form zu geben, die Sprache dadurch erhalten hat, und die deutsche mit ihrem einzigartigen Wortstellungsgesetze in doppeltem Maße, sollen einige Beispiele zeigen.
Neben der Verbindung mehrerer Hauptsätze durch ''aber, doch, dagegen'' ist jetzt im gleichen Sinne auch die Verbindung eines Hauptsatzes und eines Nebensatzes mit ''während'' möglich, und oft wird sie bloß der Abwechslung wegen bevorzugt. Welch feine Abtönung zwischen sachlich gleichstehenden, für den Zusammenhang aber nicht gleichwertigen Gedanken dieselbe Fügung aber außerdem ermöglicht, zeigt z. B. die folgende Stelle aus Wilhelm Meisters Lehrjahren, in welcher der Eindruck geschildert wird, den das von Melinas Geliebter abgelegte Geständnis auf Wilhelm, auf die Gerichtspersonen oder auf die anwesenden Bürger macht: ''Wilhelm faßte, als er das Geständnis hörte, einen hohen Begriff von den Gesinnungen des Mädchens; indes'' (= ''während'') ''sie die Gerichtspersonen für eine freche Dirne erkannten und die gegenwärtigen Bürger Gott dankten, daß dergleichen Fälle in ihrer Familie entweder nicht vorgekommen oder nicht bekannt geworden waren. Wilhelm versetzte seine Marianne in diesem Augenblicke vor den Richterstuhl''. Es leuchtet ein, wie sehr Hauptsätze auch für die Eindrücke des Geständnisses auf die andern Personen Wilhelmen aus seiner Stellung im Vordergrunde zurückgedrängt haben würden.
In diesem Geleise gehen wir aber hauptsächlich noch mit der Unart, die nur für untergeordnete, bestimmende Gedanken geschaffenen Nebensatzformen auf Hauptgedanken zu übertragen, die dem Gedanken, dem sie so angeschlossen werden, durchaus gleichwertig sind und, weit entfernt ihn zu bestimmen, gleich ihm nichts als einen Bericht über eine neue Handlung über den Fortschritt einer zusammengesetzten enthalten. Es entspricht dem Wesen der fünf Arten von Sätzen, die man nach den durch sie vertretenen Satzteilen unterscheidet, der Subjekts-, Prädikats-, Attribut- und Adverbialsätze, daß diese Gefahr nicht bei allen in gleicher Weise hervortritt. Vor allem die drei ersten Arten treten ja lediglich dann anstatt der entsprechenden Satzteile ein, wenn sich der Gedanke ungezwungen nicht in einem einfachen Worte wiedergeben läßt, und so werden sie viel zu wenig als selbständige Sätze empfunden, als daß man einander fremde Dinge in das enge Verhältnis von Satzgegenstand und Aussage oder von Aussage und Ergänzung einzwängen sollte. Auch die begründenden, bedingenden und einräumenden Sätze stellen ein logisch zu enges Verhältnis her, als daß es auch aus fernerliegende, selbständige und die Handlung eines Satzes nicht bestimmende weitere Handlungen ausgedehnt werden konnte. Als das Gebiet, auf dem die Übergriffe des Nebensatzes wirklich zahlreich und die Schönheit des Stiles schädigend vorfallen, bleiben somit nur die Umstandssätze der Weise im engeren Sinne und die Folgesätze übrig. Über die Relativsäße s. § 306 und 308, 4 und 5. +
In allen den Fällen der Beziehung eines Bindewortes auf einen einzelnen Begriff, deren Rechtfertigung zuletzt versucht wurde, enthalten die Sätze mit diesen Bindewörtern ein Urteil des Darstellers über einen Ausdruck des vorangehenden Satzes, den wieder er, selbst so urteilend oder ein Urteil nachsprechend, ausgesagt hat, der aber mit dem folgenden Satze in keinem grammatischen Verhältnisse der Rektion steht. Wohl davon zu scheiden und im allgemeinen zu tadeln sind die andern fast häufigeren Fälle, in denen von substantivischen Einzelbegriffen in Satzform Umstände innerlich abhängig gemacht werden, welche eine Handlung objektiv nach Ort und Zeit und nach der Modalität, also nach Grund, Zweck, Bedingung und Folge bestimmen. Solch satzförmige Bestimmungen aber können nur wieder von einem Satze, d. h. von dessen Zeitworte abhängen, nicht von einem Begriffe, der nur seiner Art nach durch eine Beifügung auf die Frage ''was für ein?'' umgrenzt werden kann (''was für eine Absicht? eine gute Absicht, die Absicht zu nützen; was für ein Zweifel? der Zweifel, wie hier noch etwas zu retten sei''). Also können wohl, wenn sie nur artbestimmend sind, selbst Zeitsätze zu einem Hauptworte gefügt werden. Vgl. ''Dennoch ersänk' ich, du Gottversöhner, dein Leiden zu singen, als mit dem Tode du rangst'' (Klopstock). ''Sein ganzes Reich gleicht unsrer Eisbahn auf der Fulda, als sie beim Tauwind brach'' (G. Freytag). ''Die Reue Eures Sohnes, Euer Verdammungsspruch, bevor Ihr mich gehört habt, machen mir’s zum Ekel'' (Maxim. Klinger). ''Er flüsterte ihm die Geschichte seiner tollen Schmugglerfahrten, ehe er vor acht Monaten ein Ehemann geworden, ins Ohr'' (Bernhardine von Schultze-Schmidt). ''Das aufrauschende Staunen und die flüsternden Beratungen der Wipfel über ihm, wenn er zwischen Farren, Moosen, Steinen und Wurzeln stillstand, und manches andere wirkte beklemmend auf ihn ein'' (G. Hauptmann, E. Quint). Die Probe auf die attributive Natur des Satzes läßt sich leicht machen, indem man hinter dem Hauptworte die Wendung: ''wie er'' (''sie, es'') ''ist'' (''war'') einzuschieben sucht; ist dies möglich, so ist die Satzfügung unanfechtbar. Vgl. den Satz Schillers: ''Stellen Sie sich mein Erstaunen vor'' (nämlich: ''wie es war''), ''als mir das weiße Gewand meiner Unbekannten entgegenschimmerte''. Darüber hinaus aber hat die Möglichkeit, Zeit- wie andere Umstandsätze an Hauptwörter anzufügen, ein Ende, und es dünkt mich am bedenklichsten, daß solche Fehler hauptsächlich im heutigen Schul- und Kathederdeutsch zu Hause sind. Steht doch sogar bei dem strengen Heyse eins: ''über die Deklination eines Personennamens'' (statt: ''darüber, wie ein Personenname dekliniert wird''), ''wenn er mit andern Gattungs- und Eigennamen in Verbindung tritt'', und bei einem andern Sprachtadler das folgende: ''Die Weglassung der Kasusendungen, auch wo diese zum Verständnis durchaus notwendig sind''. Solchen Bedingungssätzen kommen Zeitsätze am nächsten, $Seite 316$ so bei G. Freytag: ''Das Weib wünschte uns Unheil, wenn wir auf unserm Wege den Kriegern ihres Volkes begegnen würden''. Auch einen kausalen führt Andresen aus einer Zeitung an: ''die Ermordung Hassan Paschas, weil dieser eine Christenmetzelei verhindern wollte''; und leicht durch einen Relativsatz zu umgehen war die Gewalttätigkeit in dem Satze G. Kellers: ''Die räumliche Entfernung unserer Heimatlande untereinander, indem sie im äußersten Norden, Westen und Süden des ehemaligen Reichslandes liegen, verband uns mehr, als daß sie uns trennte''.
Weitaus die meisten Beispiele sind aber Infinitive mit ''um zu'' oder gleichbedeutendem ''zu'', zu denen wohl die berechtigten attributiven Infinitive mit ''zu'' verführen mögen und bei denen man auch, wenn auch alle tadelnswert sind, einen geringern und einen größern Grad des Unschönen sondern darf. Sie sind weniger verletzend, wenn der regierende Begriff eine Substantivierung für den einzelnen Fall ist und der Satz ein Ziel angibt: ''Das Einspringen des Fürsten Bismarck, zu retten'' (Köln. Ztg.); ''Die zeitweilige Übersiedelung nach Berlin, um in der Staatsverwaltung tätig zu sein und seinen Bruder in der Repräsentation bei Hofe zu unterstützen, dürfte den Wünschen des Prinzen Heinrich selbst entsprechen''//1 Schwülstig bleibt ein solcher Satz immer; lieber also ''Daß Prinz H. ... übersiedelt, um ... , dürfte seinen eignen Wünschen entsprechen''; dann erführe man auch rechtzeitig, um wessen Übersiedlung sichs handelte.//. Der Fehler wird desto empfindlicher, je fester das Substantiv einen Zustand oder ein Ruheverhältnis ausdrückt. Dem Satze: ''Ich hatte mir seinen Messias so zu eigen gemacht, daß ich ihn bei meinen öftern Besuchen, um Siegelabdrücke für meine Wappensammlung zu holen, große Stellen davon vortragen konnte'', benimmt es also nichts von seiner Bedenklichkeit, daß er von Goethe geschrieben ist. Er ist so schlimm, als wenn Kügelgen geschrieben hat: ''ein altes Tabernakel, dessen Schmucklosigkeit sich von einem gewöhnlichen kleinen Wandschränkchen, um Brot und Käse zu verwahren, gar nicht unterschied''; oder Hebbel: ''Eine Reise nach Meldorf, um die alte Großmutter ... zu besuchen, war der höchste Reiz''; oder G. Hauptmann (E. Quint): ''Er wurde mit einem Ereignis vertraut, der Sendung des eingebornen Sohnes Gottes selbst, um die Welt vom Sündenfluch zu erlösen''. In der Tgl. R. nannte gar ein — ''„klassischer Professor" die Strategie eine Größe, falls das Ziel'' (''den Feind zu vernichten'') ''verwirklicht werden muß'', und redete davon, daß der ''neudeutsche Geist zur Gesinnung der Verteidigung des Landes in aufgedrängtem Notfall geläutert worden ist'', wo das Wort ''Verteidigung'' einem Bedingungshauptsatz und die Worte ''im ... Notfalle'' den Nebensatz dazu vertreten: ''das Land verteidigen zu wollen, wenn der Notfall aufgedrängt wird''. Drum immer wieder, man meide möglichst die unsaubern Substantivierungen!
Geradezu angetan hat es aber der schreibenden Welt von heute, sogar schon den Grammatikern//1 So Andresen, der den Infinitiv mit ''um zu'' auch in andern als Absichts- und Folgesätzen damit rechtfertigen will, daß dem Subjekte gewissermaßen (!) die Absicht zugeschrieben werde, den Willen des Schicksals zu erfüllen. Wenn wir erst diese Macht in die Satzlehre einführen, dann müssen freilich auch da — türkische Zustände einreißen, zumal das arme ratlose Subjekt nun wird müssen das Hundertste und Tausendste auszuführen beabsichtigen, was als Schicksalsfügung ihm unbewußt sein muß! Man erprobe nur das Mittel an einigen Beispielen: v. Dürckheim schreibt: ''Er lachte, und wir schieden als gute Freunde, um uns nie wieder zu sehn''. Also wirklich, als gute Freunde Scheidenden kann man die Absicht zuschreiben, eine solche aller Freundschaft zuwiderlaufende Schicksalsfügung auszuführen? Oder wie soll dem Subjekte eine solche Absicht innewohnen können, wenn es in einem Satze nicht im tätigen, sondern im leidenden Zustande auftritt? So in dem Satze Bornhaks: ''Dann lachte wohl der kindliche Frohsinn, um bald wieder desto schwerer niedergedrückt zu werden''.//, das leidige ''um zu''. Sie begnügt sich nämlich nicht mehr, es an Stelle von Absichtssätzen und, was sich erst daraus, aber ganz natürlich entwickelt hat, von Folgesätzen anzuwenden, sondern leitet damit auch die Weiterentwicklung und den Abschluß jeder Sache ein, mögen diese immer in der mannigfachsten Weise, an den verschiedensten Orten und zu ganz anderen Zeiten erfolgen. Die Möglichkeit so verschwommener Verwendung erklärt sich nur daraus, daß die auf sinnliche Anschauung gegründete Bedeutung der Wörtchen ''um zu'' nicht mehr stark genug empfunden wird.
Dieses ''um'' führte nämlich ursprünglich den durch ein Hauptwort ausgedrückten Gegenstand, den Preis usw. an, um den herum ein Handel, ein Streit, ein Ringen u. dgl. sich abspielte; diese Angabe wurde dann aber immer öfter durch einen Infinitiv mit ''zu ''ergänzt//2 Die Stufen der Entwicklung sind also: 1. ''Er schickte den Knecht um das Pferd'' (= ''nach dem Pferde, des Pferdes wegen''). 2. ''Er schickte den Knecht um das Pferd'', (''es'') ''zu holen''. 3. ''Er schickte den Knecht, um das Pferd zu holen''. Vgl. meine ausführliche Darstellung in der Zeitschr. des Allgem. Deutschen Sprachvereins 1894, (S. 137 ff). Den dortigen Beispielen sei hier ein sehr lehrreiches für eine verwandte, nicht üblich gewordene Wendung beigefügt: ''das geschah von schaden wegen zu wenden'' (Straßburg, Chron. II, 1036, 40). Auch kann ich die Fügung jetzt schon aus dem J. 1376 belegen: ''do die Kurfürsten umb eynen R. kunig zu nennen und zu wellen ubereyn pflegen zu komen'' (D. R.-A. I, 160, 24).//, und erst indem diese beiden Fügungen zusammenflossen, wurde ein trefflicher Ausdruck für den Zweck, die Absicht des Ringens, Mühens und Tuns überhaupt gewonnen. So sind denn Absichtssätze mit ''um zu'' überaus häufig, und zwar nicht allein so, daß das Subjekt des übergeordneten Satzes auch das Subjekt des Infinitivs sein müßte, sondern in freistem Anschlusse an jeden andern Satzteil: ''es ist eine Verwirrung, recht gemacht, um im Trüben zu fischen'' (Voss. Z.). Nur muß, was in einem übergeordneten aktivischen Satze Subjekt ist, auch wirklich ein Wesen danach sein, daß ihm überhaupt eine Absicht zugeschrieben werden kann. Sonst kommt allemal etwas Lächerliches heraus wie in der Mitteilung des Wolffschen Bureaus: ''Mehrere Extrazüge brachten heute Abend nach Tausenden zählende Männer aller Stände hierher, um dem Fürsten Bismarck einen Fackelzug zu bringen''.
Nur auf dem Wege der natürlichen Weiterentwicklung hat es gelegen, daß aus diesem Ausdrucksmittel für die Absicht zugleich eins für die Folge, aus dem für die bezweckte Folge eins für die unbeabsichtigte, tat- $Seite 331$ sächliche geworden ist. Zunächst nach den Bezeichnungen der hinreichend oder der zu hohen Stufe//1 Bei einer derartigen Nennform stellt sich oft eine Verneinung ein: ''Nichts wurde zu klein gehalten, um nicht genauer Erörterung unterworfen zu werden. — Das Volk hatte von den Franzosen genug zu leiden gehabt, um nicht sehnlich zu wünschen'': Es sind verkürzte Folgesätze (= ''zu klein als daß es nicht ... unterworfen worden wäre; genug ... als daß es nicht sehnlich wünschen sollte''), Daß man freilich — bei gleichem verneinendem Sinne — auch ohne das besondere Verneinungswort auskommen kann, zeigt der Satz von E. Eichhoff: ''Backfische sind nichts anderes als junge Fische, und die Übertragung dieses Begriffs auf junge Mädchen liegt nahe genug, um irgendwie auffällig zu erscheinen''. Vgl. § 401.//. ''Der Dreibund bat Truppen genug, um allen Wechselfällen mit einer gewissen Ruhe entgegensetzen zu können'', stand nicht nur in Zeitungen, sondern ähnliches schon bei den Klassikern, z. B. Wieland: ''Du kennst mich zu gut, um eine solche Probe nötig zu haben''. Daß die Ausdrucksweise selbst für andere Folgesätze unbedenklich sein kann, zeigt ein Satz wie der v. Dürckheims: ''Ich erkundigte mich, was der Gefangene begangen hätte, um so streng behandelt zu werden'' (— ''weshalb er, so daß er darum ... behandelt werde''). Ja selbst das hieße aus dem Kreise der Folgesätze, den die Anwendung von ''um zu'' einmal so weit durchlaufen hat, einen unberechtigten Ausschnitt herausnehmen, wollte man solche Fügungen dann unbedingt verwerfen, wenn im übergeordneten Satze mit ''so, derart'' und ähnlichen Wörtchen ausdrücklich auf einen Folgesatz hingewiesen wird; kann doch auch eine solche Folge zugleich eine beabsichtigte sein, wie in dem Satze eines Historikers in der Tgl. R.: ''Die Bewachung des Gefangenen wurde derart verschärft, um ihm jeden weiteren Versuch zum Entkommen als zwecklos erscheinen zu lassen''. Doch auch sonst sind Sätze der folgenden Art keine Seltenheit: ''Der allgemeine Wohlstand hat sich so gehoben, um auch eine Aufbesserung der Beamtenstellungen zu fordern''. Immerhin hat diese letzte Fügungsweise noch kein zu hohes Alter, und je mehr der hinweisende Begriff: ''so, derart'' u. dgl. betont ist, desto mehr gebührt der Vorzug der älteren und auch heute noch gebräuchlicheren Art, wonach dem ''so'' ein ''daß'' entspricht, und desto mehr haftet der jüngeren Fügungsweife das Unbefriedigende einer Mischform an.
Noch viel tadelnswerter ist es freilich, wenn ''um zu'' über die Grenzen der Folge- und Absichtssätze hinaus zur Anführung jedes beliebigen fortführenden Gedankens dienen soll. Denn wenn ein solcher in die Form eines logisch, d. h. hier nach dem Gesichtspunkte des Zweckes, auch der Folge bestimmenden Nebenumstandes herabgedrückt werden soll, so widerstreitet dies dem Hauptgesetz über die Anwendung der Haupt- und der Nebensatzform. Aus der Feder Bornhaks hätte denn so wenig der Satz kommen sollen: ''Die junge Fürstin wurde dort von'' (''dem und dem'') ''empfangen, um am 27. Juni nachmittags in Berlin einzutreffen'', als aus der H. Rückerts der gleich schlimme: ''Schon mittelhochdeutsch war aus gleicher Quelle môment entlehnt worden, um aber'' (!) ''nachher wieder zu verschwinden''. Und vor und neben vielen Romanschriftstellern schrieb einer der ersten unter ihnen, G. Keller, oft derart: ''So haben wir das komische Schauspiel, wie Menschen sich der abstraktesten Ideologie hingeben, um nachher jeden, der an etwas erreichbar Gutes und Schönes glaubt, einen Ideologen zu nennen''; $Seite 332$ und W. Raabe: ''Da stand Mariens kleines Nähtischchen, wie sie es an jenem Abende verlassen hatte, um nicht wieder davor zu sitzen, nicht wieder durch die Rosenstöcke in die dunkle Gasse hinauszusehen''. Namentlich aber in Zeitungen ist aller paar Zeilen Ähnliches zu finden: ''Ein Paar Gespanne machen vor der Universität Halt, um gleichgültig weiter zu rollen, wenn ein Herr ausgestiegen. Die Papiere fallen rasend schnell, meist um nicht wieder zu steigen''. Im örtlichen Teile bringen die Gelegenheitsberichterstatter dann vollends manchmal gar Ungereimtes zuwege: ''Hieran schloß sich die Festtafel, zu der vier Tafellieder vorlagen, um später einem lustigen Tanzreigen Platz zu machen!''
Wer wollte freilich verkennen, daß ein G. Keller, wenn er ferner auch schrieb: ''Durch das Fenster sah ich dem Zuge nach, der sich durch die Wiesen unter den Bäumen hin bewegte und dann auf der Höhe des Kirchhofs zum Vorschein kam, um endlich in der Kirchtür zu verschwinden'', dies aus Verlangen nach Abwechslung in Satzform und Satzrhythmus getan hat//1 Neuerdings hat solche Fälle in größerem Zusammenhange E. Lerch behandelt: „Satzglieder ohne den Ausdruck irgendeiner logischen Beziehung" (German.-roman. Monatsschrift V (1913), 353 ff.).//? Überhaupt gibt es wohl einen Fall, wo der feine Stilist selbst die Weiterentwicklung einer Handlung, mag sie schon an anderm Orte und zu späterer Zeit erfolgen, auch einmal in der Nennform mit ''um zu'' angeben darf; das ist dann, wenn der Widerspruch zwischen der Erwartung oder Absicht, die bei Beginn wirken mochte, und dem schließlichen Ergebnis mit einer gewissen, je nachdem launigen oder bittern Ironie hervorgehoben werden soll. Vgl. als Musterbeispiel für die launige Ironie: ''Er schoß über den glatten Saal, um sich auf einmal zu den Füßen seiner Angebeteten zu finden'', und für die bittere: ''Mit dem ganzen Überschwang der Jugend trat er in seinen Beruf ein, um in dessen Tretrade sehr bald eine andere Auffassung vom Leben zu lernen''. Auch Gellert schrieb schon: ''Marianne erholte sich aus einer Ohnmacht, um in die andere zu fallen''. Wie fein aber Bismarck diese Freiheit zu nutzen verstand, kehren solche Sätze bei ihm: ''Die Ausführung des Beschlusses war völlig unmöglich, wenn man nicht die bisher aufgewandten Kosten als weggeworfen betrachten wollte, um im nächsten Jahre wieder von neuem anzufangen. — Die Regierung glaubt, daß es nicht nützlich sei, das Beispiel hinzustellen, ein deutsches Land habe Preußen nur den Finger zu reichen, um gegen seinen Willen aller seiner Eigentümlichkeiten entkleidet und bis auf die Haut preußisch uniformiert zu werden''.
